Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Michel Brandt, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/15709 – Fall eines kürzlich in Italien verhafteten deutsch-chilenischen Ex-Militärs V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen, Beteiligung an Entführung und mehrfachen Mordes während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet in Chile wurde K. R. im Oktober 2014 in Chile rechtskräftig zu zehn Jahren und einem Tag Haft verurteilt. Das Gericht stellte fest, dass er 1973 maßgeblich an der Entführung und Ermordung von 23 Arbeitern in den Wasserkraftwerken El Toro und El Abanico der Empresa Nacional de Electricidad (Endesa) in der Nähe von Los Angeles/Chile beteiligt war (www.memor iav iva .com/ criminales/criminales_k/klug_walter.htm). Von den 23 wurden sieben hingerichtet, der Rest verschwand zwischen dem 11. September und dem 17. November 1973. Das Massaker gehört zu den wenigen Verbrechen der Diktatur, die in der Nach-Pinochet-Ära zu einer Verurteilung der Täter geführt haben. Der Haftstrafe soll sich K. R., der sowohl die chilenische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, jedoch kurz nach dem Urteil mit Hilfe seines deutschen Passes durch seine Flucht in die Bundesrepublik Deutschland entzogen haben. Bis zu seiner Verhaftung am 4. Juni 2019 im italienischen Parma soll er unbehelligt in Köln gelebt haben (vgl. www.24horas.cl/nacional/detienen-en-italia-a-exmilitar-de-la-dictaduracondenado -por-la-corte-suprema-3359712). Bei einer Reise nach Italien, wohin er seine Frau begleitete, wurde er aufgrund eines Interpol-Haftbefehls verhaftet und befindet sich offenbar seitdem in italienischer Haft. Am 7. Oktober 2019 entschied der Oberste Gerichtshof Chiles einstimmig, die Auslieferung des ehemaligen chilenischen Militäroffiziers und Leutnants des Heeres K. R. gegenüber der italienischen Regierung und Justiz zu beantragen (www.pjud.cl/web/guest/noticias-del-poder-judicial/-/asset_publisher/kV6Vd m3zNEWt/content/corte-suprema-estima-procedente-solicitar-a-italia-extradic ion-de-militar-condenado-por-violaciones-a-los-derechos-humanos). Laut Presseangaben gab die italienische Justiz dem Auslieferungsersuchen Chiles statt (www.ansalatina.com/americalatina/noticia/chile/2019/10/02/corte-italian a-acepta-pedido-extradicion-klug-rivera_785b0536-3177-4ba5-b174-042e6be 57b42.html). Deutscher Bundestag Drucksache 19/16257 19. Wahlperiode 30.12.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 23. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. 1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung seit wann zum Fall von K. R. (bitte entsprechend chronologisch aufführen)? 2. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sich K. R. mit Hilfe eines deutschen Passes durch seine Flucht nach Deutschland einer Haftstrafe in Chile entziehen konnte, und ist ihr auch bekannt, wann, und auf welchem Weg dies genau geschah? 3. Ist der Bundesregierung bekannt, wo K. R. nach seiner Flucht aus Chile in Deutschland lebte? Wenn ja, seit wann? 4. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob sich K. R. an seinem neuen Wohnort im Einwohnermeldeamt angemeldet und ggf. Transferoder Sozialleistungen beantragt und bezogen hat? 5. Seit wann existierte nach Kenntnis der Bundesregierung der Interpol- Haftbefehl gegen K. R., und in welcher Form haben das Bundeskriminalamt (BKA) oder andere deutsche Sicherheitsbehörden darauf jeweils reagiert (Maßnahmen bitte entsprechend je nach Sicherheitsbehörde chronologisch aufführen)? Die Fragen 1 bis 5 werden gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung ist seit dem Jahr 2015 ein Interpol-Fahndungsersuchen gegen K. R. bekannt. Das Fahndungsersuchen wurde am 25. November 2015 vom Bundeskriminalamt (BKA) dem Bundesamt für Justiz (BfJ) und dem Auswärtigen Amt (AA) vorgelegt. Die Fahndung wurde in Deutschland wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Verfolgten nicht umgesetzt, da eine Auslieferung von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Hinblick auf Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht erfolgt. Die Festnahme von K. R. in Italien ist der Bundesregierung seit dem 3. Juni 2019 bekannt. 6. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der derzeitige Stand des Falles? Es wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 7 verwiesen. 7. Befindet sich K. R. noch in italienischer Haft? Wenn ja, wo, und wie lange vermutlich noch? Wenn nein, seit wann, und wo befindet er sich dann nach Kenntnis der Bundesregierung? Nach Kenntnis der Bundesregierung befindet sich K. R. weiterhin in italienischer Haft. Die voraussichtliche Haftdauer ist nicht bekannt. Zuständig für das Auslieferungsverfahren ist die italienische Justiz. 8. Hat oder hatte die deutsche Botschaft bzw. das Konsulat in Italien Kontakt zu K. R. oder seiner anwaltlichen Vertretung? Wenn ja, wann, und was wurde genau unternommen? Das Generalkonsulat Mailand hat K. R. konsularische Betreuung angeboten. Drucksache 19/16257 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. Wie ist die genaue Rechtslage, welche diesbezüglichen bilateralen Abkommen existieren zwischen Chile und Italien, und inwieweit können deutsche Staatsbürger aus einem anderen EU-Mitgliedstaat in ein Drittland ausgeliefert werden? Der Bundesregierung liegen zu dem Auslieferungsverkehr zwischen Italien und Chile keine belastbaren Erkenntnisse vor. Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Staat, der nicht Mitglied der EU ist, verstieße nicht gegen das Diskriminierungsverbot der Artikel 18, 21 EUV, da Italien auch eigene Staatsangehörige an Drittstaaten ausliefern könnte. 10. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bereits chilenische Auslieferungsanträge gestellt? Wenn ja, wann, und mit jeweils welchem Ergebnis? Chile hat Deutschland nicht um Auslieferung von K. R. ersucht. 11. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung außerdem auch ein deutscher Auslieferungsantrag gestellt? Wenn ja, wann, und durch wen? Wenn nein, warum nicht, und wird dies noch geschehen? Der Überstellungsverkehr zwischen Deutschland und Italien basiert auf den Regelungen , mit denen der Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl in das jeweilige nationale Recht umgesetzt wurde. Diese sehen vor, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte unmittelbar Europäische Haftbefehle an andere Mitgliedstaaten senden können. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob ein entsprechendes Ersuchen gestellt wurde. 12. Hat das BKA den Fall K. R., bei dem es um mehrfachen Mord geht, aufgrund seiner besonderen Bedeutung in politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung gemäß § 33 Absatz 3 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG-Gesetz), zur Prüfung und Bewilligung dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bzw. dem Bundesamt für Justiz und dem Auswärtigen Amt vorgelegt ? Wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 13. Hat nach Kenntnis der Bundesregierung eine deutsche Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen K. R. aufgenommen? Falls ja, welche Staatsanwaltschaft, wann, und zu welchem Tatvorwurf. Welches ist das Aktenzeichen dieses Verfahrens? Die Ermittlung von Straftaten erfolgt durch die Staatsanwaltschaften der Länder . Dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz liegen insoweit keine Erkenntnisse vor. Zu etwaigen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften der Länder nimmt die Bundesregierung im Übrigen aufgrund der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16257 vom Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzordnung grundsätzlich keine Stellung . 14. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung seitens der chilenischen Justiz ein Antrag auf Haftvollstreckung in Italien und/oder Deutschland gestellt? Wenn nein, rechnet die Bundesregierung mit einem solchen Antrag, und wie würde sie sich dazu verhalten? Chile hat kein Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung gegen K. R. gerichtet . Ob ein Ersuchen an Italien gerichtet wurde, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Zu künftigen Erwägungen chilenischer Behörden kann die Bundesregierung keine Auskunft erteilen. 15. Wann, wo, von welcher deutschen Behörde, und auf welcher Rechtsgrundlage wurde K. R. ein deutscher Pass ausgestellt und ausgehändigt? K. R. wurde auf der Grundlage des § 1 Absatz 1 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 und 2 des Passgesetzes ein Reisepass von der örtlich zuständigen deutschen Botschaft in Santiago de Chile ausgestellt und am 12. November 2014 ausgehändigt . 16. Stand der Bundesnachrichtendienst nach Kenntnis der Bundesregierung mit K. R. zu irgendeinem Zeitpunkt offen oder legendiert in Kontakt, und wenn ja, zu welchen Zeitpunkten, in welcher Form, und zu welchem Zweck? 18. Wie viele Quellenmeldungen mit Bezug zur Person bzw. zur Flucht von K. R. liegen im Bundesnachrichtendienst vor (bitte nach Jahren aufschlüsseln )? Die Fragen 16 und 18 werden gemeinsam beantwortet. Der Schutz nachrichtendienstlicher Quellen und Verbindungen stellt ein primäres Schutzziel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) dar. Aus diesem Grund nimmt die Bundesregierung zu den nachrichtendienstlichen Quellen und Verbindungen des BND grundsätzlich nicht Stellung. Vorliegend ist aus Gründen des Staatswohls, insbesondere zum Zweck der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des BND, eine Beantwortung grundsätzlich zu verweigern. Die Fragestellungen betreffen Informationen, welche die nachrichtendienstlichen Quellen und Verbindungen des BND betreffen . Der Quellenschutz ist hingegen höchstes Schutzgut des BND. Bei einer – auch eingestuften – Beantwortung würde der BND in seinen Möglichkeiten der zukünftigen Informationsbeschaffung erheblich eingeschränkt. Die Anwerbung von Quellen setzt stets voraus, dass diesen unbedingte Vertraulichkeit und Schutz ihrer Identität zugesichert wird. Diese Zusicherung ist denknotwendig im Hinblick auf die Gefahren, denen sich die betroffenen Quellen selbst aussetzen . Vor dem Hintergrund des gesetzlichen Aufgabenbereichs des BND gemäß § 1 Absatz 2 des Gesetzes über den BND ist die auslands- und sicherheitsbezogene Informationsgewinnung des BND wesentliche Voraussetzung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Würde die Informationsgewinnung des BND durch die Offenlegung von nachrichtendienstlichen Quellen und Verbindungen nachhaltig beeinträchtigt, würde dies die Interessen der Bundesrepublik Deutschland empfindlich treffen. Folglich sprechen Gründe des Staatswohls als verfassungsmäßige Schranke des parlamentarischen Auskunfts- und Drucksache 19/16257 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Kontrollrechts dafür, eine Beantwortung dieser Fragen grundsätzlich zu verweigern . Dabei ist der Umstand, dass die Antwort verweigert wird, weder als Bestätigung noch als Verneinung des angefragten Sachverhalts zu werten. 17. Welche Informationen liegen dem Bundesnachrichtendienst zur Person und/oder zur Flucht von K. R. vor? Dem Bundesnachrichtendienst liegen keine Informationen zur Person und/oder Flucht von K. R. vor. 19. Stand das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Kenntnis der Bundesregierung mit K. R. zu irgendeinem Zeitpunkt offen oder legendiert in Kontakt, und wenn ja, zu welchen Zeitpunkten, in welcher Form, und zu welchem Zweck? 20. Welche Informationen liegen dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Person und/oder zur Flucht von K. R. vor? 21. Wie viele Quellenmeldungen mit Bezug zur Person bzw. zur Flucht von K. R. liegen im Bundesamt für Verfassungsschutz vor (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Die Fragen 19 bis 21 werden im Zusammenhang beantwortet. Der angesprochene Sachverhalt ist ohne Bezug zu Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Es stand folglich nicht in Kontakt mit K. R. und ihm liegen auch keine Informationen, einschließlich Quellenmeldungen, mit Bezug zu dieser Person vor. 22. Gegen wie viele und welche weiteren Personen, die sich in Deutschland aufhalten, liegen internationale Haftbefehle seitens der chilenischen Justiz vor? Fahndungsersuchen aus Chile an das BKA gehen dem BfJ und dem AA als Bewilligungsbehörde grundsätzlich nur im Rahmen der Beteiligung nach §§ 3 Absatz 3 Nummer 1, 33 Absatz 3 des Bundeskriminalamtgesetzes, § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Nummer 13 Absatz 1 der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten zu. Bis November 2018 waren insbesondere die Fälle grundsätzlich ausgenommen , in denen eine Umsetzung einer Fahndung wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der verfolgten Person nicht in Betracht kommt. Eine Statistik über Fahndungsersuchen wird im BfJ nicht geführt. 23. In wie vielen und welchen Fällen der in Frage 22 genannten Personen ermitteln deutsche Ermittlungsbehörden? Auf die Antwort zu Frage 13 wird Bezug genommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/16257 24. Gedenkt die Bundesregierung, für den Fall, dass es keine nennenswerten Erfolge bei einer juristischen Verfolgung hierzulande geben sollte, Maßnahmen zu ergreifen, die verhindern, dass sich Deutsche oder Deutsch- Chilenen und Deutsch-Chileninnen in Deutschland unbehelligt niederlassen , gegen die in Chile wegen massiver Menschenrechtsverletzungen ermittelt wird oder die wegen solcher bereits rechtskräftig verurteilt sind? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht? An Spekulationen beteiligt sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht. Drucksache 19/16257 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333