Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Matthias Gastel, Stefan Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/15853 – Neubauvorhaben Ortsumfahrung Reutlingen „Dietwegtrasse“ V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 wurde das Neubauvorhaben Ortsumfahrung (OU) Reutlingen „Dietwegtrasse“ (Nr. B464-G10-BW) in den vordringlichen Bedarf eingestuft. Die Priorisierung des Projekts wurde aufgrund des sehr hohen Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV) getroffen, das im Vergleich zum vorhergehenden BVWP 2003 von 2,5 auf über 10 erhöht wurde (www.bvwp-projekte.de/strasse/B464-G10-BW/B464-G10-BW.html#h1_grun ddaten). Das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsbewertung ist in Form eines Projektdossiers online im Projektinformationssystem des BVWPs veröffentlicht (www.bvwp-projekte.de/strasse/B464-G10-BW/B464-G10-BW.html). Durch die OU Reutlingen sollen die derzeit stark befahrenen innerstädtischen Straßen Rommelsbacher-, Karl-, Eberhard-, Konrad-Adenauer- und Lederstraße und auch die Oststadt entlastet werden. Aus den Belastungsdiagrammen des Dossiers geht allerdings nur hervor, dass die Rommelsbacher Straße im Planfall um ca. 20 Prozent bzw. 4.000 Fahrzeuge entlastet wird und die Karlstraße um knapp 10 Prozent bzw. 2.000 Fahrzeuge. Die Eberhard-, Konrad- Adenauer- und Lederstraße sind dagegen auf den im Dossier dargestellten Ausschnitten gar nicht enthalten. Die OU Reutlingen soll in den erst 2017 fertiggestellten Scheibengipfel einmünden . Der Tunnel ist laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für eine Verkehrsbelastung von maximal 20.000 Fahrzeugen pro Tag ausgelegt (www.bund-reutlingen.de/fileadmin/bundgruppen/bcmskvreutlin gen/Stellungnahme_B464-G10-BW_BUND_24Okt18.pdf). Eine alternative Linienführung wird im Dossier ausgeschlossen (www.bvwp-p rojekte.de/strasse/B464-G10-BW/B464-G10-BW.html#h1_alternativenpru efung). In der Reutlinger Stadtverwaltung und im Gemeinderat wird unter dem Stichwort „Kleine Lösung“ aber durchaus eine alternative Trassenführung diskutiert, bei der die geplante Brücke entfallen könnte (Reutlinger Generalanzeiger vom 19. September 2018: Grüne und Unabhängige gegen Dietwegtrasse). Deutscher Bundestag Drucksache 19/16238 19. Wahlperiode 23.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 19. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. 1. Welche konkreten Gründe führten zu der deutlichen Erhöhung des NKV der OU Reutlingen im BVWP 2030 im Vergleich zum BVWP von 2003 von 2,5 auf größer 10? a) Auf welchen und wie ermittelten Verkehrsdaten beruht die Berechnung ? b) Wie sieht die konkrete Berechnung im Fall der OU Reutlingen aus? c) Welche Faktoren sorgten explizit für den Anstieg des Nutzens für die „Veränderung der Reisezeit im Personenverkehr“ im aktuellen Dossier im Vergleich zum entsprechenden Punkt „Verbesserung der Erreichbarkeit “ im BVWP 2003? Im Rahmen der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP 2030) haben Gutachter des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die von den Ländern vorgeschlagenen Maßnahmen einer gesamtwirtschaftlichen Projektbewertung unterzogen. Grundlage dabei war die Prognose der künftigen Verkehrsentwicklung in Deutschland für das Jahr 2030 (Prognosehorizont). Die Verkehrsprognose für den Personen- und Güterverkehr basiert auf demografischen Leitdaten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Stand 2012), Angaben zur gesamtwirtschaftlichen Strukturdatenentwicklung in Deutschland (Quelle: ifo Institut in Kooperation mit der Hamburger Helmut- Schmidt-Universität, 2012) sowie der Verflechtungsprognose 2030 (Quelle: Intraplan, BVU, ITP, IVV Planco, 2014). Die gesamtwirtschaftliche Projektbewertung für die B 464, Ortsumgehung Reutlingen wurde auf Grundlage eines abgestimmten Bewertungsverfahrens durchgeführt. Auf Basis der Verkehrsprognose 2030 wurde eine Beurteilung des Vorhabens getrennt nach den Modulen Nutzen-Kosten-Analyse, umweltund naturschutzrechtliche Beurteilung, raumordnerische Beurteilung und städtebauliche Beurteilung vorgenommen. Auf das vom BMVI veröffentlichte Methodenhandbuch zum BVWP 2030 sowie die Grundkonzeption zum BVWP 2030 wird verwiesen (www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/BVWP/bundes verkehrswegeplan-2030-inhalte-herunterladen.html). Die soziodemografischen Rahmenbedingungen zur Bundesverkehrswegeplanung – wie etwa die Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur in Deutschland – sind einer dynamischen Entwicklung unterworfen. Der BVWP 2003 und der BVWP 2030 unterscheiden sich im Hinblick auf deren Datengrundlagen. Das Bewertungsverfahren für den BVWP 2030 wurde gegenüber dem Verfahren aus dem Jahr 2003 methodisch weiterentwickelt. 2. In welcher Größenordnung (Prozent und Fahrzeuge) werden die Eberhard-, Konrad-Adenauer- und Lederstraße durch den Bau der OU Reutlingen entlastet, und liegen für diese drei Straßen auch Belastungsdiagramme vor? Wenn ja, warum werden sie im Dossier nicht genannt? Wenn nein, sind Belastungsdiagramme für diese Straßen geplant? Der BVWP 2030 ist ein Instrument des Bundes, um den Investitionsbedarf für die Infrastruktur des Bundes bis zum Jahr 2030 zu ermitteln. Untersuchungen auf regionaler Projektebene zu den erwarteten Verkehrswirkungen im nachgeordneten innerörtlichen Netz werden erst Inhalt der nachfolgenden Planungsstufen und Verwaltungsverfahren. Drucksache 19/16238 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 3. Inwiefern wurde die Kapazität des Scheibengipfeltunnels von maximal 20.000 Fahrzeugen pro Tag bei den Belastungsrechnungen berücksichtigt? a) Von wie vielen Kfz-Durchfahrten pro Tag ist im Scheibengipfeltunnel für den Planfall 2030 auszugehen? b) Sind Maßnahmen bei Überlastung des Scheibengipfeltunnels geplant? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? c) Müssen bei Überlastung des Scheibengipfeltunnels verkehrsregulatorische Maßnahmen getroffen werden, die zu Veränderungen von Verkehrsströmen führen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Der Scheibengipfeltunnel ist als einbahnig-zweistreifige Verbindung in den Verkehrssimulationen berücksichtigt. Die der Bewertung im BVWP 2030 zugrunde gelegte Verkehrsbelastung liegt im Bereich der Belastungsgrenze des Tunnels. Die Ermittlung der erwarteten Verkehrsbelastung im wird Teil der nachfolgenden Projektplanung. Ergänzend zur übergeordneten Betrachtung im BVWP 2030 wird dabei das nachgeordnete Straßennetz in die maßnahmenbezogenen Verkehrsuntersuchungen einbezogen. Die Prüfung der Notwendigkeit begleitender verkehrsbeeinflussender Maßnahmen wird erst Inhalt der nachfolgenden Planungsstufen und Verwaltungsverfahren sein. 4. Auf welcher Datenbasis erfolgte die Festlegung auf die jetzige Linienführung , und sind Änderungen dieser Linienführung definitiv ausgeschlossen ? Wenn ja, warum? Wenn nein, welche Alternativen gibt es? Der Bewertung der B 464, Ortsumgehung Reutlingen im Rahmen des BVWP 2030 liegt die von der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg vorgeschlagene Trassenführung zugrunde. Konkrete Festlegungen zur Trassenführung werden erst Ergebnis der nachfolgenden Planungsstufen und Verwaltungsverfahren. Dann sind mögliche Alternativen und Varianten in die Abwägungsentscheidung bei der Wahl der Vorzugsvariante einzubeziehen. 5. Inwiefern kann der Lärmschutz gewährleistet werden, wenn ein Teil der Trassenführung als 300 Meter lange Brücke ausgestaltet ist, in deren unmittelbarer Nähe eine dichte Wohnbebauung besteht? 6. Kann von außerörtlichen Bedingungen gesprochen werden, wenn diese außerörtlichen Bestandteile der Trasse in einem schmalen Streifen zwischen zwei Siedlungsgebieten liegen? a) In welcher Form kann der Lärmschutz für diese beiden Siedlungsgebiete garantiert werden? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16238 b) Ist eine Überdeckelung der Trasse dringend notwendig? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? c) Wie kann ein ausreichender Lärmschutz im Bereich der Tunnelportale gewährleistet werden, falls eine Überdeckelung der Trasse in Teilbereichen geplant ist, insbesondere für das geplante Neubaugebiet Orschel-Hagen Süd, das nur 150 Meter Luftlinie von der Trasse entfernt liegt? Die Fragen 5 und 6 werden aufgrund ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Bei einem Neubau oder einer wesentlichen Änderung von Straßen hat der Baulastträger zu prüfen, ob die in der Verkehrslärmschutzverordnung (16. Bundes- Immissionsschutzverordnung) festgelegten Immissionsgrenzwerte für den Lärmschutz an Verkehrswegen (Lärmvorsorge) überschritten werden. Notwendige geeignete Lärmschutzmaßnahmen, wie etwa Lärmschutzwände auf Brücken oder entlang der Strecke, hat der Baulastträger vorzusehen. Die Prüfung der Lärmschutzansprüche sowie die konkrete planerische Umsetzung der erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen (nach Art und Umfang) wird Inhalt der nachfolgenden Projektplanungen sein. 7. Wie kommt die Einschätzung im Dossier zustande, dass es durch die Trasse städtebaulich keine nennenswerten Zusatzbelastungen geben wird, obwohl es sich beim Dietweg-Gebiet um ein wichtiges Naherholungsgebiet innerhalb Reutlingens handelt und sich in unmittelbarer Umgebung der Trasse dichte Wohnbebauungen, Kleingärtenanlagen, verschiedene Freizeit- und Sportanlagen, ein betreuter Bauspielplatz und landwirtschaftlich genutzte Flächen befinden? Um die Wirkung von Verkehrsprojekten auf bebaute Bereiche zu untersuchen, wurde im Rahmen des BVWP 2030 eine städtebauliche Beurteilung getrennt nach den Kriterien Straßenraumeffekte, Flächen- und Erschließungseffekte sowie Sanierungs- und Erneuerungseffekte durchgeführt. Als „Straßenraumeffekte “ wurden dabei diejenigen Auswirkungen eines Projekts beschrieben, die bei Veränderungen der Verkehrsstärke Wirkungen im Straßenraum entfalten und die Möglichkeit einer Umgestaltung dieses Raumes eröffnen. Unter „Flächen- und Erschließungseffekte“ wurden jene Folgen der Projekte untersucht , bei denen sich verkehrliche Veränderungen auf die Erreichbarkeiten benachbarter Stadtareale oder Ortslagen im Umfeld dieser Projekte auswirken. Als „Sanierungs- und Erneuerungseffekte“ wurden mögliche Wertveränderungen anliegender Grundstücke von innerörtlichen Straßen beschrieben, die durch verkehrliche Verlagerungen bei Realisierung des Vorhabens ausgelöst werden können. Nach dem Ergebnis der Maßnahmenbewertung wird der Neubau der B 464, Ortsumgehung Reutlingen zu innerörtlichen Entlastungen mit einer signifikanten Erhöhung der Umgestaltungspotentiale in den Ortslagen von Reutlingen – Orschel – Hagen (Straßenraumeffekte) führen. Im Bereich der Flächen- und Erschließungseffekte sowie der Sanierungseffekte zeigt der Neubau dagegen keine signifikanten Wirkungen. Im Ergebnis wurde die städtebauliche Bedeutung des Vorhabens daher als gering ohne nennenswerte Zusatzbelastungen eingeordnet . Drucksache 19/16238 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333