Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Thomas L. Kemmerich, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/13667 – Raupenplagen in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Verschiedene Regionen in Deutschland, darunter vor allem Thüringen und Franken, hatten in den vergangenen Monaten erhebliche Probleme mit Überpopulationen von Insekten. Besonders die Region um die Stadt Gera war von der Raupe des Schwammspinners betroffen (www.mdr.de/brisant/ratgeber/ schwammspinner-invasion-was-tun-gegen-den-raupenbefall-100.html). Auch die für den Menschen gefährlichere Raupe des Eichenprozessionsspinners verbreitet sich mehr und mehr aus (etwa in Thüringen: www.thueringerallgemeine .de/regionen/sondershausen/eichenprozessionsspinner-in-nord-undostthueringen -auf-dem-vormarsch-id226351359.html). Dabei sind die Wälder geschwächt. Dürre und Trockenheit der letzten Jahre haben den Wäldern und Bäumen erheblich zugesetzt. Die anfälligen Pflanzen müssen sich nun mit einer weiteren Bedrohung auseinandersetzen. Selbst Pflanzen, die diese überstehen, sind soweit angeschlagen, dass sie anfällig für weitere Schädlinge sind. Aus Sicht der Fragesteller ist eine solche Abwärtsspirale eine erhebliche Gefahr für die deutschen Wälder. 1. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Schäden (Anzahl/Fläche von betroffenen Bäumen und Wäldern; wirtschaftliche Verluste) an deutschen Wäldern ein, welche durch die Raupe des Schwammspinners und den ausgewachsenen Schwammspinner seit 2015 entstanden sind? Welche Bundesländer sind dabei besonders betroffen (bitte auflisten), und welche Gründe sieht sie für etwaige Unterschiede? In Tabelle 1 sind die von den Bundesländern jährlich gemeldeten Schadflächen durch den Schwammspinner und den Eichenprozessionsspinner für die Jahre 2015 bis 2018 aufgeführt. Die Schäden, die im Jahr 2019 entstanden sind, werden erst im Frühjahr 2020 an das Julius Kühn-Institut gemeldet und liegen der Bundesregierung daher noch nicht vor. Die wirtschaftlichen Verluste können von der Bundesregierung nicht quantifiziert werden. Deutscher Bundestag Drucksache 19/14005 19. Wahlperiode 14.10.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 10. Oktober 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Die unterschiedliche Betroffenheit der Bundesländer ergibt sich aus dem Gradationsverhalten der Arten, das von zahlreichen exogenen und endogenen Faktoren (z. B. Blattaustrieb und Raupenschlupf) bestimmt wird. Besonders betroffen sind aktuell wärmebetonte Regionen mit ausreichend hohem Eichenanteil . Zudem verlaufen die Massenvermehrungen der beiden Arten asynchron wegen der regionalen Unterschiede im Witterungsgeschehen. Tabelle 1: Schadflächen [ha] durch Schwammspinner und Eichenprozessionsspinner , die von den Bundesländern (Flächenländern) für die Jahre 2014 bis 2018 gemeldet wurden (Quelle: AFZ/Der Wald 2015-2019, jeweils Heft-Nr. 7). Mit * versehene Flächenangaben beinhalten Flächen, auf denen beide Arten gemeinsam mit einander vergesellschaftet auftraten und eine Differenzierung der Befallsfläche nach der jeweiligen Art nicht möglich war. Schwammspinner Eichenprozessionsspinner Bundesland 2015 2016 2017 2018 2015 2016 2017 2018 Baden-Württemberg 39 21 11 52 157 395 442 1.555 Bayern 0 60 2.000 5.600 2.300 220 1.800 3.800 Saarland Rheinland-Pfalz 2 2 2 5 88 80 177 593 Hessen Thüringen 52 10 10 10 Sachsen Nordrhein-Westfalen 1 3 12 18 26 1.207 Niedersachsen Sachsen-Anhalt Brandenburg 477* 17 2 2.189 477* 902* 838 Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern 5 5 2. Welche Maßnahmen sind aus Sicht der Bundesregierung notwendig, um zukünftige Plagen von Schwammspinnerraupen und den ausgewachsenen Schwammspinner zu verhindern, und wie bewertet sie dabei den Einsatz von Massenvermehrungen sind natürliche Phänomene in der Populationsdynamik vieler Insektenarten, die maßgeblich durch das Klima und die Witterung in dem betreffenden Jahr gesteuert werden, und bei entsprechenden Bedingungen auch in Zukunft vorkommen werden. Präventionsmaßnahmen wie z. B. naturnahe Waldbewirtschaftung sind daher fortzusetzen. a) biologisch basierten Schutzmitteln nach Pflanzenschutzrecht (Wirkstoff Bacillus thuringiensis); Die Bundesregierung bewertet Bacillus thuringiensis-haltige Pflanzenschutzmittel im Einsatz gegen den Schwammspinner als weniger bedenklich als andere zur Verfügung stehende Präparate. Dies liegt an der vergleichsweise höheren Selektivität, einem ausreichenden Wirkungsgrad und daran, dass die ökotoxikologische Wirkung weniger negativ einzuschätzen ist als diejenige von unspezifisch wirkenden Pflanzenschutzmitteln. Der Einsatz von diesen Pflanzenschutzmitteln mit Luftfahrzeugen ist derzeit nur über Genehmigungen nach § 18 Absatz 3 Nummer 2 des Pflanzenschutzgesetzes möglich. Drucksache 19/14005 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. b) Pflanzenschutzmitteln auf chemischer Basis (etwa Wirkstoff Tebufenozid ); Aktuell stehen mit Karate Forst flüssig (Wirkstoff lambda-Cyhalothrin) und Mimic (Wirkstoff Tebufenozid) nur zwei chemische Pflanzenschutzmittel zur Behandlung von Waldflächen gegen Raupen freifressender Schmetterlingsarten zur Verfügung. Karate Forst flüssig ist im Einsatzgebiet Forst in relevanten Anwendungsgebieten zugelassen und hat sich in allen Forstanwendungen als hocheffizient erwiesen . Es ist für die Ausbringung mit Luftfahrzeugen gegen freifressende Schmetterlingsraupen nach § 18 Absatz 3 Nummer 2 des Pflanzenschutzgesetzes genehmigt. Es wirkt nicht systemisch und verfügt über eine große Breitenwirkung und geringe Selektivität gegenüber vielen Nichtzielarthropodenarten (Insekten und Spinnentiere). Dies bewertet die Bundesregierung zwar als nachteilig , aber diese Einsatzform ist erforderlich für Anwendungen in stark geschädigten Beständen ohne ausreichende Blattmasse. Das Pflanzenschutzmittel Mimic mit dem Wirkstoff Tebufenozid wirkt als Fraßmittel als Agonist des Ecdyson-Rezeptors und wird eingesetzt, um eine verfrühte Häutung von noch unreifen Larvenstadien auszulösen (Häutungsbeschleuniger ). Die Wirkungsgrade je nach Behandlungszeitpunkt und Witterung liegen deutlich niedriger als bei Karate Forst flüssig zwischen 70 bis 90 Prozent . Die Wirkung von Tebufenozid richtet sich gegen Schmetterlinge. c) Sammeln und Vernichten der Eier durch den Menschen; Ein Sammeln und Vernichten der Eier durch Menschen ist aufgrund der Eigelegeanzahl bei Massenvermehrungen und der Lage in verschiedenen Stammhöhen , auch deutlich über 2 Meter Höhe bis in die Krone hinauf, praktisch nicht durchführbar. d) Mitteln nach Biozidrecht (etwa Wirkstoff Margosa-Extrakt)? Nach Biozidrecht wurde bislang keine Zulassung für ein Produkt, welches zu bioziden Zwecken gegen den Schwammspinner eingesetzt werden soll, erteilt. Die Zulassung von Produkten nach Biozidrecht schließt die Anwendung im Forst zu forstwirtschaftlichen Zwecken nicht ein. Folglich liegen hinsichtlich der Frage, ob solche Biozide für die Anwendung im Forst vertretbar für Mensch und Umwelt, tauglich und wirksam sind, keine Erkenntnisse vor. Aktuell sind keine Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Margosa-Extrakt für das Einsatzgebiet Forst zugelassen. Nach Kenntnis der Bundesregierung ist auch keine Zulassung geplant. 3. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung weitere Mittel zur Bekämpfung der Raupe des Schwammspinners oder des ausgewachsenen Schwammspinners in Entwicklung oder Zulassung? Gegen die Imagines des Schwammspinners wird kein Pflanzenschutzmittel eingesetzt . Bei der Bekämpfung von freifressenden Schmetterlingsraupen im Forst kann sich in naher Zukunft die derzeit geringe Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln weiter verringern. Aktuell wird neben dem Antrag auf Wiederzulassung eines Mittels mit dem Wirkstoff lambda-Cyhalothrin mit leicht ausgeweitetem Zulassungsumfang ein Zulassungsantrag für eine gegenseitige Anerkennung einer Zulassung aus Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/14005 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Polen für ein biologisches Mittel auf Basis von Bacillus thuringiensis bearbeitet . Für ein Tebufenozid-haltiges Pflanzenschutzmittel liegt ebenfalls ein Erneuerungsantrag zur Bewertung vor. Für den Forstbereich ist hier die Bekämpfung freifressender Schmetterlingsraupen beantragt. Die Servicestelle zur Verbesserung der Pflanzenschutzmittelverfügbarkeit im Forst prüft die Möglichkeit weiterer Anträge nach Artikel 51 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009. In Bulgarien wurde 1999 der aus Asien stammende entomophage Pilz Entomophaga maimaiga ausgesetzt. Dieser Pilz scheint nach allen bisherigen Untersuchungen sehr spezifisch auf den Schwammspinner zu wirken und kann Massenvermehrungen der Art unterdrücken. Seit der Freisetzung in Bulgarien hat sich der Pilz unkontrolliert im Verbreitungsgebiet des Schwammspinners in Südeuropa über den gesamten Balkan bis Kroatien, die Slowakei und neuerdings auch Österreich ausgebreitet. Die langfristigen Auswirkungen der Freisetzung von Neobiota zur biologischen Kontrolle von Schadorganismen auf die Ökosysteme sind schwer abzuschätzen. Die Bundesregierung lehnt die Freisetzung von Neobiota, insbesondere Neomyceten, zur biologischen Kontrolle von Schadorganismen ab. 4. Welche Regionen werden bundesweit und besonders in Thüringen aus Sicht der Bundesregierung zukünftig mit Überpopulationen der Raupe des Schwammspinners konfrontiert sein? Welche Maßnahmen rät die Bundesregierung diesen Regionen? Grundsätzlich sind Massenvermehrungen des Schwammspinners in allen warmgetönten Regionen mit hohen Eichenanteilen möglich. In kontinental geprägten Regionen ist die Wahrscheinlichkeit höher als in atlantisch geprägten Regionen. Der Schwammspinner hat in den vergangenen Jahren seine bekannten Gradationsgebiete erweitert. In Thüringen gelten die Regionen Altenburgerland, Gera, Hildburghausen und Nordhausen derzeit als mögliche Gradationsgebiete der Art. Vorbeugende und kurative Maßnahmen zum Schutz der Wälder sind Aufgabe der Länder. 5. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefährdung durch die Raupe des Eichenprozessionsspinners bundesweit, und welche Gebiete sind nach Kenntnis der Bundesregierung besonders betroffen? Die Raupen des Eichenprozessionsspinners können die menschliche Gesundheit gefährden und die Forstwirtschaft beeinträchtigen – vom Absterben einzelner Eichen bis hin zu ganzen Eichenbeständen. Der Eichenprozessionsspinner hat seit der Jahrtausendwende sein Gradationsgebiet extrem erweitert. Dies betrifft vor allem Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und in bisher geringerem Umfang Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Sachsen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie die Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Das aktuelle Gradationsgebiet des Eichenprozessionsspinners ist größer als das des Schwammspinners. Das potentielle Gradationsgebiet des Eichenprozessionsspinners ist nahezu deckungsgleich mit dem des Schwammspinners . Drucksache 19/14005 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 6. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Schäden (Anzahl/Fläche von betroffenen Bäumen und Wäldern; wirtschaftliche Verluste) an deutschen Wäldern ein, welche durch die Raupe des Eichenprozessionsspinners und des ausgewachsenen Eichenprozessionsspinners seit 2015 entstanden sind? Welche Bundesländer sind dabei besonders betroffen (bitte auflisten), und welche Gründe sieht sie für etwaige Unterschiede? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 7. Welche Maßnahmen sind aus Sicht der Bundesregierung zur Verringerung der Gefahr durch die Raupe des Eichenprozessionsspinners für den Menschen sinnvoll, und welche Maßnahmen rät sie betroffenen Regionen? Für die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners zu Zwecken des Gesundheitsschutzes sind die Behörden der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften zuständig. Diese können aufgrund ihrer Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten am besten konkrete Befallssituationen beurteilen und über eventuelle Maßnahmen entscheiden. Vorrang vor der Anwendung von Bioziden sollten grundsätzlich vorbeugende und organisatorische Maßnahmen haben. Die Anwendung von Bioziden sollte nur als letztmögliches Mittel betrachtet werden. Der Einsatz von Bioziden zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist grundsätzlich dann nicht mehr sinnvoll, wenn die Raupen Brennhaare ausgebildet haben. Solche Raupen mit Brennhaaren können nur durch Absaugen durch einen Fachbetrieb entfernt werden. 8. Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Waldgesundheit in Thüringen ? Existieren Regionen, welche besonders positive oder negative Entwicklungen vorweisen? Wie viel Kubikmeter Restholz befinden sich derweil nach Kenntnis der Bundesregierung noch in den Thüringer Wäldern? Zur aktuellen Waldgesundheit in Thüringen liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Die Daten der Waldzustandserhebung 2019, die im Juli/August durchgeführt wurde, werden in den Ländern aktuell ausgewertet. Auf den Waldzustandsbericht 2018 des Landes Thüringen (www.thuerin gen.de/mam/th9/tmblv/bilder2018/waldzustandsbericht/waldzustandsbe richt_web.pdf) wird verwiesen. Zu „Restholzmengen“ in den Wäldern Thüringens liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/14005 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 9. Welche Gefahren bestehen nach Einschätzung der Bundesregierung für das UNESCO-Weltnaturerbe „Nationalpark Hainich“ durch eine Zunahme von Insektenplagen in Thüringen? Aus dem Nationalpark Bayerischer Wald sind großflächige Waldaufbauveränderungen nach Insektenmassenvermehrungen bekannt. Entsprechende Entwicklungen sind in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der Temperaturentwicklung in Folge des Klimawandels und dem Auftreten von extremen Witterungsbedingungen mittel- oder langfristig grundsätzlich auch im Nationalpark Hainich vorstellbar. Allerdings sind die einheimischen Insektenarten an der Buche bisher deutlich weniger aggressiv und daher hinsichtlich ihres Schadpotentials unkritischer einzuschätzen als die bekannten Arten an Nadelholzbaumarten . Drucksache 19/14005 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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