Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jens Beeck, Markus Herbrand, Michael Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/16317 – Umsatzsteuerliche Regelungen zum Mittagessen in Einrichtungen der Behindertenhilfe V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Zum 1. Januar 2020 werden die bisher angebotenen Komplexleistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen getrennt. Zukünftig wird es Fachleistungen der Eingliederungshilfe gemäß dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) geben und Leistungen zum Lebensunterhalt gemäß SGB XII. In der Praxis gestaltet sich die Trennung nach Ansicht der Fragesteller schwierig , was sich am Beispiel der gemeinschaftlichen Verpflegung in den Einrichtungen der Behindertenhilfe gravierend zeigt. Die Leistungen der Mahlzeiten, z. B. des Mittagessens, müssen zukünftig zerlegt werden in Einkauf und Zubereitung und werden unterschiedlichen bzw. teilweise höheren Steuersätzen unterliegen, was zu Verteuerungen für die Bewohner führen wird. In vielen Gesprächen erfahren Abgeordnete von einer großen Verunsicherung und großer Unruhe bei den Bewohnerinnen und Bewohnern als auch bei den Leistungsanbietern .  1. Trifft es zu, dass ab 1. Januar 2020 in Einrichtungen der Behindertenhilfe die Mahlzeiten teilweise umsatzsteuerpflichtig und teilweise nicht umsatzsteuerpflichtig werden, und falls ja, welche Bereiche des Mittagessens , z. B. hinsichtlich des Einkaufs und der Zubereitung, unterfallen welcher Steuerpflicht (bitte nach besonderen Wohnformen und Werkstätten aufschlüsseln)? Nein, das trifft nicht zu. Ein Wohn- und Betreuungsvertrag, der unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fällt und auf Grund dessen dem Bewohner Wohnraum, Pflege- und Betreuungsleistungen und ggf. Verpflegung als Teil der Betreuungsleistung zur Verfügung gestellt wird, ist umsatzsteuerrechtlich als Vertrag besonderer Art nach Abschnitt 4.12.6 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) anzusehen, so dass die Umsätze aus diesen Wohn- und Betreuungs- Deutscher Bundestag Drucksache 19/16814 19. Wahlperiode 28.01.2020 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. Januar 2020 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. verträgen insgesamt unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nummer 16 Buchstabe h des Umsatzsteuergesetzes (UStG) fallen. Werden Pflege-, Betreuungs- und Verpflegungsleistungen von Einrichtungen der Behindertenhilfe aufgrund getrennter Verträge erbracht, sind die aus der Versorgung ihrer Kunden erzielten Umsätze als mit dem Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung und Pflege eng verbundene Umsätze nach § 4 Nummer 16 UStG anzusehen. Auch die durch Werkstätten für behinderte Menschen erbrachten Verpflegungsleistungen an die Menschen mit Behinderungen sind als eng mit der Betreuung in Werkstätten für behinderte Menschen verbundene Umsätze nach § 4 Nummer 16 Satz 1 Buchstabe f UStG als umsatzsteuerfrei anzusehen.  2. In welchen anderen Lebensbereichen der Menschen mit Behinderung und Angeboten der Behindertenhilfe bzw. Behinderteneinrichtungen wird ab dem 1. Januar 2020 eine zuvor nicht angewendete Unterteilung in umsatzsteuerpflichtige und nichtumsatzsteuerpflichtige Anteile vorgenommen ? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.  3. Wie plant die Bundesregierung, den nach Ansicht der Fragesteller erheblichen bürokratischen Aufwand für die Träger der Einrichtungen zu kompensieren , der durch die geplante Aufteilung in umsatzsteuerpflichtige und nicht umsatzsteuerpflichtige Anteile der Mahlzeiten entsteht?  4. Wie viele zusätzliche Arbeitsstunden in der Finanzverwaltung werden durch die geplante Aufteilung der Steuersätze zwischen SGB IX und SGB XII notwendig? Wie vielen Vollzeitstellen in der Finanzverwaltung entsprechen diese Arbeitsstunden?  5. Wie plant die Bundesregierung, den nach Ansicht der Fragesteller erheblichen bürokratischen Aufwand für die Träger der Einrichtungen zu kompensieren , der durch die geplante Aufteilung in umsatzsteuerpflichtige und nicht umsatzsteuerpflichtige Anteile der Mahlzeiten entsteht? Die Fragen 3 bis 5 werden zusammen beantwortet. Die Bundesregierung geht davon aus, dass insbesondere bei den besonderen Wohnformen (bisherigen stationären Einrichtungen) weiterhin regelmäßig keine Aufteilung der Leistungsentgelte vorzunehmen ist. Demnach werden auch keine zusätzlichen Arbeitsstunden für die Finanzverwaltung und auch kein erhöhter bürokratischer Aufwand für die Leistungserbringer anfallen. Drucksache 19/16814 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  6. Aus welchem Grund ist es nicht möglich, die Mahlzeiten, wie bisher, trotz der Trennung der Fachleistung von Leistungen des Lebensunterhalts , mit einer einheitlichen Besteuerung anzubieten?  7. Wie werden Mahlzeiten in den Einrichtungen der Behindertenhilfe, in Werkstätten für behinderte Menschen oder in besonderen Wohngruppen besteuert, die unter Mithilfe der Bewohner beim Einkauf oder Kochen gemeinsam zubereitet werden?  8. Wie werden die Mahlzeiten in den Einrichtungen der Behindertenhilfe, in Werkstätten für behinderte Menschen oder in besonderen Wohngruppen besteuert, deren Lebensmittel aus eigenen Gärten, Treibhäusern und Ställen stammen? Die Fragen 6 bis 8 werden zusammen beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.  9. Werden andere umsatzsteuerliche Regelungen anzuwenden sein, wenn die Mahlzeiten grundsätzlich für Bewohner und Mitarbeiter der Einrichtung gleichermaßen zubereitet wird? Nein. Wie bisher sind Verpflegungsleistungen gegenüber Mitarbeitern, die diesen gegen (zusätzliches) Entgelt aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung erbracht werden, nicht als Bestandteil der Leistungen zur Sozialfürsorge anzusehen und somit umsatzsteuerpflichtig. 10. Werden auch andere Einrichtungen und beispielsweise besondere Wohngruppen der Rechtskreise der Sozialgesetzbücher XI oder VIII, sofern Volljährige betroffen sind, von den neuen umsatzsteuerlichen Regelungen betroffen sein, und wenn ja, welche Einrichtungen sind das? Der mit dem Bundesteilhabegesetz zum 1. Januar 2020 eingeführte Grundsatz der Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen gilt für volljährige Leistungsberechtigte des Rechtskreises der Eingliederungshilfe (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch Teil 2, SGB IX Teil 2), die in besonderen Wohnformen (bisherigen stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe) leben. Ausgenommen von diesem Grundsatz der Trennung sind aber – sofern die Voraussetzungen des § 134 Absatz 4 SGB IX erfüllt sind – unter anderem Leistungsberechtigte nach dem SGB IX Teil 2, die nach dem Erreichen ihrer Volljährigkeit noch für eine kurze Zeit in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (Achtes Buch Sozialgesetzbuch) verbleiben. Im Übrigen erwartet die Bundesregierung unter Verweis auf die Antwort zu Frage 1 ohnehin in der Regel keine Änderungen bei der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Leistungen, die in besonderen Wohnformen erbracht werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/16814 11. Welche Auswirkungen hat der Stand der Gemeinnützigkeit auf die leistungsrechtliche Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen? Die Trennung der Fachleistungen von existenzsichernden Leistungen ist sozialrechtlich vorgegeben und für die Einordnung, ob ein steuerbegünstigter Zweckbetrieb nach §§ 66 oder 68 Nummer 1 der Abgabenordnung (AO) vorliegt, von Bedeutung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 14 verwiesen. 12. Besteht zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) Einmütigkeit in diesen umsatzsteuerlichen Fragen? Die von der Neufassung durch das BTHG betroffenen Ressorts arbeiten eng zusammen und haben sich auch zu den umsatzsteuerrechtlichen Fragen abgestimmt . 1 3 . Hält die Bundesregierung am Inhalt des auf umsetzungsbegleitungbthg .de veröffentlichten BMAS-Schreibens vom 12. April 2019 an die Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter für Soziales der Länder fest (vgl. https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/bthg-kompass/bk-trennung-v on-leistungen/zuschnitt-fachleistungen/fd5-1030/)? Der Inhalt des Schreibens des BMAS vom 12. April 2019 ist bezüglich der darin enthaltenen Einschätzung der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Verpflegungsleistungen in den besonderen Wohnformen durch das mit dem BMF abgestimmte Schreiben des BMAS vom 12. November 2019 (https://ums etzungsbegleitung-bthg.de/service/aktuelles/bmas-umsatzsteuerrechtliche-fra gen/) überholt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 14. Wurde das in dem BMAS-Schreiben vom 12. April 2019 angekündigte BMF-Schreiben in der Zwischenzeit fertiggestellt und an die Länder versandt ? Falls ja, wie lautet der Inhalt des Schreibens? Falls nein, wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass sowohl die Bewohnerinnen und Bewohner als auch die Träger von Behinderteneinrichtungen knapp einen Monat vor Inkrafttreten der neuen Steuerberechnung nicht genau wissen, welche Mehrbelastungen auf sie zukommen ? Das angekündigte BMF-Schreiben zu Nummer 2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 68 der Abgabenordnung ist mit den obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmt und steht mit folgendem Inhalt zur Veröffentlichung im Bundessteuerblatt an (vgl. BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2019, IV A 3 – S 0062/19/10010 :001): „Unter die Begriffe „Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime“ fallen Einrichtungen , die gegenüber denen in § 53 Nummer 1 AO genannten Personen Leistungen der Pflege oder Betreuung sowie der Wohnraumüberlassung erbringen und bei denen die Verträge über die Überlassung von Wohnraum und über die Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen voneinander abhängig sind (siehe §§ 1, 2 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz). Eine für die Allgemeinheit zugängliche Cafeteria ist ein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäfts- Drucksache 19/16814 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode betrieb. Für Körperschaften, die nicht die Voraussetzungen des § 68 Nummer 1 Buchstabe a erfüllen, kommt eine Förderung unter den Voraussetzungen des § 66 AO in Betracht.“ 15. Entspricht die in dem Schreiben vom 12. April 2019 geäußerte Begründung für die höhere Umsatzsteuer (Zitat „Allerdings ist das auch der Fall, wenn sich Bewohner selbst mit Essen versorgen, beispielsweise beim Kauf einer Pizza bei einem örtlichen Imbiss oder beim Kauf von Brot oder einer Packung Nudeln“) nach Ansicht der Bundesregierung der Lebenswirklichkeit der Bewohner der Einrichtungen? Auf die Antwort zu Frage 13 wird verwiesen. 16. Teilt die Bundesregierung angesichts der dargestellten Informationspolitik gegenüber den Betroffenen die naheliegende Schlussfolgerung der Betroffenen, dass ihre Interessen keine Rolle bei der Gesetzgebung gespielt haben? Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung nicht. Die Betroffenen konnten bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens zum Bundesteilhabegesetz im Rahmen eines breit angelegten Beteiligungsprozesses, in dem es unter anderem auch um die Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen ging, ihre Interessen einbringen. Auch die seit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes auf Einladung des BMAS regelmäßig stattfindenden Treffen von Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Behindertenrates mit der zuständigen Fachabteilung im BMAS sowie die Einrichtung diverser Beiräte, die die Umsetzungsprojekte des Bundesteilhabegesetzes begleiten und in denen jeweils alle relevanten Akteure vertreten sind, dokumentieren, wie wichtig es der Bundesregierung ist, die Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen. Unter anderem aufgrund dieses engen Austauschs mit den Betroffenen hat die Bundesregierung die Notwendigkeit der vertieften Erörterung der umsatzsteuerrechtlichen Fragen in Bezug auf die durch das Bundesteilhabegesetz eingeführte Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen erkannt und Rechnung getragen. 17. Wie hoch belaufen sich nach Prognosen der Bundesregierung die steuerlichen Mehreinnahmen aus der Streichung der Umsatzsteuerbefreiung? Welche Pläne verfolgt die Bundesregierung, um die generierten Mehreinnahmen für die Unterstützung der von der geänderten Besteuerung direkt betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Träger der Behinderteneinrichtungen zu nutzen? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/16814 18. Welche anderen steuerlichen Änderungen sind zum 1. Januar 2020 im Bereich von SGB IX und SGB XII vorgesehen? Wie hoch fallen dadurch die prognostizierten steuerlichen Mehreinnahmen aus, und welche Pläne gibt es für die Verwendung dieser Gelder ? Hinsichtlich weiterer Änderungen in den Bereichen des SGB IX und SGB XII sind der Bundesregierung keine umsatzsteuerrechtlich relevanten Änderungen bekannt (siehe auch Antwort zu Frage 2). 19. Wie wird derzeit die Dienstleistung der sog. Essen auf Rädern-Mahlzeiten umsatzsteuerlich behandelt, und wie wird die zukünftig geregelt sein? Leistungen der Mahlzeitendienste von anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und deren Untergliederungen (z. B. „Essen auf Rädern“) waren bis zum 31. Dezember 2019 unter den Voraussetzungen des § 4 Nummer 18 UStG umsatzsteuerfrei. An dieser Rechtsauffassung konnte die Bundesregierung aufgrund der Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 1. Dezember 2010 (XI R 46/08, BFHE 232, S. 232), wonach es sich bei den von einem Menüservice erbrachten Leistungen nicht um eng mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen gemäß Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe g der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie handelt, nicht weiter festhalten. Die Leistungen eines Mahlzeitendienstes sind mit der Neufassung des § 4 Nummer 18 UStG ab dem 1. Januar 2020 unabhängig von der Rechtsform des Leistungserbringers umsatzsteuerpflichtig; sie können jedoch unter den Voraussetzungen des § 12 Absatz 2 Nummer 1 oder Nummer 8 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen; insofern steht den Einrichtungen auch ein Vorsteuerabzug zu. Dies gilt für alle Anbieter gleichermaßen. Drucksache 19/16814 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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