Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Roman Müller-Böhm, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/15947 – Kundengeldabsicherung bei Pauschalreisen Nachdem Ende September 2019 der Reisekonzern Thomas Cook die Insolvenz anmeldete und mit dieser unversicherte Urlaubszahlungen in Millionenhöhe anfielen, stellte sich die Frage, ob die Insolvenzabsicherung von Pauschalreisen in der Bundesrepublik ausreiche. Nach § 651r des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind Pauschalreiseveranstalter verpflichtet, Leistungen im Rahmen der Pauschalreise abzusichern. Damit wurde die Richtlinie (EU) 2015/2023 der Europäischen Union, die sogenannte Pauschalreise-Richtlinie, nach welcher die Mitgliedstaaten die Pflicht trifft, dass Reisende vor der Insolvenz des Reiseveranstalters „in vollem Umfang“ und „wirksam“ geschützt werden, in das deutsche Recht umgesetzt . Verbriefte Form dieser Absicherung ist der sogenannte Sicherungsschein nach § 651r Absatz 4 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 252 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), welcher als Nachweis dient, dass bei einer Insolvenz reisebezogene Zahlungen, etwa für Unterbringung und Transfer, weiterhin geleistet werden, beispielsweise durch eine Versicherung . Hauptpunkt in der Debatte um die deutsche Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie ist dabei die Deckelungsregelung aus § 651r Absatz 3 Satz 3 BGB, wonach ein Kundengeldabsicherer die Höhe der Haftungssumme auf 110 Mio. Euro pro Geschäftsjahr begrenzen kann. Allein der Geschäftsbericht von Thomas Cook wies eine Anzahlung von Kunden in Höhe von 1,39 Mrd. Pfund Sterling aus, ein Drittel davon von Urlaubern aus Deutschland (https://app.handelsblatt.com/unternehmen/handel-diens tleister/pauschalreisen-insolvenzabsicherung-unzureichend-BaFin-kritisiert-tui -und-rewe/25217830.html?u=13719972&-np-=&jb=5&sfmc_sub=276399575 &mid=7322111&j=505876&rtfm=2&l=266_HTML&ticket=ST-1807029-rEk QMIeVZhOvJifzNWdC-ap6). Der Versicherer von Thomas Cook, die Zurich Deutschland, hat bereits bekannt gegeben, dass die Versicherungshöhe von 110 Mio. Euro „bei weitem nicht reicht“ (www.handelsblatt.com/finanzen/ban ken-versicherungen/reiseveranstalter-versicherer-zurich-keine-volle-erstat tung-der-anzahlung-von-thomas-cook-kunden/25073692.html?ticket=ST-2021 726-4mtBDOWCD44mSLggQNaz-ap3). Laut Presseberichten hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Insolvenzfall von Thomas Cook zum Anlass genommen, weitere große Akteure im Bereich der Pauschalreisen und die dahinterstehenden Ver- Deutscher Bundestag Drucksache 19/16444 19. Wahlperiode 10.01.2020 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 9. Januar 2020 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. sicherungen zu überprüfen. So etwa den Deutschen Reisepreis-Sicherungsverein . Deutsche Pauschalreiseanbieter gründeten 1994 einen sogenannten „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ (VVaG) nach §§ 171 ff. des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), den Deutschen Reisepreis-Sicherungsverein (DRS). Im Rahmen eines solchen VVaG haften die beteiligten Unternehmen für den Fall einer Insolvenz gegenseitig. Der Kapitalbestand der DRS wies laut Creditreform zuletzt 5,3 Mio. Euro aus (https://app.handelsblatt.com/unter nehmen/handel-dienstleister/pauschalreisen-insolvenzabsicherung-unzurei chend-BaFin-kritisiert-tui-und-rewe/25217830.html?u=13719972&-np-=&jb= 5&sfmc_sub=276399575&mid=7322111&j=505876&rtfm=2&l=266_HTML &ticket=ST-1807029-rEkQMIeVZhOvJifzNWdC-ap6). Nach Angaben der Presse bereitet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dem Geschäftsmodell nun ein Ende, da sie die aktuelle Ausgestaltung der Risikoabsicherung für unzulässig hält (www.fvw.de/veran stalter/brennpunkt/deutscher-reisepreis-sicherungsverein-BaFin-fordert-neuauf stellung-des-tui--und-der-versicherers-204778?crefresh=1). Lauf DRS befindet sich dieser in enger Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (https://app.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleis ter/pauschalreisen-insolvenzabsicherung-unzureichend-BaFin-kritisiert-tui-un d-rewe/25217830.html?u=13719972&-np-=&jb=5&sfmc_sub=276399575&m id=7322111&j=505876&rtfm=2&l=266_HTML&ticket=ST-1807029-rEkQ MIeVZhOvJifzNWdC-ap6). Es ist fraglich, wie die Bundesregierung die Zukunft der deutschen Pauschalreise-Versicherer mitgestalten will. 1. Welche Punkte der Ausgestaltung einzelner Kundengeldabsicherer werden von der BaFin konkret kritisiert? 2. Welche Anforderungen stellt die BaFin an die Umgestaltung des Versicherungsmodells einzelner Kundengeldabsicherer? Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die BaFin überprüft generell im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Anforderungen durch Versicherungsunternehmen, insbesondere an die angemessene Geschäftsorganisation, die Kapitalausstattung und das Risikomanagement. Derzeit nimmt sie insbesondere Versicherungsunternehmen , die eine Kundengeldabsicherung bei Pauschalreisen anbieten, in den Blick. Nach bisherigen Erkenntnissen der BaFin bietet nur eine einstellige Zahl von Versicherungsunternehmen die Kundengeldabsicherung auf dem deutschen Markt an. Eine konkrete aufsichtsrechtliche Fragestellung in diesem Zusammenhang ist der Einsatz und die Berücksichtigung von Risikominderungstechniken . 3. Wurde der Bundesregierung ein Bericht der BaFin über deutsche Pauschalreise-Versicherer hinsichtlich ihrer Zulässigkeit und Effizienz vorgelegt? a) Wenn ja, was wurde in dem Bericht konkret dargelegt? b) Wenn nein, hat die Bundesregierung einen entsprechenden Bericht bei der BaFin in Auftrag gegeben? Die Fragen 3 bis 3b werden gemeinsam beantwortet. Die BaFin überprüft die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Anforderungen durch Versicherungsunternehmen. Die Rechtspflicht, eine effektive und nach gesetzlichen Maßstäben zulässige Kundengeldabsicherung für den Fall einer Insol- Drucksache 19/16444 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode venz vorzuhalten, richtet sich hingegen an Reiseveranstalter und ist nach der Gewerbeordnung für diese bußgeldbewehrt, d. h. ohne eine effektive Absicherung dürfen Reiseveranstalter Zahlungen des Reisenden auf den Reisepreis nicht annehmen. Reiseveranstalter und die Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) sowie des deutschen Pauschalreiserechts durch diese Unternehmen, werden von der BaFin nicht geprüft. 4. Sind nach Ansicht der Bundesregierung durch die Regelungen im deutschen Recht die Pauschalreiserichtlinie und die darin normierten Anforderungen an Kundengeldabsicherungen ausreichend umgesetzt? Reiseveranstalter sind nach § 651r des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gesetzlich zur Insolvenzabsicherung verpflichtet. Dies umfasst Beherbergungen und Rückreisen sowie Vorauszahlungen der Kunden. Soweit sich Reiseveranstalter für die Absicherung eines Versicherers bedienen, ist für die An- und Vorauszahlungen nach § 651r BGB eine Haftungsbegrenzung für die Versicherer auf 110 Millionen Euro möglich. Der Gesetzgeber verfolgte mit dieser Regelung das Ziel einer adäquaten Haftungsbegrenzung unter Orientierung an bisher bekannten Insolvenzschäden in der Reisebranche, die sich auf maximal 30 Millionen Euro beliefen. Eine Absicherung gänzlich unwahrscheinlicher Schadensfälle fordert auch die Pauschalreiserichtlinie nicht. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, dass die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen in § 651r BGB europarechtskonform erfolgt ist. 5. Wo sieht die Bundesregierung Änderungsbedarf hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung der Insolvenzabsicherung von Pauschalreiseveranstaltern ? 6. Wurde gegenüber der Bundesregierung seitens der BaFin eine Empfehlung ausgesprochen, wie die gesetzliche Lage in Deutschland verändert werden sollte? a) Wenn ja, welche Empfehlung spricht die BaFin in Bezug auf die Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie aus? b) Wenn ja, welche Empfehlung spricht die BaFin in Bezug auf die Effizienz der Insolvenzabsicherung, die auf 110 Mio. Euro pro Geschäftsjahr begrenzt werden kann, aus? Die Fragen 5 bis 6b werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung wird eine Neuregelung der Insolvenzsicherung im Reiserecht erarbeiten und beabsichtigt, konkrete Reformpläne bereits im Frühjahr 2020 vorzulegen. Mögliche Handlungsoptionen werden derzeit unter Heranziehung externer Fachexpertise (insbesondere von Versicherungsaktuar- und wirtschaftswissenschaftlicher Kompetenz) und im Austausch mit den beteiligten Fachkreisen geprüft. Auch die Erfahrungen der BaFin aus der aufsichtlichen Tätigkeit werden von der Bundesregierung im Hinblick auf eine Weiterentwicklung der Insolvenzsicherung im Reiserecht berücksichtigt. 7. Wurde die Bundesregierung seitens der Kommission der Europäischen Union bislang auf eine mangelnden Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie aufmerksam gemacht beziehungsweise im Rahmen des Vorverfahrens eines Vertragsverletzungsverfahrens im Sinne von Artikel 258 Absatz 1 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16444 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gemahnt ? Die Europäische Kommission ist im Jahr 2010 in einen informellen bilateralen Dialog (EU-Pilotverfahren) mit der Bundesrepublik eingetreten, um einzelne Punkte der Umsetzung der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Richtlinie 90/314/EWG zu erörtern. Gegenstand dieses Austausches war auch die Möglichkeit der Haftungsbegrenzung auf 110 Millionen Euro pro Versicherungsunternehmen und Jahr nach § 651k BGB in der bis zum 30. Juni 2018 geltenden Fassung. Die Bundesregierung hat hierzu in einer Stellungnahme mitgeteilt , dass sie von einer ausreichenden Umsetzung der Richtlinie ausgehe. Die Europäische Kommission hat daraufhin den Dialog im Jahr 2011 nicht mehr fortgesetzt und auch kein weiteres Verfahren eingeleitet. Bezüglich der aktuell geltenden Richtlinie (EU) 2015/22302 hat die Kommission keine vergleichbaren Schritte unternommen. Sie hat keine Hinweise auf eine möglichweise unzureichende Umsetzung erteilt. 8. Wurde der Bundesregierung eine Einschätzung der BaFin vorgelegt hinsichtlich einer Beurteilung, ob die Bundesregierung für die nach der Insolvenz von Thomas Cook verlorenen Zahlungen der Urlauber haftet? a) Falls ja, zu welcher Einschätzung der Haftungsfrage ist die BaFin gekommen ? b) Falls nein, hat die Bundesregierung eine entsprechende Einschätzung bei der BaFin in Auftrag gegeben? Die Fragen 8 bis 8b werden gemeinsam beantwortet. Nein, die Klärung solcher Fragen gehört nicht zum Aufgabenkreis der BaFin. 9. Hat die Bundesregierung geprüft, ob die Bundesregierung für die nach der Insolvenz von Thomas Cook verlorenen Zahlungen der Urlauber haftet? a) Falls ja, zu welchem Ergebnis ist sie gekommen? b) Falls nein, wieso nicht? Die Fragen 9 bis 9b werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie europarechtskonform erfolgt ist. In jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Stellungnahmen, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Falle einer Befassung zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte und die Bundesrepublik wegen europarechtswidriger Umsetzung der Richtlinie von den Reisenden in Haftung für den Ausfall genommen werden könnte. So liegen der Bundesregierung inzwischen vier externe Gutachten vor, von denen eines die Europarechtswidrigkeit bejaht, drei weitere sehen mit Blick auf die in der Vergangenheit sehr verbraucherfreundliche Rechtsprechung des EuGH Risiken mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Der Risikobewertung schließt sich die Bundesregierung an. Die Frage, ob und in welchem Umfang die Bundesrepublik möglicherweise haftbar gemacht werden könnte, hängt von der Klärung sehr komplexer rechtlicher Fragestellungen ab, die derzeit nicht abschließend beantwortet werden können und deren Klärung in kurzer Frist nicht zu erwarten ist. Drucksache 19/16444 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. 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