Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Manuel Höferlin, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/15400 – Das Recht auf Vergessenwerden V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 13. Mai 2014 (C-131/12 – Google Spain) wurde datenschutzrechtlich Betroffenen das Recht eingeräumt, etwa von Betreibern einer Suchmaschine zu verlangen, dass bei der Suche nach ihrem Namen bestimmte Websites als Suchergebnisse nicht auftauchen und von Dritten somit vielfach schwerer auffindbar sind. Mit Artikel 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde dieses Recht auf Löschung bzw. „Recht auf Vergessenwerden“ im Unionsrecht gesetzlich verankert . Auf Grundlage dieser Regelung verhängte die französische Datenschutzbehörde CNIL eine Sanktion in Höhe von 100 000 Euro gegen die Google Inc., da sich diese in einem Fall weigerte, der Anordnung der CNIL Folge zu leisten, eine Auslistung von Suchergebnissen auf sämtlichen Domains des Suchmaschinenbetreibers auszuweiten. Die CNIL vertrat die Auffassung, dass eine solche Auslistung weltweite Wirkung erzeugen müsse, da weder das Internet noch das Recht auf den Schutz des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten an den Grenzen Frankreichs oder der Europäischen Union Halt mache. Mit Urteil vom 24. September 2019 entschied der EuGH (C-507/17 – Google vs. CNIL), dass Artikel 17 DSGVO nicht dazu verpflichtet , eine über die Grenzen der Europäischen Union hinausgehende Auslistung bzw. Löschung vorzunehmen. Zugleich stellt der EuGH fest, dass das Unionsrecht eine weltweite Auslistung auch nicht kategorisch verbietet, sodass nationale Behörden anhand nationaler Schutzstandards dazu befugt sind, nach Abwägung des Rechts auf den Schutz des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Information, auch eine weltweite Auslistung auf Grundlage von Artikel 17 DSGVO anordnen zu können. Deutscher Bundestag Drucksache 19/15894 19. Wahlperiode 12.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 9. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. 1. Wie viele Auslistungsanträge und sonstige in Verbindung mit dem Recht auf Vergessenwerden stehenden Anträge gibt es seit dem Google-Spain- Urteil jährlich nach Kenntnis der Bundesregierung, bei denen es zu einem behördlichen Tätigwerden oder gerichtlichen Verfahren in Deutschland gekommen ist (bitte nach Jahr, und wenn möglich, nach verantwortlicher Stelle aufschlüsseln)? Wie sind die Zahlen in der Europäischen Union? Der Bundesregierung liegen keine Zahlen im Sinne der Fragestellung vor. 2. Nach welchen Maßgaben überprüfen die Datenschutzaufsichtsbehörden nach Kenntnis der Bundesregierung, ob eine Auslistung in der Europäischen Union erfolgt ist und dass Nutzer keine Umgehungsmöglichkeit haben? Die aufsichtsrechtliche Durchsetzung des Rechts auf Löschung obliegt den unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden in eigener operativer Verantwortung . Die Maßgaben der Datenschutzaufsichtsbehörden sind der Bundesregierung nicht bekannt. 3. Inwieweit ist eine Geolokalisierung und das Geoblocking nach Ansicht der Bundesregierung effektive und ausreichende Mittel, um den Anforderungen des Artikels 17 DSGVO nach dem EuGH-Urteil vom 24. September 2019 (C-507/17) Rechnung zu tragen? Die Beurteilung, inwieweit eine Geolokalisierung und Geoblocking ein effektives und ausreichendes Mittel ist, um den Anforderungen des Artikels 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Rechnung zu tragen, obliegt den unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden in eigener operativer Verantwortung . 4. Sieht die Bundesregierung rechtlichen und technischen Handlungsbedarf, um die Umsetzung und Durchsetzung des Rechts auf Vergessenwerden durch deutsche Datenschutzbehörden zu gewährleisten? Welche Vollzugsdefizite bestehen nach Ansicht der Bundesregierung bisher? Das Recht auf Löschung folgt unmittelbar aus Artikel 17 DSGVO; insofern sieht die Bundesregierung keinen rechtlichen Handlungsbedarf. Die Beurteilung des technischen Handlungsbedarfs obliegt den unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden in eigener operativer Verantwortung. 5. Welchen Regelungsbedarf sieht die Bundesregierung zur Gewährleistung des Rechts auf Vergessenwerden im Hinblick auf die Blockchain- Technologie? Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Regelungsbedarf zur Gewährleistung des Rechts auf Vergessenwerden im Hinblick auf die Blockchain-Technologie. Drucksache 19/15894 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Wie bewertet die Bundesregierung das Urteil des EuGHs vom 24. September 2019 (C-507/17), und welche Schlussfolgerung zieht sie daraus für ihre Politik? 7. Besteht nach Ansicht der Bundesregierung vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils vom 24. September 2019 (C-507/17, insbesondere Rn. 72) Raum für nationale Schutzstandards im Bereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Rechts auf die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme? 8. Welche Spielräume eröffnen sich durch das Urteil des EuGHs vom 24. September 2019 (C-507/17) nach Ansicht der Bundesregierung für den deutschen Gesetzgeber? Wie plant die Bundesregierung, diese Spielräume zu nutzen? Die Fragen 6 bis 8 werden zusammen beantwortet. Die Folgerungen aus dem Urteil des EuGH vom 24. September 2019 (C-507/17) werden derzeit geprüft. 9. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die betroffene Person, welche die Löschung von Suchergebnissen nach der DSGVO verlangen kann, die Auslistung weltweit in allen Versionen einer Suchmaschine verlangen können sollte? Welche Gründe liegen der Einschätzung der Bundesregierung zugrunde? Wird sich die Bundesregierung für eine Änderung der DSGVO in diesem Punkt einsetzen? Wenn nein, warum nicht? Änderungen an der DSGVO vorzuschlagen, liegt im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission. Derzeit wird die DSGVO evaluiert. Die Bundesregierung beteiligt sich an der Erarbeitung einer gemeinsamen Stellungnahme der Mitgliedstaaten im Rat. In diesem Rahmen ist das Recht auf Vergessenwerden bisher nicht problematisiert worden. Aus Sicht der Bundesregierung sind Änderungen des Art. 17 DSGVO derzeit nicht angezeigt. 10. Was sind nach Ansicht der Bundesregierung die „wirksamen Maßnahmen “, mit denen die Nutzer einer Internetsuchmaschine „daran gehindert oder zuverlässig davon abgehalten werden“, auf bestimmte Versionen einer Suchmaschine zuzugreifen (EuGH, C-507/17, Rn. 70)? Die Beurteilung dessen obliegt den unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden in eigener operativer Verantwortung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/15894 11. Kann nach Ansicht der Bundesregierung eine betroffene Person einen solchen Anspruch auf Auslistung in allen Versionen einer Suchmaschine nach aktueller deutscher Rechtslage geltend machen, z. B. auf Basis zivilrechtlicher Regelungen? Wenn ja, auf welcher Grundlage? Wenn nein, plant die Bundesregierung eine Änderung des deutschen Rechts, oder warum hält sie eine Änderung für nicht erforderlich? 12. Können die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden oder andere Behörden nach Ansicht der Bundesregierung eine Anordnung gegenüber einem Suchmaschinenbetreiber erlassen, in der sie ihn verpflichten, Suchergebnisse aus allen Versionen seiner Suchmaschine zu entfernen und ggf. ein Bußgeld androhen oder verhängen? Wenn ja, was ist aus Sicht der Bundesregierung für beides die Rechtsgrundlage ? Wenn nein, ist die Bundesregierung der Ansicht, dass sie eine solche Rechtsgrundlage schaffen könnte, und plant sie es, oder warum sieht sie davon ab? 13. Falls eine betroffene Person einen Anspruch auf Auslistung aus allen Versionen einer Suchmaschine nach deutschem Recht verlangen kann, richtet sich die zugrunde liegende Abwägung nach Ansicht der Bundesregierung dann nach dem Unionsrecht und der Grundrechte-Charta oder dem Grundgesetz bzw. nationalen Recht oder nach beidem? a) Wie kann und sollte nach Ansicht der Bundesregierung hier ein Gleichlauf zwischen dem Recht der Mitgliedstaaten erreicht werden? b) Ist es nach Ansicht der Bundesregierung möglich, dass ein Anspruch auf Auslistung aus allen mitgliedstaatlichen Versionen einer Suchmaschine nach Artikel 17 DSGVO nicht begründet ist, wohl aber aus den jeweiligen Versionen auf Basis des nationalen Rechts? 14. Welche Regelungen des internationalen Rechts sind nach Ansicht der Bundesregierung bei der Anwendung eines solchen Anspruchs auf Auslistung aus allen Versionen einer Suchmaschine zu beachten? Die Fragen 11 bis 14 werden zusammen beantwortet. Nach Auffassung der Bundesregierung hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache EuGH, C-507/17 (Google Spain) entschieden, dass eine betroffene Person nach Artikel 17 DSGVO gegen den Betreiber einer Suchmaschine keinen Anspruch auf Auslistung aus allen Versionen einer Suchmaschine geltend machen kann, sondern nur in allen mitgliedstaatlichen Versionen. Soweit Artikel 23 DSGVO eine Öffnungsklausel für die Mitgliedstaaten im Bereich der datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte, einschließlich Artikel 17 DSGVO enthält, können nur Beschränkungen der Betroffenenrechte geregelt werden. Für die Regelung eines Anspruchs auf Auslistung aus allen Versionen einer Suchmaschine im Bundesdatenschutzgesetzbesteht daher kein Spielraum. Soweit es das Datenschutzrecht betrifft, obliegt die Beurteilung der gestellten Fragen den unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden in eigener operativer Verantwortung. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche können sich im Falle einer schuldhaften Rechtsverletzung auch nach den Grundsätzen der § 1004 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) analog i. V. m. § 823 BGB ergeben. Drucksache 19/15894 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 15. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die weltweite Durchsetzung deutscher Schutzstandards auch jenseits des Datenschutzrechts, etwa bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Hass-Postings, die nach dem EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2019 (C-18/18 – Facebook Irland vs. Glawischnig-Piesczek) unter ähnlichen Voraussetzungen zu beurteilen sind, anzustreben? a) Ergeben sich nach Ansicht der Bundesregierung unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe über die extraterritoriale Wirkung behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen bei persönlichkeitsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Sachverhalten? b) Welche Regelungen des internationalen Rechts (vgl. EuGH, C-507/17, Rn. 51) sind bei den jeweiligen Sachverhalten zu beachten , und welchen Einfluss haben sie auf die Durchsetzung des Anspruchs ? Die Fragen 15 bis 15b werden gemeinsam beantwortet. Im Bereich des internationalen Rechts ist bei Hass-Postings im Internet für die Frage der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen maßgeblich, die auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen erfasst. Dagegen sind außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung, ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ausgenommen. Im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine Person, deren Mittelpunkt ihrer Interessen sich in Deutschland befindet, wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet beispielsweise Ansprüche auf Verpflichtung zur Entfernung persönlichkeitsrechtsverletzender Kommentare und auf Ersatz des gesamten Schadens vor deutschen Gerichten geltend machen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Oktober 2017 – C-194/16, Bolagsupplysningen OÜ, Ingrid Ilsjan ./. Svensk Handel AB). Es ist davon auszugehen, dass für solche deliktischen Ansprüche bereits derzeit insgesamt deutsches Recht angewandt werden kann (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 489/16). Unterschiede zwischen persönlichkeitsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Sachverhalten sind bei der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 nicht vorgesehen. 16. Welche Auswirkungen haben die beiden EuGH-Urteile C-507/17 und C-18/18 nach Ansicht der Bundesregierung auf das am 30. Oktober 2019 von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität? Da das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität weder die Auslistung auf verschiedenen Domains einer Suchmaschine noch die Möglichkeit einer von beleidigenden Äußerungen betroffenen Person, vom Diensteanbieter das Abstellen oder die Verhinderung solcher Äußerungen zu verlangen, betrifft, haben die genannten Urteile auf das Maßnahmenpaket keine Auswirkungen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/15894 17. Wie schätzt die Bundesregierung mögliche Reaktionen von Drittstaaten auf eine weltweite Durchsetzung von Europarecht oder nationalem Recht ein? Besteht nach Ansicht der Bundesregierung die Gefahr, dass Drittstaaten, die hiernach am Zugang zu Informationen gehindert werden, im Gegenzug Personen aus den Staaten der Europäischen Union am Zugang zu Informationen hindern? Erkenntnisse zu den Haltungen von Drittstaaten liegen der Bundesregierung nicht vor. 18. Ist der Bundesregierung bekannt, ob Mitgliedstaaten der Europäischen Union beabsichtigen oder erwägen, auf Grundlage der EuGH-Urteile C-507/17 und C-18/18 ihre nationalen Schutzstandards weltweit durchzusetzen ? Wenn ja, welche Haltung nimmt die Bundesregierung hierzu jeweils ein? Erkenntnisse zu den Haltungen der anderen Mitgliedstaaten liegen der Bundesregierung nicht vor. Drucksache 19/15894 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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