Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Margarete Bause, Jürgen Trittin, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/13723 – Das Sozial-Kredit-System der Volksrepublik China und seine menschenrechtlichen und wirtschaftlichen Implikationen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Jahr 2014 veröffentlichte die Regierung der Volksrepublik China den „Plan zur Einrichtung eines Gesellschaftlichen Bonitätssystems“ (MERICS, China Monitor, 30. August 2017). Ziel dieses Projekts ist es, das Verhalten von Individuen , Organisationen und Unternehmen durch Mechanismen der staatlichen Belohnung und Bestrafung zu beeinflussen und diese Akteure „im Sinne des Leitbildes von Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der ‚harmonischen Gesellschaft ‘„ ( w w w . b u n d e s t a g . d e / r e s o u r c e / b l o b / 5 4 7 6 4 8 / 3a790f327aa3f0d77e6d6a22dfa97c50/wd-10-068-17-pdf-data.pdf) zu erziehen . Als Grundlage dafür wird die flächendeckende digitale Erfassung, Zusammenführung und algorithmische Selektion von Informationen und Daten aller Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik China angestrebt. Momentan wird nach Ansicht des Staates positives Verhalten auf sogenannten „roten Listen“ festgehalten, negatives Verhalten in Form schwerwiegender Gesetzesüberschreitungen oder wiederholter Ordnungswidrigkeiten auf „schwarzen Listen“. Beide Arten von Listen sind öffentlich einsehbar und dienen damit als weiteres Mittel der sozialen Kontrolle ( h t t p : / / d x . d o i . o r g / 1 0 . 2 1 3 9 / ssrn.3215138). Der 2014 veröffentlichte Plan sieht vor, dass ab 2020 ein flächendeckendes System zur Erhebung von Daten und „Informationen zum sozialen und politischen Verhalten von Unternehmen, Personen und Organisationen“ (WD 10-3000-068/17; https://static.europeanchamber.com.cn/upload/documents/ documents/The_Digital_Hand_How_China_s_Corporate_Social_Credit_Sys tem_Conditons_Market_Actors[709].pdf) eingeführt werden soll. Seit August 2015 kommen in 43 Pilotstädten und -bezirken unterschiedliche Systeme zum Einsatz. Dabei werden unterschiedliche Ansätze der Datenerhebung und -verarbeitung getestet (www.merics.org/en/china-monitor/content/5071#5216). Die staatlichen Systeme sind zu unterscheiden von kommerziellen Sozial- Kredit-Systemen, wie sie unter anderem von Tencent oder Alibaba angeboten werden. Im Gegensatz zu den kommerziellen Angeboten sind die staatlichen Systeme verpflichtend (http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3215138). Offenbar aber gibt es auch Überschneidungen zwischen diesen Systemen (https://taz.de/ Social-Scoring-in-China/!5480926/). Deutscher Bundestag Drucksache 19/14643 19. Wahlperiode 31.10.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 29. Oktober 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Eine Studie der FU Berlin kommt zu dem Schluss, dass das Sozial-Kredit- System im Fall einer erfolgreichen Implementierung ein wirkmächtiges, kostengünstiges und gleichzeitig subtiles Mittel darstelle, um jegliche Form von Kritik und Dissens zu unterbinden (http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3215138). Andere Expertinnen und Experten hinterfragen die tatsächliche Umsetzbarkeit der geplanten Maßnahmen (vgl. www.piie.com/publications/policy-briefs/ chinas-social-credit-system-mark-progress-or-threat-privacy; www.ecfr.eu/ article/commentary_credit_the_god_of_chinas_big_data_era). Neben menschenrechtlichen und datenschutzrechtlichen hat das Sozial-Kredit-System auch weitreichende wirtschaftliche Implikationen. Wie im Falle von Individuen und Organisationen wird auch das Verhalten von Unternehmen überwacht, bewertet, sanktioniert und damit indirekt gelenkt. Das betrifft auch deutsche Unternehmen in China und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (www.han delsblatt.com/politik/international/staatliche-ueberwachung-wie-china-auchauslaendische -unternehmen-ueberwacht/24479996.html?ticket=ST-511610- LKaZ6qEPXL72LG4neTBd-ap6). Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages konstatiert in dem Sachstand „Big Data unter Berücksichtigung der Situation in der Volksrepublik China“: „durch die neuen technischen Möglichkeiten von Big Data ist es der chinesischen Regierung möglich, ein umfassendes digitales System der Kontrolle von Markt und Gesellschaft einzuführen“ ( w w w . b u n d e s t a g . d e / r e s o u r c e / b l o b / 5 4 7 6 4 8 / 3a790f327aa3f0d77e6d6a22dfa97c50/wd-10-068-17-pdf-data.pdf). Erste Berichte deuten auf eine Beteiligung auch westlicher Unternehmen bei der Errichtung der digitalen Überwachung hin (https://theintercept.com/2019/07/11/ china-surveillance-google-ibm-semptian/). Das Big Data-Projekt wird von der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) und der Chinesischen Zentralbank im Auftrag der „Kommission für die Vertiefung der Reformen“ umgesetzt. Letztere wiederum wird von Staatspräsident Xi Jinping geleitet. Nach Auffassung der Fragestellenden reiht sich das geplante Sozial-Kredit- System damit in eine Reihe von Maßnahmen der Regierung der Volksrepublik China ein, die darauf abzielen, die Gesellschaft einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen und die Universalität der Menschenrechte zu untergraben. Gleichzeitig dient das Sozial-Kredit-System dazu, Unternehmen in „Übereinstimmung mit industriepolitischen und technologischen Vorgaben“ (www.me rics.org/de/china-monitor/content/518) der chinesischen Regierung zu beeinflussen . Ausländische Organisationen und Unternehmen, die in der Volksrepublik China tätig sind, fielen von Beginn an unter das Sozial-Kredit-System. Ausländische Unternehmen sind damit den „industriepolitischen Vorgaben der chinesischen Führung […] in vollem Umfang ausgesetzt“ ( w w w . m e rics.org/de/china-monitor/content/518). In diesem Zusammenhang soll bis Ende 2020 in Form des nationalen „Internet+ Monitoring“-Systems eine digitale Infrastruktur aufgebaut werden, die alle Unternehmensdaten integriert, verarbeitet und bewertet (www.europeanchamber.com.cn/en/publicationsarchive /709/The_Digital_Hand_How_China_s_Corporate_Social_Credit_Sys tem_Conditions_Market_Actors). Da eine umfassende Implementierung des Sozial-Kredit-Systems in allen gesellschaftlichen Bereichen angestrebt wird, haben der weitere Ausbau und damit verbundene Sanktionen auch Auswirkungen auf deutsche und europäische Individuen, Organisationen und Unternehmen in China. Laut Presseberichten soll das Thema bei dem gerade zurückliegenden Besuch der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in China erörtert worden sein (Süddeutsche Zeitung vom 6. September 2019, Seite 2, „Die Kanzlerin soll’s richten“; Handelsblatt vom 29. August 2019, Seite 8 „Wirtschaft warnt vor Ratingsystem“). Insofern stellen sich vor allem Fragen nach der von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in den dortigen Gesprächen vertretenen Haltung und der chinesischen Reaktion. Drucksache 19/14643 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Im Jahr 2013 begannen die chinesischen Behörden mit dem Aufbau eines wirtschaftlichen Bonitätssystems. Inzwischen gehen die Überlegungen weit über ein System zur Erfassung der wirtschaftlichen Bonität von natürlichen und juristischen Personen hinaus. Ziel ist nun die Erfassung und Bewertung politischen , sozialen und ökonomischen Wohl- und Fehlverhaltens. Laut einer Studie der EU-Handelskammer Peking von August 2019 („The Digital Hand: How China‘s Corporate Social Credit System Conditions Market Actors“) ist vorgesehen , dass zahlreiche über Bürger und Unternehmen vorhandenen Daten aus verschiedenen Bereichen an zentraler Stelle gesammelt werden, um diese anschließend mittels nicht offengelegter Algorithmen bewerten zu können. Damit wäre es möglich, Unternehmen oder Personen für das gezeigte Gesamtverhalten zu belohnen (z. B. Steuervorteile) oder zu bestrafen (z. B. Geldbußen). Schon heute existieren landesweit mehrere, verschieden ausgestaltete Pilotprojekte , mit denen Bürger und Unternehmen bewertet werden. Dabei werden teilweise Maßnahmenkataloge zur Belohnung und Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen aufgestellt und angewendet und die wechselseitige Anerkennung der einzelnen Systeme durch eine Vielzahl von „Memorandums of Unterstanding “ zwischen den beteiligten Behörden sichergestellt. Ein gesamtchinesisches , übergreifendes Sozial-Kredit-System steht indes noch aus, ebenso wie ein entsprechendes Gesetz. Es ist daher noch nicht erkennbar, wie das Gesamtsystem , welches Ende 2020 an den Start gehen soll, tatsächlich ausgestaltet sein wird. Insbesondere die konkrete Ausgestaltung von Bewertungskriterien und ihre Gewichtung, der Algorithmen, möglicher Sanktionen oder Rechtsschutzmöglichkeiten sind nach wie vor unklar. Angesichts des frühen Entwicklungsstadiums des Sozial-Kredit-Systems und der undurchsichtigen Prozesse auf chinesischer Seite lassen sich zu vielen Aspekten des geplanten Sozial-Kredit-Systems noch keine belastbaren Aussagen treffen. Die Bundesregierung sieht potentielle negative Auswirkungen auf die Interessen deutscher und europäischer Unternehmen, politischer Stiftungen und deutscher Staatsbürger. Die Bundesregierung thematisiert ihre auch von der EU geteilten Bedenken deutlich und regelmäßig auf allen Ebenen gegenüber der chinesischen Seite.  1. Sind die in China geplanten bzw. bereits implementierten Maßnahmen im Rahmen der Etablierung eines flächendeckenden Sozial-Kredit-Systems mittels Erhebung und Auswertung personenbezogener Daten und Informationen nach Auffassung der Bundesregierung mit a) internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar, oder stellen sie eine Verletzung dieser dar, und wenn ja, welcher, b) deutschem und europäischem Recht vereinbar, oder stellen sie eine Verletzung dessen dar, und wenn ja, welcher Rechte, c) chinesischem Recht vereinbar, oder stellen sie eine Verletzung dessen dar (bitte begründen)? Die Fragen 1a bis 1c werden zusammen beantwortet. Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung und Umsetzung des sogenannten Sozial-Kredit-Systems in der Volkrepublik China aufmerksam, insbesondere vor dem Hintergrund menschenrechtlicher Standards. Auf die in China geplanten oder eingeführten Maßnahmen findet weder deutsches noch europäisches Recht Anwendung. Deutsches Recht ist in China ebenso wenig durchsetzbar wie chinesisches Recht in Deutschland. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/14643 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Es wird ferner auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Da die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen noch nicht bekannt ist, kann die Bundesregierung nicht bewerten, ob die geplanten Maßnahmen mit chinesischem Recht vereinbar sind.  2. Inwiefern stellen die Konsequenzen des Verlusts der Kreditwürdigkeit aufgrund von negativen Bewertungen im Rahmen des Sozial-Kredit- Systems, wie z. B. der erschwerte Zugang für Schülerinnen und Schüler an bestimmte Schulen oder Hochschulen, die Nicht-Ausstellung von Kreditkarten oder die Einschränkung von Reisen nach Auffassung der Bundesregierung eine Verletzung grundlegender Menschenrechte dar wie etwa das Recht auf Bildung oder Bewegungsfreiheit (www.zeit.de/digital/ internet/2018-12/social-credit-system-china-regierung-belohnungverhalten -buerger) sowie insbesondere der im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verankerten Gewährleistungen ? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die Auslegung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche , soziale und kulturelle Rechte obliegt dem zuständigen Vertragsausschuss.  3. Inwiefern ist die Tatsache, dass sog. Schwarze Listen über Datenbanken und Nachrichtenwebseiten öffentlich einsehbar sind, nach Auffassung der Bundesregierung mit Artikel 12 AEMR vereinbar? Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass persönliche Daten grundsätzlich geschützt werden müssen. Des Weiteren vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass dies für alle Lebensbereiche gilt.  4. Inwiefern ist das öffentliche „Naming und Shaming“ insbesondere von Individuen im Zuge des Sozial-Kredit-Systems nach Auffassung der Bundesregierung mit Persönlichkeits- und Grundrechten vereinbar (vgl. www.vice.com/en_nz/article/vbwe8j/chinas-new-app-encourages-itscitizens -to-find-and-report-people-in-debt)? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und die Antwort zu Frage 1 verwiesen.  5. Welche Folgen hätte eine in Frage 3 genannte Veröffentlichung für in China lebende deutsche Staatsangehörige sowie dort tätige deutsche Unternehmen? Die Folgen einer öffentlich einsehbaren Nennung auf einer sogenannten schwarzen Liste können nicht abgeschätzt werden. Auf hypothetische Fragen antwortet die Bunderegierung darüber hinaus nicht. Drucksache 19/14643 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.  6. Welche Veränderungen sind aus Sicht der Bundesregierung im Kontext der Implementierung des Sozial-Kredit-Systems in der Volksrepublik China a) in juristischer; b) in gesellschaftlicher; c) in wirtschaftlicher Hinsicht zu beobachten? Die Intransparenz des Prozesses trägt zu einer Verunsicherung der Betroffenen bei, die ihr Verhalten dementsprechend anpassen dürften. Dies spielt insbesondere im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereich eine Rolle. Bei Unternehmen beobachtet die Bundesregierung etwa die kostenintensive Befassung und Anpassungen an die bereits in Kraft befindlichen Pilotverfahren („Compliance“).  7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Akzeptanz bzw. Ablehnung des Sozial-Kredit-Systems in der chinesischen Bevölkerung vor im Hinblick a) auf die kommerziellen freiwilligen Systeme, b) auf die verpflichtenden staatlichen Systeme? Soweit es beim Sozial-Kredit-System um den Aufbau eines verlässlichen wirtschaftlichen Bonitätssystems geht, dürfte in der chinesischen Gesellschaft eine große Akzeptanz bestehen, da es bis heute keine verlässlichen Informationsquellen über den finanziellen Status eines Geschäftspartners gibt. Hinsichtlich der Akzeptanz der übrigen Aspekte des Sozial-Kredit-Systems liegen der Bundesregierung keine konkreten Erkenntnisse vor. Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen.  8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern Daten und Informationen, die im Rahmen kommerzieller Sozial-Kredit-Systeme erhoben werden, in staatliche Systeme miteinfließen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine konkreten Erkenntnisse vor.  9. Inwiefern schränken Maßnahmen im Rahmen des Sozial-Kredit-Systems nach Kenntnis der Bundesregierung die Räume für ein unabhängiges Arbeiten a) chinesischer zivilgesellschaftlicher Akteure; b) deutscher und europäischer Stiftungen, wissenschaftlich-kultureller Mittlerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen; c) nationaler wie internationaler Medien- und Presseberichterstattung ein? Die Fragen 9a bis 9c werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung beobachtet, dass die Freiräume in der Volksrepublik China sowohl für zivilgesellschaftliche Akteure als auch Vertreterinnen und Vertreter der Presse und Medien in den vergangenen Jahren unabhängig von der Einführung des Sozial-Kredit-Systems kleiner geworden sind. Aufgrund des derzeitigen frühen Stadiums des Sozial-Kredit-Systems kann die Bundesregierung noch nicht absehen, wie sich das Sozial-Kredit-System auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/14643 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. die weitere Entwicklung dieser Freiräume auswirken wird. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 10. Ergreift die Bundesregierung Maßnahmen, um die unabhängige Arbeit von deutschen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen in der Volksrepublik China zu gewährleisten und zu unterstützen, und wenn ja, welche? 11. Inwiefern hat sich die Bundesregierung in der Vergangenheit in bilateralen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der chinesischen Regierung für Arbeitserleichterungen deutscher Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen eingesetzt, und inwiefern tut sie dies aktuell? Die Fragen 10 und 11 werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung verfolgt die Hinweise und Berichte auf zunehmende Restriktionen für die unabhängige Arbeit von deutschen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen in der Volksrepublik mit großer Sorge. Die Bundesregierung nutzt kontinuierlich alle bestehenden Formate, um diese Sorge auch auf hochrangiger Ebene gegenüber den chinesischen Gesprächspartnern zum Ausdruck zu bringen und sich für den Erhalt und die Ausweitung der existierenden Freiräume einzusetzen. 12. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern deutsche Staatsangehörige und EU-Bürgerinnen und EU-Bürger unmittelbar von Maßnahmen im Rahmen des Sozial-Kredit-Systems betroffen sind? a) Welche Konsequenzen haben die Erhebung, Auswertung und darauffolgenden Sanktionen für deutsche und europäische Staatsangehörige, die sich in China aufhalten? b) Welche politischen und technischen Maßnahmen ergreift die Bundesregierung , um den Schutz personenbezogener Daten deutscher und europäischer Staatsangehöriger in und außerhalb Chinas sicherzustellen ? c) Inwiefern entfalten Maßnahmen im Rahmen des Sozial-Kredit-System nach Kenntnis der Bundesregierung unmittelbare extraterritoriale Wirkung, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung ggf., um diese zu unterbinden? Die Fragen 12 bis 12c werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Bislang sind der Bundesregierung keine Fälle im Sinne der Fragestellung bekannt . Deutsche Staatsbürger und Firmen sind in China chinesischem Recht unterworfen. Die Bundesregierung thematisiert die Bedeutung des Schutzes personenbezogener Daten in Gesprächen mit der chinesischen Regierung. Bislang sind keine unmittelbaren extraterritorialen Auswirkungen des Sozial- Kredit-Systems in Deutschland erkennbar. Drucksache 19/14643 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 13. Inwiefern setzen sich nach Kenntnis der Bundesregierung andere EU- Mitgliedstaaten mit den Auswirkungen des Sozial-Kredit-Systems auseinander , und welche Maßnahmen ergreifen einzelne EU-Staaten und/ oder EU-Institutionen nach Kenntnis der Bundesregierung, um negativen Auswirkungen auf Individuen, Organisationen und Unternehmen entgegenzuwirken ? Die Sorgen der Bundesregierung werden von den anderen EU-Mitgliedstaaten geteilt. Die Diskussion über Maßnahmen, um negative Auswirkungen auf Individuen , Organisationen und Unternehmen entgegenzuwirken, ist noch in einem frühen Stadium, da aufgrund der unklaren Sachlage keine genauen Erkenntnisse über Ausgestaltung und Auswirkungen des beabsichtigten Gesamtsystems vorliegen. 14. Beabsichtigt die Bundesregierung, beim während der deutschen EU- Ratspräsidentschaft geplanten EU-China-Gipfel das Sozial-Kredit-System und seine Folgen zu thematisieren, und mit welchem Ziel wird sie dies gegebenenfalls tun? Der während des deutschen Vorsitzes im Rat der Europäischen Union (EU) geplante EU-China Gipfel wird in alleiniger Zuständigkeit der EU-Institutionen vorbereitet. Nach Kenntnis der Bundesregierung befinden sich die Vorbereitungen derzeit noch in einem zu frühen Stadium, um zu der Tagesordnung Auskunft geben zu können. 15. Inwiefern hat die Bundesregierung das chinesische Sozial-Kredit-System und seine Auswirkungen a) auf EU-Ebene; b) im VN-Rahmen; c) im VN-Menschenrechtsrat; d) im 3. Ausschuss der VN-Generalversammlung; e) in der UNSECO thematisiert? Die Bundesregierung hat das chinesische Sozial-Kredit-System bisher nur bilateral thematisiert. 16. Wirkt die Bundesregierung auf EU-Ebene auf eine gesamteuropäische Strategie in Reaktion auf die Auswirkungen des Sozial-Kredit-System hin? Wenn ja, in welcher Weise? Die Bundesregierung wirkt auf eine Befassung geeigneter EU-Gremien hin und setzt sich für eine einheitliche europäische Reaktion ein. 17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zu Möglichkeiten der Löschung von Daten und Informationen, die im Rahmen des Sozial-Kredit- System gesammelt werden, und zur Speicherdauer? Hierzu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Soweit Verwaltungsvorschriften in Bezug auf einzelne Pilotverfahren bekannt sind, enthalten diese keine Regelungen zu der Möglichkeit einer Löschung von Daten oder deren Speicherdauer. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/14643 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 18. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung hinsichtlich der Fehleranfälligkeit der derzeit im Test befindlichen Sozial-Kredit-Systeme, und wie bewertet sie diese Problematik? Hierzu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. 19. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zu bestehenden und geplanten Rechtsschutzmöglichkeiten für Personen, die aufgrund von Systemfehlern von Sanktionen betroffen sind, und wie bewertet sie diese? Hierzu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Soweit Verwaltungsvorschriften in Bezug auf einzelne Pilotverfahren bekannt sind, enthalten diese lediglich die Möglichkeit einer Beschwerde bei der datenerhebenden Stelle. 20. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern kommerzielle Kredit-Systeme privater Anbieter Vorbildfunktion für das staatliche Sozial-Kredit-System hatten und haben? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 21. Inwiefern werden Daten, die international von Töchtern chinesischer Konzerne wie Alibaba oder Tencent erhoben werden, nach Kenntnis der Bundesregierung in das staatliche Sozial-Kredit-System eingespeist? In Deutschland gilt die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), nach der eine Einspeisung hier erhobener Daten verboten ist. Zur Situation in anderen Staaten liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. 22. Bis wann soll das „Internet+ Monitoring“-System nach Kenntnis der Bundesregierung vollständig implementiert werden und was genau beinhaltet es? 23. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, welcher der zahlreichen und unterschiedlichen Ansätze, die derzeit in 43 ausgewählten Pilotstädten und -bezirken getestet werden, flächendeckend zum Einsatz kommen soll? Die Fragen 22 und 23 werden zusammengefasst beantwortet. Hierzu liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. 24. Welche Kenntnis hat die Regierung darüber, inwiefern das Sozial-Kredit- System auch in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong oder in Macao zum Einsatz kommen soll? 25. In welcher Form kommen Elemente des Sozial-Kredit-Systems nach Kenntnis der Bundesregierung bereits heute zur Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong oder Macao zum Einsatz? Die Fragen 24 und 25 werden zusammengefasst beantwortet. Nach Kenntnis der Bundesregierung kommt das Sozial-Kredit-System in Hongkong und Macao aktuell nicht zum Einsatz, auch ist seine Einführung dort derzeit nicht vorgesehen. Drucksache 19/14643 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 26. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass das chinesische Sozial- Kredit-System als „technikbasierte Gesellschaftskontrolle“ (www.me rics.org/de/china-monitor/content/5071) zu einer Blaupause für andere autoritäre Staaten wird, und wenn ja, welche Maßnahmen ergreift sie dagegen ? 27. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern die Regierung der Volksrepublik China a) mit anderen Staaten in Kontakt steht, um das Konzept des Sozial- Kredit-Systems in anderen Ländern zu verbreiten? b) bereits konkrete Technik, Software, etc. zur massenhaften Erhebung von Daten sowohl von Individuen als auch von Unternehmen an anderer Staaten exportiert oder plant, dies zu tun? Die Fragen 26 bis 27b werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung ist sich des großen Interesses Chinas am Export der Technologien bewusst, die im Zusammenhang mit seinem Sozial-Kredit-System zum Einsatz kommen. Des Weiteren ist der Bundesregierung bekannt, dass das Werben Chinas in einigen Ländern für dieses System auf reges Interesse stößt. Dies beobachtet die Bundesregierung mit Sorge. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine näheren Informationen vor. 28. Welche deutschen und europäischen Unternehmen stellen nach Kenntnis der Bundesregierung sowohl mittelbar als auch unmittelbar Technologien, Hardware oder andere Kapazitäten zur Erhebung und Auswertung von Daten von Bürgerinnen und Bürgern, Organisationen und Unternehmen im Rahmen des Sozial-Kredit-Systems zur Verfügung? a) In welcher Form sind die jeweiligen Unternehmen an der Erhebung oder Auswertung beteiligt? b) Hat die Bundesregierung mit den betroffenen deutschen Unternehmen Gespräche zur menschenrechtlichen Situation in China geführt? Wenn ja, wann, und welche Mitglieder der Leitungsebene der Bundesregierung waren daran beteiligt? Die Bundesregierung hat keine Kenntnis über eine mögliche Beteiligung deutscher oder europäischer Unternehmen am Aufbau oder Betrieb des Sozial- Kredit-Systems in China. Im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) vom Dezember 2016 hat die Bundesregierung ihre Erwartung formuliert, dass alle Unternehmen menschenrechtliche Sorgfalt in Deutschland und ihren weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten in angemessener Weise üben. Unternehmen sollen bei ihrer Geschäftstätigkeit nachteilige menschenrechtliche Auswirkungen verhüten und mildern. Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung fortgesetzt auf allen Ebenen auch bei internationalen Gesprächspartnern für die Einhaltung der Menschenrechte ein. 29. Welche chinesischen oder internationalen Unternehmen spielen nach Kenntnis der Bundesregierung eine zentrale Funktion bei der Funktionsfähigkeit , Datenerfassung und -analyse des Sozial-Kredit-Systems? Hierzu liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/14643 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 30. Im Rahmen welcher der bestehenden regelmäßigen deutsch-chinesischen Dialogformate zwischen Regierungsstellen wurde das Sozial-Kredit-System explizit thematisiert, und welche Aspekte wurden dabei in besonderem Maße problematisiert (bitte nach Zeitpunkt des jeweiligen Dialogformats , beteiligten Personen und thematisierten Aspekten aufschlüsseln )? Das Sozial-Kredit-System wurde unter anderem bei der Sitzung des Deutsch- Chinesischen Beratenden Wirtschaftsausschusses im Rahmen der China-Reise der Bundeskanzlerin am 6. September 2019 und beim deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog im Dezember 2018 thematisiert. 31. Inwiefern wurde die Ausgestaltung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und deren Umsetzung in Deutschland im Rahmen der bestehenden regelmäßigen deutsch-chinesischen Dialogformate zwischen Regierungsstellen bei der Konzeption des Sozial-Kredit-Systems seitens der Volksrepublik China aufgegriffen? Die DSGVO wurde von deutscher Seite bei verschiedenen Veranstaltungen thematisiert, etwa im Rahmen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs im Jahre 2017, des ersten deutsch-chinesischen Cyberwirtschaftsdialogs (19. Juni 2019) sowie der zweiten deutsch-chinesischen Cybersicherheitskonsultationen (20. August 2019). Ob und inwiefern die chinesische Seite dies in Bezug auf das Sozial-Kredit-System aufgegriffen hat, ist der Bundesregierung nicht bekannt . 32. Wie wird das Sozial-Kredit-System nach Kenntnis der Bundesregierung für ausländische und damit auch deutsche Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in China tätig sind, ab 2020 konkret umgesetzt? Hierüber liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. 33. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung gegenüber der Regierung der Volksrepublik China dafür ein, dass diese die Deutsche Handelskammer zeitnah, umfassend und transparent über die Konsequenzen der Ausweitung des Sozial-Kredit-Systems auch auf deutsche Unternehmen informiert? Die Bundesregierung erwartet, dass die chinesische Regierung europäische und deutsche Unternehmen rechtzeitig, umfassend und auf transparente Weise zu geplanten Regelungen informiert. Dies wurde bereits in der Vergangenheit und wird auch in Zukunft in geeigneter Weise gegenüber der chinesischen Regierung angesprochen. 34. Wurde die Ausweitung des Sozial-Kredit-Systems auch auf deutsche Unternehmen und deren Folge im Rahmen der China-Reise der Bundeskanzlerin vom 5. bis 7. September 2019 thematisiert, und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Gegenstand der Gespräche auf der China-Reise der Bundeskanzlerin vom 5. bis 7. September 2019 waren eine Vielzahl von Themen, darunter auch Fragen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Auf die Antwort zu Frage 30 wird darüber hinaus verwiesen. Drucksache 19/14643 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Zu den Inhalten der vertraulichen Gespräche von Mitgliedern der Bundesregierung mit Vertretern ausländischer Regierungen äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht. 35. Welche Folgen sieht die Bundesregierung in dem Sozial-Kredit-System für die Tätigkeit deutscher Unternehmen in China a) hinsichtlich ihres Marktzugangs? b) hinsichtlich ihrer Wettbewerbssituation? c) hinsichtlich des Schutzes ihrer Betriebsgeheimnisse? Der Bundesregierung ist die konkrete Ausgestaltung des übergreifenden Sozial- Kredit-Systems nicht bekannt. Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Zu hypothetischen Fragen äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht. 36. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Daten und Wissen deutscher Unternehmen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in der Volksrepublik China tätig sind, zu schützen? Die Bundesregierung setzt sich in zahlreichen Gesprächen mit der chinesischen Seite für den Schutz von Daten und Knowhow deutscher Unternehmen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in China ein, zuletzt etwa im Rahmen der zweiten Deutsch-Chinesischen Cybersicherheitskonsultationen sowie des Deutsch-Chinesischen Cyberwirtschaftsdialogs. Es wird ferner auf die Antwort zu Frage 31 verwiesen. 37. Inwiefern ist das Sozial-Kredit-System vor dem Hintergrund seiner Auswirkungen auf Unternehmen, nach Auffassung der Bundesregierung mit der Politik der wirtschaftlichen Öffnung vereinbar, die die Regierung der Volksrepublik China offiziell betreibt (www.tagesschau.de/ausland/wirt schaftliche-oeffnung-china-101.html)? Es wird auf die Antwort zu Frage 35 verwiesen. 38. Hat die Bundesregierung Kenntnis über Verträge oder Memoranda of Understanding (MoU) im Kontext des Sozial-Kredit-Systems zwischen deutschen bzw. europäischen Unternehmen und chinesischen Behörden? Wenn ja, welche Unternehmen haben Verträge oder MoU vereinbart? Der Bundesregierung sind keine derartigen Absichtserklärungen bekannt. 39. Wie wirkt sich das Sozial-Kredit-System nach Kenntnis der Bundesregierung auf die Unabhängigkeit von Entscheidungsfindungen und Innovationsmöglichkeiten von Unternehmen aus? Hierzu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/14643 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 40. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern das Sozial- Kredit-System durch die Überwachung und Steuerung von Unternehmen als gezieltes Mittel der Marktregulierung und -lenkung dient? Hierzu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Drucksache 19/14643 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.