Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 12. Juni 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/2769 19. Wahlperiode 15.06.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/2369 – Tötungsdelikte mit rechtsextremer bzw. rassistischer Motivation seit 1990 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) 2011 wurde die starke Diskrepanz zwischen unabhängigen Stellen und Sicherheitsbehörden bei der Zählung rechtsextremer bzw. rassistisch motivierter Tötungsdelikte seit 1990 erneut zum Thema. Bundesregierung und Bundesländer führten u. a. eine Überprüfung aller Tötungsdelikte mit möglicher rechter bzw. rassistischer Motivation seit 1990 durch. In zwei Bundesländern (Brandenburg und Berlin) wurde diese Überprüfung durch unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse dieser Einrichtungen stieg die Zahl der von den Sicherheitsbehörden anerkannten Fälle allein um 16 Tötungsdelikte. 1. Von wie vielen vollendeten Tötungsdelikten mit rechtsextremem bzw. rassistischem Hintergrund seit 1990 geht die Bundesregierung gegenwärtig aus (bitte nach Tatzeitpunkt, Orten und Opfern aufschlüsseln)? Gegenwärtig zeigt die Statistik bundesweit 76 vollendete rechts motivierte Tötungsdelikte mit 83 Todesopfern seit 1990 auf. Der nachfolgenden Liste sind Tatzeitpunkt , Tatort und Opferzahl zu entnehmen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2769 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland: lfd. Nr. Tatzeit Tag Monat Jahr Tatort Bundesland (Länderkürzel) Anzahl der Todesopfer 1 24 11 1990 Eberswalde BB 1 2 31 3 1991 Dresden SN 1 3 15 6 1991 Friedrichshafen BW 1 4 19 9 1991 Saarlouis SL 1 5 12 12 1991 Meuro BB 1 6 15 3 1992 Saal MV 1 7 18 3 1992 Buxtehude NI 1 8 19 3 1992 Flensburg SH 1 9 24 4 1992 Berlin BE 1 10 9 5 1992 Magdeburg ST 1 11 8 7 1992 Ostfildern-Kemnat BW 1 12 11 10 1992 Geierswalde SN 1 13 7 11 1992 Lehnin BB 1 14 13 11 1992 Wuppertal NW 1 15 21 11 1992 Berlin BE 1 16 23 11 1992 Mölln SH 3 17 15 1 1993 Arnstadt TH 1 18 20 2 1993 Hoyerswerda SN 1 19 9 3 1993 Mülheim/Ruhr NW 1 20 29 5 1993 Solingen NW 5 21 9 7 1993 Marl NW 1 22 25 5 1995 Oberwald (Stausee) SN 1 23 3 2 1996 Bergisch-Gladbach NW 1 24 15 2 1996 Brandenburg/ Havel BB 1 25 15 3 1996 Dorsten NW 1 26 8 2 1997 Magdeburg ST 1 27 23 2 1997 Roseburg SH 1 28 8 5 1997 Königs Wusterhausen BB 1 29 4 7 1998 Leipzig/ Markkleeberg SN 1 30 13 2 1999 Guben BB 1 31 9 8 1999 Eschede NI 1 32 15 8 1999 Kolbermoor BY 1 33 11 6 2000 Dessau ST 1 34 24 7 2000 Ahlbeck MV 1 35 13 9 2000 Schleswig SH 1 36 25 11 2000 Greifswald MV 1 37 8 8 2001 Dahlewitz BB 1 38 13 7 2002 Potzlow BB 1 39 22 7 2008 Templin BB 1 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/2769 lfd. Nr. Tatzeit Tag Monat Jahr Tatort Bundesland (Länderkürzel) Anzahl der Todesopfer 40 16 8 2008 Magdeburg ST 1 41 1 7 2009 Dresden SN 1 42 24 10 2010 Leipzig SN 1 43 19 10 2016 Georgensgmünd BY 1 Erfassung aufgrund nachträglicher Bewertungsänderung der Bundesländer: 44 7 10 1990 Lübbenau BB 1 45 16 9 1991 Schwedt BB 1 46 1 12 1991 Hohenselchow BB 1 47 1 7 1992 Neuruppin BB 1 48 29 8 1992 Berlin BE 1 49 24 4 1993 Obhausen ST 1 50 8 5 1993 Belzig BB 1 51 5 6 1993 Fürstenwalde BB 1 52 23 7 1994 Berlin BE 1 53 23 10 1996 Leipzig SN 1 54 17 4 1997 Berlin BE 2 55 23 9 1997 Cottbus BB 1 56 23 9 1997 Angermünde BB 1 57 2 10 1999 Hohenstein-Ernsttal SN 1 58 6 10 1999 Berlin BE 1 59 8 10 1999 Löbejün ST 1 60 29 12 1999 Halle ST 1 61 23 5 2000 Berlin BE 1 62 31 5 2000 Eberswalde BB 1 63 5 11 2001 Berlin BE 1 64 4 10 2003 Leipzig SN 1 65 1 10 2012 Butzow MV 1 66 23 10 2014 Limburg HE 1 Tötungsdelikte des NSU: 67 9 9 2000 Nürnberg BY 1 68 13 6 2001 Nürnberg BY 1 69 27 6 2001 Hamburg HH 1 70 29 8 2001 München BY 1 71 25 2 2004 Rostock MV 1 72 9 6 2005 Nürnberg BY 1 73 15 6 2005 München BY 1 74 4 4 2006 Dortmund NW 1 75 6 4 2006 Kassel HE 1 76 25 4 2007 Heilbronn BW 1 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2769 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode a) Sind in dieser Zahl schon die durch das Zentrum für Antisemitismusforschung ausgewerteten und vom LKA Berlin anerkannten zusätzlichen sechs Fälle mit insgesamt sieben Todesopfern rechter Gewalt eingerechnet (vgl. www.faz.net/aktuell/politik/inland/berlin-polizei-erhoeht-zahlder -todesopfer-durch-rechte-gewalt-15578132.html)? Die vom Landeskriminalamt Berlin nachträglich eingestuften Fälle sind in der Statistik bereits berücksichtigt. b) Sind in diesen Zahlen auch die vom Moses-Mendelssohn-Zentrum 2013 festgestellten neun rechten Tötungsdelikte eingerechnet, die bisher von der Bundesregierung nicht als solche gewertet wurden? Die neun Tötungsdelikte, die vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam untersucht wurden, sind ebenfalls in der Statistik berücksichtigt. c) Sind in diesen Zahlen auch die Todesopfer des Anschlags im Olympia- Zentrum München aus dem Jahr 2016 eingerechnet? Bei der hier in Rede stehenden Tat erfolgte bislang keine Einstufung des Tatgeschehens als politisch motivierte Kriminalität durch die sachbearbeitende Dienststelle in Bayern. d) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass durch zwei unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen 16 Tötungsdelikte mit rechtem bzw. rassistischem Tathintergrund ermittelt wurden, die bisher von den Sicherheitsbehörden nicht als solche bewertet wurden? Die Bewertung der 16 Tötungsdelikte und deren Zuordnung zu Themenfeldern des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes Politisch motivierte Kriminalität“ (KPMD-PMK) obliegt den ermittlungsführenden Länderpolizeien. Die Bundesregierung zieht daher keine Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der beiden wissenschaftlichen Untersuchungen. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass sich die Forschungsgruppen in ihren Berichten insbesondere auf Straftaten der 1990er Jahre beziehen. Das geltende Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität (PMK) sowie der KPMD-PMK wurden seitens des Bundes und der Länder jedoch erst zum 1. Januar 2001 eingeführt. Bei der Erarbeitung dieses Definitionssystems PMK waren u. a. Wissenschaftler beteiligt. Dem vor 2001 gültigen Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Staatsschutzsachen (KPMD-S) lagen weniger umfassende Kriterien für die Erfassung der Straftaten zugrunde. e) Welche der in Frage 1 erfragten Fälle hat die Bundesregierung im Zeitraum von 2012 bis heute in die Auflistung der vollendeten Tötungsdelikte mit rechtsextremem bzw. rassistischem Hintergrund aufgenommen? Auf die Auflistung in der Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/2769 2. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung die nach der Selbstenttarnung des NSU vorgenommenen Überprüfungen sämtlicher Tötungsdelikte, für die eine rechtsextreme bzw. rassistische Motivation von unterschiedlichen Stellen angenommen wurde (Jansen/Kleffner-Liste aus dem Tagesspiegel, Angaben der Bundesregierung zu diesen Tötungsdelikten) abgeschlossen, bzw. in welchen Bundesländern stehen diese Überprüfungen noch aus? Der systematische Datenabgleich im Bundeskriminalamt einer ersten Prüfphase der Arbeitsgruppe (AG) Fallanalyse im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismus Zentrum (GETZ-R) sowie die anschließende Prüfung der Ergebnisse auf Ermittlungsrelevanz durch die Länderpolizeien wurden im Jahr 2014 beendet. Im Anschluss haben die Landeskriminalämter unter Federführung des Bundeskriminalamtes das Ergebnis sowie die Vorgehensweise evaluiert. Die Bekanntgabe von Ergebnissen der Altfallprüfung obliegt der Innenministerkonferenz . 3. Zu welchen Veränderungen ist es bei den Fallzahlen der angeführten Tötungsdelikte im Einzelnen gekommen (bitte nach Ländern aufschlüsseln)? Auf die Auflistung in der Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Für den Zeitraum der Jahre 1990 bis 2000 galt ein anderes Definitionssystem zur Erfassung Politisch motivierter Kriminalität. Insofern sind die Fallzahlen vor 2001 nicht vergleichbar mit späteren Fallzahlen. Auf die Antwort zu Frage 1d wird verwiesen. 4. In welchen Bundesländern hat es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Überprüfung der Fallzahlen durch unabhängige wissenschaftliche Stellen gegeben, und welche Institution hat die Überprüfung jeweils durchgeführt? In den Ländern Berlin und Brandenburg hat es Studien zur Überprüfung von Fallzahlen durch wissenschaftliche Stellen gegeben. In Berlin oblag die Studie dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, in Brandenburg dem Moses-Medelssohn-Zentrum der Universität Potsdam. Beide Studien sind abgeschlossen. Ausweislich eines Artikels vom 21. Mai 2018 (Der Tagesspiegel) sollen in Thüringen acht Tötungsdelikte auf politische Motive wissenschaftlich untersucht werden. 5. Gab es im Rahmen der Überprüfungen Hinweise auf Mängel und Fehler der bisherigen Erhebung der Fallzahlen? Wo lagen diese Fehler gegebenenfalls, und welche Schlussfolgerungen wurden daraus gezogen? Im Rahmen der Überprüfung wurden einzelne Tötungsdelikte in den Ländern Berlin und Brandenburg neu bewertet. Die Überprüfung wurde vom Landeskriminalamt Berlin und dem Ministerium des Innern in Brandenburg in Auftrag gegeben . Die Erfassung und Bewertung Politisch motivierter Straftaten obliegt grundsätzlich den ermittlungsführenden Dienststellen auf Grundlage des KPMD-PMK. Die Bundesregierung kommentiert daher aufgrund der grundgesetzlich vorgegebenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern die Ergebnisse der Überprüfungen nicht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/2769 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Vorschlägen des Zentrums für Antisemitismusforschung zur Erweiterung der polizeilichen Erfassungskriterien politischer Kriminalität, die dieses im Rahmen seiner Überprüfung der Berliner Fälle gemacht hat (vgl. https://depositonce. tu-berlin.de/bitstream/11303/7111/3/Klassifikation_politsch_rechter_ Toetungsdelikte.pdf, S. 235 f)? Die Empfehlungen des Forschungsberichts wurden im zuständigen polizeilichen Fachgremium erörtert. Im Ergebnis wurde vor dem Hintergrund der Einführung des Definitionssystems PMK und des darauf basierenden KPMD-PMK im Jahr 2001 und der eingehenden Überarbeitung dieses Systems aufgrund der Empfehlungen des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode zu den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) kein weiterer Handlungsbedarf gesehen. Den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses folgend wurde das Definitionssystem im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) unter Einbeziehung von Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft überarbeitet . Die Empfehlungen der BLAG KPMD-PMK wurden abschließend zum 1. Januar 2017 umgesetzt. Die Unterlagen für den KPMD-PMK werden darüber hinaus regelmäßig und anlassbezogen durch eine Facharbeitsgruppe der Kommission Staatsschutz überprüft . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333