Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 2. Mai 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/1991 19. Wahlperiode 04.05.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Anke Domscheit-Berg, Ulla Jelpke, Dr. Petra Sitte, Friedrich Straetmanns, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/1548 – Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlbeteiligung und Folgen für die Demokratie V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Aus zahlreichen Wahlstudien der vergangenen Jahre ist bekannt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlbeteiligung gibt: „Je höher die Arbeitslosigkeit, geringer die Haushaltseinkommen und schlechter die Wohnlagen in einem Stadtviertel, Stimmbezirk oder Wahlkreis, umso geringer die Wahlbeteiligung“ (Bertelsmann Stiftung: Einwurf 2015/2). In einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (WD 1 – 3000 – 008/15) werden zahlreiche Studien zum Thema Wahlbeteiligung vorgestellt, die diesen Befund der sozial gespaltenen Wahlen bestätigen. Während bei der Bundestagswahl 2013 das sozial starke liberal-intellektuelle Milieu mit 88 Prozent der Wahlberechtigten die höchste Wahlbeteiligung aufwies , war in sozial benachteiligten Schichten die Bereitschaft zur Stimmabgabe grundsätzlich niedriger. Die mit knapp unter 50 Prozent geringste Wahlbeteiligung gab es im Milieu der sogenannten Hedonisten, einer konsumfreudigen Gruppe der Unter- und Mittelschicht. Auch im prekären Milieu, das sich durch Zukunftsängste und geringe Aufstiegschancen auszeichnet, war die Wahlbeteiligung mit annähernd 60 Prozent eher gering. Mehr als jeder dritte Nichtwähler kommt aus diesen sozial schwächeren Milieus (vgl. Petersen, Hierlemann, Vehrkamp , Wratil: Gespaltene Demokratie. Politische Partizipation und Demokratiezufriedenheit vor der Bundestagswahl 2013, Gütersloh, 2013). Demgegenüber stellen sie aber nur 22 Prozent aller Wahlbeteiligten. Ihre Stimmen sind im Wahlergebnis daher deutlich unterrepräsentiert. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung kommt daher zu dem Schluss: „Deutschland ist zu einer sozial gespaltenen Demokratie geworden. Zwischen Ober- und Unterschicht klafft eine deutliche Lücke in der Wahlbeteiligung“ (vgl. Pressemitteilung der Bertelsmann Stiftung, 7. September 2015, www.bertelsmann-stiftung.de/layer/ presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/der-typische-nichtwaehlerkommt -aus-sozial-schwachem-milieu/). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1991 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Zwar konstatiert die Bertelsmann Stiftung in ihrer Wahlanalyse 2017 („Populäre Wahlen. Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017“) eine spürbar verringerte soziale Spaltung der Wahlbeteiligung gegenüber der Bundestagswahl 2013. Dennoch wird in der Studie eine „Spreizung“ zwischen Wahlbezirken mit höchster bzw. niedrigster Beteiligung von 26,7 Prozent festgestellt, was eine Verminderung gegenüber 2013 von nur 2,8 Prozent ausmacht. Nach den Ergebnissen der Studie finden sich in den Stimmbezirken der niedrigsten Wahlbeteiligung „50 Prozent mehr Haushalte aus den Milieus der unteren Mittelschicht/Unterschicht“, „mehr als 3-mal so viele Arbeitslose“, „über 70 Prozent mehr Menschen ohne Schulabschluss“, sowie „Haushalte mit knapp 30 Prozent geringerer Kaufkraft“ (ebd., S. 16). Die Bertelsmann-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das sozial gehobene Milieu deutlich überrepräsentiert, das sozial benachteiligte Milieu deutlich unterrepräsentiert und das Wahlergebnis der Bundestagswahl „sozial nicht repräsentativ“ sei (ebd., S. 22). 1. Sieht die Bundesregierung eine Gefahr für die Demokratie, wenn bestimmte soziale Schichten aus dem demokratischen Prozess ausscheiden? Die Bundesregierung vermag die Annahme der Fragesteller, wonach bestimmte soziale Schichten aus dem demokratischen Prozess ausscheiden, in dieser Pauschalität nicht nachzuvollziehen. Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nehmen über die Teilnahme an Wahlen hinaus auch über andere Formen am politischen Leben teil. Verbreitete Formen sind beispielweise die Teilnahme an Unterschriftensammlungen, an Demonstrationen und an Bürgerinitiativen. Die Bandbreite politischer Beteiligung hat sich in den letzten Jahren beträchtlich ausgefächert und erweitert. Die in Artikel 20 Absatz 2 und Artikel 28 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vorausgesetzte Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen zu den demokratischen Vertretungskörperschaften ist aber nicht nur die bedeutsamste, sondern nach wie vor auch am weitesten verbreitete Form politischer Beteiligung. Nach Auffassung der Bundesregierung muss eine funktionierende demokratische Gesellschaft von allen Bürgerinnen und Bürgern, unabhängig von ihrer sozialen Lage, getragen werden. Grundlage dafür ist ein starker gesellschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, der das Vertrauen in die Demokratie und in ihre staatlichen Institutionen stärkt. Die Bundesregierung stellt deshalb die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Es ist darüber hinaus erklärtes Ziel der Bundesregierung, die öffentliche Debatte zu beleben, die politische Betätigung quer durch die Gesellschaft anzuregen und die demokratischen Prozesse in der bewährten repräsentativen Demokratie Deutschlands zu stärken. 2. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, unter welchen Bedingungen Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, geringe Schulzeiten und andere sozial- und arbeitsrechtliche Merkmale von Prekarisierung bzw. prekären Lebenslagen zu in der Tendenz dauerhafter Wahlenthaltung führen? Die Ursachen für Wahlenthaltungen sind vielfältig und komplex. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland sind im Zeitverlauf weitgehend unverändert geblieben. Entscheidend sind demzufolge andere Gründe. Der zeitweilige Rückgang der Wahlbeteiligung wird neben der sozialen Lage ebenso auch auf andere Gründe zurückgeführt. Zu diesen Gründen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/1991 zählen zum Beispiel eine geringe Bindung an die Parteien, ein zeitweilig geringeres politisches Interesse, mangelnde Überzeugung, dass die eigene Wahlentscheidung etwas bewirken kann oder Protest gegen die etablierten Parteien. Sowohl bei der Bundestagswahl 2013, als auch bei der Bundestagswahl 2017 ist es nicht zu einem Rückgang, sondern zu einem Anstieg (2009: 70,8 Prozent; 2013: 71,5 Prozent; 2017: 76,2 Prozent) der Wahlbeteiligung gekommen. Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht (S. 165f.) der Bundesregierung kommt auf der Grundlage verschiedener politikwissenschaftlicher Studien in Bezug auf den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlbeteiligung zu dem Ergebnis , dass die Wahrscheinlichkeit an Wahlen teilzunehmen, bei Menschen aus Haushalten mit geringerem sozialökonomischem Status deutlich geringer ist als bei Haushalten mit mittlerem oder hohem Status. Zudem hat die Wahrscheinlichkeit , an Wahlen teilzunehmen, in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Gruppe wesentlich stärker abgenommen. Der Bericht stellt einen starken Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote in einem Stadtbezirk und der Wahlbeteiligung in dem Stadtbezirk fest. Der Bildungsbericht 2016 zeigt, dass Personen ohne Schulabschluss nach eigenen Angaben seltener als andere Qualifikationsgruppen bei der Bundestagswahl wählen . Die Wahlbeteiligung steigt mit dem Niveau des erreichten Schulabschlusses insgesamt an. 3. Kennt die Bundesregierung die Ergebnisse der Studie der Bertelsmann Stiftung „Gespaltene Demokratie“ und anderer, vergleichbarer wissenschaftlicher Studien der letzten Jahre? Wenn ja, um welche Studien handelt es sich dabei im Einzelnen? Der Bundesregierung sind die Ergebnisse der genannten Studie der Bertelsmann Stiftung bekannt. Auf folgende weitere Studien wird verwiesen: Elsässer, Lea/Hense, Svenja/Schäfer, Armin (2016): Systematisch verzerrte Entscheidungen ? Die Responsivität der deutschen Politik von 1998 bis 2015, Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.). Schäfer, Armin (2013): Der Verlust politischer Gleichheit. Warum ungleiche Beteiligung der Demokratie schadet. In: Armingeon, Klaus (Hrsg.): Staatstätigkeiten , Parteien und Demokratie. Wiesbaden: Springer VS, S. 547-565. Schäfer, Armin (2015): Der Verlust politischer Gleichheit. Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Campus, Frankfurt am Main./New York. Schäfer, Armin/Vehrkamp, Robert/Gagné, Jérémie Felix : Prekäre Wahlen Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl (2013), Gütersloh, Bertelsmann Stiftung. Vehrkamp, Robert und Wegschaider, Klaudia: Populäre Wahlen – Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1991 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 4. Gibt es Überlegungen im Rahmen der Bundesregierung, das Thema der sozial gespaltenen Wahlbeteiligung anzugehen, und welche konkreten Überlegungen bzw. Maßnahmen will die Bundesregierung auf den Weg bringen? Fragen des Wahlrechts werden nach der Staatspraxis vom Deutschen Bundestag in eigener Zuständigkeit wahrgenommen; die Bundesregierung bringt hierzu üblicherweise keine eigenen Initiativen ein. Die gezielte Förderung der Wahlbeteiligung bestimmter Teile der Bevölkerung durch die Bundesregierung würde Fragen der verfassungsrechtlich garantierten Gleichheit der Wahl und der von der Bundesregierung zu wahrenden Neutralität und Chancengleichheit der Parteien aufwerfen. Darüber hinaus wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 5. Welche Überlegungen seitens der Bundesregierung gibt es, eine stärkere Inklusion und politische Teilhabe zu realisieren, und welche Rolle spielen dabei Aktivierung und Politisierung insbesondere der sozial Schwächeren sowie der Jüngeren? Die Bundesregierung verfolgt den Ansatz, unterschiedliche zielgruppenspezifische Formate der politischen Bildung anzubieten, um Bürgerinnen und Bürger für politische und gesellschaftliche Teilhabe zu interessieren und ihre diesbezüglichen Kompetenzen zu stärken. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 wurden Erst- und Zweitwähler/-innen mittels der von der Bundeszentrale für politische Bildung mit YouTubern durchgeführten Videoreihe „#ersteWahl2017“ über ihr Wahlrecht informiert und für die möglichen Folgen des Nicht-Wählens sensibilisiert. Andere Formate setzten sich mit der Bundestagswahl und den Wahlprogrammen von Parteien auseinander oder boten Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung Raum für Diskussionen über wichtige Themen rund um die Bundestagswahl. In den 13 Flächenländern ebenso wie in den drei Stadtstaaten wurden Gebiete identifiziert, in denen die Wahlbeteiligung 2013 besonders niedrig war und konzertierte Aktivitäten durchgeführt . Die Aktion „Du hast die Wahl!“ umfasste unter anderem ein Marketing für die Wahlangebote der Bundeszentrale für politische Bildung wie den Wahl- O-Mat auf Plakaten, Postkarten oder in Kinos, Aktionen vor Ort sowie eine Postwurfsendung , um zur Beteiligung an den Bundestagswahlen 2017 zu motivieren. Konsequente Jugendbeteiligung ist ein Kernbestandteil der Jugendstrategie „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2015 gemeinsam mit zahlreichen Partnern , insbesondere Interessenvertretungen von Jugend, umsetzt. Bei jungen Menschen soll ein nachhaltiges Bewusstsein für die Bedeutung der politischen Partizipation geschaffen und für eine höhere Wahlbeteiligung geworben werden, u. a. durch die Projekte „Juniorwahl“, bei der simulierte Wahlen im Schulunterricht inhaltlich vorbereitet und durchgeführt wurden, und durch die „U-18-Wahl“. Die Juniorwahl 2017 wurde eine Woche vor der Bundestagswahl in allen 16 Bundesländern durchgeführt. Das Ergebnis wird jeweils am Wahlsonntag um 18 Uhr veröffentlicht. Durch das Üben und Erleben von Demokratie soll mit der Juniorwahl ein Beitrag zur politischen Sozialisation von Jugendlichen geleistet werden. Schülerinnen und Schüler werden an die Prozesse der demokratischen Willensbildung herangeführt und auf die künftige Partizipation innerhalb des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland vorbereitet. Die Juniorwahl soll das Bewusstsein für die Bedeutung der Bundestagswahl bei jungen Menschen schärfen und für die Teilnahme an Wahlen werben. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/1991 Die U18-Wahl fand zuletzt im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 am 15. September statt. U18 ist die Wahl für alle, die noch nicht 18 Jahre alt sind. U18 ist von Kindern und Jugendlichen selbst organisiert und bedeutet politische Bildung von jungen Menschen, mit und für junge Menschen. Neben der Information über den Zusammenhang zwischen Wahlen und politischen Entscheidungen sowie über den Ablauf von Wahlen bilden sich Kinder und Jugendliche bei U18 zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren weiter und motivieren andere zur Teilnahme. Durch U18 wird aber auch Politik für die Interessen von Kindern und Jugendlichen sensibilisiert. Der U18-Wahltag ist immer der Freitag neun Tage vor dem amtlichen Wahltermin. Das Ergebnis wird noch am selben Tag nach 18 Uhr veröffentlicht . Mittlerweile gibt es U18 bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen , seit 2014 auch bei der Europawahl. U18 wird bundesweit umgesetzt vom Netzwerk U18 (Deutsches Kinderhilfswerk, Deutscher Bundesjugendring, die Landesjugendringe, viele Jugendverbände, Berliner U18-Netzwerk). 6. Wie bewertet die Bundesregierung diesbezüglich die Chancen „aufsuchender Bürgerbeteiligung“ (vgl. Vehrkamp u. a. (2013), Ziemlich unpolitische Freunde – wer in Deutschland warum nicht mehr wählt, S. 8; www.wahl beteiligung2013.de/fileadmin/Inhalte/Studien/EINWURF_01_2013.pdf; WD 1 – 3000 – 008/15, S. 20)? Eine „aufsuchende Bürgerbeteiligung“ ist vor allem eine Form der Bürgerbeteiligung an kommunalen Entscheidungsprozessen, damit sich Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess einbringen können, um die Akzeptanz von Entscheidungen zu erhöhen. Inwieweit dieses Format auf Bundesebene eingesetzt werden kann, lässt sich nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall bewerten, da der positive Effekt zum Aufwand und zu den Kosten für eine repräsentative aufsuchende Bürgerbeteiligung im gesamten Bundesgebiet ins Verhältnis gesetzt werden müsste. 7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Diskussionen der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zum Thema der sozial gespaltenen Wahlbeteiligung, und gibt es Vorschläge aus den Parteien, die sich die Bundesregierung zu eigen machen will? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Soweit nach den Diskussionen der im Bundestag vertretenen Parteien zum genannten Thema „sozial gespaltener Wahlbeteiligung“ gefragt wird, bezieht sich dies nicht auf Gegenstände, die einen Bezug zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag haben, sondern in der Eigenverantwortung der Parteien bei der politischen Willensbildung liegen. Im Übrigen wird zur auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 8. Welche Folgerungen wurden seitens der Bundesregierung aus dem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste aus dem Jahr 2015 zum Thema „Sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland“ gezogen, und welche Maßnahmen wurden mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 umgesetzt? Die Bundesregierung sieht es als eine ihrer Aufgaben an, den aktuellen Entwicklungen , die Einfluss auf das bewährte System der repräsentativen Demokratie in Deutschland haben könnten, mit einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu begegnen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1991 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode In Bezug auf die Maßnahmen mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Darüber hinaus ist es der Bundesregierung ein Anliegen, mit vielen Menschen über die Gestaltung der Lebensverhältnisse in Deutschland ins Gespräch zu kommen und so ihre politische Betätigung zu aktivieren. Dazu hat sie u. a. den Bürgerdialog „Gut Leben in Deutschland“ geführt, bei dem von April bis Oktober 2015 die Bundeskanzlerin und alle Bundesministerinnen und Bundesminister mit den Bürgerinnen und Bürgern über ihr Verständnis von Lebensqualität im Dialog waren. Auch im Bereich der Bildungs- und Forschungspolitik wurde 2015 mit den Zukunftsforen eine Bürgerdialogreihe gestartet, die Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gezielt miteinander ins Gespräch bringt, um gemeinsam Antworten auf zentrale Zukunftsfragen zu finden. Ergänzend dazu fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung partizipativ angelegte Forschungsprojekte und Forschungsansätze wie beispielsweise Citizen Science und hat ein Grundsatzpapier zur Partizipation erarbeitet, das u. a. Leitlinien der Bürgerbeteiligung enthält. Weitere Beispiele sind die Bürgerinnen- und Bürgerdialoge des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zum Klimaschutzplan 2050, zu ProgRess II und zum Integrierten Umweltprogramm 2030. 9. Wurden Maßnahmen zur Steigerung der Wahlbeteiligung, wie sie in zahlreichen vorliegenden Studien und zusammenfassend im Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste vorgestellt wurden, von der Bundesregierung umgesetzt oder auf den Weg gebracht? Wenn ja, welche waren dies? Wenn nein, warum nicht? Neben einem umfassenden Printangebot, Online-Dossiers, Erklärfilmen zum Thema Wahlen, FAQs, einem Infopaket für die Lokalpresse und der bundesweiten Förderung von Veranstaltungen und Aktionen politischer Bildungsträger wurde durch die Bundeszentrale für politische Bildung zur Bundestagswahl 2017 eine eigene Version des Wahl-O-Mat zur Verfügung gestellt. Der Wahl-O-Mat wurde von wissenschaftlichen Expertinnen und Experten begleitet und durch eine Redaktion aus Jung- und Erstwählerinnen und Jung- und Erstwählern erstellt. Dadurch fand die Perspektive dieser Gruppe der Wahlberechtigten verstärkt Eingang . Die zweisprachige Wahlbroschüre „Du hast die Wahl” wurde zur Bundestagswahl 2017 neu aufgelegt. Das Informationsangebot richtet sich an Deutsche mit Migrationshintergrund insbesondere aus sogenannten politik- und bildungsfernen Milieus, die oft Schwierigkeiten haben, das Wahlsystem und die Parteiprogramme zu verstehen. Die Broschüre in den Versionen Deutsch-Arabisch, Deutsch-Polnisch, Deutsch-Russisch und Deutsch-Türkisch ermöglicht es dieser Zielgruppe, sich mit den Grundfragen und Prozessen der demokratischen Willensbildung auseinanderzusetzen. Es wurden erklärende Broschüren und Materialien zur Wahl in Einfacher Sprache und Leichter Sprache sowie eine „Was geht?“-Ausgabe für bildungsbenachteiligte Jugendliche zum Thema „Wahlen: Auf geht's! Das Heft über Mitbestimmung “ konzipiert. Zudem bot die Bundeszentrale für politische Bildung ein umfassendes Printangebot, Online-Dossiers, Erklärfilme zum Thema Wahlen, FAQs, ein Infopaket für Lokaljournalist/-innen an und förderte bundesweit Veranstaltungen und Aktionen politischer Bildungsträger. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/1991 10. Wie kann und soll aus Sicht der Bundesregierung das vorhandene Erfahrungsdefizit bei der Aktivierung unpolitischer Nichtwähler, die sich in den sozialen Brennpunkten vieler Großstädte sammeln (vgl. Vehrkamp u. a. (2013), Ziemlich unpolitische Freunde – wer in Deutschland warum nicht mehr wählt, S. 8; www.wahlbeteiligung2013.de/fileadmin/Inhalte/Studien/ EINWURF_01_2013.pdf; WD 1 – 3000 – 008/15, S. 20), behoben werden? Die Bundesregierung verfolgt den Ansatz, über unterschiedliche zielgruppenspezifische Formate der politischen Bildung, Bürgerinnen und Bürger zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen. Auf die Antwort zu Frage 5 wird insoweit verwiesen. 11. Welche Position vertritt die Bundesregierung zu dem Vorschlag der Fragesteller , Bundestagswahlen künftig mit einer Volksabstimmung zu konkreten Themen zu verbinden, bei der ein Jahr vor der Bundestagswahl eine Frage an die Bevölkerung formuliert wird, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sei? In der Koalitionsvereinbarung ist festgelegt, dass eine Expertenkommission eingesetzt werden soll, um Vorschläge zu erarbeiten, ob und in welcher Form die bewährte parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann. Zudem sollen Vorschläge zur Stärkung demokratischer Prozesse erarbeitet werden. Die Einführung direktdemokratischer Elemente wird vom Bundestag als eigene Angelegenheit verstanden. Den Ergebnissen dieser Kommission kann nicht vorgegriffen werden. 12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Autoren der Bertelsmann-Studie , dass „eine Gesamtstrategie zur politischen Aktivierung und Integration politisch prekärer Stadtteile“ gebraucht werde (bitte begründen)? Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass sich die in der Bundesrepublik existierende Form der repräsentativen Demokratie bewährt hat. Die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland haben sich allerdings verändert. Globalisierung, wirtschaftlicher und demografischer Wandel, Digitalisierung, Zuwanderung, gesteigerte Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft oder auch neue Formen der Kriminalität und des Terrorismus verunsichern viele Menschen und wirken sich auf das gesellschaftliche Miteinander aus. Die Bundesregierung nimmt diese Ängste der Menschen ernst und will ihnen umfassend mit einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts begegnen, u. a. auch mit dem Ziel, die politische Beteiligung zu stärken. 13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Autoren der Studie „Nichtwähler in Deutschland“ von Forsa und Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2013, wonach die Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern das Haupthindernis für eine höhere Beteiligung an Wahlen darstelle (bitte begründen)? Die Wahlbeteiligung ist seit den 1980er Jahren mehrfach gesunken und wieder angestiegen und hatte bei der Bundestagswahl 2009 mit 70,8 Prozent einen Tiefststand erreicht. Bereits bei der Bundestagswahl 2013 erfolgte ein Anstieg der Wahlbeteiligung auf 71,5 Prozent und bei der Bundestagswahl 2017 ein Anstieg auf 76,2 Prozent auf ein mit der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 1990 (77,8 Prozent) vergleichbares Niveaus (vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1991 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode am 24. September 2017, Heft 5, Teil 1, Textliche Auswertung (Wahlergebnisse), S. 28). An der letzten Bundestagwahl haben sich damit mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten beteiligt. Damit bleibt die Teilnahme an allgemeinen Wahlen die am meisten genutzte Möglichkeit politischer Partizipation. Die Ursachen für sinkende Wahlbeteiligung sind darüber hinaus vielschichtig und können nicht eindimensional gedeutet oder bewertet werden. Auch individuelle Gründe spielen eine Rolle. Bürgerinnen und Bürger müssen Interesse für politische Belange sowie die Überzeugung haben, mit ihrer Stimme etwas bewirken zu können. Dies setzt auf der individuellen Ebene das Verständnis des Wahlsystems und der repräsentativen Demokratie in Deutschland voraus. Die Bundesregierung unterstützt daher über verschiedene Formate der politischen Bildung den Erwerb von Wissen über das deutsche Modell der Demokratie. Insoweit wird auf die Beantwortung der Fragen 8 und 9 verwiesen. In der 19. Legislaturperiode ist es ein Anliegen der Bundesregierung, den sozialen Zusammenhalt stärker in den Mittelpunkt der Regierungstätigkeit zu stellen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben ein starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft, Sicherheit im Alltag, kultureller Identität, Stabilität, einem guten Miteinander und einer gestaltenden Politik, die die Menschen auf Augenhöhe zusammenbringt und ihre Sorgen ernst nimmt. Dementsprechend beobachtet die Bundesregierung die Entwicklungen der Wahlbeteiligung mit einer hohen Aufmerksamkeit. 14. Hat oder wird die Bundesregierung eine entsprechende Studie zur Untersuchung des (Nicht-)Wahlverhaltens während der Bundestagswahl 2017 in Auftrag gegeben bzw. geben? Wenn ja, wann und an wen? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung hat keine entsprechende Studie beauftragt und plant dies aktuell auch nicht. Das Presse- und Informationsamt hat im letzten Jahr bei Kantar Public (ehemals: Infratest) eine Umfrage unter Nichtwählern durchgeführt. Die Befragung unter ca. 750 Nichtwählern wurde vom 11. bis 17. Oktober 2017 online durchgeführt. Schwerpunkt der Befragung waren u. a. Motive der Nichtwahl sowie Einstellungen zu Politik. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden nach Artikel 38 Absatz 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Freiheit der Wahl bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Stimmrechtsausübung ohne Zwang und unzulässigen Druck im Rahmen eines freien und offenen Meinungsbildungsprozesses (siehe grundlegend BVerfGE 7, 63 (69)). Durch die Wahlfreiheit ist vor allem die freie Wahlbetätigung geschützt, d. h. die freie Entscheidung eines jeden Wähler, ob er an der Wahl teilnehmen möchte oder nicht. 15. Wird die Bundesregierung eine Kommission einsetzen, die Empfehlungen und Konzepte zur Erhöhung der Wahlbereitschaft und Wahlbeteiligung insbesondere einkommensschwacher und bildungsferner Teile der Bevölkerung entwickelt? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333