Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Detlev Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg Schneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/15949 – Entwicklung von Kinderarzneimitteln, Reduzierung von Off-Label-Gebrauch bei Kindern V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) wurde in sogenannten Pharmadialogs 2016 vereinbart, die Zahl der für Kinder geeigneten Arzneimittel solle erhöht werden, um die Arzneimittelversorgung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern (www.bundesgesundheitsministeriu m.de/ministerium/meldungen/2016/pharmadialog.html). Im Bericht der Europäischen Kommission, „Situation in Bezug auf Kinderarzneimittel in der EU – Zehn Jahre EU-Verordnung über Kinderarzneimittel“ vom 26. Oktober 2017 (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:52017DC0626&from=D E%20), heißt es, die Entwicklung von Kinderarzneimitteln in der EU werde zwischenzeitlich erheblich durch die seit 2007 in Kraft getretene Verordnung (EG) 1902/2006 beeinflusst. Von 2007 bis 2016 seien mehr als 260 neue Arzneimittel für Kinder (neue Genehmigungen für das Inverkehrbringen und neue Indikationen) zugelassen worden (ebd., S. 5). Der Einsatz von nur für Erwachsene zugelassenen Arzneimitteln bei Kindern (Off-Label-Gebrauch) ist aber bei vielen Indikationen immer noch weit verbreitet , in vielen liegt er noch bei über 50 Prozent der Verordnungen (https://ds v-europa.de/de/news/2017/11/kinderarzneimittel-bericht.html). Es besteht nach Ansicht der Fragesteller somit noch immer Verbesserungsbedarf . Deutscher Bundestag Drucksache 19/16304 19. Wahlperiode 03.01.2020 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20. Dezember 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die behördliche Zulassung von Arzneimitteln erfolgt auf der Grundlage der vom pharmazeutischen Unternehmer mit dem Antrag auf Zulassung eingereichten Daten aus klinischen Prüfungen für diejenigen Anwendungsgebiete, für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit belegt wurden. Die Entscheidung darüber, ob ein Arzneimittel im Einzelfall auch in einer Indikation angewendet werden soll, für die es nicht zugelassen ist (sog. Off- Label-Use), obliegt der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt im Rahmen seiner Therapiefreiheit; diese tragen insofern auch die haftungsrechtliche Verantwortung. Viele, insbesondere ältere Arzneimittel, sind nicht für Kinder zugelassen, werden aber dennoch bei Kindern angewendet. In den letzten Jahren hat es sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene vielfältige Initiativen zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit und Verbesserung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln, die für Kinder geprüft und zugelassen sind, gegeben. Um den Off-label-Use bei Kindern zu vermindern, wurde mit der EU-Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 ein regulatorisches Instrumentarium mit den Zielen geschaffen, die Forschung zur Entwicklung von Kinderarzneimitteln sowie die Zulassung von Kinderarzneimitteln mit geeigneten Darreichungsformen und Formulierungen zu fördern und die Verfügbarkeit von Informationen über Arzneimittel, die Kindern verabreicht werden, zu verbessern. Auf nationaler Ebene wurde gemäß § 25 Absatz 7a des Arzneimittelgesetzes eine Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingerichtet, die bei Zulassungsentscheidungen über Arzneimittel, die auch zur Anwendung bei Kindern und Jugendlichen bestimmt sind, von der zuständigen Bundesoberbehörde zu beteiligen ist. Der 2017 von der Europäischen Kommission vorgelegte Zehn-Jahresbericht über die EU-Verordnung über Kinderarzneimittel zeigt die Stärken und die Schwächen der europäischen Regelungen auf. Derzeit nimmt die Europäische Kommission eine gemeinsame Evaluation der europäischen Gesetzgebung zu Arzneimitteln für Kinder (Verordnung (EG) Nr. 1901/2006) und seltene Erkrankungen (Verordnung (EG) Nr. 141/2000) vor. Diese Evaluation soll eine fundierte Grundlage zur Bewertung des Funktionierens der beiden Rechtsinstrumente darstellen und dazu herangezogen werden, mögliche zukünftige Änderungen der beiden Verordnungen zu betrachten. Der Bericht der Europäischen Kommission sowie die Entscheidung über mögliche Maßnahmen stehen derzeit noch aus. 1. Hat die Bundesregierung eine Position zu dem Weg zu mehr speziellen Zulassungen für Kinder, die auf Basis der Verwendung gut geführter Register sowie Pharmakovigilanz- und Literaturdaten generierte Evidenz bei der Zulassung eines bewährten Wirkstoffes für eine Kinderindikation anzuerkennen? 2. Hat die Bundesregierung eine Position zu dem Weg zu mehr speziellen Zulassungen für Kinder, wissenschaftlich weiterentwickelte Methoden zur Übertragung von Evidenz von Erwachsenen auf Kinder (z. B. durch Extrapolation oder andere statistische Verfahren) anzuerkennen? Drucksache 19/16304 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 3. Hat die Bundesregierung eine Position zu dem Weg zu mehr speziellen Zulassungen für Kinder, Daten, die außerhalb von Kliniken in Form von nicht-interventionellen Studien (NIS) bei Kinderärzten erfasst wurden, und bei denen den Patientenpräferenzen bei der Durchführung von Studien ein höherer Stellenwert eingeräumt wurden, für die Zulassung anzuerkennen ? 4. Hat die Bundesregierung eine Haltung zu der systematischen Erfassung des Off-Label-Gebrauchs, um Sicherheitsdaten für später notwendige klinische Prüfungen zu generieren, und wie soll das ggf. umgesetzt werden? Die Fragen 1 bis 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Regelungen zur Zulassung von Arzneimitteln sind europäisch harmonisiert und national im Arzneimittelgesetz umgesetzt. Ein Zulassungsverfahren dient im Sinne des Patientenschutzes dem Nachweis der pharmazeutischen Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit des Arzneimittels und stellt somit sicher, dass die den Patientinnen und Patienten verabreichten Arzneimittel von angemessener Qualität sind und ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen . Ziel ist es, die Patientinnen und Patienten mit zugelassenen Arzneimitteln zu versorgen; hierzu sehen die gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich die Durchführung von klinischen Prüfungen vor. Voraussetzung für eine klinische Prüfung ist eine Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde sowie eine zustimmende Bewertung der Ethikkommission. In jedem Zulassungsantrag kann auch auf bereits bestehende wissenschaftliche Literatur verwiesen werden. Ob solche Daten als Grundlage für eine Zulassung geeignet sind, wird von der zuständigen Bundesoberbehörde im Einzelfall entschieden und hängt auch von der Datenqualität zur Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit des Wirkstoffes in der jeweiligen therapeutischen Indikation ab. Die Verwendbarkeit von Registerdaten bzw. die Anforderungen an Register im regulatorischen Zusammenhang werden bei der Europäischen Arzneimittelagentur auf europäischer Ebene diskutiert. Bei der Bewertung von Registerdaten muss im Einzelfall betrachtet werden, ob die dabei gewonnenen Informationen den qualitativen Standards der Datenerhebung für eine Arzneimittelzulassung entsprechen. Während es keine Verpflichtung für den Zulassungsinhaber gibt, die Wirksamkeit seines Arzneimittels im Off-Label-Use systematisch zu erfassen, müssen im Off-Label-Use auftretende unerwünschte Arzneimittelwirkungen berichtet werden. Diese Erfahrungen können prinzipiell auch bei der Planung zukünftiger klinischer Prüfungen berücksichtigt werden. Bei der regulatorischen Bewertung von Arzneimitteln im Rahmen eines Zulassungsverfahrens können Verfahren wie die Extrapolation oder Modellierung und Simulation zur Generierung von Daten und möglichen Übertragbarkeit von Daten zur Wirksamkeit eines Arzneimittels (z. B. von Erwachsenen auf bestimmte Altersgruppen von Kindern oder von älteren auf jüngere pädiatrische Populationen) im Einzelfall und unter bestimmten Voraussetzungen einbezogen werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16304 5. Hat die Bundesregierung eine Haltung zu einem Erstattungsverbot bei im Off-Label-Gebrauch eingesetzten Wirkstoffen in der Pädiatrie, wenn ein geeignetes, bereits zugelassenes Arzneimittel für Kinder und Jugendliche zur Verfügung steht? a) Wenn nein, welche anderen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, ggf. die Entwicklung und Zulassung von speziellen Arzneimitteln für Kinder in diesen Fällen zu fördern? b) Welche anderen Maßnahmen hält die Bundesregierung ggf. für geeignet , den Off-Label-Gebrauch von Arzneimitteln für Kinder zu reduzieren ? Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten . Qualität und Wirksamkeit der Leistung haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen. Im Zulassungsverfahren wird geprüft, ob ein Arzneimittel wirksam und unbedenklich ist und die erforderliche pharmazeutische Qualität vorliegt. Daher kommt die Erstattung eines Arzneimittels im Off-Label-Use in der Regel nicht in Frage, wenn für die Versorgung ein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht. Eine Erstattung ist gemäß § 35c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen möglich. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legt in seinen Richtlinien fest, welche Arzneimittel in welchen nicht zugelassenen Anwendungsgebieten verordnungsfähig sind. Eine Erstattung gemäß § 35c SGB V setzt dabei nicht voraus, dass keine für das Indikationsgebiet zugelassenen Arzneimittel zur Verfügung stehen dürfen. Ist keine Regelung in den Richtlinien des G-BA getroffen, können Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit von dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse abweichen, im Einzelfall vom Arzt gemäß § 2 Absatz 1a SGB V verordnet werden. Zu Möglichkeiten der Förderung von zugelassenen Arzneimitteln für Kinder wird auf den gemeinsamen Aktionsplan der Europäische Arzneimittel-Agentur und der Europäischen Kommission zu Kinderarzneimitteln verwiesen (www.e ma.europa.eu/en/documents/report/european-medicines-agency-european-com mission-dg-health-food-safety-action-plan-paediatrics_en.pdf). Anlässlich der am 17. Juni 2019 von der Europäischen Kommission in Brüssel veranstalteten „Conference on medicines for rare diseases and children“ wurden mit Expertinnen und Experten sowie Stakeholdern u. a. Möglichkeiten erörtert, die Entwicklungen von Arzneimitteln für Kinder (und damit auch häufig für seltene Erkrankungen) zu fördern. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Drucksache 19/16304 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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