Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/14162 – Fortgesetzter Missbrauch von Interpol-Fahndungen zur politischen Verfolgung in der Türkei V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 26. Juli 2019 hat die slowenische Polizei den Deutschen Ismet Kilic festgenommen und in der Hafenstadt Koper in Untersuchungshaft und anschließende Auslieferungshaft verbracht („Türkei lässt Duisburger seit Wochen in Slowenien festhalten“, dpa vom 20. September 2019). Grundlage war ein Interpol-Ersuchen zur Festnahme und Auslieferung („Rotecke“ bzw. „Red Notice “) der Türkei. Zu den Vorwürfen gegen Herrn Kilic gehört, er habe in den neunziger Jahren eine Gewerkschaft gegründet und sei Mitglied einer linksextremistischen Organisation. Wegen der türkischen Verfolgung hat Herr Kilic in Deutschland im Jahr 1997 Asyl und schließlich in 2008 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Seine Anerkennung als politisch Verfolgter erfolgte unter anderem wegen seiner Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht der Türkei, das nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller gemäß dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als nicht gerecht und unabhängig anzusehen ist. Interpol hat das Ersuchen nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller am 5. September 2019 als politisch motiviert und damit als Verstoß gegen Artikel 3 seiner Statuten (Verbot der „Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters“) zurückgezogen. Alle Interpol-Mitgliedstaaten wurden um eine Entfernung ersucht. Die Justiz in Slowenien hält die Verhaftung von Herrn Kilic dennoch aufrecht und hat einen Antrag auf Freilassung auf Kaution abgelehnt . Das Auslieferungsersuchen aus der Türkei erfolgt im Rahmen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens des Europarates (EurAuslÜbk). Nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller argumentiert das Kreisgericht in Koper, Herr Kilic sei als Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaates an die Türkei auszuliefern. Dass er wegen der dortigen Verfolgung in der Europäischen Union Asyl erhielt, wird nicht berücksichtigt. Als Asylberechtigter ist er aber durch Artikel 3 EuAuslÜbk vor einer Auslieferung geschützt (vgl. Sachstand WD 7 – 3000 – 144/17 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages). Demnach sind Ersuchen zwingend abzulehnen, wenn die strafbare Handlung, deretwegen sie begehrt werden, als eine politische Tat anzusehen ist oder die Verfolgung auf politischen Anschauungen der Deutscher Bundestag Drucksache 19/14803 19. Wahlperiode 05.11.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 31. Oktober 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Betroffenen beruht. Mit der Einbürgerung in Deutschland kann dieses Auslieferungshemmnis aus Sicht der der Fragestellerinnen und Fragesteller nicht verloren gegangen sein. Hätte Herr Kilic als deutscher Unionsbürger im Vergleich zu seinem Status als anerkannter türkischer Asylbewerber tatsächlich einen geringeren Schutz vor Auslieferung, verstieße dies gegen das Diskriminierungsverbot in Artikel 18 AEUV. Interpol hatte ihre Mitgliedstaaten ausdrücklich aufgefordert, der Organisation einen ehemaligen oder aktuellen Asylstatus eines Betroffenen oder einschlägige Gerichtsentscheidungen dem Interpol-Generalsekretariat und den nationalen Ermittlungsbehörden mitzuteilen (Bundestagsdrucksache 19/4365, Frage 5). Dies wurde nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller vom Bundeskriminalamt bzw. dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz offenbar versäumt. Der Fall erinnert nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller an die Festnahme von Doğan Akhanlı, der 2017 auf Antrag der Türkei wegen eines dort ungeklärten Mordes in Spanien festgesetzt worden war (Bundestagsdrucksache 19/180). Auch dieses Festnahmeersuchen hatte Interpol als politisch motiviert zurückgezogen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens, wo Herr Akhanlı wie Herr Kilic seinen Wohnsitz hat, begann daraufhin alle neu eingehenden Interpol-Fahndungsersuchen auf eine Gefahr für dort lebende Personen bei Auslandsaufenthalten zu prüfen (http:// gleft.de/2mB). Der Fall von Herrn Kilic ist nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller dort offenbar nicht bemerkt worden. Zur eigenen Überprüfung missbräuchlicher Ersuchen hat Interpol am 1. August 2018 eine „Notices and Diffusion Task Force“ (NDTF) eingerichtet (Bundestagsdrucksache 19/8572). Dies betrifft nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller jedoch nur „Rotecken“ und keine „Blauecken“ zur Aufenthaltsermittlung . Bis zur Einrichtung der NDTF hatte Interpol die alten Fahndungen selbst sporadisch auf einen Missbrauch zur politischen Verfolgung überprüft. Das Generalsekretariat stellte bei 130 Haftbefehlen einen Artikel-3-Verstoß fest und informierte darüber auch deutsche Behörden (Bundestagsdrucksache 19/3384, Schriftliche Frage 107 des Abgeordneten Andrej Hunko).  1. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören nach Kenntnis der Bundesregierung der NDTF derzeit an, woher stammen diese, und welcher Aufwuchs ist geplant (bitte mitteilen, ob sich Änderungen zur Bundestagsdrucksache 19/8572 ergeben haben)? Welche deutschen Behörden haben Personal zur dort vorgenommenen Überprüfung des „Fahndungsaltbestands“ zu Interpol entsandt? Nach Kenntnis der Bundesregierung haben sich keine Änderungen zu den Ausführungen in der Antwort auf Bundestagsdrucksache 19/8572 ergeben.  2. Welche und wie viele Ersuchen wurden bislang von der NDTF überprüft, und handelt es sich dabei lediglich um Teile der „etwa 80 000 Alt-Fahndungsersuchen “ (Bundestagsdrucksache 19/8572, Frage 3)? Nach Kenntnis der Bundesregierung werden sukzessiv alle Fahndungsersuchen überprüft. Informationen zur Anzahl der bislang überprüften Ersuchen liegen nicht vor. Drucksache 19/14803 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  3. Auf welche Weise soll ein Verstoß der Fahndungsersuchen gegen Artikel 3 der Interpol-Statuten ermittelt werden? a) Welche Instrumentarien von Interpol und welche Funktionen der Interpol-Datenbank „Automated Search Facilities Stolen and Lost Travel Documents“ werden von der NTDF bzw. dem dorthin entsandten deutschen Personal überprüft? b) In welchem Zeitraum wurden die von der NTDF bzw. dem dorthin entsandten deutschen Personal zu prüfenden Fahndungsersuchen erstellt ? c) In welchem Zeitraum wurden die „etwa 80 000 Alt-Fahndungsersuchen “ bei Interpol eingestellt, und aus welchen Gründen wurde die Überprüfung des „Fahndungsaltbestands“ auf diesen Zeitraum festgelegt? Die Fragen 3 bis 3c werden gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen keine Informationen zu den konkreten Arbeitsund Prüfprozessen der „Notices and Diffusion Task Force“ (NDTF) vor.  4. Werden von der NTDF bzw. dem dorthin entsandten deutschen Personal auch Gelb-, Grün-, Schwarz- oder Blauecken auf ihre Instrumentalisierung zur politischen Verfolgung und damit auf ihre Vereinbarkeit mit den Interpol-Vorschriften überprüft? Zu der Fragestellung liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.  5. Wie viele überprüfte Fahndungsersuchen hat die NDTF als Instrumentalisierung zur politischen Verfolgung eingestuft und aus welchen Ländern stammten diese? a) In welchem Umfang waren diese überprüften Fahndungsersuchen für Asylsuchende ausgestellt (sofern hierzu keine Zahlen bekannt sind, bitte näherungsweise mitteilen)? b) Wann soll die Überprüfung des „Fahndungsaltbestands“ nach derzeitigem Stand beendet sein? Die Fragen 5 bis 5b werden gemeinsam beantwortet. Zu den Fragestellungen liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.  6. Hat sich die auf Beschluss der Interpol-Generalversammlung eingerichtete unabhängige „Commission for the Control of Interpol’s Files“ (CCF) aus Sicht der Bundesregierung als „effektive Kontroll- und Beschwerdestelle auch in Bezug auf Interpol-Fahndungsinstrumente“ bewährt (Bundestagsdrucksache 19/8572, Frage 5) und welche Defizite hat sie hierzu festgestellt? Welche Regelungen und Mechanismen nutzt die CGF für die Prüf- und Schutzmechanismen in Bezug auf die Interpol-Fahndungsinstrumente? Die Statuten der „Commission for the Control of Interpol’s Files“ (CCF) legen neben der Unabhängigkeit der CCF auch detailliert die Betroffenenrechte fest. Die CCF-Regelungen entsprechen dabei grundsätzlich dem nach Kapitel III der EU-Richtlinie 2016/680 und durch die umfangreichen „Rechte der Betroffenen “ im Bundesdatenschutzgesetz in Deutschland umgesetzten normierten Verfahren . So hat z. B. gemäß Artikel 29 CCF-Statut jede Person ein Recht auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/14803 Auskunft, Berichtigung oder Löschung der über sie bei der IKPO-Interpol gespeicherten Daten. Die CCF prüft nach Eingang des Antrags unter anderem, ob die Daten beauskunftet werden oder gegebenenfalls zu löschen sind. Im Jahr 2018 erkannte auch der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag (Niederlande) die Rolle der CCF in Bezug auf die Bearbeitung von und Entscheidung über Petentenangelegenheiten an und stellte in diesem Kontext fest, dass die Entscheidungen der CCF endgültig und bindend für das Interpol-Generalsekretariat und die Einzelperson seien. Aus Sicht der Bundesregierung sind damit ausreichende Betroffenenrechte gegeben, so dass es sich bei der CCF um eine effektive Kontroll- und Beschwerdestelle handelt. Zur konkreten Arbeitsweise der CCF im Hinblick auf die Überprüfung der Interpol-Fahndungsinstrumente liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.  7. Haben sich die Verfahrensänderungen, mit denen das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Justiz, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und das Auswärtige Amt seit 2014 die Intensität der Prüfung eingehender Fahndungsersuchen auf eine Gefahr politischer Verfolgung erhöht haben, bewährt (Bundestagsdrucksache 19/8572, Frage 11)? Aus hiesiger Sicht haben sich dieses Prüfungsverfahren und die entsprechenden Verfahrensanpassungen bewährt. Durch das systematische Vorgehen konnten relevante Einzelfälle schneller und sicherer identifiziert werden. In diesen Fällen wurde die Prüftiefe signifikant erhöht, so dass das Risiko ungerechtfertigter Grundrechtseingriffe minimiert werden konnte. a) Hat sich die Zahl der Fälle, in denen das Bundesamt für Justiz nach Eingehen einer Interpol-Mitteilung dem Bundesjustizministerium Bericht über einen möglichen Verstoß gegen Artikel 3 erstattet, nach Einschätzung der Bundesregierung erhöht? b) Wie oft hat das Auswärtige Amt seine „erweiterte Beteiligungs- und Billigungspraxis“ in Anspruch genommen? Die Fragen 7a und 7b werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistik.  8. In wie vielen Fällen wurden von Interpol seit 2014 zurückgezogene Fahndungen nach einer Prüfung durch das BKA, das Bundesamt für Justiz, das BMJV oder das Auswärtige Amt trotzdem als nationale Fahndung übernommen (bitte mitteilen, welche Änderungen sich zur Bundestagsdrucksache 19/4365 ergeben)?  9. Zu wie vielen nach Einrichtung der NDTF via Interpol an das BKA verteilten Fahndungen hat die Bundesregierung dem Generalsekretariat mitgeteilt , dass die Betroffenen in Deutschland Asyl beantragt oder erhalten haben (Bundestagsdrucksache 19/8572, Frage 13)? Wurden die betreffenden Fahndungsersuchen nach Kenntnis der Bundesregierung anschließend von Interpol grundsätzlich oder in Einzelfällen zurückgezogen? Die Fragen 8 und 9 werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistik. Drucksache 19/14803 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 10. Wurde von der Bundesregierung auch an Interpol gemeldet, dass Herr Kilic in Deutschland Asyl erhielt? a) Wann genau, von welcher Bundesbehörde und an welche Stelle erfolgte diese Meldung? b) Falls diese Meldung nicht erfolgte, welche Gründe standen dem entgegen ? Die Fragen 10 bis 10b werden gemeinsam beantwortet. Das Bundeskriminalamt teilte in seiner Zentralstellenfunktion dem Interpol Generalsekretariat (IPSG) am 6. August 2019 mit, dass es sich bei dem Betroffenen um einen deutschen Staatsangehörigen handelt, dem vor Einbürgerung möglicherweise ein Schutzstatus gewährt wurde. 11. Wann genau und auf wessen Veranlassung hat welche Bundesbehörde die Interpol-Fahndung nach Herrn Kilic auf Vereinbarkeit mit den Interpol- Regularien geprüft? Die Prüfung der Vereinbarkeit eines internationalen Festnahmeersuchens (Red Notice/Red Diffusion) mit den Interpol-Statuten obliegt nicht den Bundesbehörden . Die Verantwortlichkeiten sind in den IKPO-Statuten und den Datenverarbeitungsrichtlinien der IKPO festgeschrieben. a) Wann genau hat welche Bundesbehörde dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen gemeldet, dass eine Rotecke der türkischen Behörden gegen Herrn Kilic vorliegt (vgl. Schriftlicher Bericht des nordrhein-westfälischen Bundesministers des Innern für die Sitzung des Innenausschusses am 12. September 2019 zu dem Tagesordnungspunkt „Festnahme eines deutschen Staatsangehörigen auf Ersuchen der Türkei in Slowenien: Wie konnte es passieren, dass Ismet K. bei der Datenbankrecherche des LKA NRW durch das Raster fiel?“, Drucksachennummer 17/2412)? Das Bundeskriminalamt legte das internationale Festnahmeersuchen (Red Notice /Diffusion) der Türkei vom 24. Mai 2013 den rechtshilferechtlichen Bewilligungsbehörden Auswärtige Amt und Bundesamt für Justiz am 29. Mai 2013 gemäß § 33 Absatz 3 BKAG i. V. m. Nr. 13 RiVASt zur Entscheidung vor. Am 3. Juli 2013 übermittelte das Bundeskriminalamt der Rechtshilfestelle des Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen das türkische Ersuchen und die inzwischen ergangene Entscheidung der rechtshilferechtlichen Bewilligungsbehörden , wonach Bedenken gegen die Umsetzung des türkischen Ersuchens bestanden . b) Wann genau hat welche Bundesbehörde dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen gemeldet, dass die Interpol-Fahndung nach Herrn Kilic auf Vereinbarkeit mit den Interpol-Regularien geprüft wird? Das BKA teilte der Rechtshilfestelle des Landeskriminalamt Nordrhein- Westfalen am 7. August 2019 mit, dass das türkische Ersuchen vom IPSG im Hinblick auf einen möglichen Statutenverstoß geprüft werde. c) Wann genau wurde die Fahndung nach Herrn Kilic vom Interpol- Generalsekretariat zurückgezogen? Das IPSG stellte am 5. September 2019 fest, dass das türkische Ersuchen gegen Artikel 2 Absatz 1 und 3 der Interpol-Statuten verstößt und löschte umgehend Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/14803 alle Daten des Betroffenen aus den Dateien von Interpol. Diese Mitteilung wurde zudem an alle Interpol-Mitgliedstaaten übermittelt. 12. Wie viele über Interpol verteilte Ausschreibungen der türkischen Behörden erreichten das deutsche nationale Interpolbüro seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 bzw. welche Änderungen haben sich zur Bundestagsdrucksache 19/4365, Frage 2 ergeben (bitte nach den einzelnen „Buntecken“ darstellen)? Das Bundeskriminalamt hat in diesem Zeitraum 1.252 Fahndungsersuchen der türkischen Behörden erhalten, davon 1.168 zur Festnahme (sog. Red Notices/ Diffusions) und 84 zur Aufenthaltsermittlung (sog. Blue Notices/Diffusions). a) Wie viele Fälle von besonderer Bedeutung in politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung wurden gemäß § 33 Absatz 3 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) dem BMJV bzw. dem Bundesamt für Justiz zur Bewilligung vorgelegt? Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistik. Grundsätzlich werden alle eingehenden INTERPOL-Personenfahndungsersuchen der Türkei gemäß § 33 Absatz 3 BKAG i. V. m. Nummer 13 RIVAST, dem Bundesamt für Justiz und dem Auswärtigen Amt zur Bewilligungsentscheidung vorgelegt. b) In wie vielen Fällen wurde im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt über die nationale Umsetzung der Fahndung entschieden? Die Entscheidung über die Umsetzung aller nach § 33 Absatz 3 BKAG i. V. m. Nummer 13 RIVASt vorgelegter Fahndungsersuchen wird in jedem Einzelfall durch das Bundesamt für Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt getroffen. Eine Statistik hierzu wird nicht geführt. c) Zu wie vielen der Ersuchen seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 hatte Interpol selbst die Gefahr der politischen Verfolgung gemeldet und um Rücknahme der Fahndung gebeten? Interpol meldet nicht die Gefahr einer politischen Verfolgung, sondern prüft eingehende Fahndungsersuchen auf die Vereinbarkeit mit den Interpol-Statuten (insbesondere Artikel 3). Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 13 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/8509 verwiesen. 13. Wie viele Fälle von deutschen bzw. deutsch-türkischen Staatsangehörigen sind der Bundesregierung bekannt, die seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 bei einer Reise in die Türkei festgenommen worden sind? Wie viele dieser Betroffenen befinden sich noch in Haft und werden konsularisch betreut? Die Bundesregierung führt keine Statistik über Festnahmen deutscher Staatsangehöriger bei einer Reise in der Türkei. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind derzeit (Stand: 21. Oktober 2019) 65 deutsche Staatsangehörige in der Türkei inhaftiert. Drucksache 19/14803 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 14. Wie viele Fälle von deutschen bzw. deutsch-türkischen Staatsangehörigen sind der Bundesregierung bekannt, die seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 nach einem Interpol-Ersuchen aus der Türkei in einem anderen EU-Mitgliedstaat festgenommen worden sind? Sofern dies nicht rekonstruierbar ist, wie viele Betroffene werden derzeit konsularisch betreut? Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistik. Nach Kenntnissen der Bundesregierung befinden sich derzeit keine deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Interpol-Festnahmeersuchens der Türkei in einem anderen EU- Mitgliedstaat in Haft. 15. Bei welchen ausländischen Behörden hat die Bundesregierung hinsichtlich nach einem Interpol-Ersuchen festgenommener deutscher bzw. deutsch-türkischer Staatsangehöriger im laufenden Jahr 2019 „ihre Besorgnis über eine mögliche Auslieferung“ an die Türkei ausgedrückt oder „die politische Bedeutung des Falls betont“ (Bundestagsdrucksache 18/13652, Antwort zu Frage 15; Plenarprotokoll 19/114, Mündliche Frage 56 des Abgeordneten Andrej Hunko; vgl. auch „Türkei lässt Deutschen in Italien festnehmen“, www.faz.de vom 23. September 2019)? Das Auswärtige Amt hat Gespräche im Sinne der Fragestellung mit der Republik Slowenien und der Republik Italien geführt. 16. Wie viele Fälle sind dem BKA seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 bekannt geworden, in denen die Türkei justizielle Auslieferungsunterlagen vorab übermittelt bzw. die Übermittlung auf dem diplomatischen Geschäftsweg angekündigt hat (Bundestagsdrucksache 19/180, Frage 7)? Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistik. 17. Welche Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europarates haben nach Erfahrung der Bundesregierung und der damit befassten Behörden über Interpol verteilte Haftbefehle in Einzelfällen zur politischen Verfolgung von Oppositionellen oder von Angehörigen von Unabhängigkeitsbestrebungen genutzt (hier wird nicht wie auf Bundestagsdrucksache 19/4365, Frage 1 nach einer Statistik gefragt)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. 18. Wie viele „Diffusions“ und „Notices“ aus der Ukraine hat das Interpol- Generalsekretariat nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2014 wegen eines Artikel-3-Verstoßes ausgesondert? Auf die Antwort zu Frage 12c wird verwiesen. a) Wie viele „Diffusions“ und „Notices“ hat das deutsche Interpol- Nationalbüro seit 2014 via Interpol von der Ukraine erhalten (bitte nach den einzelnen „Buntecken“ darstellen)? Das Bundeskriminalamt hat in diesem Zeitraum 2.614 Fahndungsersuchen der ukrainischen Behörden erhalten, davon 1.770 zur Festnahme (sog. Red Notices/ Diffusions) und 844 zur Aufenthaltsermittlung (sog. Blue Notices/Diffusions). Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/14803 b) Wurden jemals aus der Ukraine seit 2014 übermittelten Ersuchen nach einer deutschen Prüfung wegen einer Gefahr der Instrumentalisierung zur politischen Verfolgung ausgesondert (hier wird nicht nach einer Statistik gefragt)? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 Teilfrage 2 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/4365 wird verwiesen . 19. Hat der von der EU-Kommission im Jahr 2017 angekündigte Workshop zur Erarbeitung eines gemeinsamen Vorgehens der Mitgliedstaaten zu Artikel-3-Verstößen bei Interpol inzwischen stattgefunden, oder wurde dieses Vorhaben abgesagt (Bundestagsdrucksache 19/8572, Frage 14)? Im Anschluss an die Beantwortung der Kleinen Anfrage auf Bundestagdrucksache 19/8572 hat sich der Sachstand nicht geändert. 20. Hat es nach Kenntnis der Bundesregierung auf EU-Ebene weitere „Expertentreffen zu einem informellen und vertraulichen Austausch über die rechtsstaatliche Problematik politisch motivierter türkischer Interpol- Fahndungsersuchen“ gegeben (Bundestagsdrucksache 19/180, Frage 4), und wer nahm daran teil? Nach Kenntnis der Bundesregierung haben keine Treffen im Sinne der Fragestellung stattgefunden. 21. Welche Landeskriminalämter prüfen nach Kenntnis der Bundesregierung rückwirkend Interpol-Ersuchen zur Festnahme und Auslieferung auf mögliche Gefahren für in den betreffenden Bundesländern lebende Personen bei Auslandsaufenthalten (vgl. Schriftlicher Bericht des nordrheinwestfälischen Bundesministers des Innern für die Sitzung des Innenausschusses am 12. September 2019 zu dem Tagesordnungspunkt „Festnahme eines deutschen Staatsangehörigen auf Ersuchen der Türkei in Slowenien : Wie konnte es passieren, dass Ismet K. bei der Datenbankrecherche des LKA NRW durch das Raster fiel?“)? Inwiefern erwägt auch das BKA eine solche Überprüfung bzw. welche Gründe stehen einer solchen Praxis entgegen? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche Landeskriminalämter rückwirkend Interpol-Ersuchen zur Festnahme und Auslieferung auf mögliche Gefahren für die Betroffenen prüfen. Bevor ein an Deutschland gerichtetes INTERPOL-Fahndungsersuchen in Deutschland national ausgeschrieben wird, prüft das Bundeskriminalamt das Fahndungsersuchen in jedem Einzelfall gemäß § 33 BKAG auf seine Vereinbarkeit mit deutschem Recht. Ausländische Festnahmeersuchen werden nur dann national umgesetzt, wenn auf Grund des ausländischen Fahndungsersuchens die Anordnung von Auslieferungs- oder Überstellungshaft durch ein deutsches Gericht als zulässig erscheint. Im Rahmen seiner Prüfung hat das Bundeskriminalamt in Fällen, denen besondere Bedeutung in politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung zukommt, zuvor den Bewilligungsbehörden zu berichten und deren Äußerung abzuwarten, wenn das Ersuchen von besonderer politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Bedeutung sein könnte. Die Prüfung und Feststellung, dass ein Ersuchen politisch motiviert ist, obliegt den rechtshilferechtlichen Bewilligungsbehörden. Ebenso ist es Aufgabe dieser Drucksache 19/14803 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Behörden zu prüfen, ob dem Betroffenen gegenüber ein so genannter Fahndungshinweis auszusprechen ist. Stellt das Bundeskriminalamt entsprechende Verdachtsmomente fest, erfolgt eine erneute Vorlage des Ersuchens unter Einbindung der jeweils zuständigen Landeskriminalämter. Ersuchen zu in Deutschland aufhältigen Personen werden im Übrigen durch das Bundeskriminalamt ausnahmslos an das für den Wohnsitz des Betroffenen zuständige Landeskriminalamt übermittelt. Von dort erfolgt ebenso grundsätzlich eine Weiterleitung an die zuständige Justizbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung nach dem IRG ebenfalls konkreten Prüf- und Berichtspflichten unterliegt. 22. Wie viele Entscheidungen, ob wegen offensichtlicher politischer Verfolgung im Rahmen einer Interpol-Rotecke ein Hinweis an die betroffene Person erfolgen soll, hat die Bundesregierung seit 2013 an welche Landeskriminalämter übermittelt (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 2. Juli 2019 an alle Landesjustizverwaltungen zum Verfahren, wonach Personen, die sich in Deutschland aufhalten, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit über eine bestehende Fahndung eines anderen Staates informiert werden sollen)? a) In wie vielen Fällen hat die jeweils örtlich zuständige Staatsanwaltschaft daraufhin ein inländisches Strafverfolgungsinteresse deutlich gemacht? b) In wie vielen Fällen wurde nach Rücksprache mit der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft eine Gefährdung der betroffenen Personen festgestellt und in wie vielen dieser Fälle erfolgte eine Benachrichtigung ? Die Fragen 22 bis 22b werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistik. 23. Wie viele durch ein Interpol-Ersuchen zur Festnahme und Auslieferung möglicherweise gefährdete Personen hat die Bundesregierung an die Landesregierung Nordrhein-Westfalens gemeldet, die Betroffene auf mögliche Gefahren bei Auslandsaufenthalten hinweisen wollte ( h t t p : / / gleft.de/2mB)? a) Welche anderen Bundesländer haben ähnliche Informationen vom BKA bzw. dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat erhalten? Die Fragen 23 und 23a werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung führt hierzu keine Statistiken. b) Ist auch Herrn Kilic von Bundesbehörden als gefährdete Person nach Nordrhein-Westfalen gemeldet worden bzw. aus welchen Gründen wurde diese Gefährdung nicht bemerkt? Es wird auf die Antwort zu Frage 11a verwiesen. 24. Wurde die Thematik politisch motivierter türkischer Interpol- Fahndungsersuchen nach Kenntnis der Bundesregierung auf einer der jüngsten Innenministerkonferenzen eingebracht, und welche Ergebnisse sind ihr hierzu bekannt? Nach Kenntnis der Bundesregierung war die Thematik nicht Gegenstand der jüngsten Innenministerkonferenzen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/14803 25. Wie interpretiert die Bundesregierung das Diskriminierungsverbot in Artikel 18 AEUV hinsichtlich einer Auslieferung deutscher Unionsbürger in ein Land, aus dem sie wegen politischer Verfolgung geflohen und deshalb als Asylsuchende anerkannt wurden? Eine politische Verfolgung im ersuchenden Staat ist grundsätzlich ein Auslieferungshindernis . Die Feststellung politischen Asyls stellt nach deutscher Auffassung ein Indiz für das Vorliegen politischer Verfolgung dar. Die Bundesregierung geht davon aus, dass dies auch bei allen übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei Auslieferungen deutscher Staatsangehöriger an Drittstaaten beachtet wird, wenn dies auch für deren eigene Staatsangehörige gilt. 26. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass wie im Fall von Herrn Kilic ein Asylstatus verlorengeht, nachdem anerkannte Asylsuchende als Deutsche eingebürgert sind, und diese mithin an Staaten ausgeliefert werden können , aus denen sie wegen politischer Verfolgung geflohen sind? Sofern ein Ausländer auf Antrag eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und dadurch den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat, genießt, erlischt nach § 72 Absatz 1 Nummer 3 des Asylgesetzes die Anerkennung als Asylberechtigter. Ist der Ausländer deutscher Staatsangehöriger geworden, ist die Asylanerkennung gegenstandslos. Asylrechtlichen Schutz genießt grundsätzlich nur, wer nicht Deutscher im Sinne des Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ist. Eine Auslieferung von Personen, die zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung die deutsche Staatsangehörigkeit haben, ist nach Artikel 16 Absatz 2 GG an Staaten außerhalb der Europäischen Union ausgeschlossen. 27. Wie interpretiert die Bundesregierung im Fall von Herrn Kilic die PETRUHHIN-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (C-182/15), wonach Deutschland von einem anderen EU-Mitgliedstaat (hier Slowenien ) wegen angeblich im Ausland begangener Straftaten die Überstellung seines Staatsbürgers verlangen kann, damit dieser nicht in einen Drittstaat (hier Türkei) ausgeliefert wird? Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. September 2016, Rs. C 182-15, Petruhhin, ist in einem Fall der Auslieferung zur Strafverfolgung, nicht wie hier in einem Fall der Auslieferung zur Strafvollstreckung ergangen. Die Anwendung dieser Rechtsprechung setzt im Übrigen voraus, dass im Heimatstaat der verfolgten Person wegen derselben Tat ein nationaler und ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurden. 28. Wie interpretiert die Bundesregierung im Fall von Herrn Kilic die Entscheidung des EuGH zur Raugevicius-Rechtssache (C-247/17), wonach die Auslieferung eines Unionsbürgers an einen Drittstaat untersagt ist, wenn eine Verletzung von Artikel 19 der EU-Grundrechtecharta zu befürchten ist? Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. November 2018, Rs. C-247/17, Raugevicius, setzt voraus, dass die verfolgte Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in dem Staat hat, in dem sie festgenommen wurde. Herr Kilic hielt sich nur zur Durchreise in Slowenien auf. Drucksache 19/14803 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 29. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass bis auf Weiteres jegliche Auslieferung eines Unionsbürgers zur Strafvollstreckung oder Strafverfolgung an die Türkei wegen einer Verletzung von Artikel 19 der EU- Grundrechtecharta unzulässig wäre, da beispielsweise im Jahresbericht von Amnesty International für 2017/2018 in Bezug auf die Türkei von Folter und Misshandlung im Strafvollzug berichtet wird? Die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung trifft ein unabhängiges Oberlandesgericht unter umfassender Berücksichtigung der im Einzelfall wesentlichen Informationsquellen. Zu diesen Informationsquellen können auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen zählen. 30. Sind in Deutschland anerkannte Asylsuchende aus Sicht der Bundesregierung durch Artikel 3 EuAuslÜbk grundsätzlich (also auch nach einer Einbürgerung ) vor einer Auslieferung aus anderen EU-Mitgliedstaaten geschützt , wenn sich ein Auslieferungsersuchen auf eine Handlung bezieht, derentwegen die betreffende Person den Asylstatus erhielt? Auf die Antwort zu Frage 25 wird Bezug genommen. Die Anerkennung politischen Asyls stellt ein wichtiges Indiz für das Vorliegen politischer Verfolgung dar, bindet aber die zuständigen Gerichte anderer Mitgliedstaaten nicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/14803 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333