Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/14660 – Todesfälle in Haft und im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Zwischen 1998 und 2016 starben in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) fast 3.000 Menschen. Bei einem Großteil dieser Todesfälle handelt es sich um Suizide (Bundestagsdrucksache 19/2872, Antwort zu Frage 1). Der Sprecher der Gefangenen-Gewerkschaft Oliver Rast spricht davon, dass Menschen in JVAs „im Wochentakt“ sterben. Neben Suiziden spiele dabei auch menschliches Fehlverhalten eine Rolle. So sei die medizinische und psychotherapeutische Versorgung in vielen Haftanstalten katastrophal. Die Folge seien Todesfälle aufgrund unterlassener Hilfeleistung, etwa wenn Ärztinnen und Ärzte bei einem Schlaganfall zu spät eingriffen oder krebskranken Menschen eine angemessene medizinische Behandlung verweigert werde (https://ggbo.de/todesur teil-knast-ihr-braucht-euch-nicht-zu-wundern-wenn-haeftlinge-sterben/). Auch im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen der Polizei kommt es immer wieder zu Todesfällen. Bundesweite Bekanntheit erlangte der nach Ansicht der Fragesteller bis heute offiziell nicht aufgeklärte Tod des aus Sierra-Leone stammenden Geflüchteten Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte (www.spiegel.de/panorama/jus tiz/oury-jalloh-anwaeltin-will-klage-erzwingen-a-1246816.html). Neben äußerer Gewalteinwirkung, etwa durch Ersticken bei einer Fixierung durch Polizeibeamte oder aufgrund eines Brechmitteleinsatzes, kann auch eine mangelnde ärztliche Untersuchung nach einer Festnahme oder Gewahrsamnahme insbesondere bei alkoholisierten oder unter anderen Drogen stehenden Menschen tödliche Folgen haben (www.deutschlandfunk.de/tod-in-obhut-des-staat es-wenn-menschen-in-der-haft-sterben.676.de.html?dram:article_id=331533). Darüber hinaus sterben regelmäßig Menschen, weil sie von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten erschossen werden. Nach Recherchen der „taz“ kamen auf diese Weise zwischen 1990 und 2017 mindestens 269 Menschen ums Leben. Die meisten von ihnen waren Männer und trugen selbst keine Schusswaffe bei sich. Besonders häufig sind nach Ansicht der Fragesteller Menschen in psychischen Ausnahmezuständen betroffen. Die Schützen können sich fast immer erfolgreich darauf berufen, in Notwehr gehandelt zu haben. Da es meist keine unabhängigen Zeuginnen und Zeugen gibt, lässt sich polizeiliches Fehlverhalten im Nachhinein so gut wie nie aufklären (https://taz.atavist.com/polizeito te#chapter-1957584). Deutscher Bundestag Drucksache 19/15291 19. Wahlperiode 19.11.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 14. November 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. In den letzten Monaten häuften sich Berichte über schwarze Menschen, People of Colour und Geflüchtete, die in Haft oder im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen ums Leben kamen. Am 13. April 2018 wurde Matiullah J. in Fulda von Polizeibeamten erschossen (Die Welt vom 17. April 2018). Am 17. September 2018 starb Amad Ahmad in der JVA Kleve, wo er über zwei Monate nach Ansicht der Fragesteller rechtswidrig inhaftiert war (NRZ vom 25. September 2019). Am 26. Februar 2019 starb Rooble Warsame unter bislang ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle in Schweinfurt (revolt magazine vom 28. April 2019). Am 20. Juli 2019 kam ein algerischer Mann, dessen Name nicht bekannt ist, in einem Krankenhaus in Erfurt ums Leben, nachdem er über Nacht von der Bundespolizei in Gewahrsam genommen worden war (taz vom 26. Juli 2019). Am 17. August 2019 wurde Aman A. in Stade von Polizeibeamten erschossen (NDR vom 19. August 2019). Ein breites Bündnis antirassistischer Initiativen hat deswegen die Kampagne „Death in Custody“ gestartet. Die Aktivistinnen und Aktivisten kritisieren, dass Polizei und Staatsanwaltschaften nicht ernsthaft ermittelten, wenn schwarze Menschen und People of Colour in Gewahrsamssituationen bzw. im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen sterben. Im Gegenteil würden häufig die Getöteten als aggressiv beschrieben, um das Verhalten der Polizei zu rechtfertigen. Die Kampagne versteht dies als Ausdruck von institutionellem Rassismus und fordert eine unabhängige Untersuchung jedes Todesfalls in Haft bzw. in Verbindung mit polizeilichen Maßnahmen (https://taz.de/Tod-im- Gewahrsam/!5630024/). Die Fragestellerinnen und Fragesteller teilen diese Einschätzung und unterstützen die Ziele der Kampagne. 1. Welche Angaben kann die Bundesregierung zu Todesfällen im Justizvollzug in den Jahren 2017, 2018 und im bisherigen Jahr 2019 machen (bitte so darstellen wie in der Antwort zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 19/2872 und soweit möglich zusätzlich nach Haftarten differenzieren und Angaben zum Alter und der Staatsangehörigkeit der Verstorbenen sowie zur Dauer der Inhaftierung bis zum Tod machen)? Die vom Bundesamt für Justiz (BfJ) zentral erstellte Strafverfolgungsstatistik weist zu Todesfällen im Justizvollzug für das Jahr 2017 die folgenden Zahlen aus: Jahr Jahres-Ø-Belegung Todesfälle insg. durch Unfall durch Suizid 2017 64.063 173 0 82 Hinsichtlich der Statistik wird im Übrigen auf die näheren Erläuterungen in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 19/2872 verwiesen. Für das Jahr 2018 konnte eine bundesweite Übersicht noch nicht abschließend erstellt werden, da die erforderlichen Zulieferungen einzelner Bundesländer bzw. deren Landesjustizverwaltungen noch ausstehen. Unterjährige Erfassungen erfolgen nicht, so dass auch die Zahlen für 2019 planmäßig erst in 2020 zu erwarten sind. Drucksache 19/15291 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2. Welche aktuellen Angaben kann die Bundesregierung zur medizinischen und psychotherapeutischen Betreuung von Personen in Obhut des Staates (Haft, Sicherheitsverwahrung, Festnahme, Gewahrsamnahme, Jugendhaft etc.) machen, und wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung das Zahlenverhältnis von Ärztinnen und Ärzten zu den Insassinnen und Insassen im Justizvollzug seit 2016 entwickelt (bitte nach Allgemeinmedizinern und Fachärzten differenzieren und bei den Fachmedizinern benennen, um welche fachlichen Spezialisierungen es sich handelt)? Inwieweit weicht die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung von Personen in Obhut des Staates nach Kenntnis der Bundesregierung von nichtinhaftierten Menschen in Deutschland ab? In Bezug auf die medizinische und psychotherapeutische Betreuung von in Obhut des Staates befindlicher Personen wird zunächst auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 19/2872 verwiesen. Seitdem haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Grundsatz keine Veränderungen ergeben. Aktuell entfallen auf eine Jahresdurchschnittsbelegung von 64.121 Personen in 2018, was die psychotherapeutische Betreuung von Personen in Obhut des Staates betrifft, insgesamt (intern und extern) 849,97 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des psychologischen und soziologischen Dienstes sowie weitere insgesamt 280,13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des seelsorgerischen Dienstes. Das Zahlenverhältnis von Ärztinnen und Ärzten zu den Insassinnen und Insassen im Justizvollzug hat sich seit 2016 nach der bei dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geführten Statistik wie folgt entwickelt: Jahr Jahres-Ø-Belegung Ärztlicher Dienst(intern und extern) 2016 63.038 371,71 2017 64.191 346,42 2018 64.121 365,94 Eine Differenzierung nach medizinischer Fachrichtung erfolgt nicht. Die medizinische Versorgung von Personen in Obhut des Staates hat in Deutschland nach dem sog. Äquivalenzprinzip, soweit möglich, derjenigen von nichtinhaftierten Menschen zu entsprechen. Gemäß § 27 Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die primäre Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für die medizinische Betreuung von Personen in Obhut des Staates liegt bei den Anstaltsärztinnen und Anstaltsärzten. Diese bieten unter anderem regelmäßige Sprechstunden an und führen Zugangsuntersuchungen durch. Ergänzend haben die Kassenärztlichen (Bundes-)Vereinigungen die ärztliche Behandlung von Gefangenen in Justizvollzugsanstalten in Notfällen außerhalb der Dienstzeiten der Anstalts(zahn)ärztinnen und Anstalts(zahn)ärzten sicherzustellen , soweit die Behandlung nicht auf andere Weise gewährleistet ist, vgl. § 75 Absatz 4 Satz 1 SGB V. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/15291 a) Wieso kommt es nach Einschätzung der Bundesregierung in Justizvollzugsanstalten so häufig zu Suiziden, obwohl bereits im Rahmen der Zugangsuntersuchungen eine mögliche Suizidgefährdung geprüft wird (Bundestagsdrucksache 19/2872, Antwort zu Frage 3)? Suizide in Justizvollzugsanstalten sollen durch die im Rahmen der Zugangsuntersuchungen durchgeführten Überprüfungen auf eine mögliche Suizidgefährdung und die daraufhin ggf. eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen (siehe Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 auf Bundestagsdrucksache 19/2872) im Rahmen des Möglichen ausgeschlossen werden. Die oftmals bei Gefangenen vorliegenden besonderen persönlichen Merkmale, die gleichermaßen bei Nichtinhaftierten ein höheres Suizidrisiko begründen können, können zusammen mit der psychisch äußerst belastenden Haftsituation die Selbstverletzungsgefahr ggf. nochmals erhöhen. Mangels Zuständigkeit des Bundes für die Ausgestaltung des Strafvollzuges kann die Frage, warum es trotz der ergriffenen Sicherungsmaßnahmen dennoch zu Suiziden in Justizvollzugsanstalten kommt und welche ggf. weiteren Anforderungen an eine Prüfung auf eine mögliche Suizidgefährdung gestellt werden könnten, durch die Bundesregierung indes keiner abschließenden Beantwortung zugeführt werden. b) Inwieweit bestehen bei der Betreuung von suizidgefährdeten Gefangenen durch Psychologen, Seelsorger oder Sozialarbeiter Mängel bzw. Versorgungslücken ? Über Versorgungslücken bei der Betreuung von Gefangenen durch Psychologen , Seelsorger oder Sozialarbeiter liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. c) Wie lange müssen JVA-Insassen nach Kenntnis der Bundesregierung durchschnittlich warten, bis es zu einem von ihnen gewünschten Gesprächstermin mit einem Psychotherapeuten oder Psychiater kommt, und wie hat sich diese durchschnittliche Wartezeit seit 2016 entwickelt? Über die durchschnittliche Wartezeit von JVA-Insassen in Bezug auf Gesprächstermine bei Psychotherapeuten oder Psychiatern liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 3. Wie viele Todesfälle von Personen während freiheitsentziehender Maßnahmen durch die Bundespolizei gab es in Deutschland seit 1990 (bitte nach Art der freiheitsentziehenden Maßnahme, Jahren, Bundespolizeidirektionen und Todesursachen aufschlüsseln)? a) In wie vielen Fällen starben Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Bundespolizei eines natürlichen Todes (bitte jeweils die genaue Todesursache nennen)? b) In wie vielen Fällen starben Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Bundespolizei durch einen Unfall (bitte die genauen Umstände des Unfalls benennen)? c) In wie vielen Fällen starben Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Bundespolizei durch Suizid (bitte nach Möglichkeit die Art des Suizids benennen)? d) In wie vielen Fällen starben Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Bundespolizei durch Fremdeinwirkung von anderen , ebenfalls freiheitsentziehenden Maßnahmen ausgesetzten Personen (bitte nach Arten der Fremdeinwirkung differenzieren)? Drucksache 19/15291 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode e) In wie vielen Fällen starben Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Bundespolizei durch Fremdeinwirkung von unbekannten Personen (bitte nach Arten der Fremdeinwirkung differenzieren )? f) In wie vielen Fällen starben Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Bundespolizei infolge von Fremdeinwirkung durch Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei und/oder durch hinzugezogene Ärzte (bitte nach Möglichkeit die Art der Fremdeinwirkung sowie mögliche dienst- und strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen benennen)? g) In wie vielen Fällen ist die Todesursache von Personen während einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch die Bundespolizei ungeklärt? Die Fragen 3 bis 3g werden gemeinsam beantwortet. In Bezug auf Todesfälle von Personen während freiheitsentziehender Maßnahmen durch die Bundespolizei liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 4. Wie viele Todesfälle von Personen unmittelbar nach Beendigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch die Bundespolizei gab es in Deutschland seit 1990 (bitte nach Art der freiheitsentziehenden Maßnahme , Jahren, Bundespolizeidirektionen und Todesursache aufschlüsseln)? In Bezug auf Todesfälle von Personen unmittelbar nach Beendigung freiheitsentziehender Maßnahmen durch die Bundespolizei liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. In welchen der in den Fragen 3 und 4 genannten Fälle wurden Obduktionen durchgeführt, und welches Ergebnis hatten diese? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 6. Wurden in allen der in den Fragen 3 und 4 genannten Fälle Gewahrsamstauglichkeitsuntersuchungen durchgeführt, und falls nein, warum nicht? Unter welchen gesundheitlichen Umständen dürfen Menschen nicht in Gewahrsam genommen werden? Der Bundesregierung liegen zu Teil 1 der Fragestellung keine Erkenntnisse vor. Zu Teil 2 der Fragestellung: Personen dürfen bei der Bundespolizei gemäß der Polizeigewahrsamsordnung für Gewahrsamsräume bei Dienststellen der Bundespolizei (PGO-BPOL) aus gesundheitlichen Gründen nicht in Gewahrsam genommen werden, wenn der Aufenthalt im Polizeigewahrsam voraussichtlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der betroffenen Person – bei Schwangeren ggf. auch für das ungeborene Kind – darstellen würde. Sobald Zweifel an der Gewahrsamsfähigkeit der betroffenen Person bestehen, wird eine ärztliche Untersuchung veranlasst. Gewahrsamsunfähigkeit kommt insbesondere in Betracht, wenn die betroffene Person • bewusstseinsgetrübt oder bewusstlos ist, • nicht ansprechbar ist, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/15291 • sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet, • sich in einem Zustand befindet, der den Verdacht auf das Vorliegen einer äußeren Vergiftung, z. B. durch Alkohol, Drogen, Arzneimittel, oder einer inneren Vergiftung, z. B. bei Stoffwechselkrankheiten wie Zuckerkrankheit, begründet oder • aufgrund erkennbarer Verletzungen oder Erkrankungen einer akuten ärztlichen Behandlung bedarf. 7. Wie sieht die ärztliche Versorgung von Personen aus, die sich im Gewahrsam der Bundespolizei befinden (bitte ausführen)? Art und Umfang der ärztlichen Versorgung werden im konkreten Einzelfall durch den jeweils hinzugezogenen Arzt festgelegt. 8. Was ist der Bundesregierung über den Tod eines algerischen Mannes am 20. Juli 2019 in Erfurt bekannt, der in einem Krankenhaus verstarb, nachdem er am Vortag durch die Bundespolizei in Gewahrsam genommen worden war (https://taz.de/Tod-nach-Festnahme-in-Erfurt/!5609083/)? a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Todesursache bzw. den Stand der diesbezüglichen Untersuchungen und Ermittlungen ? Die Fragen 8 und 8a werden gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Todesursache und den Stand des durch die Staatsanwaltschaft Erfurt geführten Todesermittlungsverfahrens vor. b) Was ist der Bundesregierung über den Stand der kriminalpolizeilichen Ermittlungen gegen die für den Mann verantwortlichen Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei bekannt? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu etwaig geführten Ermittlungsverfahren gegen Beteiligte vor. Nach der zuletzt zur Kenntnis gelangten Einschätzung der Staatsanwaltschaft Erfurt war ein Anfangsverdacht gegen Beteiligte zu verneinen. c) Wurde der Algerier nach Kenntnis der Bundesregierung darüber informiert , dass die Staatsanwaltschaft seine Freilassung angeordnet hatte und er die Zelle hätte verlassen können (https://taz.de/Tod-nach-Fest nahme-in-Erfurt/!5609083/)? Inwieweit wurde nach Kenntnis der Bundesregierung ein Dolmetscher hinzugezogen, um den Mann über seine Rechte zu informieren? Ein Dolmetscher wurde hinzugezogen, der den algerischen Mann auch über seine Rechte belehrte. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurde er indes wegen des festen Schlafs, in den er verfallen war, nicht mehr angesprochen. Es erfolgten regelmäßige Kontrollen seines gesundheitlichen Zustands. Drucksache 19/15291 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. In wie vielen Fällen haben Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei seit 1990 von Schusswaffen Gebrauch gemacht (bitte nach Jahren und Bundespolizeidirektionen aufschlüsseln)? a) In wie vielen Fällen wurden Schüsse auf Menschen bzw. auf Tiere abgegeben (bitte nach Jahren und Bundespolizeidirektionen aufschlüsseln )? b) In wie vielen Fällen handelte es sich um Warnschüsse, und in wie vielen Fällen wurden Schüsse unbeabsichtigt abgegeben (bitte nach Jahren und Bundespolizeidirektionen aufschlüsseln)? Die Fragen 9 bis 9b werden gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen statistische Daten gemäß nachfolgender Tabellen vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/15291 Ta be lle 1: 20 00 20 01 20 02 20 03 20 04 20 05 20 06 20 07 20 08 20 09 20 10 20 11 20 12 20 13 20 14 20 15 20 16 20 17 20 18 Ein sat z Sc hu ssw af f en ins g.: 58 71 90 88 10 4 96 82 90 11 4 99 10 4 68 75 79 69 61 80 82 63 Da vo n g eg en Pe rso ne n: 1 2 2 1 1 0 0 0 1 1 0 0 3 1 Da vo n g eg en Tie re: 24 53 76 74 94 91 77 88 10 8 96 10 0 62 73 72 63 58 70 76 61 Da vo n W arn - sch üss e: 31 15 10 5 6 5 3 2 6 1 4 4 0 5 4 2 3 3 0 Da vo n u nb eab sic hti gt: 3 1 Hi nw eis zu Ta be lle 1: N eb en de n a bg efr ag ten Sc hu ssv ari an ten w erd en be i d er Bu nd esp oli zei au ch Sc hu ssa bg ab en ge ge n S ach en st ati sti sch er fas st. D ie An - zah l d ies er Sc hu ssa bg ab en er klä rt die te ilw eis e b est eh en de D iff ere nz zw isc he n d er An zah l d er Sc hu ssa bg ab en in sge sam t ( Ze ile 2) un d d er Ge sam tza hl de r ab ge bil de ten Ei nz elf all zah len (Z eil en 3 bis 6) . Drucksache 19/15291 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Tabelle 2: Tabelle 3: Hinweis zu den Tabellen 2 und 3: Eine statistische Differenzierung zwischen den einzelnen Bundespolizeidirektionen erfolgte so wie ersichtlich ab dem Jahr 2015. 10. In wie vielen Fällen wurden seit 1990 Menschen durch den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei verletzt oder getötet (bitte nach Jahren und Bundespolizeidirektionen aufschlüsseln ), und in wie vielen Fällen hatte dies dienst- bzw. strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen (bitte möglichst genaue Angaben machen)? Der Bundesregierung liegen statistische Daten zu zwischen 2000 bis 2018 (tödlich ) verletzten Personen gemäß nachfolgender Tabelle vor. Im Nachgang aller tödlichen Schussabgaben im Jahr 2017 wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen die betreffenden Bundespolizeibeamten eingeleitet; die Verfahren wurden jeweils eingestellt. Ein disziplinarer Überhang bestand nicht. Zu den älteren Vorgängen besteht nur noch die statistische Erfassung. 11. In wie vielen Fällen befanden sich die verletzten oder getöteten Personen nach Kenntnis der Bundesregierung in psychischen Ausnahmesituationen ? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/15291 12. Wie werden Fälle von Schusswaffengebrauch durch Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei nachbereitet? Bei einem Schusswaffengebrauch durch Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei im Rahmen eines polizeilichen Einsatzes ist neben einer strafrechtlichen und ggf. dienstrechtlichen Untersuchung auch eine psychosoziale Nachbereitung durch den sozialwissenschaftlichen Dienst, den arbeitsmedizinischen Dienst und die Seelsorge der Bundespolizei aus Fürsorgegründen gewährleistet. Dabei werden die Beamtinnen und Beamten eng betreut. 13. Wie häufig trainieren Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei den Einsatz von Schusswaffen in der Aus- und Fortbildung? Alle Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte sind verpflichtet, mindestens vierteljährlich mit der ihnen zugewiesenen Pistole und mindestens halbjährlich mit einer Maschinenpistole zu schießen. Einen Nachweis zur vorhandenen Handhabungs- und Treffsicherheit mit den zugewiesenen Waffen müssen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten der Bundespolizei einmal im Kalenderjahr erbringen. Zusätzlich wird die Handhabung und der Einsatz der Schusswaffe im Rahmen von Einsatz- und Situationstrainings mit nicht schussfähigen Trainingswaffen und mit schusssimulierenden Waffentrainingssystemen geübt. Insgesamt sind für die Schießfortbildung und das Situationstraining einschließlich Einsatztraining jährlich 54 Stunden pro Beamtin/Beamten vorgesehen. 14. Wie häufig trainieren Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei den Umgang mit Extremsituationen, die gegebenenfalls den Einsatz von Schusswaffen erforderlich machen sowie den Umgang mit Personen in psychischen Ausnahmesituationen? Wie gestalten sich dieses Trainings, wie viel Zeit nehmen sie in Anspruch , und inwieweit werden Alternativen zum Schusswaffengebrauch behandelt, und welche sind dies? Werden bei der Bundespolizei Taser als Alternative zu Schusswaffen eingesetzt , und inwieweit gibt es dafür mittlerweile eine Rechtsgrundlage (http://gleft.de/3eS)? Komplexe Situationen, zu denen auch solche mit Personen in psychischen Ausnahmesituationen gehören, werden insbesondere im Zuge der in Antwort zu Frage 13 bereits dargestellten Situationstrainings trainiert. Hier sind verschiedene Intensitäten betreffend die durch die Beamtinnen und Beamten zu bewältigenden Situationen vorgesehen, die bis hin zu einem Angriff auf die trainierenden Beamtinnen und Beamten reichen. Die konkreten Inhalte der Trainings können dabei an den jeweiligen Bedarf der Dienststellen angepasst werden. Ein Schwerpunkt der Auswertung der Trainingssituationen liegt in der Prüfung, ob das Einschreiten der übenden Beamtinnen und Beamten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach und insbesondere das gewählte Zwangsmittel angemessen war. Neben den im Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG Bund) aufgeführten Zwangsmitteln stehen grundsätzlich als Alternativen ein Bewältigen der Situation mittels Zwang ohne Hilfsmittel oder ein Bewältigen ohne jeden körperlichen Zwang zur Verfügung. Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG, sog. „Taser“) sind bei der Bundespolizei bisher ausschließlich für den polizeilichen Gebrauch in Einsätzen der Spezial- Drucksache 19/15291 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode einheit der Bundespolizei zugelassen. Grundlage ist die Verwaltungsvorschrift über die Zulassung von Distanzelektroimpulsgeräten bei der Spezialeinheit der Bundespolizei vom 9. Dezember 2015. Eine darüber hinausgehende Rechtsgrundlage für den Einsatz von Distanzelektroimpulsgeräten durch Bundespolizeibeamtinnen und Bundespolizeibeamte, die nicht der Spezialeinheit angehören , besteht derzeit nicht. 15. Wie viele Menschen starben nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1990 während ihrer Abschiebung aus Deutschland (bitte möglichst genaue Angaben machen, etwa zum Zeitpunkt, Herkunftsland, Abflug- und Zielflughafen, zur Todesursache und zu dienst- und strafrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen)? Neben den in der Antwort zu den Fragen 16 und 17 benannten Fällen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse über Todesfälle im Zusammenhang mit Rückführungsmaßnahmen vor. 16. Welche Konsequenzen wurden aus der gewaltsamen Tötung von Kola Bankole während seiner Abschiebung nach Nigeria am 30. August 1994 gezogen (www.ari-dok.org/webdokumentation/?id=5436, bitte insbesondere auf eventuelle dienst- und strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen sowie möglicherweise geänderte Vorgaben im Umgang mit abzuschiebenden Personen eingehen)? 17. Welche Konsequenzen wurden aus der gewaltsamen Tötung von Aamir Ageeb während seiner Abschiebung in den Sudan am 28. Mai 1999 gezogen (www.ari-dok.org/webdokumentation/?id=3962, bitte insbesondere auf eventuelle dienst- und strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen sowie möglicherweise geänderte Vorgaben im Umgang mit abzuschiebenden Personen eingehen)? Die Fragen 16 und 17 werden gemeinsam beantwortet. Infolge der vorbeschriebenen Todesfälle wurden für den damaligen Bundesgrenzschutz die „Bestimmungen über die Rückführung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg – Best Rück Luft“ zum 15. März 2000 in Kraft gesetzt . Diese enthalten insbesondere auch Regelungen betreffend die Anwendung von Zwangsmitteln im Zusammenhang mit Rückführungen. Um eine größtmögliche Sicherheit im Umgang mit Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt in der Rückführungssituation zu gewährleisten, werden die dazu vorgesehenen Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei mittels eines dreiwöchigen Verwendungslehrgangs speziell für die Begleitung von Rückführungen auf dem Luftweg als sog. „Personenbegleiter Luft“ qualifiziert. Vermittelt werden neben der Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Maßgabe der v. g. Bestimmungen u. a. auch Strategien zur Deeskalation, interkulturelle Kompetenzen sowie die Befähigung, Erste Hilfe leisten zu können. Alle zwei Jahre durchlaufen dieserart qualifizierte Personenbegleiter sodann erneut dreitägige Anpassungsfortbildungen. Ferner besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme an einer jährlichen Schulung zur Anwendung von Festhaltegurten. Die Anwendung von Festhaltegurten vermindert das Risiko von Gefahren für den Rückzuführenden unter gleichzeitiger Verbesserung des Schutzes sowohl von Unbeteiligten als auch von Beamtinnen und Beamten, die die Rückführung begleiten. Ob die Todesfälle aus 1994 und 1999 seinerzeit dienst- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich zogen, dazu liegen der Bundesregierung heute keine Erkenntnisse mehr vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/15291 18. Sieht die Bundesregierung in Anbetracht der zahlreichen Berichte über Polizeigewalt im Zuge von Abschiebungen (Bundestagsdrucksache 19/7401) und den in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Einsatz von sogenannten Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt in diesem Kontext (Bundestagsdrucksache 19/8021, Antwort zu Frage 30) ein erhöhtes Risiko , dass es zur Tötung von Menschen auf Abschiebeflügen durch Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei und/oder die Flüge begleitende Ärzte kommen könnte (bitte begründen)? Welche Maßnahmen trifft sie, um (insbesondere tödlicher) Polizeigewalt gegen abzuschiebende Personen vorzubeugen? Anhaltspunkte dafür, dass es auf Abschiebeflügen zu einem erhöhten Risiko zur Tötung von Menschen kommen könnte, liegen der Bundesregierung nicht vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 16 und 17 verwiesen. 19. Was ist der Bundesregierung über Suizide angesichts angekündigter Abschiebungen sowie Todesfälle und Suizide unmittelbar nach einer Abschiebung seit 1990 bekannt (bitte möglichst genaue Angaben machen, etwa zum Zeitpunkt und Ort, Herkunftsland und zur Todesursache)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 20. Was entgegnet die Bundesregierung auf die Kritik der Kampagne „Death in Custody“, dass Polizei und Staatsanwaltschaften häufig nicht ernsthaft ermittelten, wenn nichtweiße Menschen in Haft oder im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen ums Leben kommen (siehe Vorbemerkung der Fragesteller)? Anhaltspunkte dafür, dass Todesfälle nichtweißer Menschen weniger ernsthaft aufgeklärt würden als Todesfälle weißer Menschen, liegen der Bundesregierung nicht vor. 21. Welche Vorteile hätte es aus Sicht der Bundesregierung, unabhängige Ermittlungsstellen einzurichten, die jeden Todesfall „in Obhut des Staates“ gründlich untersuchen (bitte begründen)? Inwieweit könnten solche unabhängigen Untersuchungen das Vertrauen insbesondere von Angehörigen marginalisierter Gruppen (von Rassismus betroffene Menschen, Obdachlose, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen etc.) in die staatlichen Institutionen stärken? Da der Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse über etwaig nachlässig geführte Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden (der Länder) vorliegen (vgl. Antwort zu Frage 20) besteht aus Sicht der Bundesregierung keine Notwendigkeit zur Einrichtung „unabhängiger Ermittlungsstellen“. Drucksache 19/15291 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. 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