Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/13970 – Neuvereinbarungen der Mittelvergabe im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Europäische Union vereinbarte am 18. März 2016 mit der Türkei ein Flüchtlingsabkommen, welches die Einreise von Flüchtlingen über die Türkei in die EU verhindern soll ( w w w . e u r - l e x . e u r o p a . e u / l e g a l - c o n tent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:22014A0507(01)&from=ET). Durch eine Verstärkung ihres Grenzschutzes soll die Türkei dazu befähigt werden, die Einreise von Flüchtlingen auf griechische Inseln (und damit in das Territorium der EU) zu vereiteln. Dafür sollten der Türkei von der Europäischen Union zur Verbesserung der Lebensumstände von Geflüchteten bis zu 6 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden (www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/fluecht lingsabkommen-tuerkei-eu-inhalt). Bislang haben die Europäische Union sowie einzelne EU-Mitgliedstaaten 50 Prozent dieser vereinbarten Summe an die Türkei ausgezahlt. Das seitens der Europäischen Union zur Verfügung gestellte Geld soll ausschließlich für Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit , Sicherheit, Unterkünfte und Lebensmittelversorgung genutzt werden . Gleichzeitig sollen syrische Flüchtlinge, die keinen Anspruch auf Asyl haben (da sie „illegal“ eingereist sind), von den griechischen Inseln zurück in die Türkei abgeschoben werden. Im bisherigen Jahr 2019 erreichten 50 Prozent mehr Schutzsuchende als im Vorjahr die griechischen Inseln. Im August und September hat sich die Zahl der Ankünfte im Vergleich zum Vorjahr bereits verdoppelt (www.handels blatt.com/politik/international/migration-pakt-zwischen-eu-und-tuerkei-aufder -kippe-in-der-aegaeis-droht-ein-neues-fluechtlingschaos/25037310.html). Einher ging die Steigerung der Ankünfte aus der Türkei mit Drohungen aus der AKP-Regierung, das EU-Flüchtlingsabkommen nicht weiter umzusetzen (www.welt.de/politik/ausland/article197457131/Tuerkei-Erdogan-will-grossgewinnen -und-koennte-gross-verlieren.html). Die türkische Regierung hatte immer wieder kritisiert, dass die Gelder seitens der EU verspätet gezahlt würden und vor allem nichttürkische Organisationen die Kontrolle über die gezahlten Gelder hätten. Nach einem Bericht im „Handelsblatt “ soll sich dies bei der zweiten Tranche ändern. Die EU habe auf Druck Ankaras bei einem großen Teil der zweiten Tranche die Bedingungen für die Freigabe der Gelder derart geändert, dass mehrere europäische sowie UN-Organisationen leer ausgehen, die türkische Regierung aber profitiere Deutscher Bundestag Drucksache 19/14619 19. Wahlperiode 30.10.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Auswärtigen Amts vom 28. Oktober 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. (www.handelsblatt.com/politik/international/migration-tuerkei-setzt-sich-mitaenderungen -beim-fluechtlingsabkommen-durch/25042238.html). Die Fragestellerinnen und Fragesteller befürchten, dass diese Mittel weniger in der Türkei lebenden Schutzsuchenden zugutekommen, sondern dazu eingesetzt werden , dass angeschlagene Regime zum Beispiel durch Finanzierung des Repressionsapparats zu stabilisieren. 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über bisher an türkische Behörden und Bundesministerien gezahlte Mittel aus dem EU-Türkei- Abkommen und deren konkrete Verwendung (bitte aufschlüsseln)? Auf der Grundlage des EU-Türkei-Abkommens wurden im Rahmen der EU- Türkei-Fazilität (FRiT) in der ersten Phase projektbasiert ca. 660 Mio. Euro an Direktzahlungen für die Grundversorgung im Rahmen der Humanitären Soforthilfe (Familien- und Gesundheitsministerium) geleistet und in der zweiten Phase 955 Mio. Euro in Entwicklungsprojekte (Ministerium für Soziales, Familienund Gesundheitsministerium) investiert. Mit dem Ziel der Nachhaltigkeit von Unterstützungsmaßnahmen fließen dabei Direktzahlungen hauptsächlich in langfristig ausgerichtete Infrastrukturmaßnahmen, in den Bildungsbereich sowie über das Familienministerium mit der Maßnahme „Emergency Social Safety Net“ (ESSN) ca. 255 Mio. Euro zur Integration syrischer Flüchtlinge in das reguläre Sozialsystem der Türkei. Die Auszahlung erfolgt in allen Fällen entsprechend dem Projektfortschritt und nach erfolgter Abrechnung entstandener Kosten. Darüber hinaus wird auf die Webseite der Europäischen Kommission verwiesen: www.ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/news_ corner/ migration_en. 2. Inwiefern trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die türkische Regierung im Rahmen der zweiten Tranche der im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen bereitgestellten Mittel mehr Geld erhalten soll, während die Mittel für internationale Organisationen gekürzt werden, und wie hat sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dazu positioniert (bitte ausführen; www.handelsblatt.com/politik/international/migrationtuerkei -setzt-sich-mit-aenderungen-beim-fluechtlingsabkommen-durch/ 25042238.html)? Die erste Phase der EU-Türkei-Fazilität im Rahmen des EU-Türkei- Abkommens galt der Soforthilfe im Bereich der Humanitären Hilfe sowie dem Kapazitätsaufbau auf türkischer Seite. Demgegenüber liegt der Schwerpunkt der zweiten Phase der EU-Türkei-Fazilität bei langfristigen und nachhaltigen Projektmaßnahmen, insbesondere bei der kommunalen Infrastruktur (Abfallentsorgung , Wasser, Abwasser) sowie der Berufsbildung und Arbeitsvermittlung für Flüchtlinge. In der zweiten Phase wurde in Anbetracht des Kapazitätsaufbaus auf türkischer Seite im Zuge der ersten Phase sowie im Hinblick auf eine nachhaltige Wirkung der Unterstützung der Anteil an Direktmaßnahmen mit türkischen Behörden auf 955 Mio. Euro erhöht. Diese Erhöhung ist darauf gerichtet , mehr Flüchtlinge in die regulären Fürsorgesysteme zu integrieren. So soll etwa die Integration von dauerhaft hilfsbedürftigen Flüchtlingen in das türkische Sozialsystem durch das türkische Familienministerium gefördert werden . Ebenso soll über das türkische Gesundheitsministerium Flüchtlingen ein verbesserter Zugang zum Gesundheitssystem ermöglicht werden. Über das Bildungsministerium soll die Integration von schulpflichtigen Syrern in das Regelschulsystem gefördert werden. Über Zuweisungen an staatliche Einrichtungen werden parallele Sozialsysteme verhindert. Drucksache 19/14619 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 3. Auf welcher Grundlage wurde die Entscheidung gefällt, dem türkischen Staat mehr Mittel im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens zukommen zu lassen, und inwieweit spielte dabei Druck von türkischer Seite eine Rolle? Im Rahmen des Lenkungsausschusses der EU-Türkei-Fazilität tauschen sich die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten sowie die türkische Regierung regelmäßig aus, um evaluierend und planend das weitere Vorgehen auf die aktuellen Gegebenheiten hin anzupassen. In diesem Rahmen hat die türkische Regierung ihren Wunsch nach Übernahme von mehr Eigenverantwortung vor allem mit Blick auf die Wahrnehmung der Aufgaben nach Auslaufen der EU- Förderung vorgetragen. 4. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Hintergrund der Einführung einer Obergrenze für Verwaltungskosten für Projektgelder im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens in Höhe von 4 Prozent, insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die UN-Organisationen Verwaltungskosten von 7 bis 8 Prozent haben, wie es in ihrer von den UN- Mitgliedstaaten bestätigten Satzung vorgesehen wird, und inwiefern ist diese Änderung auf Wunsch Ankaras hin erfolgt, und wie hat sich die Bundesregierung aus welchen Gründen dazu positioniert (www.handels blatt.com/politik/international/migration-tuerkei-setzt-sich-mit-aenderun gen-beim-fluechtlingsabkommen-durch/25042238.html)? Die EU-Kommission ist gehalten, für einen sparsamen und wirtschaftlichen Mitteleinsatz zu sorgen. Rechtsgrundlage für die EU-Kommission ist Artikel 181, Paragraph 6 der Haushaltsordnung der EU, nach der die EU-Kommission berechtigt wird, eine Quote von bis zu sieben Prozent festzusetzen. Der in den einzelnen Maßnahmen zugrunde gelegte Verwaltungskostenpauschalanteil richtet sich nach dem Verwaltungsaufwand, welcher der jeweiligen Maßnahme angemessen erscheint. Die Bundesregierung hat sich für die Anwendung der üblichen Verwaltungskostenpauschale eingesetzt, um dem internationalen Standard, der Transparenz und Planungssicherheit gerecht zu werden. Die EU- Kommission hat daraufhin für die künftige Anwendung eine Rückkehr zum üblichen Prozentsatz in Aussicht gestellt. Verwaltungspauschalen fallen im Rahmen der EU-Türkei-Fazilität lediglich gegenüber den Durchführungsorganisationen an, die sich individuell nach Aufwand zwischen vier und sieben Prozent der Projektsumme bemessen. 5. Wie ist die Erhöhung der Mittel für den türkischen Staat vor dem Hintergrund der Ankündigungen aus der türkischen Regierung, die Schutzsuchenden nach Syrien „zurückschicken“ zu wollen, nach Auffassung der Bundesregierung zu rechtfertigen, und warum wurde sich nicht für eine Ausweitung der Unterstützung der Arbeit von Hilfsorganisationen in diesem Rahmen entschieden, und spielte in diesem Zusammenhang die Überlegung eine Rolle, dass der türkische Staat nach eigenem Bekunden vorhat, diese Schutzsuchenden in einer von ihm kontrollierten „Sicherheitszone“ in Nordsyrien unterzubringen (www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/tuerki sche-grenze-usa-tuerkei-sicherheitszone-nordsyrien-kritik)? Nach Kenntnis der Bundesregierung liegt kein Zusammenhang zwischen der Entscheidung zu erhöhten Direktzuwendungen an türkische Behörden aus der EU-Türkei-Fazilität und den geschilderten Rahmenbedingungen vor. Für eine Ausweitung der EU-Unterstützungsmaßnahmen auf Staatsgebiete außerhalb der Türkei liegt gemäß der EU-Türkei-Erklärung kein Mandat vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/14619 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die geplante Verwendung der Mittel aus der zweiten Tranche durch den türkischen Staat (bitte aufschlüsseln )? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 7. Teilt die Bundesregierung die Bedenken der Fragestellerinnen und Fragesteller , die durch das EU-Flüchtlingsabkommen an den türkischen Staat gezahlten Mittel könnten eine Stütze der nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller autoritären Herrschaft von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan darstellen und als eine Bestätigung und Legitimierung seiner Politik dienen (bitte begründen)? Anhaltspunkte, die die in der Frage geäußerten Bedenken bestätigen könnten, liegen der Bundesregierung nicht vor. Die EU-Mitgliedstaaten sind im Prozess der Mittelvergabe über die Sitzungen der EU-Komitologie-Ausschüsse beteiligt . Deutschland beteiligt sich darüber hinaus auch an der Evaluierung durch die EU-Kommission im Rahmen regelmäßiger Sitzungen der „Inter-Service Steering Group“ in Brüssel, die derzeit die Maßnahmen der ersten Phase der EU-Türkei-Fazilität evaluiert und einen Abschlussbericht für Herbst 2020 in Aussicht stellt. Die Maßnahmen der zweiten Phase der EU-Türkei-Fazilität sollen bis zum Jahre 2027 evaluiert werden. 8. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass im Rahmen der zweiten Tranche der Mittel aus dem EU-Türkei-Abkommen bereits jetzt 875 Mio. Euro für die türkische Regierung eingeplant sind, und falls ja, wofür konkret (www.handelsblatt.com/politik/international/migrationpakt -zwischen-eu-und-tuerkei-auf-der-kippe-in-der-aegaeis-droht-einneues -f luecht l ingschaos/25037310.html?t icket=ST-9512407- MW5gFjz5ntNSu4sdG4n5-ap2)? Auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 wird verwiesen. Drucksache 19/14619 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.