Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 22. Dezember 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/338 19. Wahlperiode 28.12.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Siegbert Droese und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/202 – Die Unabhängigkeit von Katalonien und EU V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Unabhängigkeitsbestrebungen von Nationen, Völkern und Regionen sind ein grundlegendes Merkmal der europäischen Geschichte in den letzten Jahrhunderten . Auch in Katalonien existieren solche Bestrebungen seit über 300 Jahren (Quelle: GEO EPOCHE Nr. 31, www.geo.de/magazine/geo-epoche/17472-rtklspanien -wie-vor-fast-400-jahren-der-grundstein-fuer-den-katalonien). Die Alternative für Deutschland (AfD) steht hier mit ihrem Parteiprogramm für die Freiheit der europäischen Nationen von fremder Bevormundung und für die Vielfalt nationaler und regionaler kultureller Traditionen. Am 1. Oktober 2017 haben sich ca. 90 Prozent der Wähler in Katalonien für die Unabhängigkeit von Katalonien ausgesprochen; die Wahlbeteiligung lag bei 42 Prozent. Die Wahlvorbereitungen und die Wahlen wurden massiv vom spanischen Staat behindert und zum Teil verhindert (Quelle: DIE ZEIT, 1. Oktober 2017, www.zeit.de/politik/ausland/2017-10/referendum-katalonien-spaniengewalt ). Die Regierung in Madrid verhaftete führende Mitglieder der katalanischen Sicherheitsorgane und Wahlhelfer. Bürgermeistern, die Wahlurnen in Rathäusern oder Schulen aufstellen wollten, wurde mit Gefängnis gedroht. Es wurden Versammlungsverbote ausgesprochen, es erfolgte ein Eingriff in den Postverkehr, das Internet wurde teilweise blockiert (Quelle: tagesschau, 30. September 2017, www.tagesschau.de/ausland/katalonien-abstimmung- 107.html). Es gab Razzien und Verhaftungen vor der Wahl und am Wahltag. Am Wahltag kam es zu Zusammenstößen von Wählern und Sicherheitskräften aus Madrid. Nach Schätzungen von Beobachtern kam es zu etwa 900 Verletzten (Quelle: DIE WELT, 2. Oktober 2017, www.welt.de/newsticker/dpa_nt/afxline/ topthemen/hintergruende/article169258795/Das-katalanische-Referendum-undseine -Folgen.html). Begründet wurden alle repressiven Maßnahmen aus Madrid mit der Verfassung von 1978 und dem Grundsatz der Unauflöslichkeit der spanischen Nation. Nach der Unabhängigkeitserklärung im katalanischen Parlament in Barcelona wurde Artikel 155 der spanischen Verfassung in Kraft gesetzt. Seitdem steht Katalonien de facto unter Zwangsverwaltung, und es herrscht nach Auffassung der Fragesteller eine Art politischer Ausnahmezustand. Der abgesetzte katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont ist nach Brüssel geflohen, ihn und Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/338 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode seine Minister erwarten bis zu 30 Jahre Haft wegen „Rebellion“. Madrid nennt die Volksabstimmung und die Unabhängigkeitserklärung illegal und verfassungsfeindlich . Die aktuelle Krise in Spanien bzw. Katalonien ist nach Meinung der Fragesteller nicht nur ein innerspanisches, sondern auch ein europäisches Problem. Die Fragesteller kritisieren deshalb die Auffassung derjenigen, die in der Katalonien- Krise ausschließlich ein Problem Spaniens sehen. Gleichzeitig kritisieren die Fragesteller die Auffassung derjenigen, die sich pauschal auf die Seite der spanischen Zentralregierung in Madrid stellen, ohne die Belange Kataloniens und den demokratischen Willen eines großen Teils der Katalanen zu beachten. Die Fragesteller betrachten Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ auch für Spanien anwendbar. Die Fraktion der AfD sieht hier ein Demokratiedefizit in der Europäischen Union, wenn Formen der direkten Demokratie nicht gewürdigt werden und Aufrufe der demokratisch gewählten katalanischen Regionalregierung zum Dialog und zur Vermittlung seitens der EU abgelehnt werden. Die Frage einer Unabhängigkeit von Katalonien muss aus Sicht des Fragestellers auch im europäischen Rahmen gelöst werden, zumal auch andere Regionen in Europa, wie z. B. in Italien oder Belgien, nach Unabhängigkeit streben. Es muss aus Sicht der Fragesteller ernsthaft darüber diskutiert werden, wie der Katalonien-Konflikt friedlich und mit demokratischen Mitteln gelöst wird. Die Fraktion der AfD hat hier große Zweifel, ob eine Zwangsverwaltung der Region Katalonien durch Madrid und die Inhaftierung von demokratisch gewählten Volksvertretern der richtige Weg ist. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass eine Lösung der in der Kleinen Anfrage aufgeworfenen Fragen zu Katalonien nur im Rahmen der spanischen Verfassung und im Wege eines innerspanischen Dialogs möglich ist. Diese Sichtweise wird von der EU-Kommission ebenso wie von allen anderen EU-Mitgliedstaaten geteilt. Die Bundesregierung hat keinen Zweifel, dass das Königreich Spanien eine rechtsstaatliche und demokratische Lösung finden wird. Sowohl die spanische Regierung als auch die Unabhängigkeitsbefürworter haben unterstrichen , dass diese nur im gewaltfreien Dialog gefunden werden kann. 1. Wie definiert die Bundesregierung das Selbstbestimmungsrecht der Völker entsprechend der UN-Charta im europäischen Kontext? Das Selbstbestimmungsrecht der Völker findet in mehreren völkerrechtlichen Verträgen Erwähnung, unter anderem in den Artikeln 1 Ziffer 2 und 55 der Charta der Vereinten Nationen, den jeweiligen Artikeln 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) und ist gewohnheitsrechtlich anerkannt. Der gleichlautende Artikel 1 Absatz 1 des IPbpR und IPwskR statuiert : „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Diese Definition ist auch für die Bundesregierung maßgeblich. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/338 2. Wo sieht die Bundesregierung in Zukunft Möglichkeiten eines Ausbaus der direkten Demokratie in Deutschland, etwa durch Volksentscheide im nationalen Maßstab oder bei der Direktwahl des Bundespräsidenten? Ist hier die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie kein Beispiel für eine sehr gut funktionierende Demokratie? Anlässlich des in der letzten Legislaturperiode eingebrachten Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 18/825 vom 17. März 2014, Bundestagsdrucksache 18/7972 vom 23. März 2016), der die Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene vorsah, fand am 9. Juni 2016 eine ausführliche Debatte zu diesem Vorhaben im Parlament statt. Der Gesetzesantrag wurde in der anschließenden Abstimmung von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt. In der Debatte vorgebrachte Argumente gegen die Einführung plebiszitärer Elemente werden von der Bundesregierung geteilt. Im Grundgesetz wurden auf Bundesebene keine plebiszitären Elemente vorgesehen (bis auf eine Ausnahme bezüglich der Neugliederung des Bundesgebiets in Artikel 29 GG), ausgehend von den negativen Erfahrungen in der Weimarer Republik. Diese Bedenken sind auch heute noch relevant. Das Schweizer Modell ist nicht auf die Bundesrepublik Deutschland übertragbar. Gemäß Artikel 54 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz wird der Bundespräsident von der Bundesversammlung gewählt. Der Parlamentarische Rat hat diese Bestimmung 1949 bewusst in Abkehr von der Direktwahl des Reichspräsidenten der Weimarer Republik geschaffen. 3. Plant die Bundesregierung, im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und in der Konferenz der Europa-Ausschüsse (COSAC) aktiv an einer Lösung der Katalonien-Krise mitzuarbeiten? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union oder die Konferenz der Europa-Ausschüsse an einer Lösung der Katalonienkrise beteiligt sind. Die Bundesregierung ist von diesen Parlamentsausschüssen nicht um Mitarbeit gebeten worden. 4. Sieht die Bundesregierung einen völkerrechtlichen Unterschied zwischen den (früheren) Unabhängigkeitsbestrebungen in Slowenien, Kroatien, Montenegro und dem Kosovo und (heutigen) Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, Norditalien und Schottland? Eine völkerrechtliche Bewertung kann nur unter Berücksichtigung sämtlicher konkreter Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfolgen. Während die anzulegenden völkerrechtlichen Maßstäbe grundsätzlich gleich bleiben, können Unterschiede in den zugrundeliegenden konkreten Sachverhalten der genannten Fälle zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Bewertung führen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/338 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Warum wurden von der damaligen Bundesregierung im Zuge des Jugoslawienkriegs in den 90er Jahren die nach Unabhängigkeit strebenden Teilrepubliken Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten einseitig anerkannt , während eine Anerkennung der nach Unabhängigkeit strebenden Teilrepublik Katalonien als unabhängiger Staat kategorisch abgelehnt wird? 6. Wo bewertet die Bundesregierung einen völkerrechtlichen Unterschied in der Wertigkeit der heutigen spanischen Verfassung von 1978 und der damaligen Verfassung von Jugoslawien? Bewertet die Bundesregierung die damalige Einheit und territoriale Integrität Jugoslawiens anders als die heutige Einheit und territoriale Integrität Spaniens ? Die Fragen 5 und 6 werden gemeinsam beantwortet. Die Ereignisse im damaligen Jugoslawien sind mit der jetzigen Entwicklung im Königreich Spanien nicht vergleichbar . Das Königreich Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat, dies traf auf das ehemalige Jugoslawien nicht zu. Die Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens erfolgte zudem vor dem Hintergrund der militärischen Operationen der jugoslawischen Armee gegen die damaligen Teilstaaten. Sowohl die spanische Regierung als auch die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien haben sich dazu bekannt, den politischen Konflikt gewaltfrei und im Dialog zu lösen. 7. Wie erklärt die Bundesregierung eine frühere aktive Unterstützung etwa der baltischen Nationen für Unabhängigkeit von Russland/von der Sowjetunion, während Nationen in Westeuropa wie die Katalanen nicht unterstützt werden ? Existiert für die Bundesregierung eine „katalanische Nation“? Die Bundesregierung hat die völkerrechtswidrige Annexion von Estland, Lettland und Litauen durch die Sowjetunion 1940 nie anerkannt. Artikel 2 der spanischen Verfassung bezeichnet das Königreich Spanien als unauflösliche Einheit und gewährt den Nationalitäten und Regionen, aus denen es sich zusammensetzt, das Recht auf Autonomie. Umfang und Inhalt dieser regionalen Autonomien sind in der Verfassung genannt und werden in Autonomiestatuten weiter konkretisiert. Dies ist auch für die Bundesregierung maßgeblich. 8. Wie bewertet die Bundesregierung die Einsätze von Polizeieinheiten und Sicherheitsorganen der spanischen Zentralregierung im Rahmen der Volksabstimmung in Katalonien zur Unabhängigkeit vom 1. Oktober 2017, durch die nach Presseberichten Hunderte Bürger verletzt worden sein sollen (Quelle: DIE WELT, 1. Oktober 2017, www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_ nt/brennpunkte_nt/article169203482/Hunderte-Verletzte-nach-Gewalt-bei- Katalonien-Abstimmung.html)? Die Bundesregierung verweist auf ihre Antwort auf die Schriftliche Frage 11 des Abgeordneten Andrej Hunko (Bundestagsdrucksache 18/13696 vom 23. Oktober 2017). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/338 9. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Zwangsverwaltung Kataloniens entsprechend § 155 der spanischen Verfassung im europäischen Kontext? Die Bundesregierung hat keinen Anlass, am rechtsstaatlichen Charakter des Artikels 155 der spanischen Verfassung zu zweifeln. Dies gilt auch für seine erstmalige Aktivierung durch den in der Verfassung dafür vorgesehenen Beschluss des spanischen Parlaments und die bislang von der spanischen Regierung getroffenen Maßnahmen. 10. Warum engagiert sich die Bundesregierung aktiv bei der Freilassung politischer Gefangener, z. B. in der Türkei, nicht aber bei der Freilassung von demokratisch gewählten Politikern in Spanien? Die Bundesregierung tritt weltweit für die Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit ein. Bei den Verfahren gegen die ehemaligen Mitglieder der katalanischen Regionalregierung hat die Bundesregierung keinen Anlass, an der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze zu zweifeln. 11. Warum bietet sich die Bundesregierung nicht als Vermittler im Katalonien- Konflikt an angesichts der Tatsache, dass Deutschland in vielen Ländern Europas und außerhalb erfolgreich als Vermittler tätig ist und war (u. a. Ukraine , Libanon, Irak)? Die Bundesregierung hat stets unterstrichen, dass es sich um einen innerspanischen Konflikt handelt, der im Dialog und im Rahmen der spanischen Verfassung zu lösen sei. Diese Auffassung wird von der EU-Kommission und allen Mitgliedstaaten der EU geteilt. Darüber hinaus hat die spanische Regierung nicht um eine Vermittlung gebeten. 12. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung, Wahlbeobachter der EU zu den Wahlen in Katalonien am 21. Dezember 2017 zu entsenden? Die spanische Regierung, die für eine eventuelle Anfrage zuständig wäre, hat ein solches Anliegen gegenüber den zuständigen Stellen der EU nicht vorgebracht. EU-Wahlbeobachtungsmissionen sind ein Instrument der EU-Außenbeziehungen , in deren Rahmen Wahlbeobachtungen in EU-Mitgliedstaaten ohnehin nicht vorgesehen sind. 13. Würde die Bundesregierung eine friedliche Trennung Kataloniens von Spanien anerkennen, so wie sie die friedliche Trennung von Tschechien und der Slowakei anerkannt hat? In einem Europa, das stetig zusammenwächst, kann die Bundesregierung grundsätzlich keinen Vorteil darin erkennen, wenn sich innerhalb von EU-Mitgliedstaaten Abspaltungen vollziehen und neue Grenzen geschaffen werden. Die Bundesregierung respektiert aber solche Entscheidungen, wenn sie auf demokratischem und rechtsstaatlichem Wege im Dialog zustande gekommen sind. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333