Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Clemens Hocker, Frank Sitta, Carina Konrad, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/15334 – Auswirkungen des Wolfes auf die Biodiversität in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Wiederansiedlung und der strenge Schutzstatus des Wolfes in Deutschland führen nach Wahrnehmung der Fragesteller zunehmend zu Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung. Ursächlich dafür sind vor allem die durch den Wolf verursachten Schäden und Kosten für die Nutztierhalter, insbesondere die Weidetierhalter. In der Konsequenz wird das Halten von Haustieren, Weideund Nutztieren unattraktiver. Schlussendlich stehen die Tierhalter vor der Entscheidung , ob sie die entstandenen Schäden tolerieren oder die Tierhaltung einstellen. Durch diesen Konflikt besteht nach Auffassung der Fragesteller das Potenzial einer nachhaltigen Veränderung der Kulturlandschaft im ländlichen Raum. Denn eine ausgeprägte Weidetierhaltung trägt bisher zum Erhalt des Offenlandes und im Rahmen der Deichbeweidung zur Sicherheit der Menschen in unserem Land bei. Artenschutz und Biodiversität stehen, zum Beispiel durch die Schaffung von Lebensräumen für Wiesenbrüter und Insekten, in enger Verbindung zur Weidewirtschaft. Diese Anfrage soll daher als Grundlage einer weitergehenden Betrachtung des Umgangs mit den Wölfen und der Auswirkungen auf die Biodiversität in Deutschland dienen. 1. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Wölfe seit dem Jahr 1998 in Deutschland entwickelt, und welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus diesem Trend für die zukünftige Entwicklung des Bestandes? Faktisch galt der Wolf seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland nach jahrhundertelanger Verfolgung als ausgerottet. Der Wolfsbestand in Deutschland ist seit dem Jahr 1998 – wie bei der Wiederbesiedlung eines Gebiets durch eine zuvor ausgestorbene Art üblich – ansteigend. Nachdem im Jahr 1998 in der Lausitz erste Individuen gesichtet worden waren, fand im Jahr 2000 die erste wissenschaftlich nachgewiesene Reproduktion statt. Im Monitoringjahr 2018/2019 gab es nach Angaben der DBBW 105 Rudel, 25 Paare und 13 terri- Deutscher Bundestag Drucksache 19/16069 19. Wahlperiode 18.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 13. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. toriale Einzeltiere (Stand: 2. Dezember 2019). Eine wissenschaftlich fundierte Abschätzung einer zukünftigen Entwicklung des Bestandes ist nicht zielführend , da zu viele Parameter die Bestandsentwicklung beeinflussen, die nicht seriös abgeschätzt werden können. 2. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über die Ursachen der in der Antwort zu Frage 1 beschriebenen Entwicklung des Wolfsbestandes seit 1998 vor? Verantwortlich für die positive Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland sind geeignete Habitatbedingungen auch in der Kulturlandschaft in Verbindung mit einem strengen Schutzstatus der Art auf nationaler sowie europäischer Ebene (BNatSchG, FFH-Richtlinie) sowie eine hohe Adaptionsfähigkeit des Wolfes. 3. Bis zu welchem Punkt der in der Antwort zu Frage 1 prognostizierten zukünftigen Entwicklung soll sich der Wolfsbestand in Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung noch ohne eine reguläre Bejagung entwickeln können? Die Zulassung einer regulären Bejagung wäre nach den Vorgaben der FFH- Richtlinie nicht EU-rechtskonform. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Wie groß ist nach Kenntnis der Bundesregierung ein Wolfsrevier in Deutschland, und welche Unterschiede gibt es dabei ggf. in den einzelnen Bundesländern bzw. je nach Eigenschaften des Habitats? Basierend auf telemetrischen Untersuchungen von einzelnen Individuen sowie Erfahrungen aus dem Wolfsmonitoring wird die durchschnittliche Größe der Wolfsterritorien in Deutschland auf 200 bis 250 km² geschätzt. 5. Wie viel Prozent der Landfläche in Deutschland sind durch Wölfe besetzt? Mit Bezugnahme auf die Angaben im FFH-Bericht 2019, welcher die Berichtsperiode von 2013 bis 2018 betrifft, umfasst das Verbreitungsgebiet, in dem der Wolf dauerhaft nachgewiesen wird, in beiden biogeografischen Regionen insgesamt 8,5 Prozent der Landfläche Deutschlands. Für weitere Angaben zur Berechnung des Verbreitungsgebiets beim Wolf sowie die Abgrenzung zum aktuellem Vorkommensgebiet (www.dbb-wolf.de/Wolfsvorkommen/besetzte-Raste rzellen) wird auf die Antwort zu Frage 2 auf Bundestagsdrucksache 19/15101 verwiesen. 6. In wie vielen Mitgliedstaaten der EU gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Wölfe, und wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der Bestände in diesen Ländern in den letzten 20 Jahren (bitte auch die aktuelle Größe der Bestände in den jeweiligen Mitgliedstaaten angeben)? Basierend auf den nationalen Berichten der europäischen Länder für den FFH- Bericht 2019 konnten neben Deutschland in 21 weiteren EU-Mitgliedstaaten Wölfe nachgewiesen werden. Der gemeinschaftliche Bericht der EU- Kommission zu Art. 17 der FFH-Richtlinie wird innerhalb von zwei Jahren erstellt und im Anschluss veröffentlicht. Ein Überblick über alle Mitgliedstaaten Drucksache 19/16069 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode und die Entwicklung der Wolfsbestände in den letzten 20 Jahren liegt der Bundesregierung nicht vor. 7. Wie viele Mitgliedstaaten der EU haben nach Kenntnis der Bundesregierung eine Obergrenze für Wölfe festgelegt, und bei welcher Anzahl Wölfe liegt diese Obergrenze in den jeweiligen Mitgliedstaaten? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 8. Welche Bedeutung hat nach Kenntnis und Auffassung der Bundesregierung der Wolfsbestand für die Biodiversität in Deutschland? Als natürlicher Bestandteil der heimischen Fauna ist der Wolf ebenso wie alle anderen Lebewesen Teil aller drei Ebenen, auf denen die Biodiversität betrachtet wird. Die drei Ebenen umfassen die Vielfalt der Ökosysteme (dazu gehören Lebensgemeinschaften, Lebensräume und Landschaften), die Artenvielfalt und drittens die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Er nimmt als größtes Landraubtier in Deutschland eine besondere Stelle im Ökosystem ein. 9. Wie wirkt sich die Neu- und anschließend dauerhafte Besiedlung eines Wolfsreviers nach Kenntnis der Bundesregierung auf die Biodiversität aus (bitte für alle Lebensraumtypen des europäischen Schutzgebietsystems Natura 2000 und für alle Kulturlandschaftstypen in Deutschland angeben)? 10. Welche Natura-2000-Lebensraumtypen sind nach Kenntnis der Bundesregierung besonders abhängig von der Besiedelung durch Wölfe, und welche Zeigearten sind durch den eventuellen Verlust der jeweiligen Lebensraumtypen in ihrer Population gefährdet? 11. Welche Kulturlandschaftstypen ohne FFH-Schutz (FFH = Fauna-Flora- Habitat) sind nach Kenntnis der Bundesregierung besonders abhängig von der Besiedelung durch Wölfe? 12. Welche Tier- und Pflanzenarten sowie Biotoptypen drohen nach Kenntnis der Bundesregierung verloren zu gehen, wenn es keine Wölfe mehr in Deutschland geben würde? 13. Welche Tier- und Pflanzenarten sowie Biotoptypen könnten von einer Ausdehnung des Wolfsbestandes in Deutschland profitieren? 14. An welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen macht die Bundesregierung die Antworten zu den Fragen 8 bis 13 fest? Die Fragen 9 bis 14 werden gemeinsam beantwortet. Der Wolf ist integraler Bestandteil der biologischen Vielfalt in Deutschland. Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16069 15. Wie entwickeln sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Wildbestände infolge einer Neu- und anschließend dauerhaften Besiedlung eines Wolfsreviers? Die Jagdstrecken in den von den Wölfen besiedelten Gebieten unterscheiden sich nach bisherigen Erkenntnissen nicht wesentlich von denen vergleichbarer benachbarter Gebiete. Als gesichert zu betrachten ist ein starker Einfluss von Wölfen auf die Bestände des aus den offenen Gebirgsregionen Korsikas und Sardiniens stammenden, vor über 100 Jahren in Deutschland angesiedelten und seitdem bei uns sich selbst erhaltend vorkommenden Mufflons. In Ausbreitungsgebieten des Wolfes brechen lokale Populationen des Mufflons, als im Flachland nicht auf diesen großen Beutegreifer angepasste Wildart, regelmäßig zusammen. Eine einheitliche, regelmäßige und flächendeckende Erfassung der Wildbestände (insb. Schalenwild) mit Blick auf die Ausbreitung des Wolfes erfolgt in Deutschland derzeitig nicht. 16. Wie groß ist nach Auffassung der Bundesregierung der durch die ökologischen Leistungen hervorgerufene gesamtgesellschaftliche ökonomische Nutzen des Wolfes in Deutschland, und welche ökologischen Leistungen sind besonders hervorzuheben? Als Teil der heimischen Fauna erfüllt der Wolf im Gefüge des Ökosystems die Funktion eines großen Landraubtiers. Der ökonomische Nutzen sowie die ökologische Leistung einer einzelnen Art ist aufgrund der Komplexität der zusammenhängenden Prozesse nicht ohne weiteres zu bestimmen. 17. Wie viele Kosten (z. B. durch Präventions- und Entschädigungsaufwendungen ) entstehen nach Kenntnis der Bundesregierung dem deutschen Staat seitdem es wieder Wölfe in Deutschland gibt (bitte tabellarisch für die letzten 20 Jahre, jedes Bundesland und insgesamt auflisten)? Die auf freiwilliger Grundlage durch die Länder zur Konfliktminimierung gewährte Förderung von Herdenschutzmaßnahmen und Schadensersatz leistet einen wesentlichen Beitrag, die mit Rückkehr und Ausbreitung des Wolfes entstehenden Belastungen der Nutztierhalter deutlich zu reduzieren. Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes trägt seit dem Jahr 2016 die Daten der Bundesländer zu Präventions- und Entschädigungsaufwendungen zusammen und für die Jahre 2015 bis 2017 liegen für jedes Bundesland Angaben zu Präventions- und Kompensationszahlungen vor (siehe Tabelle 1 und 2). Zusätzlich liegen für die Jahre 2000 bis 2014 Angaben zu den Kompensationsleistungen vor (s. Tabelle 1). Im Zeitraum 2000 bis 2017 haben die Bundesländer insgesamt in der Höhe von 671.004 Euro Schäden an Nutztieren kompensiert. Herdenschutzmaßnahmen wurden in den Jahren 2015 bis 2017 in Höhe von 3.471.773 Euro finanziert. Weitere Angaben zu durch den Wolf entstandenen Kosten in den Bundesländern liegen nicht vor. Tabelle 1: Ausgleichszahlungen für wolfsverursachte Nutztierschäden in den Bundesländern für den Zeitraum 2000 bis 2017. [€] BB BY HE MV NI NW RP SH SN ST TH BW 2000 – – – – – – – – – – – 2001 – – – – – – – – – – – 2002 – – – – – – – – 8.448 – – – Drucksache 19/16069 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode [€] BB BY HE MV NI NW RP SH SN ST TH BW 2003 – – – – – – – – – – – – 2004 – – – – – – – – 260 – – – 2005 – – – – – – – – – – – – 2006 – – – – – – – – 5.215 – – – 2007 556 – – 3.241 – – – – 15.952 – – – 2008 10.283 – 1.680 7.483 2.034 – – – 4.424 140 – – 2009 7.770 – 5.083 3.326 250 96 – – 2.061 – – – 2010 20.545 3.675 675 – – – – – 656 – – – 2011 15.158 – – 10.676 – – – – 6.066 4.859 – – 2012 9.102 – – 2.193 4.162 – – – 2.107 171 – – 2013 4.233 – – 569 10.860 – – 1.394 3.635 2.098 – – 2014 12.022 – – 5.961 21.591 373 – 2.607 9.186 7.311 – – 2015 13.625 1.493 – 10.849 23.861 – 267 36.118 14.301 6.620 650 – 2016 45.058 322 – 4.857 22.807 838 1.788 2.258 38.335 18.877 – – 2017 86.000 480 – 15.838 39.745 – – 1.257 25.023 9.761 8.850 940 Tabelle 2: Präventionszahlungen in den Bundesländern für die Jahre 2015 bis 2017. [€] BB HE MV NI SH SN ST TH 2015 136.586 – 45.973 338.503 96.220 311.261 115.266 2.046 2016 211.154 61.633 311.579 64.142 338.000 93.119 21.336 2017 277.698 7.000 138.176 487.502 14.998 258.400 135.923 5.259 18. Wie viele Kosten (z. B. durch Präventions- und Entschädigungsaufwendungen ) werden dem deutschen Staat nach Kenntnis der Bundesregierung bei der in der Antwort zu Frage 1 prognostizierten zukünftigen Entwicklung des Wolfsbestandes entstehen (bitte tabellarisch für die nächsten zehn Jahre, jedes Bundesland und insgesamt auflisten)? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Eine Prognose zu den künftig entstehenden Kosten ist vor dem Hintergrund der nicht prognostizierbaren Entwicklung des Wolfsbestandes nicht seriös möglich. 19. Wie bewertet die Bundesregierung den zunehmenden Wolfsbestand in Deutschland im Hinblick auf den Tierschutz, vor allem von Weidetieren? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 5 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP „Änderungen im Umgang mit dem Wolf“ auf Bundestagsdrucksache 19/11984 wird verwiesen. 20. Was nützt der Biodiversität nach Auffassung der Bundesregierung mehr, Weidetiere oder Wölfe? Wölfe als Habitatgeneralisten treten sowohl in der Kultur- als auch in der Naturlandschaft auf. Eine Gegenüberstellung der Wertigkeit von Weidetieren und Wölfen ist nicht möglich und wäre auch nicht sachgerecht. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 6 auf Bundestagsdrucksache 18/11707 verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/16069 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333