Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12. April 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/1662 19. Wahlperiode 16.04.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Stefan Keuter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/1481 – Die Erhebung der Umsatzsteuer in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Umsatzsteuer gehört als Verkehrssteuer zu den indirekten Steuern. Sie ist eine allgemeine Verbrauchsteuer, die die Einkommensverwendung der Verbraucher besteuert. Sie wirkt wie eine zweite, proportionale Einkommensteuer auf das bereits einmal bei seiner Entstehung direkt belastete Einkommen (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Nr. 57/05). Gemäß § 12 Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) beträgt die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 Prozent der Bemessungsgrundlage und ermäßigt sich auf 7 Prozent in den in § 12 Absatz 2 UStG genannten Fällen. Der Bundesrechnungshof unterrichtete das Parlament und die Bundesregierung am 28. Juni 2010 mit einem Sonderbericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) zum ermäßigten Umsatzsteuersatz. In dem Bericht führte er zahlreiche Beispiele unterschiedlicher Leistungen und Güter auf, um die aktuellen Defizite und Schwachstellen bei den Ermäßigungstatbeständen deutlich zu machen . Als Beispiele wurden u. a. der ermäßigte Steuersatz für „Außer-Haus- Umsätze“, der Verkauf von Feinschmeckerprodukten und Heimtierfutter genannt . Nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofes waren die Ermäßigungen häufig nicht mehr zeitgemäß und in sich widersprüchlich, nur mit erheblichem Verwaltungsaufwand umzusetzen und zu kontrollieren sowie vom Regelsteuersatz vielfach nicht klar abgrenzbar (vgl. Der Präsident des Bundesrechnungshofes , Chancen zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens, S. 7 f., 16. Januar 2013). 1. Steht nach Ansicht der Bundesregierung die Umsatzsteuer, die von jedem Bürger in gleicher Höhe zu zahlen ist, in Einklang mit dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit? Die Umsatzsteuer (ausgenommen die Einfuhrumsatzsteuer) ist in ihrer wirtschaftlichen Wirkung eine allgemeine Verbrauchsteuer, mit der weitestgehend der gesamte private und öffentliche Verbrauch (d. h. vom Endverbraucher erworbene Güter und in Anspruch genommene Dienstleistungen) belastet wird. Sie unterscheidet sich damit wesentlich von den Ertragsteuern. Das Prinzip der Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist daher im Rahmen der Umsatzsteuer nicht anzuwenden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1662 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2. Plant die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative, die Umsatzsteuer zu senken und damit gerade Geringverdiener zu entlasten? Die Bundesregierung plant aktuell keine Gesetzesinitiative. Durch eine Senkung der Umsatzsteuer lässt sich eine zielgenaue Entlastung von Geringverdienern nicht erreichen. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass Steuersenkungen 1:1 in Preissenkungen resultieren. Die Überwälzung hängt von diversen Faktoren, u. a. der Wettbewerbssituation in den entsprechenden Märkten, ab. 3. Wie hoch waren die Einnahmen aus der Umsatzsteuer im Jahr 2017? In welchem Maß trugen der Normalsteuersatz und der ermäßigte Steuersatz hierzu bei? Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer inkl. Einfuhrumsatzsteuer betrugen im Jahr 2017 rd. 226,355 Mrd. Euro. Das Umsatzsteueraufkommen lässt sich nicht statistisch auf den Regelsteuersatz und den ermäßigten Satz aufteilen. Daher ist eine entsprechende Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens nur auf der Grundlage von Schätzungen möglich. Nach Schätzung des BMF beträgt der Anteil des Umsatzsteueraufkommens aus dem Regelsteuersatz zurzeit 92,1 Prozent und aus dem ermäßigten Steuersatz 7,9 Prozent. Unter Zugrundelegung dieser Anteile entfielen somit im Jahr 2017 rund 208,5 Mrd. Euro auf den Regelsteuersatz von 19 Prozent und rund 17,9 Mrd. Euro auf den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent. 4. Inwieweit hat die Bundesregierung die oben genannten Kritikpunkte des Bundesrechnungshofes gewürdigt, und welche Maßnahmen wurden bisher ergriffen? Reformüberlegungen, wie die des BRH, zu den Umsatzsteuersätzen sind seit langem immer wieder in der politischen Diskussion. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass für eine weitreichende und zugleich fiskalisch vertretbare Reform stets der notwendige breite gesellschaftliche und politische Konsens gefehlt hat. Punktuelle Änderungen, insbesondere unionsrechtlich zwingende Änderungen (z. B. die Abschaffung des ermäßigten Steuersatzes für Pferde und die Einschränkungen beim ermäßigten Steuersatz für Kunstgegenstände), wurden aber umgesetzt. 5. Plant die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative, nach der nicht nur Lebensmittel , sondern auch Arzneimittel, Babynahrung und Energie dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 Prozent unterliegen? 6. Wenn nein, wie ist diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen? Die Fragen 5 und 6 werden zusammengefasst beantwortet. Die Bundesregierung plant aktuell keine diesbezügliche Gesetzesinitiative. Zu Arzneimitteln: Der nationale Gesetzgeber hat bei der Einführung der Umsatzsteuer nach dem europäischen Mehrwertsteuersystem zum 1. Januar 1968 für die Besteuerung der Umsätze im Gesundheitsbereich in eingehenden Beratungen ein Gesamtkonzept entwickelt. Danach enthält das deutsche UStG gezielte Vergünstigungen für wichtige Bereiche des Gesundheitswesens, wie beispielsweise die Steuerbefreiung für die meisten Umsätze der Heilberufe und Krankenhäuser. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/1662 Steuerpflichtige Lieferungen orthopädischer Hilfs- und Fortbewegungsmittel für Kranke und Körperbehinderte unterliegen deshalb einem ermäßigten Steuersatz. Dasselbe gilt u. a. für die Lieferung und die Wiederherstellung von Zahnprothesen und kieferorthopädischen Apparaten. Diesen umsatzsteuerrechtlichen Begünstigungen, die zudem Sozialversicherungsträgern und Privatpersonen gleichermaßen zugutekommen sollen, steht die einheitliche Besteuerung der Arzneimittelumsätze zum allgemeinen Umsatzsteuersatz gegenüber. Zur Babynahrung: Die Annahme einer Ungleichbehandlung beruht auf der zwar häufig wiederholten, trotzdem aber unzutreffenden Behauptung, Babynahrung würde dem Regelsteuersatz unterworfen werden. Tatsächlich unterscheidet das Gesetz nicht zwischen Nahrung, die für Babys oder Kinder bestimmt ist und solcher für Erwachsene. Insoweit gilt die allgemeine Systematik der Umsatzsteuerermäßigung , nach der Nahrungsmittel und damit auch Babynahrung regelmäßig dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Demgegenüber werden Getränkeerzeugnisse (mit Ausnahme von Milch, Milchmischgetränken mit einem Milchanteil von mindestens 75 Prozent und Wasser) mit 19 Prozent besteuert. Zu Energiekosten: Das Mehrwertsteuerrecht ist im Rahmen der Europäischen Union harmonisiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist an die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) gebunden. Demzufolge sind Lieferungen von Energieträgern (wie z. B. Öl, Kohle) generell mit dem Regelsteuersatz von 19 Prozent zu besteuern . Ausnahmen gelten für Lieferungen von Erdgas, Elektrizität oder Fernwärme, die ermäßigt besteuert werden können. Von der Möglichkeit der Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf diese Lieferungen hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht, da dies nicht im Einklang mit den politischen Bestrebungen stünde, den Energieverbrauch im Interesse von Umwelt und Klima zu reduzieren. Lediglich für bestimmte Holzbrennmaterialien kommt der ermäßigte Steuersatz zur Anwendung. 7. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Ungleichbehandlung bei der Besteuerung von Milch und Milcherzeugnissen mit ermäßigtem Steuersatz auf der einen Seite sowie Milchmischgetränken, die zu mehr als einem Viertel aus Fruchtsaft bestehen, und pflanzlichen Milchersatzprodukten wie Sojamilch , welche voll besteuert werden, auf der anderen Seite? Der Gesetzgeber hat Getränke generell dem Regelsteuersatz unterworfen. Eine Ausnahme hiervon hat er lediglich für Leitungswasser, Milch- und bestimmte Milchmischgetränke (Milchgehalt mindestens 75 Prozent) gemacht. Die Begünstigung von Milch und bestimmten Milchmischgetränken ist dabei zum einen sicherlich dem Stellenwert der Milch im Rahmen einer gesunden Ernährung geschuldet gewesen, zum anderen dem Umstand, dass es sich um ein landwirtschaftliches Erzeugnis handelt. Um nicht jedes Getränk durch die Beimischung geringer Mengen von Milch ebenfalls zu einem ermäßigt zu besteuernden Getränk werden zu lassen, wurde der Mindestgehalt an Milch bzw. Milcherzeugnissen auf 75 Prozent des Fertigerzeugnisses festgelegt. Die Anwendung des Normalsatzes für pflanzliche Milchersatzprodukte folgt aus dem Gesetz und ist vom Bundesfinanzhof (BFH) bestätigt worden. Milchersatzprodukte pflanzlichen Ursprungs sind demnach keine Milch im umsatzsteuerrechtlichen Sinne. Laut BFH sei hierunter allein das „Gemelk“ von Tieren zu verstehen . Die Lieferungen pflanzlicher Milchersatzprodukte unterliegen als Getränkeerzeugnis daher dem allgemeinen Steuersatz. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1662 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 8. Wie begründet die Bundesregierung die unterschiedliche Besteuerung von Tiernahrung (7 Prozent) und Babynahrung (19 Prozent)? Wie bereits in der Antwort zu den Fragen 5 und 6 ausgeführt, beruht diese Fragestellung auf einer weit verbreiteten Fehlinformation: Babynahrung wird nicht anders behandelt als andere für den menschlichen Verzehr bestimmte Nahrungsmittel , sie unterliegt unter den gleichen Voraussetzungen dem ermäßigten Steuersatz. Eine Ungleichbehandlung gegenüber Tiernahrung, die aus anderen Erwägungen begünstigt wird, gibt es daher nicht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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