Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jessica Tatti, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/15454 – Zusammensetzung und Aufgaben der Örtlichen Beiräte von Jobcentern V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Gemäß § 18d des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) werden in den Jobcentern (gemeinsame Einrichtungen, gE) Örtliche Beiräte gebildet, die hinsichtlich der Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente und Eingliederungsmaßnahmen beraten sollen. Die Jobcenter sind nicht verpflichtet, die Stellungnahmen des Beirats zu übernehmen oder umzusetzen. Die Mitglieder der Örtlichen Beiräte werden von der Trägerversammlung, also durch Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen und der Agentur für Arbeit berufen, wobei insbesondere Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern , der Kammern und berufsständischen Organisationen sowie der Wohlfahrtsverbände vertreten sein sollen. Die Positionen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben seit der Ergänzung des § 18d Satz 2 SGB II im Jahr 2016 ein besonderes Gewicht. Hierdurch soll auf Belange des örtlichen Arbeitsmarktes besondere Rücksicht genommen werden. Die Repräsentation von SGB-II-Leistungsbeziehenden im Örtlichen Beirat durch erwerbsfähige Leistungsbeziehende (eLB) selbst ist dagegen gesetzlich nicht vorgesehen. Im am 8. November 2018 im Deutschen Bundestag mehrheitlich verabschiedeten Zehnten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Teilhabechancengesetz – 10. SGB II-ÄndG, Bundestagsdrucksache 19/4725 in der Fassung des Buchstabens a der Beschlussempfehlung auf Bundestagsdrucksache 19/5588), das zum 1. Januar 2019 in Kraft trat, ist gemäß § 16i Absatz 9 SGB II vorgesehen, dass der Örtliche Beirat eine jährliche Stellungnahme zu möglichen Wettbewerbsverzerrungen sowie Verdrängungseffekten durch nach § 16i SGB II geförderte Arbeitsverhältnisse vorlegt. So solle ein lokaler Konsens bezüglich geeigneter Tätigkeitsfelder und Branchen erreicht werden. Dies wertet, so die Annahme der Fragestellerinnen und Fragesteller, zumindest theoretisch Stellung und Aufgaben des Beirats auf. In der Praxis werden von gewerkschaftlicher Seite Defizite beklagt (Deutscher Gewerkschaftsbund – DGB –: Erste Erfahrungen mit dem „Neuen Arbeitsmarkt“, arbeitsmarkt aktuell Nummer 6/Oktober 2019). Zugleich verschärft sich aber die vorhandene „Repräsentationslücke in der SGB II-Arbeitsverwaltung“, da im Örtlichen Beirat die Interessen der erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden nicht zwingend vertreten sind, und somit das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Jobcenter und Betroffenen vertieft werde (so Sokoll, Hans-Peter; Weinbach, Christine (2017): Repräsentation durch institutionalisierte Gegen- Deutscher Bundestag Drucksache 19/15891 19. Wahlperiode 12.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 10. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. macht: Unabhängige Beratungsstellen für Erwerbslose im Rechtskreis SGB II, in: WISO Direkt 24/2017, www.library.fes.de/pdf-files/wiso/13637.pdf). 1. In wie vielen Jobcentern (gemeinsame Einrichtungen, gE) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch die Öffentlichen Beiräte eine Stellungnahme gemäß § 16i Absatz 9 SGB II eingeholt? In wie vielen Jobcentern (gE) wurden Maßnahmenplätze nach § 16i SGB II eingerichtet, ohne dass eine Stellungnahme nach § 16i Absatz 9 SGB II vorliegt? In wie vielen Jobcentern (gE) hat das Jobcenter eine von der Stellungnahme nach § 16i Absatz 9 SGB II abweichende Festlegung der Einsatzfelder getroffen, und viele Jobcenter davon haben dies schriftlich begründet? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Daten vor. Die Verantwortung für die Zusammenarbeit mit den Örtlichen Beiräten liegt dezentral bei den gemeinsamen Einrichtungen (gE) in der gemeinsamen Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des jeweiligen kommunalen Trägers. 2. Hat die Bundesregierung darüber Kenntnis, ob und inwieweit die Örtlichen Beiräte dazu befähigt und in der Lage sind, qualifizierte Aussagen zu Wettbewerbsverzerrungen sowie Verdrängungseffekten durch nach § 16i SGB II geförderte Arbeitsverhältnissen zu treffen? 3. Trifft es zu, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass die Mitglieder der Örtlichen Beiräte fachlich geeignet sind, qualifizierte Aussagen zu möglichen Wettbewerbsverzerrungen sowie Verdrängungseffekten durch nach § 16i SGB II geförderte Arbeitsverhältnissen sowie zur Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente und Eingliederungsmaßnahmen zu treffen, aber über keinerlei empirische Kenntnisse hierzu verfügt (vgl. Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 5 bis 9, auf Bundestagsdrucksache 17/12607)? Falls ja, will die Bundesregierung diesen Zustand beenden, indem sie z. B. eine Evaluierung oder eine Berichterstattung in Auftrag gibt? Gibt es hierzu bereits konkrete Pläne (Zeitrahmen, Zielstellung, Umfang etc.)? Falls nein, über welche wissenschaftlichen Kenntnisse verfügt die Bundesregierung (bitte Quellen und wesentliche Erkenntnisse benennen)? Die Fragen 2 bis 3 werden gemeinsam beantwortet. Wie auf Bundestagsdrucksache 17/12607 erläutert, geht die gesetzliche Regelung des § 18d des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) von der fachlichen Eignung der zu berufenden Mitglieder aus. Daten über die Arbeit der Örtlichen Beiräte werden nicht erhoben. Der Bundesregierung liegen weder statistische noch wissenschaftliche Erkenntnisse zur Befähigung einzelner Mitglieder in den Beiräten vor. Mit Blick auf seine Effektivität und Effizienz sowie die konkrete Implementation wird das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Regelungen des Teilhabechancengesetzes umfassend evaluieren. Für eine Evaluierung oder Berichterstattung im Hinblick auf Mitglieder der Örtlichen Beiräte sieht die Bundesregierung jedoch keinen Bedarf. Die gesetzlich geregelte Einrichtung von Örtlichen Beiräten ergänzt und konkretisiert die Verpflichtung der Träger von Eingliederungsleistungen, mit den Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarkts zusammenzuarbeiten (§ 18 SGB II). Der Beirat gewährleistet über seine Mitglieder die fachliche Unterstützung bei Drucksache 19/15891 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode der Auswahl von Eingliederungsmaßnahmen. Zur Abgabe einer Stellungnahme nach § 16i Absatz 9 SGB II sind indes ausschließlich die Mitglieder der Örtlichen Beiräte aufgefordert, die die Sozialpartner vertreten. Die Bundesregierung geht weiterhin davon aus, dass bei Berufung und Ernennung der Mitglieder der Örtlichen Beiräte auf die fachliche Eignung zur Umsetzung der Aufgaben des Beirates geachtet wird. Der Beirat ist ein unabhängiges Gremium, das auf Freiwilligkeit der zu berufenden Mitglieder beruht. Diese werden – in gE von der Trägerversammlung, in zugelassenen kommunalen Trägern von diesem selbst – ausschließlich auf Vorschlag der Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarktes bestellt, wobei die Personen nicht der vorschlagenden Institution angehören müssen. Die Bundesregierung wie auch die Träger achten diese Unabhängigkeit auch bei der Auswahl der für qualifizierte Aussagen zu möglichen Wettbewerbsverzerrungen sowie Verdrängungseffekten fachlich geeigneten Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner. 4. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass laut eines Berichts des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB 2019, Seiten 2, 11, 13 und 14) die Sozialpartner in gut 40 Prozent der Regionen ihre gesetzlichen Mitspracherechte nicht wahrnehmen können, da ihnen erforderliche Informationen , z. B. zu den konkreten bzw. geplanten Tätigkeiten der geförderten Personen oder zur Anzahl geförderter Arbeitsplätze im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft des Betriebs, durch die Jobcenter-Geschäftsführungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang geliefert wurden? Welche Schritte haben bzw. hat die Bundesregierung und/oder die Bundesagentur für Arbeit unternommen, um diesem unerwünschten Zustand abzuhelfen , bzw. welche Schritte werden konkret geplant (bitte ggf. mit Zeitplanung für die Umsetzung)? Die in den Örtlichen Beiräten vertretenen Sozialpartner sollen nach § 16i Absatz 9 SGB II zu den Einsatzfeldern der mit § 16i SGB II geförderten Arbeitsverhältnisse Stellung nehmen. Die Regelung nimmt demnach nicht konkrete Einsatzstellen in Bezug. Bei der Übermittlung von Informationen an den Beirat sind sozialdatenschutzrechtliche Belange zu berücksichtigen. Diese sind betroffen, sofern durch Angaben Rückschlüsse auf einzelne geförderte Personen oder auf bestimmte Arbeitgeber möglich wären. Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass dem gesetzlichen Auftrag der Örtlichen Beiräte Rechnung getragen wird, wenn die Jobcenter beispielweise folgende Angaben zur Verfügung stellen: 1. Benennung von konkreten Einsatzfeldern, 2. Anzahl der Arbeitgeber je Einsatzfeld, 3. Anzahl der (geplanten) Förderfälle je Einsatzfeld, 4. kurze Tätigkeitsbeschreibungen je Einsatzfeld. Die nicht repräsentativen Ergebnisse aus der Befragung der Beiräte bei den Jobcentern durch den Deutschen Gewerkschaftsbund macht sich die Bundesregierung nicht zu eigen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/15891 5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Sokoll und Weinbach (www.library.fes.de/pdf-files/wiso/13637.pdf, S. 2), dass die Position der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Jobcenter gestärkt werden sollte, um das nach Ansicht der Fragesteller asymmetrische Machtverhältnis zwischen Jobcenter und erwerbsfähigen Leistungsberechtigten besser zu balancieren ? Das Verhältnis zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten gestaltet sich auf der Grundlage der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Diese sehen Leistungsansprüche einerseits und Mitwirkungspflichten andererseits vor. 6. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, das nach Ansicht der Fragesteller asymmetrische Machtverhältnis zwischen Jobcenter und erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (eLB) auf organisationaler Ebene besser zu balancieren, z. B. durch Einbeziehung von eLB in die Örtlichen Beiräte (folgend: Repräsentation)? Hinsichtlich der dezentralen Verantwortung für die Bildung und Zusammenarbeit von und mit den Örtlichen Beiräten sowie die Unabhängigkeit des Gremiums wird auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. Der Bundesregierung ist bekannt, dass in einigen Bundesländern Förderprogramme zur Bildung und institutionellen Unterstützung unabhängiger Erwerbslosenberatungsstellen bestehen. Abschließende Erkenntnisse über bestehende und vorgesehene Programme liegen der Bundesregierung nicht vor. 7. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dagegen, dass Repräsentantinnen und Repräsentanten von eLB mit über die Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente und Eingliederungsmaßnahmen nach dem SGB II mitberaten? Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dafür, dass Repräsentantinnen und Repräsentanten von eLB mit über die Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente und Eingliederungsmaßnahmen nach dem SGB II mitberaten? Welche Gründe wiegen aus Sicht der Bundesregierung schwerer? Die Beurteilung der Möglichkeiten, der Form sowie der Vor- und Nachteile einer Einbeziehung von eLB in die Beratung bei der Auswahl und Gestaltung der Eingliederungsinstrumente und -maßnahmen nach dem SGB II hängen wesentlich von den örtlichen Gegebenheiten ab und obliegen den Akteuren des jeweiligen Arbeitsmarktes. Bezüglich der Zusammensetzung und der Unabhängigkeit des Örtlichen Beirats wird auf die Antwort zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. Die Bundesregierung merkt an, dass die Mitglieder eines Beirats in der Regel für längere Zeit bestellt werden. Ziel der Eingliederungsinstrumente und -maßnahmen des SGB II ist hingegen die Beendigung der Hilfebedürftigkeit und damit einhergehend, die Grundkonzeption, dass der Status als eLB ein lediglich vorübergehender ist. Drucksache 19/15891 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 8. Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung bisher darauf verzichtet, Repräsentantinnen bzw. Repräsentanten von eLB in die Aufzählung nach § 18d Satz 3 SGB II mit aufzunehmen? Spricht die Zielformulierung in § 1 Absatz 2 Satz 1 SGB II nach Sicht der Bundesregierung dafür, Repräsentantinnen bzw. Repräsentanten von eLB mit in die Aufzählung in § 18d Satz 3 SGB II mit aufzunehmen? Der nach § 18d SGB II zu gründende Örtliche Beirat schafft die Strukturen für die gesetzliche Verpflichtung der Träger nach § 18 SGB II zur Zusammenarbeit mit den Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarktes. Zielsetzung dieser Zusammenarbeit ist nach § 18 Absatz 2 SGB II insbesondere eine gleichmäßige oder gemeinsame Durchführung von Maßnahmen sowie die Verhinderung oder Aufdeckung von Leistungsmissbrauch. Die Zielformulierung in § 1 Absatz 2 Satz 1 SGB II betrifft die Eigenverantwortung der eLB im Hinblick auf ihre individuelle Situation am Arbeitsmarkt und die Beendigung ihrer Hilfebedürftigkeit. Ein Zusammenhang mit den Zielsetzungen des § 18d in Verbindung mit § 18 SGB II ist nicht gegeben. Gleichwohl sind die in § 18 Absatz 1 und § 18d Satz 3 SGB II enthaltenen Aufzählungen nicht erschöpft und schließen eLB demnach nicht aus. Anders als im Fall der in § 18 Absatz 1 SGB II genannten Institutionen und Interessengemeinschaften sind der Bundesregierung im Hinblick auf die Vertretung der Interessen von eLB keine bundesweit flächendeckenden Strukturen bekannt.  9. Wie viele Örtliche Beiräte gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in den 303 Jobcentern (gE), in denen eLB persönlich vertreten sind? Welche sind das (bitte diese Jobcenter benennen)? 10. Wie viele Örtliche Beiräte gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in den 303 Jobcentern (gE), in denen Vertreterinnen und Vertreter unabhängiger Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) bzw. unabhängiger Arbeitslosenzentren (ALZ) vertreten sind? Welche sind das (bitte jeweils Jobcenter und EBS bzw. ALZ benennen)? Die Fragen 9 bis 10 werden gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/15891 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333