Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/15381 – Gesundheitspolitische Aktivitäten der EU vor dem Hintergrund der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Gesundheitssysteme V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Auf seiner Webseite beschreibt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dass die Kompetenzen der EU im Bereich der Gesundheitspolitik in die „alleinige Verantwortung der Mitgliedstaaten“ fällt und die EU in diesem Bereich nur über „ergänzende Kompetenzen“ verfüge (www.bundesgesund heitsministerium.de/themen/internationale-gesundheitspolitik/europa/europaei sche-gesundheitspolitik.html). Allerdings regelt die EU trotzdem viele Bereiche der Gesundheitspolitik, etwa die Zulassung von Arzneimitteln oder den Umgang mit gefährlichen oder potenziell gefährlichen Stoffen. Zuletzt bemängelte der Deutsche Bundestag durch eine Subsidiaritätsrüge eine geplante Ausweitung der EU-Kompetenzen im Bereich der Nutzenbewertung von Medizinprodukten (Health Technology Assessment – HTA, vgl. Bundestagsdrucksache 19/1296). Dennoch gab das BMG am 16. Oktober 2019 im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages die Auskunft, dass im Rahmen der kommenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands keine Beratungen über das Verhältnis zwischen dem Rang des EU-Binnenmarkts und der Länderzuständigkeit für die Gesundheitssysteme geplant seien. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Europäische Union unterstützt und ergänzt gemäß Artikel 168 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Dabei ist die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung der Gesundheitspolitik, die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gemäß Artikel 168 Absatz 7 AEUV zu wahren. Auch mit Blick auf diese Regelungsbereiche ist indes zu beachten, dass für die Mitgliedstaaten eine Pflicht besteht, ihre Gesundheitsmaßnahmen primärrechtskompatibel auszugestalten. Artikel 168 AEUV sowie Artikel 114 AEUV erlauben aber auch Maßnahmen zur Harmonisierung in bestimmten Bereichen der Gesundheitspolitik. So stützt Deutscher Bundestag Drucksache 19/15817 19. Wahlperiode 11.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 9. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. sich beispielsweise die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung auf diese Normen. 1. Gibt es auf europäischer Ebene Beratungen mit Beteiligung oder Kenntnis der Bundesregierung über das Verhältnis zwischen EU-Binnenmarkt und der Länderzuständigkeit für die Gesundheitssysteme? a) Wenn ja, welche Beratungen gibt es unter welcher Beteiligung, und wann haben sie stattgefunden bzw. finden sie statt? b) Wenn nein, plant die Bundesregierung oder planen nach Kenntnis der Bundesregierung andere Mitgliedstaaten oder EU-Gremien solche Beratungen ? 2. Wie bewertet die Bundesregierung die aktuellen gesundheitspolitischen Aktivitäten der EU vor dem Hintergrund der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Gesundheitssysteme? a) Welche geplanten Regelungen der EU im Bereich der Gesundheitspolitik oder sie betreffenden Themen sieht die Bundesregierung teilweise oder vollständig nicht als Zuständigkeit der EU an? b) An welchen Stellen wünscht sich die Bundesregierung im Bereich der Gesundheitspolitik eine Ausweitung der EU-Regulierung und der EU- Kompetenzen? 3. Was unternimmt die Bundesregierung, um eine Überschreitung der Kompetenzen der EU im Bereich der Gesundheitssysteme zu verhindern? 4. Verfügt die Bundesregierung über ein Konzept, das Ansatzpunkte bzw. Vorschläge für eine Kompetenzregelung im Bereich der Gesundheitssysteme zwischen der EU und den Mitgliedstaaten beinhaltet? a) Wenn ja, welche Meinung vertritt die Bundesregierung hier? b) Wenn nein, warum nicht, und nach welchen Kriterien bewertet die Bundesregierung dann EU-Vorhaben im Bereich der Gesundheitspolitik ? Die Fragen 1 bis 4 werden aufgrund des engen Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die kompetenzrechtliche Verteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten ergibt sich aus dem EU-Primärrecht, für die Gesundheitspolitik aus Artikel 168 AEUV sowie zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt aus Artikel 114 AEUV. Der Maßstab und die Verfahren, an denen sich die Bundesregierung bei der Prüfung kompetenzrechtlicher Fragen ressortübergreifend orientiert, sind dem geltenden Recht zu entnehmen. Das Verfahren zur frühzeitigen Beteiligung und Abstimmung innerhalb der Bundesregierung ergibt sich aus Anlage 7 zu § 74 Absatz 1 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Inhaltlich erfolgt die Subsidiaritätsprüfung auf Grundlage eines gesetzlich festgelegten Prüfrasters (Anlage 8 zu § 74 Absatz 1 GGO). Genügt eine Maßnahme der Europäischen Union dem Subsidiaritätsprinzip nach Ansicht der Bundesregierung nicht, vertritt sie diese Position in den Gremien der Union und führt über ihre Bedenken eine Liste (Anlage 7 zu § 74 Absatz 1 GGO). Ein über diesen Prüfprozess hinausgehendes oder von ihm abweichendes Konzept speziell für den Gesundheitsbereich ist nicht erforderlich. Die Bundesregierung führt zudem mit den EU-Institutionen regelmäßig auch im Gesundheitsbereich einzelfallbezogene Gespräche zu konkreten Sachfragen Drucksache 19/15817 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode und Regelungsbereichen und fordert gegebenenfalls die Einhaltung kompetenzrechtlicher Grenzen ein. In der Sache erscheint es wichtig, dass die limitierte Kompetenzübertragung in der europäischen Gesundheitspolitik in Artikel 168 AEUV beachtetet und nicht durch eine zu weite und durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht mehr gedeckte Auslegung des Artikel 114 AEUV aufgeweicht wird. Insbesondere die Bestandsgarantie für die Autonomie in der Steuerung nationaler Gesundheitssysteme in Artikel 168 Absatz 7 AEUV und die je nach Sachbereich differenzierte und insgesamt begrenzte Übertragung von Harmonisierungskompetenzen in Artikel 168 Absatz 4 AEUV muss inhaltlich beachtet werden. Jenseits der umfassenden Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle unterstützt die Bundesregierung das Monitoring europäischer Vorhaben durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat, indem sie diese regelmäßig unterrichtet und beteiligt. Auf dieser Basis kann wiederum die Legislative ihrem eigenen Prüfauftrag nachkommen und das ihr allein zustehende Instrument der Subsidiaritätsrüge effektiv nutzen (so geschehen z. B. im Fall der Subsidiaritätsrüge des Deutschen Bundestages zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bewertung von Gesundheitstechnologien und zur Änderung der Richtlinie 2011/24/ EU). Beratungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Institutionen der Europäischen Union, die abstrakt das Verhältnis zwischen EU-Binnenmarkt und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Gesundheitssysteme thematisieren, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Selbiges gilt für die Frage, ob entsprechende Beratungen geplant sind. 5. Wie ist der aktuelle Stand der Beratungen auf EU-Ebene zum Thema HTA, und wann rechnet die Bundesregierung hier mit einer Einigung? Der Verordnungsentwurf wurde am 31. Januar 2018 von der Europäischen Kommission vorgelegt. Das Europäische Parlament hat in erster Lesung im Februar 2019 seinen Standpunkt beschlossen und das neu gewählte Europäische Parlament hat diesen Standpunkt im Oktober 2019 bestätigt. Die Beratungen im Rat dauern an. Die aktuelle finnische Ratspräsidentschaft gab zur Tagung des Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Union am 9. Dezember 2019 einen Fortschrittsbericht. 6. Welche EU-Fördermittelprogramme und EU-Investitionsmittelprogramme existieren nach Kenntnis der Bundesregierung, die direkt oder indirekt in die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten eingreifen? a) In welcher Höhe wurden nach Kenntnis der Bundesregierung aus welchen Programmen der EU jeweils in den Jahren 2015 bis 2019 Mittel direkt oder indirekt an Akteure des deutschen Gesundheitssystems ausgezahlt? b) Wie bewertet die Bundesregierung diese Zahlungen jeweils? Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Juli 2019 auf entsprechende Nachfrage zum Umfang der von Deutschland in Anspruch genommenen gesundheitsbezogenen EU-Investitionsprogramme und den diesbezüglichen Schwerpunkten bei der Verwendung der Mittel dem Vorsitzenden des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages geantwortet. Auf diese Antwort (Ausschussdrucksache 19(14)93) wird insoweit zur Beantwortung der Frage 6 verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/15817 Die Inanspruchnahme von Fördermitteln aus EU-Programmen dient aus Sicht der Bundesregierung im Übrigen der Unterstützung nationaler Maßnahmen. Drucksache 19/15817 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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