Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 4. Juni 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/2621 19. Wahlperiode 06.06.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Waldemar Herdt, Nicole Höchst, Dr. Götz Frömming und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/2239 – Langzeitauswirkungen und Folgen der frühen Fremdbetreuung von Kindern V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Jahr 1991 führte das National Institute of Child Health and Developement (NICHD) eine Studie durch, die die Langzeitauswirkungen von fremdbetreuten Kindern untersuchte. An der Studie nahmen über zehntausend Kinder aus zehn grundverschiedenen Gegenden der gesamten USA teil (www.nestbau-familie.de/fakten/ langzeitstudien-zur-krippenbetreuung/nichd-studie/). Diese hat ergeben, je länger Kinder in den ersten 54 Lebensmonaten fremdbetreut werden, desto geringer fällt in den Folgejahren ihre soziale Kompetenz aus und desto öfter geraten sie in Konflikt mit Erziehern und Eltern. Ferner hat die Studie ergeben, je länger Kinder in den ersten 54 Lebensmonaten fremdbetreut werden, desto öfter sind sie unter denen, die streiten und andere Kinder schlagen. Eine der Gefahren für die Kinder, so die Studie, besteht darin, dass die Krippenbetreuung, wenn sie zu früh, zu oft und zu lange in Anspruch genommen wird, die mütterliche Empfindsamkeit schwächen kann – oder gar verhindert, dass sie sich überhaupt entwickelt . Letzteres passierte vor allem bei den Müttern, bei denen die Bindung zu ihrem Kind schon vorher schwach gewesen war. Über das väterliche Einfühlungsvermögen sagt die o. g. deutschsprachige Zusammenfassung der Studie nichts. Auch eine Studie im Rahmen des z-proso-Projektes der Universität Zürich (www. fuerkinder.org/kinder-brauchen-bindung/die-forschung-sagt/670-fremdbetreuungund -die-folgen-langzeitstudie-der-uni-zuerich) ergab, dass Länge und Häufigkeit externer gruppenbezogener Betreuung in Zusammenhang mit einem Anwachsen an psychischen Problemen steht. Je mehr gruppenbezogene Betreuung die Siebenjährigen im Laufe ihres Lebens erlebt hatten, desto mehr Probleme zeigten sie in vier Bereichen, nämlich aggressives Verhalten, Aufmerksamkeitsdefizite , nicht aggressives externalisiertes Verhalten sowie Angst und Depressionen (www.hzemonitor.akjstat.tu-dortmund.de/2-inanspruchnahme/21-erneutueber -1-mio-junge-menschen-in-den-hilfen-zur-erziehung/). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2621 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der Diskurs in den Sozialwissenschaften, aber auch in der Psychologie und der Medizin um Effekte unterschiedlicher Betreuungsformen auf die Entwicklung von Kindern stellt sich heutzutage deutlich differenziert dar. Die Grundfrage lautet nicht mehr, „schadet es generell der Entwicklung, wenn Kinder im jungen Alter nicht ausschließlich von ihren Eltern/ihrer Mutter betreut werden“. Diese kann auf Grundlage aktueller Forschungsergebnisse klar verneint werden. Viel mehr fokussiert empirische Forschung heute auf die Frage, „wie können die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern so gestaltet werden, dass gesundes Aufwachsen möglich wird, sowie Wohlbefinden und auch die Bildungsvoraussetzungen verbessert werden können“. Dabei geht es nicht um den Gegensatz öffentlicher vs. familiärer Bildung und Betreuung, sondern um kindgerechte, familienunterstützende, ergänzende Bildung und Betreuung von Anfang an. In der Wissenschaft ist heute zudem von „außerfamiliärer Betreuung“ die Rede, da Eltern ihre Kinder nicht von fremden Personen betreuen lassen. Der Begriff „Fremdbetreuung“ wird häufig in Kontexten verwendet, in denen es um eine Abwertung der Betreuung in Kindergärten oder bei Tagesmüttern und -vätern geht. Der wissenschaftliche Forschungsstand zu diesen Fragen liegt gut aufgearbeitet vor und ist in einer Vielzahl von Veröffentlichungen – teilweise auch in deutscher Sprache – zugänglich. Folgende Quellen sind Beispiele, die detaillierte und differenzierte Antworten auf die gestellten Fragen bieten: 1. Ahnert, L. (2010). Wieviel Mutter braucht ein Kind?: Bindung, Bildung, Betreuung : öffentlich und privat. Heidelberg: Spektrum, Akad. Verlag. 2. Grossmann, K. und Grossmann, K.E. (2017). Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, 7. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta Verlag. 3. Viernickel, S., Fuchs-Rechlin, K., Strehmel, P., Preissing, Ch., Bensel, J. und Haug-Schnabel, G. (2015). Qualität für alle – Wissenschaftlich begründete Standards für die Kindertagesbetreuung, Freiburg: Herder Verlag. 4. Anders, Y. (2013). Stichwort: Auswirkungen frühkindlicher institutioneller Betreuung und Bildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Springer Verlag. 5. Barnett, W.S. (2011). Effectiveness of Early Educational Intervention. Science, DOI: 10.1126/science.1204534 Ende Juni 2018 wird der nächste Bildungsbericht erscheinen; dort werden unter anderem aktuelle Daten zur Nutzung von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten und zu den empirisch bestätigten Wirkungen dieser Angebote zusammengefasst . Die Kleine Anfrage vom 18. Mai 2018 bezieht sich auf zwei Studien aus den USA und der Schweiz. Die darin ermittelten Forschungsergebnisse sind nicht auf das deutsche System der Bildung, Betreuung und Erziehung übertragbar, da die Rahmenbedingungen und die Ausgestaltung (etwa der zeitliche Umfang, Qualitätsstandards usw.) der frühen Betreuungsangebote in den USA und der Schweiz in den 1990er und 2000er-Jahren, als die Daten erhoben wurden, nicht mit dem deutschen System vergleichbar sind. Die im Folgenden zitierten Studien beziehen sich auf familienergänzende, frühe Bildung, Betreuung und Erziehung, wie diese in Deutschland in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege stattfindet . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/2621 1. Sind der Bundesregierung Langzeitauswirkungen von Frühbetreuung bekannt , z. B. aus der DDR? Wenn ja, auf welche Studien stützen sich diese Erkenntnisse, und inwiefern unterscheiden sich früh fremdbetreute Kinder, in ihrer psychischen, physischen Entwicklung von den zu Hause betreuten Kindern? Zu den für das bundesdeutsche System der Kindertagesbetreuung relevanten, breit angelegten, empirischen Studien zählen unter anderem: BiKS – Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter: www.uni-bamberg.de/biks/ KiBS – DJI Kinderbetreuungsstudie U15: www.dji.de/ueber-uns/projekte/ projekte/dji-kinderbetreuungsstudie-u15-kibs.html NEPS – Nationales Bildungspanel: www.neps-data.de/de-de/home.aspx NUBBEK – Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der Frühen Kindheit: www.nubbek.de/ Der Diskurs rund um die Krippenbetreuung in der DDR ist unter anderem in diesem Sammelband aufgearbeitet: Israel, A. und Kerz-Rühling (Hrsg., 2008). Krippen-Kinder in der DDR: Frühe Kindheitserfahrungen und ihre Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit. Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt am Main. All diese methodisch unterschiedlich angelegten Studien zeigen, dass die Effekte familiärer Faktoren (z. B. Familieneinkommen, elterliches Bildungsniveau, Sensitivität im Umgang etc.) auf die kindliche Entwicklung stärker und nachhaltiger sind als jegliche Einflüsse der außerfamiliären Betreuung. Weiterhin ist sich die Forschung darüber einig, dass eine längere frühkindliche Betreuung mit höheren Bildungserträgen, z. B. mit besseren Lese- und Rechenleistungen im Grundschulalter , verbunden ist. Wenn die pädagogische Qualität hoch ist, können so nachteilige familiäre Ausgangsbedingungen (z. B. Armutsrisiko) ausgeglichen werden . Keine der neueren, europäischen Studien findet einen belastbaren Zusammenhang zwischen frühkindlicher Bildung und Betreuung und späterem Problemverhalten . Einzelne Untersuchungen zeigen sogar einen positiven Zusammenhang zwischen der Dauer der frühen Kindertagesbetreuung (Beginn im Alter zwischen 1 und 3 Jahren vs. Beginn ab 4 Jahren) und dem prosozialen Verhalten (hier: Wahrscheinlichkeit zu teilen und zu helfen) im Grundschulalter (Müller, Spieß & Wrohlich, 2014).1 2. Wie schätzt die Bundesregierung die Vor- und Nachteile ein und wägt sie ab, die sich für die Kinder aus frühkindlicher Fremdbetreuung ergeben (bitte tabellarisch ausformuliert auflisten)? Wie in der Antwort zu Frage 1 dargestellt, gibt es keine empirische Evidenz für Entwicklungsnachteile, die sich aus öffentlich verantworteten, familienunterstützenden Bildungs- und Betreuungsangeboten ergeben. Wirkungen von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten sind auch nicht gleichermaßen für alle Kinder zu erwarten, sondern sind kontext- und zielgruppenspezifisch zu analysieren . 1 Müller, K.U, Spieß, K. und Wrohlich, K. (2014). Kindertagesbetreuung: Wie wird ihre Nutzung beeinflusst und was kann sie für die Entwicklung von Kindern bewirken? Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung: Vol. 83, Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland – Evaluationen und Bewertungen, pp. 49-67. https://doi.org/10.3790/vjh.83.1.49 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2621 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Differenzierte Analysen zeigen positive Effekte bezogen auf soziale, emotionale, kognitive oder gesundheitliche Aspekte (siehe z. B. Anders, 20132, Anders et al., 20123). Es zeigt sich, dass die pädagogische Qualität der Betreuungsangebote einen großen Einfluss hat. Belege für nachteilige Effekte gibt es nicht. 3. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Kinder durch frühkindliche Fremdbetreuung ? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen früher Fremdbetreuung und ADHS (= Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung )? Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung dazu vor? Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. Inwiefern profitieren Kinder aus Sicht der Bundesregierung kurz- sowie langfristig von Fremdbetreuung? Eine Vielzahl von Forschungsbefunden belegen für bestimmte Gruppen von Kindern und Familien belastbare positive Effekte von geringer bis mittlerer Effektstärke von öffentlich verantworteten Angeboten der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung auf die kindliche Entwicklung (eine Übersicht findet sich bei Elango et al., 20154, sowie bei Anders und Kollegen 20125 und 20136). Diese können kognitive, sozial-emotionale, motorische und auch gesundheitliche Aspekte betreffen. 6. Wie wichtig sind aus Sicht der Bundesregierung die elterlichen Bezugspersonen für die Geborgenheit (sichere Bindung) eines Kindes, und kann diese Geborgenheit (Bindung) bei früher Fremdbetreuung gewährleistet werden? Eltern sind die ersten und wichtigsten Bezugspersonen eines Kindes. Es ist Aufgabe der Jugendhilfe, sie in dieser Rolle zu unterstützen. Eine Aufgabe und zugleich ein Qualitätsmerkmal von frühkindlicher Bildung ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, um ausreichend und passende Beziehungs- und Bindungsangebote für junge Kinder zu machen. Verlässliche Beziehungen sind für Säuglinge überlebenswichtig, später ermöglichen sie Emotionsregulation und Explorationsverhalten und damit auch Lernen und begründen gesunde, zwischenmenschliche Interaktionen. 2 Anders, Y. (2013). Stichwort: Auswirkungen frühkindlicher institutioneller Betreuung und Bildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft . Springer Verlag 3 Anders, Y., Roßbach, H.-G., Weinert, S., Ebert, S., Kuger, S., Schmidt, S. & von Maurice, J. (2012). Learning environments at home and at preschool and their relationship to the development of numeracy skills. Early Childhood Research Quarterly,27(2), 231–244 4 Elango, S., García, J. L., Heckman, J. J., Hojman, A. (2015) : Early Childhood Education, IZA Discussion Papers, No. 9476, Institute for the Study of Labor (IZA), Bonn 5 Anders, Y., Roßbach, H.-G., Weinert, S., Ebert, S., Kuger, S., Schmidt, S. & von Maurice, J. (2012). Learning environments at home and at preschool and their relationship to the development of numeracy skills. Early Childhood Research Quarterly,27(2), 231–244 6 Anders, Y. (2013). Stichwort: Auswirkungen frühkindlicher institutioneller Betreuung und Bildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft . Springer Verlag Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/2621 Es gibt weder Hinweise darauf, dass frühkindliche, außerfamiliäre Betreuung die Bindungsbeziehung zwischen Kindern und Eltern beschädigt, noch darauf, dass nicht-familiäre Betreuungskontexte durch keine oder durch schlechtere Bindungsqualitäten gekennzeichnet sind (vgl. die Publikationen von Grossmann und Grossmann7 und Ahnert8). 7. Kann nach Auffassung der Bundesregierung eine außerfamiliäre Betreuung den Grundbedürfnissen eines Kleinkindes nach Liebe, Zuwendung und Geborgenheit gerecht werden? Die Bedürfnisse von Kindern wahrzunehmen und darauf einzugehen, ist ein wesentliches Element pädagogischer Qualität. Es existieren in Deutschland klare Qualitätsvorgaben für die Kindertagesbetreuung beispielsweise bzgl. der beruflichen Qualifikation und der Fachkraft-Kind-Schlüssel, die nach Alter der Kinder variieren. Einen umfassenden Überblick über notwendige und hilfreiche Standards der Kindertagesbetreuung liefern Viernickel und Kollegen im Jahr 2015 erschienenem Buch „Qualität für alle“.9 Mit verschiedenen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung . Eltern haben zudem eine Wahl zwischen Betreuungsformen (beispielsweise Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflegestelle) und Settings (altersgemischte Gruppen, offene Betreuungsformen, etc.) und somit die Möglichkeit, für ihr Kind das passende Angebot zu finden. Auch ermöglichen andere familienpolitische Maßnahmen, wie Elternzeit, Elterngeld, Recht auf Teilzeit und Arbeitsplatzgarantie es Eltern, für ihre Kinder individuelle Lösungen zu finden. 8. Liegen der Bundesregierung Daten vor, ob die Zahl der fremdbetreuten Kinder unter drei Jahren in den letzten zehn Jahren gestiegen ist, insbesondere seitdem Eltern laut § 22 des Achten Buches Sozialgesetzbuch Anspruch auf Kinderbetreuung haben (bitte für den Zeitraum 2007 bis 2017 nach selbstund fremdbetreuten Kindern differenziert aufschlüsseln)? Die Entwicklung der Anzahl der unter 3-jährigen Kinder, die Kindertagesbetreuungsangebote nutzen, kann der Tabelle 1 entnommen werden. Die Entwicklung der Anzahl der Kinder in Kindertagesbetreuung ist von mehreren Faktoren abhängig , so von der Anzahl der Kinder in der Bevölkerung, die seit 2012 deutlich gestiegen ist, aber auch von den veränderten Lebenslagen von Familien und den Betreuungswünschen der Eltern. 7 Grossmann, K. und Grossmann, K.E Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, 7. Auflage (2017), Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 8 Ahnert, L. (2010). Wieviel Mutter braucht ein Kind? Bindung, Bildung, Betreuung: öffentlich und privat. Heidelberg: Spektrum, Akad. Verl., s. auch Ahnert, L. (2013). Entwicklungs- und Sozialisationsrisiken bei jungen Kindern. In L. Fried & S. Roux (Hrsg.), Handbuch Pädagogik der frühen Kindheit (S. 75-85). Berlin: Cornelsen. 9 Viernickel, S., Fuchs-Rechlin, K., Strehmel, P., Preissing, Ch., Bensel, J. und Haug-Schnabel, G. (2015). Qualität für alle – Wissenschaftlich begründete Standards für die Kindertagesbetreuung, Freiburg: Herder Verlag. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2621 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Tabelle 1: Kinder unter 3 Jahren in der Bevölkerung und in Kindertagesbetreuung Kinder unter 3 Jahren in der Bevölkerung in Kindertagesbetreuung Davon unter 1 Jahr 1-Jährige 2-Jährige 2007 2.069.988 320.217 17.445 93.235 209.537 2008 2.050.818 361.623 16.196 110.062 235.365 2009 2.048.350 413.707 15.184 139.229 259.294 2010 2.042.457 470.401 16.053 155.819 298.529 2011 2.038.965 514.484 17.626 172.736 324.122 2012 2.022.108 558.208 18.614 194.791 344.803 2013 2.035.685 596.289 18.120 206.373 371.796 2014 2.045.423 660.750 19.277 236.906 404.567 2015 2.106.703 693.343 18.741 249.034 425.568 2016 2.200.407 719.558 18.522 267.226 433.810 2017 2.304.035 762.361 17.632 278.740 465.989 Quelle: Statistisches Bundesamt: Kinder- und Jugendhilfestatistik – Kinder und tätige Personen in Kindertageseinrichtungen und öffentlich geförderter Kindertagespflege; Bevölkerungsstatistik; versch. Jahrgänge; Datenzusammenstellung der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik 9. Welche Kosten entstehen dem Staat nach Kenntnis der Bundesregierung jährlich wegen des Anspruchs auf Fremdbetreuung? Nach Angaben des Statistischen Bundesamts beliefen sich in Deutschland im Jahr 2016 die reinen Ausgaben für die Kindertagesbetreuung für Kinder im Alter von unter 14 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege bei öffentlichen und freien Trägern auf rund 26,6 Mrd. Euro.10 Dabei sind sowohl die Ausgaben für Kinder vor dem Schuleintritt in Kindertagesbetreuung berücksichtigt als auch die Ausgaben für Schulkinder, die Ganztagsbetreuungsangebote in Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe nutzen (sog. Hortangebote). Durch diese Angebote unterstützen Bund, Länder und Kommunen Eltern darin, ihre individuellen familiären Wünsche bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verwirklichen. Des Weiteren steigern die Angebote die Teilhabemöglichkeiten von Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Darüber hinaus verweisen bildungsökonomische Studien auf die hohen ökonomischen und sozialen Renditen, die mit Ausgaben für frühkindliche Bildung erzielt werden können. Betreuung in Kindertageseinrichtungen kann längerfristig zu höheren Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen und geringeren Sozialausgaben führen. So wurde gezeigt, dass die reale fiskalische Rendite von quantitäts- und qualitätsfördernden Ausgaben in diesem Bereich rund 8 Prozent beträgt. 10 Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe: Ausgaben und Einnahmen 2016, Wiesbaden Feb. 2018 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/2621 10. Welche Kosten entstehen dem Staat nach Kenntnis der Bundesregierung, wenn Kinder zu Hause von Eltern betreut werden (bitte genaue Zahlen auflisten )? Dazu liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Wenn Eltern ihre Kinder zu Hause betreuen und deshalb keiner oder einer im Umfang reduzierten Erwerbstätigkeit nachgehen, fällt die deutsche Wertschöpfung geringer aus. Auch für den Fiskus ist dies kurz- und langfristig mit Mindereinnahmen und ggfs. Mehrausgaben für Transferleistungen verbunden. Die Verringerung der Wertschöpfung und Belastung des Fiskus –gerade auch die langfristigen – lassen sich nicht eindeutig bestimmen. Zudem gibt es verschiedene Familienleistungen, die Familien finanziell entlasten oder unterstützen und auch damit Zeiten ohne oder mit reduzierter Erwerbstätigkeit ermöglichen bzw. anreizen . Auch hier lassen sich die Kosten nicht eindeutig bestimmen oder einzeln zurechnen. 11. Wie beeinflusst eine früh gestörte Bindung zu wichtigen Erziehungspersonen nach Kenntnis der Bundesregierung das Sozial- und Leistungsverhalten der Kinder im Teenie- und Jugendalter? Bei nicht direkt beobachtbaren und schwer zu operationalisierenden Konstrukten wie Bindung ist der Nachweis von direkten Wirkzusammenhängen sehr schwierig bis unmöglich. Die psychoanalytisch orientierte klinische Psychologie geht von einer Vielzahl möglicher nachteiliger Effekte gestörten Bindungsverhaltens aus, die mit Regulationsstörungen im Säuglingsalter (z. B. Schwierigkeiten beim Essen und Schlafen ), Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter (z. B. Konzentrationsstörungen ) sowie psychischen Störungen im Erwachsenenalter zusammen hängen können. Keiner dieser Effekte ist jemals in Zusammenhang mit familienergänzender , frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung nachgewiesen worden. Diese sind nachdrücklich für vernachlässigte und schwer traumatisierte Kinder, beispielsweise in extrem ungünstigen Heimkontexten gezeigt worden (s. z. B. Nelson et al., 2014)11. 12. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung ein Zusammenhang zwischen der ansteigenden Zahl von Eltern, die Erziehungshilfen und Unterstützungsanfragen für ihre Kinder ersuchen und einer vorangegangenen Fremdbetreuung ? Ein empirisch nachgewiesener positiver Zusammenhang zwischen der Höhe der Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfen zur Erziehung und einer früheren außerfamiliären Betreuung im Sinne der §§ 22 SGB VIII ist der Bundesregierung nicht bekannt. Da über 90 Prozent aller Kinder unter sechs Jahren die Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, aber lediglich maximal 7 Prozent der Kinder ab dem sechsten Lebensjahr eine Hilfe zur Erziehung erhalten, kann die Kindertagesbetreuung nicht ursächlich für die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung verantwortlich sein. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass der Einsatz von Angeboten der Kindertagesbetreuung eher einen bedarfsreduzierenden Effekt auf die Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfen zur Erziehung hat. 11 Nelson, C.A., Fox, N. and Zeanah, C.H. (2014) Romania’s Abondoned Children. Deprivation, Brain Development and the Struggle for Recovery. Harvard University Press Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2621 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 13. Liegen der Bundesregierung konkrete Zahlen vor, wie viele Eltern Maßnahmen zu Erziehungshilfen bei schwer erziehbaren Kindern in Anspruch genommen haben (bitte für den Zeitraum von 2007 bis 2017 differenziert aufschlüsseln )? Wenn ja, liegen Analysen einerseits über die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Schichten und andererseits zu vorangegangener Fremdbetreuung bei den Antragstellern vor? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Kriterium „schwererziehbar“ in keiner amtlichen Statistik enthalten ist. Im Rahmen der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik können bis zu drei Gründe für die Inanspruchnahme einer Hilfe zur Erziehung genannt werden. Das Spektrum der Gründe – mit insgesamt zehn möglichen Angaben – reicht von einer unzureichenden Förderung/Betreuung/Versorgung des jungen Menschen (z. B. Gefährdung des Kindeswohls) über familiäre Problemlagen (z. B. eingeschränkte Erziehungskompetenz der Eltern/des Personensorgeberechtigten ) bis hin zu individuellen Problemlagen (z. B. Entwicklungsauffälligkeiten /seelische Probleme des jungen Menschen). Mit Blick auf die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik zeigt sich, dass im Jahr 2016 insgesamt knapp 960 000 Hilfen zur Erziehung ausgewiesen wurden. Bevölkerungsrelativiert bedeutet das, dass 593 Hilfen pro 10 000 der unter 21-jährigen Bevölkerung in Anspruch genommen worden sind, das sind umgerechnet 5,9 Prozent. Abbildung 1: Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27-35 SGB VIII (einschl. der Hilfen für junge Volljährige) (Deutschland; 2008 bis 2016; Aufsummierung der zum 31. Dezember eines Jahres andauernden und der innerhalb eines Jahres beendeten Leistungen; Angaben absolut, Inanspruchnahme pro 10 000 der unter 21-Jährigen) Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe , Hilfe für junge Volljährige; versch. Jahrgänge; Datenzusammenstellung und Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik 797.692 834.531 866.405 877.310 882.368 895.682 913.566 927.969 956.268 0 200.000 400.000 600.000 800.000 1.000.000 1.200.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 (480) (586)(573)(563)(555)(539) (512) (582) (593) Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/2621 Bei den in Abbildung 1 dargestellten Fallzahlen handelt es sich um eine Aufsummierung der zum 31. Dezember eines Jahres andauernden und der innerhalb eines Jahres beendeten Hilfen gem. §§ 28 bis 35 SGB VIII für junge Menschen im Alter von unter 27 Jahren im Zeitraum 2008 bis 2016. Es wird die Anzahl der Hilfen und nicht die Anzahl der erreichten jungen Menschen in den Hilfen zur Erziehung ausgewiesen. Jede Hilfe wird als ein Fall gezählt. Es ist davon auszugehen, dass einzelne Familien mehrere Hilfen in Anspruch nehmen und entsprechend mehrfach in der Statistik erfasst werden. Berücksichtigt sind hier auch die Leistungen der Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII), die mit 47 Prozent den größten Anteil des Leistungsspektrums der Hilfen zur Erziehung sowie der Hilfen für junge Volljährige ausmachen. In Klammern werden die Fallzahlen bevölkerungsrelativiert auf die Gruppe der unter 21-Jährigen ausgewiesen. Über die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik werden ausgewählte Informationen zu den Lebenslagen der Hilfeempfängerin/des Hilfeempfängers erfasst. Grundauswertungen zu den Lebenslagen der Familien, die eine Hilfe zur Erziehung erhalten, sind auf der Seite des „Monitor Hilfen zur Erziehung“12 veröffentlicht . Auf der Grundlage dieser Daten zeigt sich, dass Hilfen zur Erziehung notwendige Unterstützungsleistungen für Familien in belastenden Lebenskonstellationen sind. Der Ausfall eines oder beider Elternteile, die Trennung und Scheidung , aber auch die Folgen von fehlenden materiellen Ressourcen stellen u. a. Lebenslagen mit einem erhöhten Bedarf an Unterstützungsleistungen dar. 14. Wie hoch ist der Umfang der finanziellen Aufwendungen durch die Bundesregierung für die Maßnahmen für Erziehungshilfen und Unterstützungen für die Betreuung schwer erziehbarer Kinder (bitte auch hier nach Jahren im Zeitraum von 2012 bis 2017 aufschlüsseln)? Über die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik wird jährlich die Höhe der Ausgaben von vor allem den kommunalen Jugendämtern für das Angebot und die Durchführung von Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige erfasst. Inwiefern es sich dabei um „schwererziehbare“ Kinder handelt, lässt sich aus den Daten nicht ableiten, da dieses Merkmal in keiner amtlichen Statistik erfasst wird (s. Antwort auf Frage 13). Andere fallbezogene Daten liegen über diese Statistik nicht vor, da Ausgaben und Fallzahlen in zwei voneinander getrennten Erhebungen erfasst werden. Im Jahr 2016 wurden knapp 10 Mrd. Euro für die entsprechenden Hilfesysteme aufgewendet. 12 Fendrich, Sandra; Pothmann, Jens; Tabel, Agathe (2018): Monitor Hilfen zur Erziehung. Herausgegeben von der Arbeitsstelle Kinderund Jugendhilfestatistik im Forschungsverbund DJI/TU Dortmund (Onlinefassung: www.hzemonitor.akjstat.tu-dortmund.de/5-ausgaben; Zugriff: 23.05.2018) Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2621 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Abbildung 2: Ausgaben für Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27-35 SGB VIII (einschl . der Hilfen für junge Volljährige) (Deutschland; 2012 bis 2016; Angaben in 1 000 EUR sowie pro unter 21-Jährigen) Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Ausgaben und Einnahmen ; versch. Jahrgänge; Datenzusammenstellung und Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik In Abbildung 2 werden die finanziellen Aufwendungen seitens der öffentlichen Gebietskörperschaften für die Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27 bis 35 SGB VIII für junge Menschen im Alter von unter 27 Jahren dargestellt. 7.376.409 7.697.408 8.091.755 8.653.159 10.000.654 0 2.000.000 4.000.000 6.000.000 8.000.000 10.000.000 12.000.000 2012 2013 2014 2015 2016 (470) (543) (573)(519) (555)(493) (620) Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333