Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frank Schäffler, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/15519 – Geplante Reform des ESM insbesondere hinsichtlich Letztsicherung und kurzfristigen Kreditlinien V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die 19 nationalen Regierungen des Euro-Währungsgebiets haben sich darauf verständigt, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu reformieren. Die Reform sieht zwei wesentliche Neuerungen vor, die Weiterentwicklung der vorsorglichen Finanzhilfe und die Einführung einer Letztsicherung für den europäischen Bankenabwicklungsfonds (SRF). Der Bundesrechnungshof (BRH) hat die Vorhaben zum Anlass genommen, den Deutschen Bundestag in einem Bericht über die mit der Reform verbundenen Risiken für den Bundeshaushalt zu informieren. Darin hat der BRH u. a. bezweifelt, dass „fiskalisch und wirtschaftlich solide Mitgliedstaaten einer vorsorglichen Finanzhilfe bedürfen, selbst wenn diese von einem exogenen Schock getroffen würden.“ Hinsichtlich der Letztsicherung gab der BRH an, dass diese Fehlanreizen Vorschub leisten und die finanziellen Ressourcen des ESM überstrapazieren könnte (www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlich ungen/produkte/beratungsberichte/langfassungen/langfassungen-2019/2019-b ericht-risiken-einer-reform-des-europaeischen-stabilitaetsmechanismus-esm-f uer-den-bundeshaushalt-pdf). Deutscher Bundestag Drucksache 19/15973 19. Wahlperiode 13.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.  1. Soll es nach Kenntnis der Bundesregierung eine verbindliche Begrenzung des Letztsicherungsvolumens geben, sodass dieses nur durch eine erneute ESM-Vertragsänderung mit Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag erhöht werden könnte? a) Wenn ja, wie hoch soll die Begrenzung ausfallen? b) Wenn nein, warum nicht? c) Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich einer verbindlichen Begrenzung des Letztsicherungsvolumens bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene? Die Fragen 1 bis 1c werden gemeinsam beantwortet. Das im Rahmen der Letztsicherung als Kreditlinie des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) an den einheitlichen Abwicklungsfonds („Single Resolution Fund, SRF“) verfügbare Volumen unterliegt einer doppelten Begrenzung, die nicht zuletzt durch den nachdrücklichen Einsatz der Bundesregierung in den ESM-Rechtstexten verankert werden soll. Es handelt sich um die sogenannte nominale Obergrenze und das maximale Volumen. Dabei stellt die nominale Obergrenze eine von den ESM-Gouverneuren einstimmig festgelegte Obergrenze dar, die das maximale Volumen der Kreditlinie begrenzt. Der ESM- Gouverneursrat setzt sich aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets zusammen, welche die gewählten Regierungen der Euro-Staaten repräsentieren. Das maximale Volumen der Kreditlinie wird bei der Inkraftsetzung der Letztsicherung durch einstimmigen Beschluss des ESM-Direktoriums, in das jedes Mitgliedsland einen Vertreter entsendet hat, festgelegt – dieses maximale Volumen darf die nominale Obergrenze nicht übersteigen. Anpassungen am maximalen Volumen können nur durch einstimmigem Beschluss der ESM- Direktoren erfolgen, sofern das maximale Volumen an die Größe des SRF angepasst werden soll, so dass Deutschland über ein Vetorecht verfügt. Die Höhe der nominalen Obergrenze soll 68 Mrd. Euro betragen. Diese ergibt sich aus dem vereinbarten Gleichlauf des Volumens der Letztsicherung mit der Größe des SRF. Die Größe des SRF orientiert sich wiederum an der Entwicklung der gedeckten Einlagen, für 2024 schätzt der einheitliche Abwicklungsausschuss („Single Resolution Board, SRB“) mit einem SRF-Volumen von etwa 60 bis 71 Mrd. Euro. Die Beteiligung des Deutschen Bundestages bei Entscheidungen der ESM- Gremien über Festlegung und Änderungen der nominalen Obergrenze und des maximalen Volumens bedarf der Ausgestaltung im ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG). Die Anpassung des ESMFinG wird derzeit innerhalb der Bundesregierung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, namentlich die besondere Bedeutung der haushalterischen Gestaltungsfreiheit für den demokratischen Rechtsstaat, im Einzelnen geprüft. Es liegt noch kein abgestimmter Referentenentwurf vor. Das geltende ESMFinG sieht für Beschlüsse der ESM-Gremien über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel einen Parlamentsvorbehalt vor (§ 4 Absatz 1 Nummer 4 ESMFinG). Drucksache 19/15973 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 6), dass durch die ESM-Letztsicherung „die Haftung für Risiken im europäischen Bankensektor auf der Ebene der öffentlichen Mittel vergemeinschaftet“ würden? Der Bundesrechnungshof (BRH) verweist in seinem Bericht auf mögliche Fehlanreize und eine mögliche Überstrapazierung der finanziellen Ressourcen des ESM. Zu beachten ist, dass im Rahmen der ESM-Reform mit der Schaffung der Letztsicherung das Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung (DRI) abgeschafft werden soll. Dieses hat ein Volumen von 60 Mrd. Euro. Ein wesentlicher Unterschied dieser beiden Instrumente besteht darin, dass bei der Letztsicherung etwaige Verluste nicht, wie bei der DRI, direkt beim ESM anfallen – vielmehr würde in einem solchen Fall der SRB nachträglich außerordentliche Bankenabgaben erheben, um das Darlehen des ESM zurückzuzahlen. Der ESM prüft dazu bei der Auszahlungsentscheidung, ob die Rückzahlungsfähigkeit des SRB gesichert und das Kriterium der mittelfristigen Haushaltsneutralität (Rückzahlung über vom SRB erhobene Bankenabgaben über Zeitraum von drei bis max. fünf Jahren) erfüllt ist. Dies ist ein wichtiger Schutzmechanismus, für den sich die Bundesregierung in den Verhandlungen nachdrücklich eingesetzt hat. Zudem bestehen weitere Schutzmechanismen. Dazu gehört das als Auszahlungskriterium im ESM-Vertragswerk verankerte „Last-Resort“-Prinzip, nach dem die Letztsicherung nur als letztes Mittel („ultima ratio“) eingesetzt werden darf, wenn alle anderen Mittelquellen des SRF erschöpft sind. Zudem ist zur Aktivierung der Letztsicherung, wie bereits ausgeführt, eine einstimmige Entscheidung der ESM-Direktoren erforderlich. Darüber hinaus ist der Einsatz der Letztsicherung an die Einhaltung der Vorgaben des europäischen Abwicklungsrechts gekoppelt – auch dies stellt ein Auszahlungskriterium dar. Im europäischen Abwicklungsrecht ist zum Schutz öffentlicher Mittel eine klare Haftungskaskade vorgesehen, nach der Verluste von Banken in erster Linie von den Eigentümern und Gläubigern zu tragen sind. Insbesondere ist ein Einsatz des Abwicklungsfonds zur Verlusttragung nur möglich, wenn zuvor ein „Bail-in“ in Höhe von mindestens 8 Prozent der Bilanzsumme des abgewickelten Instituts erfolgt ist. Die Bundesregierung teilt daher die Auffassung des BRH nicht.  3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 4), dass „durch die als Regelfall vorgesehene kurze Entscheidungsfrist von zwölf Stunden die in Deutschland vorgesehene parlamentarische Befassung (...) zu einem rein formalen Akt zu werden“ drohe? Müsste nach Einschätzung der Bundesregierung der deutsche ESM- Gouverneur eine Auszahlung an den SRF ablehnen oder sich der Stimme enthalten, wenn aus zeitlichen Gründen das erforderliche zustimmende Votum des Deutschen Bundestages noch nicht vorliegt? Es liegt in der Natur von Abwicklungsentscheidungen, dass diese in sehr kurzer Zeit gefällt werden müssen. Im Grundsatz soll die Entscheidung binnen zwölf Stunden erfolgen. In Ausnahmefällen kann die Frist auf 24 Stunden verlängert werden. Die Ausgestaltung des ESM-Finanzierungsgesetzes (ESMFinG) hinsichtlich der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages bei der Letztsicherung wird derzeit innerhalb der Bundesregierung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben geprüft. Entsprechend der bisherigen Systematik der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages ist davon auszugehen, dass in dem Fall, in dem der Deutsche Bundestag innerhalb dieser Frist kein zustimmendes Votum erteilt hat, der deutsche Vertreter mit Nein stimmen müsste. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/15973  4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 24), dass der Bankensektor „für die Bereitstellung der Letztsicherung einen angemessenen Preis in Form einer ‚Versicherungsprämie‘ zahlen“ sollte (bitte begründen)? Die vorgesehenen Regelungen zur Letztsicherung enthalten eine klare Beteiligung des Finanzsektors an den entstehenden Kosten. Zum einen kann der SRB zur Rückzahlung der Letztsicherung außerordentliche Bankenabgaben erheben, welche sich maximal auf das Dreifache der regulären Bankenabgaben belaufen dürfen. Damit ist gewährleistet, dass letztlich der Bankensektor für etwaige anfallende Verluste aus Abwicklungsmaßnahmen aufkommt. Zudem ist im Vertragswerk zur Letztsicherung vorgesehen, dass der SRB dem ESM für die Bereitstellung und die Nutzung der Letztsicherung zur Zahlung von Zinsen und Gebühren verpflichtet ist, welche die Kosten der Letztsicherung inklusive einer angemessenen Marge abdecken sollen. Diese vom SRB zu zahlenden Zinsen und Gebühren werden letztlich vom Bankensektor getragen, da nicht nur der Abwicklungsfonds (über die Bankenabgabe), sondern auch die Ausgaben des SRB (im Wege eines Umlageverfahrens) letztlich durch den Bankensektor finanziert werden.  5. Soll nach Kenntnis der Bundesregierung die Letztsicherung auch für die Liquiditätsbereitstellung im Abwicklungsfall eingesetzt werden können (bitte erläutern)? Artikel 18a Absatz 1 ESM-Vertrag in der Fassung des Entwurfs des Übereinkommens zur Änderung des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden: ESM-Vertrag neu) sieht vor, dass der ESM dem SRB vorbehaltlich angemessener Schutzbestimmungen eine Letztsicherungsfazilität für alle im Recht der Europäischen Union vorgesehenen Verwendungsmöglichkeiten des SRF gewähren kann. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Liquidität im Rahmen der in der Verordnung des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus („Single Resolution Mechanism, SRM“) vorgesehenen Möglichkeiten. Für diesen speziellen Fall sind auf Initiative der Bundesregierung hin verschiedene Schutzbestimmungen vorgesehen. Dazu gehören die Möglichkeit der Auszahlung in Tranchen, eine ansteigende Marge, eine anfängliche Maturität des Darlehens von zwölf Monaten, eine erhöhte Berichtspflicht und die Erwartung, dass die Liquidität durch den SRB an die betroffene Bank auf besicherter Basis bereitgestellt wird. Diese Schutzbestimmungen sollen zusätzlich zu den allgemeinen Schutzvorkehrungen gelten, die für die Letztsicherung gelten. Dazu zählen unter anderem die nominale Obergrenze, das Einstimmigkeitserfordernis bei Auszahlungsentscheidungen und die mittelfristige Haushaltsneutralität bzw. Rückzahlung durch den SRB. Im Übrigen ist anzumerken , dass die Letztsicherung nicht direkt Banken Liquidität gewährt – vielmehr stellt die Letztsicherung eine Kreditlinie des ESM an den SRB dar. Der SRB kann die bewilligten Kredite unter Einhaltung der oben genannten Schutzbestimmungen entsprechend den Regelungen in der SRM-Verordnung zur Unterstützung von Abwicklungsmaßnahmen einsetzen. Drucksache 19/15973 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 27), dass die Übernahme der Liquiditätsbereitstellung im Abwicklungsfall die Gefahr berge, „die finanziellen Ressourcen des ESM rasch überzustrapazieren “ (bitte begründen)? Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung nicht. Für die Letztsicherung ist eine klare Volumenbeschränkung vorgesehen, wie in der Antwort zu Frage 1 ausgeführt. Diese Beschränkung soll das gesamte Volumen der für die Letztsicherung zur Verfügung stehenden Kredite, unabhängig vom Verwendungszweck , begrenzen. Zudem soll die Kontrolle über die Verwendung der ESM- Mittel durch die Notwendigkeit einer einzelfallbasierten, einstimmigen Entscheidung bei den Entscheidungsgremien des ESM liegen. Zudem begrenzen die in der Antwort zu Frage 5 aufgeführten Schutzbestimmungen nicht nur etwaige Risiken – die bei einer Liquiditätsunterstützung zudem grundsätzlich geringer ausfallen dürften als im Falle einer Rekapitalisierung – sondern auch die Laufzeit und damit die Mittelbindung der ESM-Kredite.  7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 27), dass die Übernahme der Liquiditätsbereitstellung im Abwicklungsfall zu befürchten stünde, „dass sich die Entscheidungsgremien des ESM genötigt sähen, die Obergrenze für die Letztsicherung anzuheben oder ganz auszusetzen“ (bitte begründen)? Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung nicht. Eine Aussetzung der nominalen Obergrenze ist weder in dem geänderten ESM-Vertrag noch in den anderen die Letztsicherung betreffenden Rechtstexten vorgesehen. Etwaige im Rahmen der nominalen Obergrenze mögliche Anpassungen des maximalen Kreditvolumens haben zudem mit der Anpassung an etwaige Veränderungen der SRF-Größe eine klare Zielsetzung. Entsprechend besteht ein klares Regelwerk, welches das Volumen der Letztsicherung begrenzt. Zu beachten ist auch, dass die Laufzeit von ESM-Krediten mit dem Zweck der Liquiditätsbereitstellung durch die Schutzvorkehrungen begrenzt werden und die bereitgestellten Mittel entsprechend früher an den ESM zurückfließen sollen.  8. Kann die Bundesregierung die seitens des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung genannten Bericht des BRH, dort S. 28) befürchtete Möglichkeit ausschließen, dass die Obergrenze für die Letztsicherung durch Einsatz von Garantien des öffentlichen Sektors ausgehebelt wird (bitte erläutern )? Nach aktuellem Verhandlungsstand gilt die nominale Obergrenze für die Letztsicherung in der in der Antwort zu Frage 1 beschriebenen Höhe; über die Letztsicherung hinaus sind keine weiteren Unterstützungen bzw. Instrumente zugunsten des SRB vorgesehen. Dies wurde durch die Entscheidung in der Eurogruppe im inklusiven Format im Juni 2019 bekräftigt: Dort wurde entschieden, die im ersten Halbjahr 2019 diskutierte Möglichkeit zur Schaffung zusätzlicher ESM-Instrumente zur Liquiditätsbereitstellung im Abwicklungsfall und die diesbezüglich in Entwürfen des ESM-Vertrages enthaltene Klausel zu streichen. Dies ist nicht zuletzt auf die klare, ablehnende Positionierung der Bundesregierung zu dieser Frage zurückzuführen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/15973  9. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Verhandlungsstand hinsichtlich der Abschaffung des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung ? Welche Position vertritt die Bundesregierung in den jeweiligen Verhandlungen ? Die Eurogruppe in erweitertem Format hat sich bei der Einigung auf die Eckpunkte der ESM-Reform am 4. Dezember 2018 auf eine Abschaffung des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung zu dem Zeitpunkt der Einführung der Letztsicherung verständigt. Teil des von der Eurogruppe am 4. Dezember 2019 im Grundsatz vereinbarten Gesamtpakets der ESM-Reform ist daher ein Beschluss des ESM-Gouverneursrates zur Abschaffung des Instruments der Direkten Bankenrekapitalisierung. 10. Teilt die Bundesregierung die Zweifel des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 6), ob „fiskalisch und wirtschaftlich solide Mitgliedstaaten einer vorsorglichen Finanzhilfe bedürfen, selbst wenn diese von einem exogenen Schock getroffen würden“? Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BRH, „dass auch Mitgliedstaaten auf dieses Instrument zugreifen können, die aufgrund struktureller Defizite oder einer unsoliden Fiskalpolitik in Schwierigkeiten geraten sind“? Es ist denkbar, dass fiskalisch und wirtschaftlich solide Mitgliedstaaten durch einen exogenen Schock außerhalb ihrer politischen Kontrolle getroffen werden und in diesem Fall auf die vorsorglichen Finanzhilfen angewiesen sind, um nicht der Gefahr des schleichenden Verlustes des Marktzugangs ausgesetzt zu sein. Die Grundidee der vorsorglichen Finanzhilfe ist die Erteilung eines „Gütesiegels durch den ESM“, um das Marktvertrauen in den Staat zu stärken, so dass der betreffende Staat sich weiterhin am Markt finanzieren kann. Durch die frühzeitige vorsorgliche Finanzhilfe soll ein Ausbreiten von Krisen und damit eine Destabilisierung der Währungsunion insgesamt vermieden werden. So ist Artikel 14 Absatz 1 ESM-Vertrag neu mit dem Hinweis versehen, dass vorsorgliche ESM-Finanzhilfeinstrumente der Unterstützung von ESM- Mitgliedern mit gesunden wirtschaftlichen Eckdaten dienen, die von einem negativen Schock beeinträchtigt werden könnten, der sich ihrer Kontrolle entzieht . Vor diesem Hintergrund wurden mit der ESM-Reform die Zugangskriterien der vorsorglichen Finanzhilfe noch anspruchsvoller formuliert, um nur fiskalisch und wirtschaftlich soliden Mitgliedstaaten Zugang zu ermöglichen. Die Einführung von quantitativen Referenzwerten bei den Fiskalkriterien erhöht die Zugangshürden zusätzlich. Eine solche sogenannte „Ex-ante Konditionalität“ ist auch mit dem in Artikel 125, 136 Absatz 3 AEUV und Artikel 3 ESM-Vertrag verankerten Grundsatz der „strikten Konditionalität“ vereinbar. Bereits in der aktuellen Fassung des Artikel 12 Absatz 1 ESM-Vertrag ist geregelt, dass ESM-Stabilitätshilfen an Euro-Mitgliedstaaten mit „strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen“ verbunden sein müssen. Weiter heißt es: „Diese Auflagen können von einem makroökonomischen Anpassungsprogramm bis zur kontinuierlichen Erfüllung zuvor festgelegter Anpassungsvoraussetzungen reichen .“ Mitgliedstaaten mit starker Haushaltsschieflage oder erheblichen makroökonomischen Ungleichgewichten müssen wie bisher makroökonomische Anpassungsprogramme mit strengen Reform- und Fiskalauflagen beantragen. Denn hier würde das Konzept der vorsorglichen Finanzhilfe nicht greifen. Drucksache 19/15973 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Weiterhin bleibt der Zugang zu der vorsorglich bedingten Kreditlinie („Precautionary Conditioned Credit Line“, PCCL) und der Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen („Enhanced Conditions Credit Line“, ECCL) gemäß des Ultimaratio -Prinzips auf Fälle begrenzt, bei denen dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist. Auch die vorsorglichen Stabilitätshilfen werden gemäß dem Verfahren von Artikel 13 ESM-Vertrag genehmigt, der in Absatz 1 Buchstabe a eine Prüfung der Gefährdung der Finanzstabilität vorschreibt. 11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 19), dass die Kommission bei der Frage der quantitativen Fiskalkriterien zur vorsorglich bedingten Kreditlinie keinen Ermessensspielraum erhalten sollte ? Bei den Verhandlungen zur ESM-Reform war es ein Anliegen der Bundesregierung , die quantitativen Referenzwerte so auszugestalten, dass keine Beurteilungsspielräume verbleiben und diese leicht überprüfbar sind. Diese Referenzwerte sind nun im Anhang III Ziffer 2 ESM-Vertrag neu festgehalten: (i) ein gesamtstaatliches Defizit von höchstens 3 Prozent des BIP; (ii) ein gesamtstaatlicher struktureller Haushaltssaldo in Höhe oder oberhalb des länderspezifischen Mindestreferenzwerts; (iii) ein Schuldenstands-Referenzwert, der eine gesamtstaatliche Schuldenquote von unter 60 Prozent des BIP oder eine Verringerung des Abstands zur 60-Prozent-Marke in den vorangehenden zwei Jahren um durchschnittlich ein Zwanzigstel jährlich beinhaltet. Die Überprüfung der Zugangskriterien erfolgt über diese quantitativen fiskalischen Referenzwerte hinaus auch auf der Grundlage von ebenfalls in Anhang III Ziffer 2 ESM-Vertrag neu aufgeführten qualitativen Zugangskriterien. Es besteht zwar auch künftig ein – begrenzter – Beurteilungsspielraum, dieser allerdings auf der Basis dieser deutlich strengeren Zugangskriterien. Zudem ist zu beachten, dass künftig die Europäische Kommission und der ESM gemeinsam prüfen, ob der antragstellende Mitgliedstaat die Zugangsvoraussetzungen für die vorsorglichen ESM-Finanzhilfen erfüllt. Mit der Einbeziehung des ESM wird gewährleistet, dass die Prüfung auch aus dem Blickwinkel eines Kreditgebers erfolgt, was in den Verhandlungen insbesondere für die Bundesregierung ein wichtiges Anliegen war. Weiterhin gilt: Der ESM-Vertrag eröffnet für Euro-Mitgliedsstaaten keinen Rechtsanspruch auf Stabilitätshilfen. Gemäß Artikel 13 Absatz 2 und 3 ESM- Vertrag entscheidet ausschließlich der ESM-Gouverneursrat einstimmig, ob er eine vorsorgliche Stabilitätshilfe gewährt oder nicht. Nach den Bestimmungen des ESM-Finanzierungsgesetzes (ESMFinG) können ESM-Stabilitätshilfen nur mit Zustimmung des Plenums des Deutschen Bundestages gewährt werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/15973 12. Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung des von der Eurogruppe am 13. Juni 2019 beschlossenen und vom Eurogipfel am 21. Juni 2019 gebilligten ESM-Änderungsvertrages den Entwurf eines Zustimmungsgesetzes zuzuleiten? Falls ja, wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung einen Verweis auf Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 2 GG (Zwei-Drittel-Mehrheit) enthalten (bitte begründen)? Die Fragen 12 und 14 werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung plant zeitnah nach der Unterzeichnung des Übereinkommens zur Änderung des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus die Gesetzgebungsverfahren zur Ratifizierung des Übereinkommens und zur Anpassung der Beteiligungsrechte im ESM-Finanzierungsgesetz (Änderungsgesetz zum ESMFinG) einzuleiten. Die Frage der Mehrheitserfordernisse wird derzeit noch geprüft. 13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BRH (vgl. den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Bericht des BRH, dort S. 7), dass die Bundesregierung sicherstellen sollte, dass a) „der Leitgedanke des ESM-Vertrages aufrechterhalten wird, indem Stabilitätshilfen nur als ‚letztes Mittel‘ gewährt und grundsätzlich mit Reformauflagen verknüpft werden“? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um dies zu gewährleisten ? b) „die Risiken aus den jeweiligen nationalen Bankensektoren nicht auf Ebene der öffentlichen Mittel vergemeinschaftet werden“? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um dies zu gewährleisten ? c) „der ESM sich nicht in einen Bankenrettungsmechanismus verwandelt , indem das Volumen der hierfür bereitzustellenden ESM-Mittel begrenzt wird“? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um dies zu gewährleisten ? d) „eine inhaltlich fundierte Befassung zum Einsatz der Letztsicherung nicht durch zu kurze Entscheidungsfristen verhindert wird“? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um dies zu gewährleisten ? Zu den Fragen 13a bis 13c wird auf die Antworten zu den Fragen 10 sowie 2 bzw. Fragen 1 und 6 verwiesen. Zu der Frage 13d wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Zur inhaltlichen Fundierung der Entscheidung zur Aktivierung der Letztsicherung ist vorgesehen, dass die ESM-Direktoren über alle relevanten Informationen verfügen müssen. 14. Welchen Zeitplan verfolgt die Bundesregierung hinsichtlich der Ratifizierung des ESM-Änderungsvertrags? Für wann plant sie ggf. die Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag? Es wird auf die Antwort zu der Frage 12 verwiesen. Drucksache 19/15973 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333