Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 22. Dezember 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/351 19. Wahlperiode 29.12.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/129 – Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In verschiedenen Publikationen des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz wird nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller der Eindruck erweckt, dass Antikapitalismus und Antifaschismus als „linksextremistische Aktionsfelder“ per se nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) vereinbar seien. „Wirkliches Ziel“ von vermeintlichen Linksextremisten bei ihrer Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Debatten und Protestaktionen zu unterschiedlichen Themen sei „die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie“, wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Kapitel „Linksextremismus “ behauptet. Weiter heißt es darin, „ideologische Grundlage“ vermeintlicher Linksextremisten sei die „Ablehnung des ‚kapitalistischen Systems als Ganzes‘, denn der ‚Kapitalismus‘ ist für Linksextremisten mehr als nur eine Wirtschaftsform. Er ist sowohl Basis als auch Garant der ‚bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse ‘ durch ‚Repression‘ nach innen und ‚Aggression‘ nach außen “ und demnach verantwortlich für soziale Ungerechtigkeit, Kriege, Rechtsextremismus und Umweltkatastrophen (www.bmi.bund.de/SharedDocs/down loads/DE/publikationen/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile). So kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz zu dem Schluss, dass vermeintliche Linksextremisten vor allem den Kampf gegen das kapitalistische System in den Mittelpunkt ihrer antifaschistischen Aktivitäten rücken. „Die Aktivitäten ‚antifaschistischer‘ Linksextremisten (Antifa) dienen indes nur vordergründig der Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen“, heißt es in der Broschüre „Linksextremismus – Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale “ des Bundesamtes für Verfassungsschutz. „Eigentliches Ziel bleibt der ‚bürgerlich-demokratische Staat‘, der in der Lesart von Linksextremisten den ‚Faschismus‘ als eine mögliche Herrschaftsform akzeptiert, fördert und ihn deshalb auch nicht ausreichend bekämpft. Letztlich, so wird argumentiert, wurzle der ‚Faschismus‘ in den gesellschaftlichen und politischen Strukturen des ‚Kapitalismus ‘“ (www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2016-05-links extremismus.pdf). Der Kampf gegen Rechtsextremismus gilt vor diesem Hintergrund nur dann als ausreichend und zielführend, wenn er die vermeintlichen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/351 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode gesellschaftlichen Voraussetzungen mit in den Blick nimmt und angreift, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2016 (www.bmi.bund.de/SharedDocs/ downloads/DE/publikationen/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile). Nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller setzt der Inlandsgeheimdienst in unzulässiger Weise die parlamentarische Demokratie und den bürgerlichen Staat mit dem Kapitalismus gleich. Es fehlt eine nachvollziehbare Definition . Damit wird ein wesentlicher Verfassungsgrundsatz verfälscht, wonach die Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung keineswegs verfassungsfeindlich und das Eintreten für einen Sozialismus vielmehr eine Option der Landesverfassungen und des Grundgesetzes ist. So vertrat der renommierte Marburger Rechts- und Sozialwissenschaftler Wolfgang Abendroth die Ansicht , dass „die Garantie der Möglichkeit zu legaler Transformation der sozialökonomischen und soziokulturellen Basis in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaft, die auch real (und nicht nur juristisch-fiktiv) wirklich allen gleiche Rechte gewährt“, wesentlicher Gehalt des Systems der Demokratie in der Rechtsordnung des Grundgesetzes bleibe (Wolfgang Abendroth: Das Grundgesetz : Eine Einführung in seine politischen Probleme, 3. erweiterte Aufl., Pfullingen 1972, S. 12). V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g In der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wird behauptet, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) setze in seinen Publikationen „antifaschistische“ und „antikapitalistische“ Aktivitäten grundsätzlich mit extremistischen Aktivitäten gleich. Das ist nicht zutreffend. Denn sowohl die Ablehnung oder Bekämpfung des Nationalsozialismus, Faschismus oder Rechtsextremismus als auch die Kritik an der bestehenden Wirtschaftsordnung sind grundsätzlich und per se nicht extremistisch . Dies wird von Seiten des BfV auch in keiner Form gegenteilig dargestellt . Gleichwohl gibt es für die erwähnten Begriffe auch eine extremistische Auslegung . So sind „Antifaschismus“ und „Antikapitalismus“ linksextremistische Aktionsfelder und feststehende Szenebegriffe. In diesem Zusammenhang beabsichtigen Linksextremisten eine Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Systems hin zu einer sozialistischkommunistischen Gesellschafts-, Wirtschaftsund Staatsordnung. Zu Begriffen, die von Landesämtern für Verfassungsschutz verwendet werden, nimmt die Bundesregierung aufgrund der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes nicht Stellung. 1. Wie definiert und was genau versteht die Bundesregierung unter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO)? a) Durch wen oder was wurde in welchem Zusammenhang diese Definition der FDGO getroffen? b) Aus welchen Elementen besteht die FDGO im Einzelnen? c) Inwieweit und aufgrund welcher Umstände und Deutungen wurden durch wen oder was die FDGO bzw. ihre einzelnen Elemente seit ihrer erstmaligen Festlegung und Definition modifiziert? Das Bundesverfassungsgericht definiert in ständiger Rechtsprechung die freiheitliche demokratische Grundordnung wie folgt (BVerfGE 2, 1 (Ls. 2, 12 f.); zuletzt bestätigt mit Urteil vom 17. Januar 2017 – Az. 2 BvB 1/13, Rn. 529 ff.): „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherr- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/351 schaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor dem Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten , vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte , das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition .“ Der Bundesgesetzgeber hat diese Rechtsprechung als Legaldefinition in § 4 Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) aufgenommen. 2. Kann die Bundesregierung definieren, was sie konkret unter den folgenden in Publikationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gebrauchten Begrifflichkeiten versteht (www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2016- 05-linksextremismus.pdf; www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/ publikationen/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile): a) Kapitalismus, b) kapitalistisches System, c) Faschismus, d) Antifaschismus, e) bürgerlich-demokratischer Staat und f) parlamentarische Demokratie? Das BfV verwendet in seinen Publikationen Begriffe, die im allgemeinen Sprachgebrauch u. a. durch die Politikwissenschaft und das Staatsrecht entwickelt und definiert worden sind. Eine eigene Definition der Begriffe nimmt das BfV nicht vor. 3. Kann die Bundesregierung definieren, was ihrer Kenntnis nach sogenannte Linksextremisten konkret unter den folgenden in Publikationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gebrauchten Begrifflichkeiten verstehen (www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2016-05-linksextremismus. pdf; www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/2017/vsb- 2016.pdf?__blob=publicationFile): a) Kapitalismus, b) kapitalistisches System, c) Faschismus, d) Antifaschismus, e) bürgerlich-demokratischer Staat und f) parlamentarische Demokratie? Die deutsche linksextremistische Szene besteht aus einer Vielzahl von Organisationen und Strömungen, die sich mit unterschiedlichen Interpretationen an kommunistische oder anarchistische Vordenker und deren Konzepte anlehnen. Auf Grund dieser heterogenen Ausprägung existiert keine einheitliche „linksextremistische “ Definition der in der Fragestellung aufgeführten Begriffe. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/351 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Als „Szenebegriffe“ mit einer weitgehend einheitlichen Sinn-Zuschreibung sind aus der Aufzählung lediglich „(Anti-)Kapitalismus“ und „(Anti-)Faschismus“ anzusehen , welche auch die beiden wichtigsten Aktions- und Agitationsfelder des deutschen Linksextremismus darstellen. Den „Kapitalismus“ kennzeichnen aus linksextremistischer Sicht nicht nur soziale Missstände, sondern auch gesellschaftspolitische Phänomene wie Faschismus , Rechtsextremismus, Rassismus, Repression, Gentrifizierung und Militarismus . Für Linksextremisten ist der Kapitalismus somit mehr als eine bloße Wirtschaftsordnung , sondern eine im Sinne von Karl Marx durch eine Revolution zu überwindende Gesellschaftsordnung. Bei ihrer Begriffsdefinition des „Antifaschismus“ gehen Linksextremisten zumeist weit über die bloße Ablehnung des Rechtsextremismus hinaus. Sie behaupten , dass ein „kapitalistischer“ Staat den Faschismus hervorbringe und toleriere. Daher richtet sich der „Antifaschismus“ aus linksextremistischer Sicht nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern auch immer gegen das politische System der Bundesrepublik Deutschland bzw. konkret gegen den Staat und seine Vertreter. Soweit die übrigen Begriffe im Einzelfall von Linksextremisten verwendet werden , sind sie nach ihrem jeweiligen Kontext auszulegen. 4. Was versteht die Bundesregierung konkret unter „linksextremistischem Antifaschismus “ bzw. „antifaschistischen Linksextremisten“? a) Worin bestehen aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen Unterschiede zwischen „linksextremistischem“ und nicht linksextremistischem bzw. FDGO-konformem Antifaschismus? b) Worin bestehen aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen Unterschiede zwischen „antifaschistischen Linksextremisten“ und nicht linksextremistischen Antifaschisten? c) Welche Vereinigungen, Parteien, Gruppierungen und Strömungen ordnet die Bundesregierung ganz oder teilweise (bitte angeben) dem Spektrum „antifaschistischer Linksextremisten“ zu? d) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung auch Linksextremisten, die nicht antifaschistisch sind, und wenn ja, um welche Gruppierungen oder Strömungen handelt es sich dabei konkret? Grundsätzlich verstehen sich alle Linksextremisten als „Antifaschisten“. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 5. Inwiefern und in welchem Kontext verwendet das Bundesamt für Verfassungsschutz die Begrifflichkeit des „orthodox-kommunistischen Antifaschismus “? a) Was genau versteht die Bundesregierung unter „orthodox-kommunistischem Antifaschismus“? b) Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung auch unorthodox-kommunistischen Antifaschismus, und wenn ja, worin besteht dessen Wesen, und wie wird er vom orthodox-kommunistischen Antifaschismus abgegrenzt? Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/351 c) Ist „orthodox-kommunistischer Antifaschismus“ nach Auffassung der Bundesregierung immer linksextremistisch (bitte begründen) bzw. nicht konform mit der FDGO, und wenn ja, warum? Wenn nein, in welchen Fällen nicht? d) Welche Elemente zeichnen „orthodox-kommunistischen Antifaschismus“ nach Kenntnis der Bundesregierung gegenüber anderen extremistischen und nicht extremistischen Formen oder Arten des Antifaschismus aus? e) Welche Vereinigungen, Parteien, Gruppierungen und Strömungen ordnet die Bundesregierung ganz oder teilweise (bitte angeben) dem „orthodoxkommunistischen Antifaschismus“ zu? Der Begriff „orthodox-kommunistischer Antifaschismus“ findet beim BfV keine Verwendung. 6. Woraus genau leitet die Bundesregierung die im Verfassungsschutzbericht 2016 getätigte Behauptung ab, „wirkliches Ziel“ von vermeintlichen Linksextremisten bei ihrer Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Debatten und Protestaktionen zu unterschiedlichen Themen sei „die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie“ (www.verfassungsschutz.de/embed/ broschuere-2016-05-linksextremismus.pdf) (bitte Belege bzw. Textstellen angeben)? Anmerkung: Der angegebene Link verweist nicht auf den in der Frage erwähnten Verfassungsschutzbericht 2016. Der Parlamentarismus ist Kernbestandteil der bundesdeutschen Verfassungsordnung . Kritik und Ablehnung dieser Verfassungsordnung sind wesentliche Elemente linksextremistischer Ideologie. Die Beteiligung von Linksextremisten „an gesellschaftlichen und politischen Debatten und Protestaktionen“ durch die verschiedenen , u. a. im Verfassungsschutzbericht 2016 aufgeführten Aktionsfelder richtet sich folglich direkt oder indirekt auch gegen die Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates und somit auch gegen die parlamentarische Demokratie. 7. Woraus genau leitet die Bundesregierung die in der Broschüre „Linksextremismus – Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorgenommene Einschätzung ab, „die Aktivitäten ‚antifaschistischer‘ Linksextremisten (Antifa) dienen indes nur vordergründig der Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Eigentliches Ziel bleibt der ‚bürgerlich-demokratische Staat‘, der in der Lesart von Linksextremisten den ‚Faschismus‘ als eine mögliche Herrschaftsform akzeptiert, fördert und ihn deshalb auch nicht ausreichend bekämpft (www.verfassungs schutz.de/embed/broschuere-2016-05-linksextremismus.pdf) (bitte Belege bzw. Textstellen angeben)? Die o. g., in der erwähnten Broschüre mit Anführungszeichen versehenen, Erläuterungen stellen keine von hier zu belegenden Zitate dar, sondern verdeutlichen die Nutzung der Begriffe im linksextremistischen Kontext. Diese Kennzeichnung erfolgte aus Gründen der Abgrenzung zur Nutzung der Begriffe in nichtextremistischem Zusammenhang. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/351 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 8. Inwieweit, in welchem Rahmen und durch welche Akteure wünscht sich die Bundesregierung zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus ? 9. Unter welchen Umständen erachtet die Bundesregierung es als unzulässig, wenn beim zivilgesellschaftlichen Engagement gegen Rechtsextremismus von einigen Beteiligten damit weitergehende antikapitalistische Ziele verbunden werden? Die Fragen 8 und 9 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Extremismusprävention und -bekämpfung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben . Die beste Form der Demokratieförderung und Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich für unser demokratisches System, das Gemeinwesen und für einen toleranten Umgang miteinander einzusetzen. Die Bundesregierung begrüßt dabei ausdrücklich jedes zivilgesellschaftliche Engagement , welches sich auf Basis des Grundgesetzes und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegen Extremismus und Menschenfeindlichkeit einsetzt , ohne dieses Engagement allgemein regeln zu wollen. Seit vielen Jahren fördern das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) – aktuell mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ – und das Bundesministerium des Innern (BMI) mit dem Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ (ZdT) Projekte für demokratische Teilhabe und gegen Extremismus unter anderem auch in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Die Projekte setzen an den Strukturen und Potenzialen an, die regional bereits vorhanden sind, wie z. B. Feuerwehrverbände, Sportvereine oder kirchliche Organisationen. Ziel ist es, diese zivilgesellschaftlichen Strukturen zu stärken und weiterzuentwickeln , um so die demokratische Beteiligung vor Ort zu stärken und Extremismus entgegenzuwirken. In diesem Rahmen wünscht sich die Bundesregierung Engagement zur Stärkung der demokratischen Kultur. Die Fördermaßnahmen des Programms ZdT konzentrieren sich hierbei vor allem auf Erwachsene und ergänzen damit bestehende Förderangebote. Extremistischen Organisationen oder Personen, die nicht die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten, darf keine direkte oder indirekte Förderung zuteilwerden. Unterwanderungsversuchen von geförderten Initiativen durch solche Personen oder Gruppen muss wirksam begegnet werden - ungeachtet dessen, ob sie den Bereichen islamistischer Extremismus, Rechts- oder Linksextremismus angehören. Darauf weisen die Fördermittelgeber durch das „Begleitscheiben zum Zuwendungsbescheid im Rahmen der Bundesprogramme zur Extremismusprävention“ hin. Nach dem Grundgesetz sind die Bundesregierung und die weiteren Verfassungsorgane verpflichtet, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu schützen. Eine von Antikapitalisten verfolgte zentralisierte Planwirtschaft würde dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Absatz 1 GG), der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG), der Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht (Artikel 14 GG), der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie (Artikel 9 Absatz 3 GG) entgegenstehen. „Weitergehende antikapitalistische Ziele“ müssen sich an diesem Maßstab messen lassen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/351 Die Bundesregierung begreift daher politische Bildung zur Extremismusprävention als Daueraufgabe. Der Fachbereich „Extremismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung hat zum Ziel, Informationen über extremistische Strömungen darzustellen sowie Handlungskompetenzen gegen Extremismus zu stärken – ein Schwerpunkt liegt hier auf dem Engagement gegen Rechtsextremismus. Dies wird durch unterschiedliche Ansätze bewerkstelligt – durch die Ausrichtung von Fachtagungen und Podiumsdiskussionen, durch Fortbildungen von Multiplikatoren , durch Förderung einzelner Träger sowie durch die Veröffentlichung von Online- sowie Printformaten. 10. Inwieweit hält die Bundesregierung eine Sichtweise, die rechtsextreme Entwicklungen bzw. den Faschismus als Herrschaftsform aus dem Kapitalismus ableitet, für vereinbar mit der FDGO? Entsprechende Sichtweisen sind Gegenstand kontroverser politikwissenschaftlicher Diskussionen, die die Bundesregierung nicht bewertet. Unabhängig davon sind alle Herrschaftsformen, die mit Absichten verbunden sind, einen rechtsextremistischen Führerstaat oder eine kommunistische oder sozialistische Diktatur errichten zu wollen, nicht vereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung . Dazu gehören auch Forderungen nach einer Revolution bzw. einem politischen Umsturz durch Gewaltanwendungen. Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ist nicht Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insofern ist Kritik am Kapitalismus dann mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar, wenn sie sich ausschließlich an den Kapitalismus als Wirtschaftssystem richtet. Eine Kritik, die darüber hinaus den Kapitalismus als Gesellschaftsform ansieht, die es z. B. mit dem Ziel der Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Diktatur oder mit Gewaltanwendung zu überwinden gilt, ist dagegen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. 11. Inwieweit hält die Bundesregierung eine von einigen sich als antifaschistisch bezeichnenden Gruppierungen vertretene Sichtweise, die rechtsextreme Entwicklungen bzw. den Faschismus als Herrschaftsform aus dem Kapitalismus ableitet, grundsätzlich für ein Merkmal des „antifaschistischen Linksextremismus “ oder „orthodox-kommunistischen Antifaschismus“? Auf die Antworten zu den Fragen 3 und 5 wird verwiesen. 12. Inwieweit ordnet die Bundesregierung eine Berufung von Antifaschistinnen und Antifaschisten auf den „Schwur der Überlebenden von Buchenwald“, der die Passage „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“ enthält, dem linksextremen oder orthodox-kommunistischen Antifaschismus zu (https://dasjahr1945.de/der-schwur-von-buchenwald/)? Die Fragestellung bedarf aus hiesiger Sicht einer politikwissenschaftlichen Reflektion . Dies betrifft jedoch nicht das Aufgabenspektrum und die Zuständigkeit der Bundesregierung. 13. Wie weit darf Kritik am Kapitalismus bzw. am kapitalistischen System dagegen nach Ansicht der Bundesregierung gehen, um sich noch im Rahmen der FDGO zu bewegen? Auf die Antworten zu den Fragen 8, 9 und 10 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/351 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 14. Inwieweit teilt die Bundesregierung die unter anderem vom Rechtswissenschaftler Wolfgang Abendroth vertretene Ansicht, dass „die Garantie der Möglichkeit zu legaler Transformation der sozialökonomischen und soziokulturellen Basis in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaft, die auch real (und nicht nur juristisch-fiktiv) wirklich allen gleiche Rechte gewährt“, wesentlicher Gehalt des Systems der Demokratie in der Rechtsordnung des Grundgesetzes bleibt (Wolfgang Abendroth: Das Grundgesetz: Eine Einführung in seine politischen Probleme, 3. erweiterte Aufl., Pfullingen 1972, S. 12)? a) Inwieweit ist das Grundgesetz nach Ansicht der Bundesregierung bezüglich der wirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland festgelegt ? b) Inwiefern ist das Eintreten für eine nichtkapitalistische sozialistische Gesellschaft nach Ansicht der Bundesregierung mit dem Grundgesetz bzw. der FDGO vereinbar? Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, einzelne wissenschaftliche Ansichten zu kommentieren. Das Grundgesetz enthält keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung. Anders als die Weimarer Reichsverfassung (Artikel 151 ff. WRV) normiert es auch nicht konkrete verfassungsrechtliche Grundsätze der Gestaltung des Wirtschaftslebens. Es überlässt dessen Ordnung vielmehr dem Gesetzgeber, der hierüber innerhalb der ihm durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen frei zu entscheiden hat, ohne dazu einer weiteren als seiner allgemeinen demokratischen Legitimation zu bedürfen (BVerfGE 50, 290, (336 f.)). Dem entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen hat, dass das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral sei; der Gesetzgeber darf jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz , insbesondere die Grundrechte beachtet (BVerfGE 4, 7 (17 f.). Ihm kommt also eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu (vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (400); 25, 1 (19 f.); 30, 292 (317, 319)). Das darin zutage tretende Element relativer Offenheit der Verfassungsordnung ist notwendig, um einerseits dem geschichtlichen Wandel Rechnung zu tragen, der im besonderen Maße das wirtschaftliche Leben kennzeichnet, andererseits die normierende Kraft der Verfassung nicht aufs Spiel zu setzen. Allerdings darf die Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht zu einer Verkürzung dessen führen, was die Verfassung in allem Wandel unverändert gewährleisten will, namentlich nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten garantierten individuellen Freiheiten, ohne die nach der Konzeption das Grundgesetzes ein Leben in menschlicher Würde nicht möglich ist. Die Aufgabe besteht infolgedessen darin, die grundsätzliche Freiheit wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung, die dem Gesetzgeber gewahrt bleiben muss, mit dem Freiheitsschutz zu vereinen, auf den der einzelne Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat (BVerfGE 7, 377 (400)). Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 13 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/351 15. Inwieweit und aus welchem Grund ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e. V.) derzeit Objekt der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz oder nach Kenntnis der Bundesregierung von Landesämtern für Verfassungsschutz? Die Verfassungsschutzbehörden sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Informationen und werten sie aus. Weder diese Informationen selbst noch die Angaben über eventuelle nachrichtendienstliche Aktivitäten zum Gewinnen solcher Informationen sind ihrem Wesen nach veröffentlichungsfähig. Durch eine Stellungnahme zum Beobachtungsstatus einer Organisation außerhalb der Verfassungsschutzberichte könnten Rückschlüsse auf den Aufklärungsbedarf, den Erkenntnisstand sowie die generelle Arbeitsweise des BfV gezogen werden, was die Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden bei der Bekämpfung des Extremismus nachhaltig beeinträchtigen würde. Nach sorgfältiger Abwägung des parlamentarischen Fragerechts mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes ist die Bundesregierung zur Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung dieser Frage hinsichtlich einer etwaigen Beobachtung der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten) durch das BfV nicht erfolgen kann. Aufgrund der oben dargelegten Ausforschungsgefahr überwiegt das öffentliche Geheimhaltungsinteresse. Zur Frage der Beobachtung durch die Landesämter für Verfassungsschutz wird auf die Verfassungsschutzberichte der Länder verwiesen. 16. Inwieweit trifft ein Bericht der Zeitung „unsere zeit“, der sich auf eine Antwort des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz bezüglich einer Klage gegen die Observation eines VVN-BdA-Mitgliedes beruft, zu, wonach „ein zentraler Verfassungsschutzverbund aller Ämter des Bundes und der Länder“ besteht, „der mit einem großen einheitlichen Dossier über die VVN-BdA arbeitet, bei dem sich alle Geheimdienste bedienen können“ (www.unsere-zeit.de/de/4904/theorie_geschichte/4651/Von-der-Ruhrladezum -Verfassungsschutz.htm)? a) Inwieweit gibt es einen zentralen Verbund des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz? b) Inwieweit und wo besteht ein Dossier über die VVN-BdA, auf das Verfassungsschutzämter Zugriff haben? c) Was geschah mit den vom Bundesamt für Verfassungsschutz bezüglich der VVN-BdA gesammelten Daten, nachdem die VVN-BdA nicht mehr im Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesamtes für Verfassungsschutz genannt wurde, und inwieweit haben die Landesämter für Verfassungsschutz Zugriff auf diese Daten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ? Die gesetzliche Grundlage für den angefragten Verbund der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ergibt sich aus den §§ 2 ff. BVerfSchG. Gemäß § 6 Absatz 1 BVerfSchG übermitteln sich die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (VS-Behörden) die für ihre Aufgaben relevanten Informationen, einschließlich ihrer Auswertungen. Gemäß § 6 Absatz 2 BVerfSchG sind die VS-Behörden verpflichtet, beim BfV zur Erfüllung der Unterrichtungsverpflichtung nach Absatz 1 gemeinsame Dateien im automatisierten Verfahren zu führen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/351 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Für das BfV ergeben sich die gesetzlichen Regelungen zur Löschung von Daten, soweit ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist, aus § 12 BVerfSchG. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 15 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333