Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Achim Kessler, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/15680 – Kinder und Zwei-Klassen-Medizin V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung (WIP) zeigt sich, dass pro Kind deutlich mehr ausgegeben wird, wenn es privat und nicht gesetzlich versichert ist (vgl. www.wip-pkv.de/filead min/user_upload/WIP-Analyse_4_2019_Mehrumsatz_und_Leistungsausga ben_der_Privatversicherten_2019.pdf). Das gilt sowohl für Behandlungskosten in Arztpraxen sowie insbesondere für die Zahnmedizin und überwiegend auch für Arzneimittel. Der geringere Umsatz für privat versicherte Kinder in Krankenhäusern gegenüber gesetzlich versicherten trotz häufigerer Inanspruchnahme von Chefarztbehandlung und anderen Wahlleistungen deutet nach Ansicht der Fragesteller hingegen darauf hin, dass privat versicherte Kinder weniger ernsthafte Gesundheitsbeschwerden haben. Die größten Unterschiede gibt es bei der Zahnmedizin in den Jahren um das 15. Lebensjahr. Hier geben gesetzliche Krankenkassen etwa 400 Euro pro Jahr für ihre Versicherten aus, während für privat versicherte Jugendliche Leistungen für rund 1200 Euro von den Versicherungsunternehmen erstattet werden. Für drei gesetzlich versicherte Kinder wird also genauso viel ausgegeben wie für ein privat versichertes Kind. Die Eltern von gesetzlich versicherten Kindern zahlen oft hohe Summen als Eigenleistung, trotzdem dürfte sich nach Ansicht der Fragesteller die zahnmedizinische Versorgung insgesamt erheblich unterscheiden (www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Datei en/5_Publikationen/Praevention/Berichte/IGES_Gutachten_KfO.pdf). Es stellt sich nach Ansicht der Fragesteller die grundsätzliche Frage, weshalb unsere Gesellschaft für die gesundheitliche Versorgung einer Gruppe von Kindern deutlich mehr Ressourcen aufbringt als für eine andere Gruppe. Höhere Ausgaben in der privaten Krankenversicherung (PKV) kommen nach Ansicht der Fragesteller im Wesentlichen aus zwei Gründen zustande: Erstens durch die Begrenzung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf ausreichende, wirtschaftliche, zweckmäßige und notwendige Behandlung bzw. umgekehrt ausgedrückt durch Überversorgung in der PKV. Zweitens durch höhere Preise in der PKV für identische oder vergleichbare Leistungen. Wären diese Gründe nicht von hoher Relevanz, müssten aufgrund der in der PKV niedrigeren Krankheitslast die Kosten sogar geringer sein als in der GKV. Privat versicherte Kinder erhalten nicht notwendigerweise bessere Leistungen, Deutscher Bundestag Drucksache 19/16204 19. Wahlperiode 20.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 18. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. wohl aber bestehen Anreize für Arzt- bzw. Zahnarztpraxen und andere Leistungserbringende , möglichst viele privat versicherte Kinder trotz insgesamt niedrigeren Gesundheitsrisiken (www.thieme-connect.com/products/ejour nals/pdf/10.1055/s-0031-1301268.pdf) möglichst umfangreich zu behandeln – nach Ansicht der Fragesteller oft auch zu deren Nachteil (www.sueddeut sche.de/gesundheit/buergerversicherung-hoffentlich-nicht-privat-versichert-1. 3812302). V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Im deutschen Gesundheitssystem haben sowohl gesetzlich als auch privat versicherte Kinder Zugang zu einer Gesundheitsversorgung auf einem sehr hohen Niveau. Die genannte Studie des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung beziffert bzw. schätzt den Mehrumsatz je Privatversicherten gegenüber den hypothetischen Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die dergestalt angenommenen Mehrausgaben steigen tendenziell mit dem Alter der Versicherten an. Eine Ausnahme ist der Mehrumsatz bei zahnmedizinischer Behandlung von Jugendlichen, wobei generell die zahnmedizinischen Gesundheitsausgaben – sowohl in der GKV wie auch in der privaten Krankenversicherung (PKV) – insbesondere aufgrund der Inanspruchnahme kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen in dieser Altersspanne besonders hoch sind. Ein angenommener Mehrumsatz von privat Krankenversicherten kann unterschiedliche Gründe haben, beispielsweise unterschiedliche Honorierungen pro Leistung, eine unterschiedliche Morbidität oder ein unterschiedliches Behandlungsvolumen. Auf Grund dieser Komplexität lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus angenommenen Mehrumsätzen nicht unmittelbar auf mögliche Über- und Unterversorgung schließen.  1. Sind der Bundesregierung andere Analysen bekannt, die einen vergleichbaren Untersuchungsgegenstand haben wie die genannte? Wenn ja, welche, und was sind die Ergebnisse, Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Der Bundesregierung sind keine aktuellen Forschungsberichte bekannt, die spezifisch die Leistungs- und Ausgabenunterschiede bei Kindern in der PKV und der GKV untersuchen. Soweit sich die Analyse auf mögliche Unterschiede in der Morbidität von GKV- und PKV-Versicherten bezieht, wird auf die Antwort zu Frage 11 verwiesen.  2. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass einer Gesellschaft bezüglich ihres Gesundheitssystems alle Kinder gleich viel wert sein sollten ? Was tut sie dafür, bzw. wie rechtfertigt sie, dass nach Ansicht der Fragesteller dies nicht so geregelt ist? Das Gesundheitssystem in Deutschland ermöglicht allen Bürgerinnen und Bürgern – und damit auch allen Kindern – unabhängig vom Versichertenstatus eine medizinische Versorgung auf einem – auch im internationalen Vergleich – sehr hohen Niveau. Die medizinische Versorgung hat unabhängig vom Versicherungsstatus grundsätzlich leitliniengerecht zu erfolgen und dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen. Drucksache 19/16204 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  3. Wird die Bundesregierung bei der Novellierung der Gebührenordnung der Ärztinnen und Ärzte (GOÄ) berücksichtigen, dass die Honorare für die Behandlung privat versicherter Kinder an die der gesetzlich versicherten angeglichen werden? Im Hinblick auf diese Frage bleibt zunächst der Bericht der Wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungswesen (KOMV) und dessen fachliche Bewertung sowie der gemeinsame Vorschlag der Bundesärztekammer und des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V. für eine umfassende Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und dessen fachliche Prüfung abzuwarten.  4. Wird die Bundesregierung dies bei ihrem im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgehaltenen Vorhaben, ein „modernes Vergütungssystem “ zu schaffen, berücksichtigen? Ist bei dem Auftrag an die wissenschaftliche Kommission dieser Umstand berücksichtigt worden und ihr als Ziel insbesondere die Angleichung der Vergütungssysteme für Kinder gegeben worden?  5. Macht sich die Bundesregierung die Forderung des Koalitionsvertrags zu eigen, die bezüglich der Reform der ambulanten Vergütung nur auf die GOÄ und den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (also die ärztliche Versorgung ) abzielt, nicht aber auf die Gebührenordnung für Zahnärztinnen und Zahnärzte und den Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA)? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die KOMV hat den Auftrag, Vorschläge für ein modernes ambulantes ärztliches Vergütungssystem unter Berücksichtigung aller hiermit zusammenhängenden medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen vorzulegen. Dies umfasst alle Patientengruppen. Der zahnärztliche Bereich ist entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrags vom Auftrag nicht umfasst.  6. Kann die Bundesregierung Beispiele geben, welche vergleichbaren Leistungen für privat versicherte und gesetzlich versicherte Kinder besonders unterschiedlich vergütet werden?  7. Kann die Bundesregierung Beispiele geben, welche vergleichbaren Leistungen für privat versicherte und gesetzlich versicherte Kinder sehr ähnlich oder gleich vergütet werden? Die Fragen 6 und 7 werden aufgrund des sachlichen Zusammenhanges gemeinsam beantwortet. Es ist aus Sicht der Bundesregierung aufgrund der grundlegend unterschiedlichen Systematiken und der unterschiedlichen in den einzelnen Gebührenpositionen abgebildeten Leistungsinhalte der vertragsärztlichen und der privatärztlichen Vergütung nicht zielführend, einzelne Beispiele zu benennen, in denen sich unter bestimmten Umständen und Annahmen ähnliche oder besonders unterschiedliche Vergütungen ergeben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16204  8. Kann die Bundesregierung Beispiele für Leistungen bei Kindern geben, die die PKV regelmäßig erstattet, jedoch nicht im Leistungskatalog der GKV enthalten sind? Der Leistungsumfang der GKV ist größtenteils gesetzlich vorgegeben und wird durch Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) auf der Grundlage wissenschaftlicher Evidenz konkretisiert und fortgeschrieben. In einzelnen Leistungsbereichen haben Krankenkassen zudem die Möglichkeit, durch Satzungsregelung zusätzliche Leistungen kassenindividuell vorzusehen. Demgegenüber ist der Leistungsumfang in der PKV Bestandteil individueller vertraglicher Vereinbarungen zwischen Versicherungsnehmer bzw. Versicherungsnehmerin und dem privaten Versicherungsunternehmen. Leistungen, die „die PKV regelmäßig erstattet“, können insofern nicht zugrunde gelegt werden.  9. Sind der Bundesregierung derlei Leistungen bekannt, die sie für sinnvoll erachtet oder die der Forschungsstand zu evidenzbasierter Medizin empfiehlt ? Der Bundesregierung sind keine Leistungen im Sinne der Fragesteller bekannt. Auch hier ist auf die stetige Überprüfung und Fortentwicklung der Leistungen der GKV durch den G-BA zu verweisen. 10. Sind der Bundesregierung Untersuchungen zu Wartezeiten bei Kinderärztinnen und Kinderärzten bekannt, die sich mit möglichen Unterschieden bezüglich gesetzlich und privat versicherter Kinder befassen? Wenn ja, was sind die Ergebnisse? Der Bundesregierung sind bislang keine spezifischen Untersuchungen zu Wartezeiten bei Kinderärztinnen und Kinderärzten bekannt, die sich mit möglichen Unterschieden bezüglich gesetzlich und privatversicherten Kindern befassen. 11. Sind der Bundesregierung Untersuchungen über Unterschiede im Gesundheitszustand von privat und gesetzlich versicherten Kindern bekannt , und welche sind deren wichtigste Ergebnisse? Im Rahmen der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland des Robert Koch-Instituts (Basisuntersuchung der sog. KiGGS- Studie) wurde unter anderem untersucht, ob es bei Kindern und Jugendlichen Unterschiede im Gesundheitszustand nach Art der Krankenversicherung gibt (Huber et al. 2012*). Analysiert wurden z. B. körperliche Erkrankungen, die psychische Gesundheit sowie die Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Kinder und Jugendlichen durch ihre Eltern. Die Autorinnen und Autoren des Beitrags weisen darauf hin, dass sich der Einfluss des Versichertenstatus nicht ohne statistische Kontrolle sozioökonomischer Faktoren analysieren lässt. Wird die unterschiedliche Zusammensetzung des Versichertenkollektivs berücksichtigt, indem Unterschiede nach Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und sozioökonomischem Status statistisch ausgeglichen werden, lassen sich dieser Analyse zufolge keine signifikanten Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen GKV- bzw. PKV-versicherten Kindern finden. * Huber J, Lampert T, Mielck A (2012) Unterschiede bei Gesundheitsrisiken, Morbidität und gesundheitlicher Versorgung zwischen Kindern GKV- bzw. PKV-versicherter Eltern: Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Gesundheitswesen 74(10):627-638. Drucksache 19/16204 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 12. Wenn beide Versicherungsmöglichkeiten bestehen, beitragsrechtliche und andere Rahmenbedingungen keine Rolle spielen, würde die Bundesregierung werdenden Eltern bezüglich der Versorgung eher eine private oder eher eine gesetzliche Krankenversicherung bzw. Krankenkasse empfehlen? Falls die Bundesregierung hier keine Empfehlung geben kann, was wären die Vor- und Nachteile beider Varianten bezüglich der zu erwartenden Versorgung? Die Bundesregierung kann keine Empfehlung geben, da die Gründe für die Entscheidung zwischen GKV und PKV komplex, subjektiv und insoweit hochpersönlich sind. Personen, die die Möglichkeit haben, zwischen GKV und PKV zu wählen, sollten sich mit den Inhalten und Folgewirkungen der beiden Systeme beschäftigen und in Abhängigkeit von ihren individuellen Rahmenbedingungen und ihrer perspektivischen Lebensplanung abwägen und eine wohlüberlegte persönliche Entscheidung treffen. Jedes System hat je nach Lebenssituation und Finanzlage unterschiedliche Vor- und Nachteile. Insbesondere von Familien wird die Möglichkeit der beitragsfreien Versicherung von Kindern in der GKV geschätzt. 13. Welchen Anteil haben an den unterschiedlichen Ausgaben – privat und gesetzlich – für die ambulante und stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen nach Kenntnis der Bundesregierung ceteris paribus: a) die unterschiedliche Krankheitslast (Morbidität) und die unterschiedlichen Gesundheitsrisiken, b) das unterschiedliche Behandlungsvolumen (Menge und Art der erbrachten Leistungen), c) das unterschiedliche Honorierungsniveau? Der Bundesregierung liegen die Ausgaben für ambulante und stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen weder für privat noch für gesetzlich Krankenversicherte vor, da die Leistungsausgaben nicht nach dem Alter erfasst werden . Daher kann auch der Anteil der unterschiedlichen Morbidität, des Behandlungsvolumens und des Honorierungsniveaus an eventuellen Gesamtausgabenunterschieden nicht ermittelt werden. 14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Gesundheitsrisiken aufgrund von Überversorgung, insbesondere in der ambulanten Versorgung ? 15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung speziell über praktizierte Überversorgung bei privat versicherten Kindern und Jugendlichen? Die Fragen 14 und 15 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu einer praktizierten Überversorgung bei privatversicherten Kindern und Jugendlichen oder zu damit einhergehenden möglichen Gesundheitsrisiken vor. Es wird zudem auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/16204 16. Inwiefern beinhaltet die Schutzpflicht des Staates, insbesondere abgeleitet aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Sozialstaatsgebot, nach Ansicht der Bundesregierung auch den Schutz vor Überversorgung? Die Vermeidung und gegebenenfalls der Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung tragen zweifelsohne zum Schutz von Leben und Gesundheit bei. Dies ist nicht nur eine Aufgabe gesetzlicher Regulierung, sondern auch eine berufsethische Verantwortung der Leistungserbringer, insbesondere von Ärztinnen und Ärzten. Das Prinzip solidarischer Gesundheitsversorgung gebietet, die verfügbaren Ressourcen im Sinne des medizinisch Notwendigen zu verwenden (s. § 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V). Der Gesetzgeber hat zudem mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ein Gremium unabhängiger wissenschaftlicher Expertinnen und Experten geschaffen, das den ausdrücklichen Auftrag hat, „unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen und vorhandener Wirtschaftlichkeitsreserven Prioritäten für den Abbau von Versorgungsdefiziten und bestehenden Überversorgungen und […] Möglichkeiten und Wege zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens“ aufzuzeigen (§ 142 SGB V). Drucksache 19/16204 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333