Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/15642 – Zwangsvollstreckung von NS-Entschädigungsansprüchen durch Pfändung deutschen Staatsvermögens in Italien V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Deutsches Staatsvermögen in Italien kann grundsätzlich herangezogen werden , um die Forderungen von NS-Opfern gegenüber Deutschland auf dem Wege der Zwangsvollstreckung zu bedienen. Das hat das Oberste Kassationsgericht in Rom mit einer Entscheidung vom 25. Juni 2019 festgestellt (https:// sentenze.laleggepertutti.it/sentenza/cassazione-civile-n-21996-del-03-09- 2019). In dem Verfahren ging es um einen Einspruch der Deutschen Bahn AG gegen eine Vollstreckungsmaßnahme, die Überlebende und Angehörige des SS- Massakers vom 10. Juni 1944 im griechischen Distomo veranlasst hatten. Den Klägerinnen und Klägern wurde in Griechenland rechtskräftig Entschädigung in Höhe von rund 28 Mio. Euro zugesprochen (Landgericht Levadia, Urteil vom 30. Oktober 1997; der Fall wurde von den Fragestellerinnen und Fragestellern bereits vielfach in Kleinen Anfragen thematisiert, zuletzt unter Bundestagsdrucksache 19/7527). Der Anwalt der Opfer hatte nach Informationen der Fragestellerinnen und Fragesteller Geldmittel der Deutschen Bahn AG, die aus dem Fahrkartenverkauf für Zugstrecken von Italien nach Deutschland resultieren, pfänden lassen (vgl. auch Antwort zu Frage 4c auf Bundestagsdrucksache 18/7852 und Antwort zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/10140). Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel der Deutschen Bahn AG wurde vom Kassationsgericht nun verworfen. Nach Angaben des AK Distomo geht der Fall nunmehr zurück an das Vollstreckungsgericht in Rom. Dort ist noch der Einwand anhängig, die Deutsche Bahn hafte generell nicht für Schulden Deutschlands. Sollte das Gericht auch diesen Einwand zurückweisen, „müsste die Entschädigungssumme für die Klägerinnen und Kläger aus Distomo ausgezahlt werden“ (www.nadir.org/nad ir/initiativ/ak-distomo/veroeffentlichungen2019/docs/pm-12092019.pdf). Das Urteil hat darüber hinaus Präzedenzcharakter für die Forderungen italienischer NS-Opfer, denen von italienischen Gerichten bereits Entschädigung zugesprochen wurde. Deutscher Bundestag Drucksache 19/16293 19. Wahlperiode 02.01.2020 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 27. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Sollte es soweit kommen, rechnen die Fragestellerinnen und Fragesteller damit , dass die Bundesregierung erneut versuchen wird, vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Italien vorzugehen, um Entschädigungszahlungen zu vermeiden oder von Seiten Italiens eine Kompensation für beschlagnahmtes Vermögen zu erzwingen wie bereits im Jahr 2011. Der IGH hatte in seinem Urteil vom 3. Februar 2012 ausdrücklich „bedauert, dass Deutschland entschieden hat, jegliche Entschädigung“ für bestimmte Opfergruppen zu verweigern , und angeregt, die Entschädigungslücke durch weitere Verhandlungen zu schließen (www.icj-cij.org/files/case-related/143/143-20120203-JUD-01-00-E N.pdf), wozu die Bundesregierung aber bisher nicht bereit war (vgl. Bundestagsdrucksache 19/7527). Der Verweis des IGH auf die sog. Staatenimmunität wird in Italien in Bezug auf Nazi-Verbrechen nicht angewandt, da ansonsten die Rechte der Betroffenen verletzt würden, wie der italienische Verfassungsgerichtshof im Jahr 2014 festgestellt hat (CC 22. Oktober 2014, Nr. 238). Die Fragestellerinnen und Fragesteller würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung die von italienischen Gerichten bestätigten Entschädigungsansprüche von Überlebenden der deutschen Besatzungsverbrechen bzw. den Angehörigen der Ermordeten und Verschleppten erfüllen würde. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Auf die Vorbemerkungen der Bundesregierung in den Antworten auf die Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksachen 16/1634, 16/2423, 17/709, 17/2340, 18/451, 18/3492 und 19/7527 wird verwiesen. 1. War die Bundesregierung in das erwähnte Verfahren vor dem Obersten Kassationsgericht in irgendeiner Weise involviert oder stand sie diesbezüglich mit der Deutschen Bahn AG in Verbindung, und wenn ja, inwiefern ? Der Bundesregierung war das in der Fragestellung genannte Verfahren bekannt. Sie hat das Urteil zur Kenntnis genommen. 2. Hat die Bundesregierung eine Auswertung oder Bewertung der genannten Entscheidung des Obersten Kassationsgerichts vorgenommen, auch vor dem Hintergrund nun möglicherweise drohender Zwangsvollstreckungsverfahren gegen die Deutsche Bahn AG und womöglich weiterer Unternehmen , die in deutschem Staatsbesitz sind bzw. von den Klägern deutschem Staatsbesitz zugeschrieben werden (falls ja, bitte erläutern)? Aus Sicht der Bundesregierung berücksichtigt das italienische Kassationsgericht im vorliegenden Fall das Völkerrecht und das Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 3. Februar 2012 nicht. Die Zwangsvollstreckung aus einem völkerrechtswidrigen Titel stellt eine erneute Völkerrechtsverletzung dar und ist daher rechtswidrig. 3. Hat die Bundesregierung bereits Strategien gegen Auswirkungen des Urteils in Erwägung gezogen oder vorbereitet, und wenn ja, welcher Art sind diese? Das Verfahren wurde gegen die Deutsche Bahn AG betrieben. Das Gericht hat nun entschieden, dass eine Zwangsvollstreckung aus dem völkerrechtswidrigen Urteil gegen die Bundesrepublik Deutschland zulässig sei. Die Deutsche Bahn AG wird sich in dem nun in Italien beginnenden Zwangsvollstreckungsverfahren mit den vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen verteidigen. Drucksache 19/16293 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 4. Sieht sich die Bundesregierung zu (ggf. weiteren) Schlussfolgerungen, politischen oder juristischen Schritten in Zusammenhang mit dem Urteil bzw. Vollstreckungsverfahren veranlasst, und wenn ja, zu welchen? Die Bundesregierung steht mit der italienischen Regierung zu den Fragen der Einhaltung des Völkerrechts und Befolgung des Urteils der Internationalen Gerichtshofs durch die italienischen Gerichte in kontinuierlichem Kontakt. 5. Auf welche Summe beläuft sich schätzungsweise das deutsche Staatsvermögen in Italien (einschließlich des Vermögens bundeseigener Unternehmen )? Zu Fragen, die eine Relevanz für laufende Verfahren haben, nimmt die Bundesregierung nicht Stellung. 6. Wie viele Immobilien befinden sich in Italien in deutschem Staatsbesitz (einschließlich des Vermögens bundeseigener Unternehmen)? Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. 7. Wie hat sich das Verfahren um die Pfändung bzw. Beschlagnahmung der aus dem Fahrkartenverkauf resultierenden Geldmittel der Deutschen Bahn AG in Italien aus Sicht der Bundesregierung entwickelt? a) Um welche konkreten Summen ist es dabei gegangen? b) Wurden diese von italienischer Seite (etwa Trenitalia) erstattet oder auf dem Weg der Verrechnung „zurückgegeben“, oder sind sie bis zum heutigen Tag der Verfügbarkeit der Deutschen Bahn AG real entzogen ? c) Hat die Bundesregierung Schritte der Deutschen Bahn AG zur Abwehr der italienischen Maßnahmen unterstützt (bitte ggf. ausführlich erläutern )? Die Fragen 7 bis 7c werden gemeinsam beantwortet. Über die Einzelheiten dieses Zwangsvollstreckungsverfahrens, an dem die Bundesrepublik Deutschland nicht Verfahrensbeteiligte ist, hat die Bundesregierung keine Erkenntnisse. Die Bundesregierung hat der Deutschen Bahn die Völkerrechtswidrigkeit des gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Titels bestätigt, aus dem die Zwangsvollstreckung gegen die Deutsche Bahn betrieben wird. 8. Hat die Bundesregierung Schritte unternommen, um deutsches Staatseigentum (ggf. wirksamer als bisher) vor Beschlagnahmen und Zwangsvollstreckung in Entschädigungsangelegenheiten zu schützen, und wenn ja, welche, und um welches Staatseigentum geht es dabei? Hoheitlich genutztes Eigentum der Bundesrepublik Deutschland in Italien ist durch das Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 8. Juni 2018 vor einer Zwangsvollstreckung geschützt. Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/7527 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16293 9. Hat die Bundesregierung in Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Obersten Kassationsgericht bzw. dem erwähnten Urteil und möglichen Zwangsvollstreckungsverfahren gegen deutsche Vermögenswerte in Italien die Möglichkeit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof geprüft, und wenn ja, mit welchem Ergebnis? 10. Hat sich die Bundesregierung eine Meinung dazu gebildet, ob sie im Fall von Beschlagnahmungen, Pfändungen, Zwangsvollstreckungsverfahren u. Ä. von deutschem Staatseigentum eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof einreichen oder zumindest prüfen würde (bitte ggf. ausführen und soweit möglich angeben, ab welchem Stadium einer Zwangsvollstreckungsverfahrens eine solche Klage aus Sicht der Bundesregierung für zweckmäßig gehalten wird)? Die Fragen 9 und 10 werden zusammen beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. 11. Finden in Italien derzeit weitere juristische Auseinandersetzungen statt, bei denen es um Vollstreckungsmaßnahmen (Zwangsvollstreckung, Hypotheken, Beschlagnahmungen usw.) gegen deutsches Staatseigentum geht (bitte ggf. konkret ausführen sowie Anlass, Gegenstand der Forderungen und Sitz des Gerichts sowie möglichst Aktenzeichen nennen)? Der Bundesregierung sind keine weiteren juristischen Auseinandersetzungen bekannt, bei denen es um Vollstreckungsmaßnahmen gegen Eigentum der Bundesrepublik Deutschland geht. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 1 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/7527 verwiesen. 12. Finden in Italien nach Kenntnis der Bundesregierung weitere juristische Auseinandersetzungen statt, bei denen es um Vollstreckungsmaßnahmen (Zwangsvollstreckung, Hypotheken, Beschlagnahmungen usw.) gegen Eigentum deutscher Unternehmen geht, das nach dem Willen von Klägern zur Begleichung von (aus Sicht der Kläger bestehenden) deutschen Verbindlichkeiten herangezogen werden soll (bitte ggf. konkret ausführen und Anlass, Gegenstand der Forderungen und Sitz des Gerichts sowie möglichst Aktenzeichen nennen)? Neben dem genannten Verfahren gegen die Deutsche Bahn AG ist der Bundesregierung ein Verfahren gegen Schenker Italia bekannt, in dem die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil des LG Florenz vom 7. Dezember 2015 betrieben wird. Auch an diesem Verfahren ist die Bundesrepublik Deutschland nicht Verfahrensbeteiligte . Drucksache 19/16293 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 13. Wie verhält sich die Bundesregierung gegenüber Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen a) deutsches Staatseigentum; b) Eigentum deutscher Unternehmen, das – ggf. entgegen der Auffassungen der Bundesregierung – von Klägern bzw. italienischen Gerichten dem deutschen Staat zugeschrieben wird? Die Fragen 13a und 13b werden zusammen beantwortet. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches Staatseigentum wurden durch das Urteil des Kassationsgerichtshofes vom 8. Juni 2018 beendet. Auf die Antwort zu Frage 8 wird in diesem Zusammenhang verwiesen. Bei neuerlichen Versuchen der Zwangsvollstreckung wird die Bundesregierung die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Zu hypothetischen Fragen nimmt die Bundesregierung im Übrigen grundsätzlich nicht Stellung. 14. Stand oder steht die Bundesregierung anlässlich des Urteils des Obersten Kassationsgerichts im Dialog mit der italienischen Regierung, und falls ja, wie hat die italienische Regierung das Urteil bzw. seine Auswirkungen kommentiert, und welche Auffassungen vertritt sie in dieser Angelegenheit ? Die Bundesregierung und die italienische Regierung sind sich einig, dass das Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 3. Februar 2012 Italien verpflichtet , den Grundsatz der Staatenimmunität im Verhältnis zu Deutschland zu achten. 15. Will die Bundesregierung ihre Position ändern und den Überlebenden des SS-Massakers in Distomo bzw. den Angehörigen der Ermordeten individuelle Entschädigungen anbieten? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/7527 wird verwiesen. 16. Wie viele Klagen in Zusammenhang mit Entschädigungsforderungen von NS-Opfern bzw. deren Angehörigen sind seit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 19/7527 neu erhoben worden, wie viele Urteile sind seither ergangen (bitte soweit möglich einzeln ausführen, welches Unrecht die Kläger erlitten haben und wie die Urteile lauten, bei letzteren auch die entscheidenden Gerichte und Aktenzeichen angeben), und wie viele Verfahren laufen derzeit? Der Bundesregierung sind seit Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/7527 drei neue Versuche einer Klageerhebung und zwei neue Urteile bekannt geworden. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 1 der genannten Kleinen Anfrage verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/16293 17. Auf welche Summe belaufen sich die derzeit in Italien letztinstanzlich abgeschlossenen Urteile gegen Deutschland in Zusammenhang mit Entschädigungsforderungen von NS-Opfern (bitte soweit möglich einzeln ausführen, welches Unrecht die Kläger erlitten haben)? Ist die Bundesregierung bereit, den Klägern die gerichtlich zuerkannten Entschädigungen zu zahlen? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/7527 wird verwiesen. Seitdem ist eine Verurteilung über 71.127 Euro hinzugekommen, eine weitere Klage wurde abgewiesen. Die Bundesregierung leistet Zahlungsentscheidungen , die unter Verletzung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität ergangen sind, nicht Folge. Drucksache 19/16293 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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