Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 23. April 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/1872 19. Wahlperiode 25.04.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/1565 – Polens Einstieg in die Atomkraft V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 12. Dezember 2017 kündigte der neue polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in seiner Grundsatzrede an, für die Zukunft der Energiegewinnung seines Landes neben den erneuerbaren Energien auch die Atomkraft nutzen zu wollen (Quelle: www.wiwo.de/politik/ausland/polen-neuer-ministerpraesidentwill -an-kohle-energie-festhalten/20703696.html). Damit knüpft er an die Bestrebungen seiner Vorgängerregierungen an, die seit Jahren ein Atomkraftwerk an einem der drei Standorte Choczewo, Lubiatowo-Kopalino und Żarnowiec, alle drei in der Nähe von Danzig, bauen wollen. Die Finanzierung ist bisher unklar, der Baubeginn wird immer weiter verschoben. Laut dem polnischen Energieminister Krzysztof Tchorzewski soll noch in der ersten Hälfte dieses Jahres darüber entschieden werden, ob das Atomkraftwerk gebaut wird oder nicht (Quelle: www.reuters.com/article/us-poland-nuclear/poland-to-decidelater -this-year-on-building-nuclear-plant-idUSKBN1FI1Q8). Darüber hinaus hat das „Committee for Analysis and Preparation of Conditions for Deployment of High-Temperature Nuclear Reactors“ (HTR-Committee) im Auftrag des polnischen Energieministeriums einen den Fragestellern vorliegenden Bericht vorgelegt, der den Einsatz von gasgekühlten Hochtemperatur-Reaktoren (HTGR) der IV. Generation in Polen empfiehlt. Dieser Bericht ist wiederum Teil der nationalen „Strategy for development“ vom 14. Februar 2017. Im Zuge einer strategischen Partnerschaft zwischen Japan und Polen sowie unter Einbeziehung lokaler Partner soll als erster Schritt bis zum Jahr 2025 ein Versuchsreaktor gebaut werden (Quelle: https://asia.nikkei.com/Politics-Economy/ Policy-Politics/Japan-to-export-safer-nuclear-reactor-to-Poland). Bis zum Jahr 2031 könnte laut HTR-Committee der erste kommerzielle Hochtemperatur -Reaktor in Polen fertig gestellt sein. 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über einen möglichen Einstieg Polens in die kommerzielle Atomenergienutzung? Die neue polnische Regierung bekräftigte die Absicht Polens zur Nutzung der Kernenergie als einen Bestandteil im nationalen Energiemix. Das im Jahr 2014 vom polnischen Ministerrat angenommene nationale Kernenergieprogramm sieht Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1872 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode die Errichtung von zwei Atomkraftwerken mit einer elektrischen Gesamtleistung von ca. 6000 Megawatt elektrisch (MWe) vor. Eine Überarbeitung dieses Kernenergieprogramms wurde angekündigt, steht aber noch aus. Im zweiten Halbjahr des Jahres 2017 sprach der polnische Energieminister von der Notwendigkeit des Baus großer Anlagen mit einer elektrischen Gesamtleistung von ca. 4500 MWe bis zum Jahr 2040. Darüber hinaus gibt es Überlegungen, Hochtemperaturreaktoren für die Prozesswärme in der chemischen Industrie einzusetzen und damit Prozesswärme aus Kohle und Gas zu substituieren. 2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie der Bau von Atomanlagen in Polen finanziert werden soll? Der Bundesregierung ist bekannt, dass das polnische Energieministerium verschiedene Modelle der Finanzierung betrachtet. Nach Kenntnis der Bundesregierung ist aber noch keine Entscheidung über die Form der geplanten Finanzierung des Baus des ersten Atomkraftwerks gefallen. 3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie die polnische Regierung die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle organisieren und finanzieren will? Die polnische Regierung informiert im Rahmen des „Gemeinsames Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Stoffe“ (Joint Convention) über den Umgang mit radioaktiven Abfällen. Ebenso verpflichtet die Richtlinie 2011/70/Euratom Polen zur verantwortungsvollen und sicheren Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. In diesem Zusammenhang ist das Nationale Entsorgungsprogramm („Projekt Krajowego Planu Postępowania z Odpadami Promieniotwórczymi i Wypalonym Paliwem Jądrowym“) verabschiedet worden. Dieses wird nun umgesetzt . Zuständig für den Umgang mit radioaktiven Abfällen ist in Polen der staatliche öffentliche Versorgungsbetrieb für radioaktive Abfälle Zakład Unieszkodliwiania Odpadów Promieniotwórczych (ZUOP). ZUOP ist seit Januar des Jahres 2016 dem Energieministerium unterstellt. Die Finanzierung des ZUOP für die Arbeiten zur Zwischen- und Endlagerung erfolgt seitens des Energieministeriums aus dem Staatshaushalt. Zusätzlich wird diese Finanzierung gespeist aus den Gebühren der Abfallverursacher. 4. Welche Gespräche hat die Bundesregierung in den letzten 12 Monaten mit der polnischen Regierung zum Einstieg in die kommerzielle Atomenergienutzung geführt (bitte unter Angabe von Datum des jeweiligen Gesprächstermins , Teilnehmenden und konkretem Inhalt aufschlüsseln)? Im Rahmen des deutsch-polnischen Abkommens über die frühzeitige Benachrichtigung über nukleare Unfälle, über Informations- und Erfahrungsaustausch und über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes hat am 22. Februar 2018 ein Gespräch zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und der polnischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde Państwowa Agencja Atomistyki (PAA) stattgefunden, in dem PAA u. a. auch den aktuellen Stand des polnischen Neubauprojekts präsentiert hat. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/1872 5. Hat die Bundesregierung mit der polnischen Regierung Gespräche über einen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien, anstelle eines Einstiegs in die Atomkraft, gesprochen? Wenn nein, warum nicht, und plant sie, dies noch zu thematisieren? Die Bundesregierung steht sowohl bilateral als auch auf europäischer Ebene in regelmäßigem Kontakt zur polnischen Regierung, um Fragen der Klima- und Energiepolitik zu erörtern. Die Bundesregierung hat mehrere Gespräche mit polnischen Regierungsvertretern über den Ausbau von erneuerbaren Energien geführt und für eine verstärkte Zusammenarbeit in diesem Bereich geworben. Dabei hat die Bundesregierung wiederholt betont, dass Energieeffizienz, erneuerbare Energien und internationaler Netzausbau entscheidend für die Erreichung der EU- Energie- und Klimaziele und die Versorgungssicherheit sind. Eine verstärkte deutsch-polnische Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien ist aus Sicht der Bundesregierung sehr begrüßenswert und hat erhebliches Potenzial für eine effizientere Energieversorgung in beiden Ländern. 6. Wie sollen nach Kenntnis der Bundesregierung sowohl die Atomhaftung als auch die Deckungsvorsorge nach einem Einstieg in die Atomenergienutzung in Polen geregelt werden? Polen gehört dem Wiener Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für nukleare Schäden an. Inhaber von Kernanlagen haften für nukleare Schäden. Die Haftung ist eine solche ohne Verschulden (Gefährdungshaftung). Polen hat das Protokoll von 1997 zur Änderung des Wiener Übereinkommens ratifiziert. Das Änderungsprotokoll legt fest, dass Inhaber von Kernanlagen mindestens in einer Höhe von 300 Millionen Sonderziehungsrechten1 für nukleare Schäden haften. Zur Deckung der vorgesehenen Haftung sind Kernanlageninhaber verpflichtet, in eben dieser Mindesthöhe eine Versicherung oder eine sonstige finanzielle Sicherheit einzugehen und aufrechtzuerhalten. Polen gehört zusätzlich dem Gemeinsamen Protokoll über die Anwendung des Wiener und des Pariser Übereinkommens an. Da auch Deutschland – Vertragsstaat des Pariser Übereinkommens – dem Gemeinsamen Protokoll angehört, ist sichergestellt, dass im Fall eines nuklearen Ereignisses die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens auf in Deutschland erlittene Schäden anwendbar wären. 7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das polnische Programm zur Entwicklung von Reaktoren der IV. Generation? Die Bundesregierung bezieht ihre Kenntnisse zum polnischen Konzept der Entwicklung von gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren (HTGR) für Zwecke der industriellen Prozesswärmenutzung aus dem in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Bericht der seitens des polnischen Energieministers ernannten Beratungskommission (Committee for Analysis and Preparation of Conditions for Deployment of High-Temperature Nuclear Reactors) sowie aus Informationen während der 61. Generalkonferenz der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die vom 18. bis 22. September 2017 stattgefunden hat. Demnach wurden Überlegungen angestellt zur Bildung einer polnischen Firma, die sich mehrheitlich in Besitz industrieller Prozesswärme-Nutzer befindet und die mit internationalen Partnern die Entwicklung und den Bau von HTGR voranbringen soll. In einer ersten Phase (Jahre 2018 bis 2025) soll ein Experimentalreaktor mit 1 Sonderziehungsrechte sind eine Währung des Internationalen Währungsfonds. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1872 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode einer thermischen Leistung von 10 Megawatt thermisch (MWth) entwickelt, lizenziert und in Swierk gebaut werden. Bis zum Jahr 2031 soll ein kommerzieller Reaktor mit 165 MWth entstehen. 8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der Finanzierung des polnischen Programms zur Entwicklung von Reaktoren der IV. Generation? Die Kosten für die Entwicklung und den Bau des Experimentalreaktors werden auf rund 180 Mio. Euro und des kommerziellen Reaktors auf rund 600 Mio. Euro geschätzt. Wie die Finanzierung erfolgen soll, ist der Bundesregierung nicht bekannt . 9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine deutsche Beteiligung (direkt oder indirekt z. B. über Euratom, finanziell oder durch Wissenstransfer ) an dem polnischen Programm zur Entwicklung von Reaktoren der IV. Generation (bitte detailliert aufschlüsseln)? 10. Falls eine deutsche Beteiligung (direkt oder indirekt z. B. über Euratom) am polnischen Programm zur Entwicklung von Reaktoren der IV. Generation vorhanden ist, wie begründet die Bundesregierung diese vor allem im Hinblick auf den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, in dem es auf S. 141 heißt: „Wir wollen keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke .“? Die Fragen 9 und 10 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Bundesregierung ist keine direkte Beteiligung einzelner deutscher Unternehmen oder Forschungseinrichtungen am polnischen Programm zur Entwicklung von HTGR bekannt. Im Rahmen von europäischen und internationalen Forschungsprogrammen steht es diesen frei, sich an Projekten zu Hochtemperaturreaktoren oder zur Erzeugung industrieller Prozesswärme zu beteiligen. Neben dem in Frage 13 genannten Projekt GEMINI-Plus sind deutsche Forschungsstellen an dem Projekt SYNKOPE sowie dem Nachfolgeprojekt SYNKOPE-Flex, die sich mit der Kohleveredlung mittels aus Kern-, Wind- oder Solarenergie erzeugter Prozesswärme befassen, beteiligt. Nach Kenntnis der Bundesregierung wird die Beteiligung der deutschen Forschungsstellen in SYNKOPE-Flex durch die Sächsische AufbauBank (SAB) sowie den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert. Die Entwicklung von HTGR ist nicht Gegenstand der drei genannten Projekte. 11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass ein Einstieg Polens in ein Generation-IV-Programm SUP (Strategische Umweltprüfung) -pflichtig ist? Wenn ja, wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass eine SUP nun noch erfolgt, bzw. wird die Bundesregierung Beschwerde einreichen gegen Polen wegen des Verstoßes gegen die SUP-Richtlinie? Wenn nein, bitte begründen. Nach Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtlinie) bedürfen nur Pläne und Programme einer SUP, die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden. Planungen auf politischer Ebene und dazu erstellte Berichte, die nicht aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erarbeitet werden, fallen nicht in den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie. Im Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/1872 Übrigen weist die die Bundesregierung darauf hin, dass die Republik Polen für ihr nationales Kernenergieprogramm, das am 28. Januar 2014 vom polnischen Ministerrat angenommen wurde, eine grenzüberschreitende SUP durchgeführt hat, an der sich auch Deutschland beteiligt hat. 12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich des ALLEGRO- Reaktorprojekts (http://project-vinco.eu/allegro/)? Bei ALLEGRO handelt es sich um einen experimentellen schnellen Reaktor mit Helium als Kühlmittel, der seit dem Jahr 2010 von dem V4G4 Center of Excellence der Nuklearforschungsorganisationen der Tschechischen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakei in Verbindung mit der französischen Atomenergiebehörde Commissariat à l’énergie atomique et aux énergies alternatives (CEA) entwickelt wird. Die Entwicklung von ALLEGRO wurde vom Generation IV International Forum (GIF) und der European Sustainable Nuclear Industrial Initiative (ESNII) vorgeschlagen. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind keine deutschen Stellen an ALLEGRO beteiligt. 13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das „GEMINIPlus“-Project, das durch Horizon 2020 finanziert wird (https://cordis.europa.eu/project/rcn/ 211038_de.html)? Das GEMINI-Plus-Projekt wird durch Mittel des Euratom Programms für Forschung und Ausbildung (2014–2018) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 sowie durch eigene Mittel von weiteren Projektpartnern außerhalb der EU finanziert. Das Vorhaben wird im Rahmen der Ausschreibung zum Thema „Forschung zur Sicherheit kleiner modularer Reaktoren (Small Modular Reactors, SMR)“ des Arbeitsprogramms 2016-2017 gefördert . Gegenstand des Projekts, Laufzeit, beteiligte Stellen sowie jeweilige Fördermittel sind über die CORDIS-Datenbank der Europäischen Kommission unter dem in der Frage angegebenen Verweis öffentlich zugänglich. Im Rahmen von GEMINI-Plus soll ein konzeptioneller Entwurf für ein gasgekühltes Hochtemperatur-Kernkraftwerk zur Lieferung von Prozesswärme an die Industrie, ein Rahmen für die Lizenzierung eines solchen Systems und ein Geschäftsplan für eine Demonstrationsanlage entwickelt werden. Das Projekt ist dabei in die breitere GEMINI-Initiative eingebunden, welche eine Kooperation der amerikanischen Next Generation Nuclear Plant Industry Alliance (NGNP) und der europäischen Nuclear Cogeneration Industrial Initiative (NC2I) darstellt. An GEMINI-Plus sind aus Deutschland die Technische Universität Dresden (TU Dresden), die Framatome GmbH (vormals Areva), der TÜV Rheinland sowie die Firma BriVaTech Consulting beteiligt. Nach Kenntnis der Bundesregierung beteiligt sich die TU Dresden mit einer Studie zur Staubentwicklung in graphitmoderierten Reaktoren mit prismatischen Brennelementen. Kenntnisse über den Inhalt der Beteiligung der weiteren deutschen Stellen liegen nicht vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333