Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Anton Friesen, Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/16081 – Übertragung von nationalen Kompetenzen auf multilaterale Organisationen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied in einer Vielzahl von multilateralen Organisationen, wie beispielweise der Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder der Welthandelsorganisation (WTO). Im Zuge dessen hat Deutschland Teile seiner nationalen Souveränität und Kompetenzen auf eine internationale Ebene abgetreten. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat in diesem Zusammenhang auf der „Falling Walls“-Konferenz 2009 folgende Aussage getätigt: „Sich Mehrheitsentscheidungen internationaler Art zu beugen, ist zumindest in den Vereinigten Staaten von Amerika noch nicht eingeübt. In der Europäischen Union ist es das etwa bei der Außenpolitik und bei der Steuerpolitik auch nicht. Aber in vielen anderen Politikbereichen muss Deutschland damit leben, dass es überstimmt wird und dann andere Entscheidungen getroffen werden. Das heißt, eine der spannendsten Fragen, Mauern zu überwinden, wird sein: Sind Nationalstaaten bereit und fähig dazu, Kompetenzen an multilaterale Organisationen abzugeben, koste es, was es wolle; und sei es auch in Form einer Verurteilung? Wir haben solche Beispiele. Die Gründung der Welthandelsorganisation ist ein solches Beispiel, in dem es Schiedsverfahren gibt, in denen über Handelsfragen ohne Veto-Recht irgendeines Mitgliedstaates entschieden wird und notfalls auch Vertragsstrafen verhängt werden. Aber wir haben zu wenig von solchen Beispielen“ (https://archiv.bundesregierung.de/ar chiv-de/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-auf-der-konferenz-falling-walls-79 7074). Deutscher Bundestag Drucksache 19/16620 19. Wahlperiode 20.01.2020 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 16. Januar 2020 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. 1. In welchen multilateralen Organisationen strebt die Bundesregierung bis wann eine Mitgliedschaft oder einen Beobachterstatus an? Die Bundesregierung strebt zu November 2020 einen Beobachterstatus im Iberoamerikanischen Generalsekretariat (SEGIB) an. Ebenfalls strebt die Bundesregierung im Verlauf des Jahres 2020 einen Beobachterstatus im Kooperationsmechanismus der Steuerverwaltungen der Seidenstraßen-Initiative („Belt and Road Initiative Tax Administration Cooperation Mechanism“/BRITACOM) an. Die Bundesregierung strebt voraussichtlich in dieser Legislaturperiode die Mitgliedschaft im „Information Sharing Center” des Übereinkommens über die regionale Zusammenarbeit für die Bekämpfung der Seeräuberei und bewaffneter Raubüberfälle auf Schiffe in Asien („Regional Cooperation Agreements on Combating Piracy and Armed Robbery against Ships in Asia“/ReCAAP) an. 2. Ist es Politik der Bundesregierung, deutsche Kompetenzen an multilaterale Institutionen abzugeben, „koste es, was es wolle“ (siehe Vorbemerkung der Fragesteller)? Es ist Priorität der Bundesregierung, auf Regeln basierende internationale Kooperationen , Institutionen und Organisationen als Grundlage von Frieden, Sicherheit und Stabilität zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Stärkung des gemeinsamen europäischen Handelns und der Gestaltungskraft der EU steht dabei im Mittelpunkt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 und die Schlussfolgerungen des Rats der Europäischen Union zur Stärkung des Multilateralismus vom 17. Juni 2019 verwiesen, vgl. www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/0 6/17/effective-multilateralism-council-adopts-conclusions/. 3. Beinhaltet das von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel geäußerte „koste es, was es wolle“ die Volkssouveränität, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsgebot (siehe Vorbemerkung der Fragesteller; siehe Artikel 20 des Grundgesetzes)? Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union und zwischenstaatliche Einrichtungen erfolgt nach Artikel 23 Absatz 1 und Artikel 24 Absatz 1 des Grundgesetzes. Dabei sind neben den dort formulierten Voraussetzungen insbesondere die Grenzen nach Artikel 79 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes zu wahren. 4. Auf welche multilateralen Institutionen wurden welche Kompetenzen mit welcher Begründung seit dem Jahr 2009 abgegeben? Mit dem am 26. Juni 2019 in Kraft getretenen „Brexit EU-Haushalt Ausführungs - und Finanzierungsgesetz“ (Bundesgesetzblatt Teil II, Nr. 10, Seite 498) wurde der deutsche Vertreter im Rat ermächtigt, einem auf der Flexibilitätsklausel des Artikel 352 AEUV gestützten Verordnungsvorschlag zur Ausführung des Jahreshaushaltsplans 2019 im Falle eines ungeregelten Austritts des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union zuzustimmen. Rechtsgrundlage des Verordnungsvorschlags war die Flexibilitätsklausel des Artikel 352 AEUV, weswegen es für die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat nach § 8 des Integrationsverantwortungsgesetzes eines Gesetzes i. S. v. Drucksache 19/16620 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Artikel 23 Absatz 1 GG bedurfte. Eine über den Einzelfall hinausgehende Übertragung von Hoheitsrechten erfolgte nicht. Mit dem am 14. Dezember 2019 in Kraft getretenen „Brexit EU-Haushalt Ausführungs- und Finanzierungsgesetz 2020“ (Bundesgesetzblatt Teil II, Nr. 21, Seite 1091) wurde der deutsche Vertreter im Rat ermächtigt, einem auf der Flexibilitätsklausel des Artikel 352 AEUV gestützten Verordnungsvorschlag zur Ausführung des Jahreshaushaltsplans 2020 im Falle eines ungeregelten Austritts des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union zuzustimmen . Rechtsgrundlage des Verordnungsvorschlags war die Flexibilitätsklausel des Artikel 352 AEUV, weswegen es für die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat nach § 8 Integrationsverantwortungsgesetz eines Gesetzes i. S. v. Artikel 23 Absatz 1 GG bedurfte. Eine über den Einzelfall hinausgehende Übertragung von Hoheitsrechten erfolgte nicht. Mit dem am 9. Juni 2015 in Kraft getretenen Gesetz zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union (Bundesgesetzblatt Teil II, Seite 798) ratifizierte die Bundesrepublik den zuvor genannten Beschluss des Rates. Der Eigenmittelbeschluss ist die rechtliche Grundlage für die Berechnung der nationalen Abführungen an den EU-Haushalt . Der auf Artikel 311 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und auf Artikel 106 a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft gestützte Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 konnte erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten. Nach Artikel 23 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes i. V. m. § 3 Absatz 1 des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union und Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes war hierfür ein Bundesgesetz erforderlich, das mit Zustimmung des Bundesrates erging. Eine über den Einzelfall hinausgehende Übertragung von Hoheitsrechten erfolgte nicht. Mit dem am 26. Juli 2013 in Kraft getretenen „Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank“ (Bundesgesetzblatt Teil II, Nr. 20, Seite 1050) wurde der deutsche Vertreter im Rat ermächtigt, dem Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die europäische Zentralbank (EZB) (SSM-Verordnung) in der Fassung vom 16. April 2013 zuzustimmen. Rechtsgrundlage des Verordnungsvorschlags war Artikel 127 Absatz 6 AEUV. Die vorgesehene Übertragung besonderer Aufgaben im Bereich der Bankenaufsicht auf die europäische Ebene betraf Befugnisse, die in Deutschland bislang verantwortlich von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wahrgenommen wurden . Zu den vollständig oder teilweise auf die EZB übertragenen Befugnisse zählen unter anderem die Gewährleistung der Einhaltung von Kapital-, Liquiditäts - und Governance-Anforderungen. In der besonderen Konstellation der vorgesehenen Zuständigkeitsveränderung auf Basis von Artikel 127 Absatz 6 AEUV nahm der Gesetzgeber seine Integrationsverantwortung durch ein Gesetz gem. Artikel 23 Absatz 1 Satz 2 GG wahr. Darüber hinaus wurden seit 2009 keine Hoheitsrechte gemäß Artikel 24 Absatz 1 GG an multilaterale Institutionen übertragen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16620 5. Welche Kompetenzen sollen in dieser Legislaturperiode auf welche multilateralen Institutionen mit welcher Begründung abgegeben werden? Es ist damit zu rechnen, dass der Rat im Jahr 2020 erneut einen Beschluss über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union fassen wird, der dann den in der Antwort zu Frage 4 genannten Eigenmittelbeschluss des Rates vom 26. Mai 2014 ersetzen soll. Dem neuen Eigenmittelbeschluss des Rates muss die Bundesrepublik Deutschland durch Erlass eines Vertragsgesetzes nach Artikel 23 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes zustimmen. Auch für die aktuelle Legislaturperiode ist bislang keine Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Artikel 24 Absatz 1 GG an multilaterale Institutionen vorgesehen. Drucksache 19/16620 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333