Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom
22. Dezember 2017 übermittelt.
Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Deutscher Bundestag
Drucksache
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19. Wahlperiode
29.12.2017
Antwort
der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn,
Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 19/129 –
Konformität von Antifaschismus und Anti
kapitalismus mit der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung
Vorbemerkung der Fragesteller
In verschiedenen Publikationen des Bundesamtes und der Landesämter für Ver-
fassungsschutz wird nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller der
Eindruck erweckt, dass Antikapitalismus und Antifaschismus als „linksextre-
mistische Aktionsfelder“ per se nicht
mit der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung (FDGO) vereinbar seien. „Wirkliches Ziel“ von vermeintlichen
Linksextremisten bei ihrer Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen
Debatten und Protestaktionen zu unterschiedlichen Themen sei „die Abschaf-
fung der parlamentarischen Demokratie“, wird im aktuellen Verfassungsschutz-
bericht 2016 des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Kapitel „Linksextre-
mismus“ behauptet. Weiter heißt es darin, „ideologische Grundlage“ vermeint-
licher Linksextremisten sei die „Ablehnung des ‚kapitalistischen Systems als
Ganzes‘, denn der ‚Kapitalismus‘ ist für Linksextremisten mehr als nur eine
Wirtschaftsform. Er ist sowohl Basis als auch Garant der ‚bürgerlichen Herr-
schaftsverhältnisse‘ durch ‚Repression‘ nach innen und ‚Aggression‘ nach au-
ßen“ und demnach verantwortlich für soziale Ungerechtigkeit, Kriege, Rechts-
extremismus und Umweltkatastrophen (www.bmi.bund.de/SharedDocs/down
loads/DE/publikationen/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile).
So kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz zu dem Schluss, dass ver-
meintliche Linksextremisten vor allem
den Kampf gegen das kapitalistische
System in den Mittelpunkt ihrer antifaschistischen Aktivitäten rücken. „Die Ak-
tivitäten ‚antifaschistischer‘ Linksextremisten (Antifa) dienen indes nur vorder-
gründig der Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen“, heißt es in der
Broschüre „Linksextremismus – Erscheinungsformen und Gefährdungspoten-
ziale“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz. „Eigentliches Ziel bleibt der
‚bürgerlich-demokratische Staat‘, der in der Lesart von Linksextremisten den
‚Faschismus‘ als eine mögliche Herrschaftsform akzeptiert, fördert und ihn des-
halb auch nicht ausreichend bekämpft. Letztlich, so wird argumentiert, wurzle
der ‚Faschismus‘ in den gesellschaftlichen und politischen Strukturen des ‚Ka-
pitalismus‘“ (www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2016-05-links
extremismus.pdf). Der Kampf gegen Rechtsextremismus gilt vor diesem Hin-
tergrund nur dann als ausreichend und zielführend, wenn er die vermeintlichen
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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gesellschaftlichen Voraussetzungen mit in den Blick nimmt und angreift,
heißt es im Verfassungsschutzbericht 2016 (www.bmi.bund.de/SharedDocs/
downloads/DE/publikationen/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile).
Nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller setzt der Inlandsgeheim-
dienst in unzulässiger Weise die parlamentarische Demokratie und den bürger-
lichen Staat mit dem Kapitalismus gleich. Es fehlt eine nachvollziehbare Defi-
nition. Damit wird ein wesentlicher Verfassungsgrundsatz verfälscht, wonach
die Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung keineswegs verfas-
sungsfeindlich und das Eintreten für einen Sozialismus vielmehr eine Option
der Landesverfassungen und des Grundgesetzes ist. So vertrat der renommierte
Marburger Rechts- und Sozialwissenschaftler Wolfgang Abendroth die An-
sicht, dass „die Garantie der Möglichkeit zu legaler Transformation der sozial-
ökonomischen und soziokulturellen Basis in Richtung auf eine sozialistische
Gesellschaft, die auch real (und nicht nur juristisch-fiktiv) wirklich allen gleiche
Rechte gewährt“, wesentlicher Gehalt des Systems der Demokratie in der
Rechtsordnung des Grundgesetzes bleibe (Wolfgang Abendroth: Das Grundge-
setz: Eine Einführung in seine politischen Probleme, 3. erweiterte Aufl., Pful-
lingen 1972, S. 12).
Vorbemerkung der Bundesregierung
In der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wird behauptet, das Bundesamt für
Verfassungsschutz (BfV) setze in seinen Publikationen „antifaschistische“ und
„antikapitalistische“ Aktivitäten grundsätzlich mit extremistischen Aktivitäten
gleich. Das ist nicht zutreffend. Denn sowohl die Ablehnung oder Bekämpfung
des Nationalsozialismus, Faschismus oder Rechtsextremismus als auch die Kritik
an der bestehenden Wirtschaftsordnung sind grundsätzlich und per se nicht ext-
remistisch. Dies wird von Seiten des BfV auch in keiner Form gegenteilig darge-
stellt.
Gleichwohl gibt es für die erwähnten Be
griffe auch eine extremistische Ausle-
gung. So sind „Antifaschismus“ und „Antikapitalismus“ linksextremistische Ak-
tionsfelder und feststehende Szenebegriffe. In diesem Zusammenhang beabsich-
tigen Linksextremisten eine Veränderung des gesellschaftlichen und politischen
Systems hin zu einer sozialistischkommuni
stischen Gesellschafts-, Wirtschafts-
und Staatsordnung. Zu Begriffen, die von Landesämtern für Verfassungsschutz
verwendet werden, nimmt die Bundesregi
erung aufgrund der Kompetenzvertei-
lung des Grundgesetzes nicht Stellung.
1.
Wie definiert und was genau versteht die Bundesregierung unter der freiheit-
lichen demokratischen Grundordnung (FDGO)?
a)
Durch wen oder was wurde in welchem Zusammenhang diese Definition
der FDGO getroffen?
b)
Aus welchen Elementen besteht die FDGO im Einzelnen?
c)
Inwieweit und aufgrund welcher Umstände und Deutungen wurden durch
wen oder was die FDGO bzw. ihre einzelnen Elemente seit ihrer erstma-
ligen Festlegung und Definition modifiziert?
Das Bundesverfassungsgericht definiert in ständiger Rechtsprechung die freiheit-
liche demokratische Grundordnung wie folgt (BVerfGE 2, 1 (Ls. 2, 12 f.); zuletzt
bestätigt mit Urteil vom 17. Januar 2017 – Az. 2 BvB 1/13, Rn. 529 ff.):
„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2
GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherr-
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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schaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbe-
stimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit
und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind
mindestens zu rechnen: die Achtung vor dem Grundgesetz konkretisierten Men-
schenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie
Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit
der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Ge-
richte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen
Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Op-
position.“
Der Bundesgesetzgeber hat diese Rechtsprechung als Legaldefinition in § 4 Ab-
satz 2 des Bundesverfassu
ngsschutzgesetzes (BVe
rfSchG) aufgenommen.
2.
Kann die Bundesregierung definieren, was sie konkret unter den folgenden
in Publikationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gebrauchten Be-
grifflichkeiten versteht (www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2016-
05-linksextremismus.pdf; www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/
publikationen/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile):
a)
Kapitalismus,
b)
kapitalistisches System,
c)
Faschismus,
d)
Antifaschismus,
e)
bürgerlich-demokratischer Staat und
f)
parlamentarische Demokratie?
Das BfV verwendet in seinen Publikationen Begriffe, die im allgemeinen Sprach-
gebrauch u. a. durch die Politikwissenschaft und das Staatsrecht entwickelt und
definiert worden sind. Eine eigene Definition der Begriffe nimmt das BfV nicht
vor.
3.
Kann die Bundesregierung definieren, was ihrer Kenntnis nach sogenannte
Linksextremisten konkret unter den folgenden in Publikationen des Bundes-
amtes für Verfassungsschutz gebrauchten Begrifflichkeiten verstehen
(www.verfassungsschutz.de/embed/bro
schuere-2016-05-linksextremismus.
pdf; www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/2017/vsb-
2016.pdf?__blob=publicationFile):
a)
Kapitalismus,
b)
kapitalistisches System,
c)
Faschismus,
d)
Antifaschismus,
e)
bürgerlich-demokratischer Staat und
f)
parlamentarische Demokratie?
Die deutsche linksextremistische Szene be
steht aus einer Vielzahl von Organisa-
tionen und Strömungen, die sich mit unterschiedlichen Interpretationen an kom-
munistische oder anarchistische Vordenker und deren Konzepte anlehnen. Auf
Grund dieser heterogenen Ausprägung existiert keine einheitliche „linksextremis-
tische“ Definition der in der Frag
estellung aufgeführten Begriffe.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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Als „Szenebegriffe“ mit einer weitgehend einheitlichen Sinn-Zuschreibung sind
aus der Aufzählung lediglich „(Anti-)Kap
italismus“ und „(Anti-)Faschismus“ an-
zusehen, welche auch die beiden wichtigsten Aktions- und Agitationsfelder des
deutschen Linksextremismus darstellen.
Den „Kapitalismus“ kennzeichnen aus links
extremistischer Sich
t nicht nur sozi-
ale Missstände, sondern auch
gesellschaftspolitisch
e Phänomene wie Faschis-
mus, Rechtsextremismus, Rassismus, Repression, Gentrifizierung und Militaris-
mus.
Für Linksextremisten ist der Kapitalismus somit mehr als eine bloße Wirtschafts-
ordnung, sondern eine im Sinne von Karl Marx durch eine Revolution zu über-
windende Gesellschaftsordnung.
Bei ihrer Begriffsdefinition des „Antifaschismus“ gehen Linksextremisten zu-
meist weit über die bloße Ablehnung des Rechtsextremismus hinaus. Sie behaup-
ten, dass ein „kapitalistischer“ Staat den Faschismus hervorbringe und toleriere.
Daher richtet sich der „Antifaschismus“ aus linksextremistischer Sicht nicht nur
gegen tatsächliche oder vermeintliche
Rechtsextremisten, sondern auch immer
gegen das politische System der Bundesre
publik Deutschland bzw. konkret gegen
den Staat und seine Vertreter.
Soweit die übrigen Begriffe im Einzelfall von Linksextremisten verwendet wer-
den, sind sie nach ihrem jeweiligen Kontext auszulegen.
4.
Was versteht die Bundesregierung konkret unter „linksextremistischem An-
tifaschismus“ bzw. „antifaschistischen Linksextremisten“?
a)
Worin bestehen aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen Unter-
schiede zwischen „linksextremistischem“ und nicht linksextremistischem
bzw. FDGO-konformem Antifaschismus?
b)
Worin bestehen aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen Unter-
schiede zwischen „antifaschistischen Linksextremisten“ und nicht links-
extremistischen Antifaschisten?
c)
Welche Vereinigungen, Parteien, Gruppierungen und Strömungen ordnet
die Bundesregierung ganz oder teilweise (bitte angeben) dem Spektrum
„antifaschistischer Linksextremisten“ zu?
d)
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung auch Linksextremisten, die
nicht antifaschistisch sind, und wenn ja, um welche Gruppierungen oder
Strömungen handelt es sich dabei konkret?
Grundsätzlich verstehen sich alle Linksextremisten als „Antifaschisten“. Im Üb-
rigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen.
5.
Inwiefern und in welchem Kontext verwendet das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz die Begrifflichkeit des „orthodox-kommunistischen Antifa-
schismus“?
a)
Was genau versteht die Bundesregierung unter „orthodox-kommunisti-
schem Antifaschismus“?
b)
Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung auch unorthodox-kommu-
nistischen Antifaschismus, und wenn ja, worin besteht dessen Wesen, und
wie wird er vom orthodox-kommunistischen Antifaschismus abgegrenzt?
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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c)
Ist „orthodox-kommunistischer Antifaschismus“ nach Auffassung der
Bundesregierung immer linksextremistisch (bitte begründen) bzw. nicht
konform mit der FDGO, und wenn ja, warum?
Wenn nein, in welchen Fällen nicht?
d)
Welche Elemente zeichnen „orthodox-kommunistischen Antifaschismus“
nach Kenntnis der Bundesregierung gegenüber anderen extremistischen
und nicht extremistischen Formen oder Arten des Antifaschismus aus?
e)
Welche Vereinigungen, Parteien, Gruppierungen und Strömungen ordnet
die Bundesregierung ganz oder teilweise (bitte angeben) dem „orthodox-
kommunistischen Antifaschismus“ zu?
Der Begriff „orthodox-kommunistischer Antifasc
hismus“ findet beim BfV keine Verwendung.
6.
Woraus genau leitet die Bundesregierung die im Verfassungsschutzbericht
2016 getätigte Behauptung ab, „wirkliches Ziel“ von vermeintlichen Links-
extremisten bei ihrer Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen De-
batten und Protestaktionen zu unterschiedlichen Themen sei „die Abschaf-
fung der parlamentarischen Demokratie“ (www.verfass
ungsschutz.de/embed/
broschuere-2016-05-linksextremismus.pdf) (bitte Belege bzw. Textstellen
angeben)?
Anmerkung: Der angegebene Link verweist nicht auf den in der Frage erwähnten
Verfassungsschutzbericht 2016.
Der Parlamentarismus ist Kernbestandteil der bundesdeutschen Verfassungsord-
nung. Kritik und Ablehnung dieser Verfassungsordnung sind wesentliche Ele-
mente linksextremistischer Ideologie. Die Beteiligung von Linksextremisten „an
gesellschaftlichen und politischen Debatt
en und Protestaktionen“ durch die ver-
schiedenen, u. a. im Verfassungsschutzbericht 2016 aufgeführten Aktionsfelder
richtet sich folglich direkt oder indirekt auch gegen die Normen und Regeln des
demokratischen Verfassungsstaates und somit auch gegen die parlamentarische
Demokratie.
7.
Woraus genau leitet die Bundesregierung die in der Broschüre „Linksextre-
mismus – Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale“ des Bundesam-
tes für Verfassungsschutz vorgenommene Einschätzung ab, „die Aktivitäten
‚antifaschistischer‘ Linksextremisten (Antifa) dienen indes nur vordergrün-
dig der Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Eigentliches Ziel
bleibt der ‚bürgerlich-demokratische Staat‘, der in der Lesart von Linksex-
tremisten den ‚Faschismus‘ als eine mögliche Herrschaftsform akzeptiert,
fördert und ihn deshalb auch nicht ausreichend bekämpft (www.verfassungs
schutz.de/embed/broschuere-2016-05-linksextremismus.pdf) (bitte Belege
bzw. Textstellen angeben)?
Die o. g., in der erwähnten Broschüre
mit Anführungszeichen versehenen, Erläu-
terungen stellen keine von hier zu belegenden Zitate dar, sondern verdeutlichen
die Nutzung der Begriffe im linksextremistischen Kontext. Diese Kennzeichnung
erfolgte aus Gründen der Abgrenzung zur Nutzung der Begriffe in nichtextremis-
tischem Zusammenhang.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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8.
Inwieweit, in welchem Rahmen und durch welche Akteure wünscht sich die
Bundesregierung zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremis-
mus?
9.
Unter welchen Umständen erachtet die Bundesregierung es als unzulässig,
wenn beim zivilgesellschaftlichen Engagement gegen Rechtsextremismus
von einigen Beteiligten damit weitergehende antikapitalistische Ziele ver-
bunden werden?
Die Fragen 8 und 9 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beant-
wortet.
Extremismusprävention und -bekämpfung sind gesamtgesellschaftliche Aufga-
ben.
Die beste Form der Demokratieförderung und Stärkung des gesellschaftlichen
Zusammenhalts ist die Bereitschaft der Bü
rgerinnen und Bürger
, sich für unser
demokratisches System, das Gemeinwesen und für einen toleranten Umgang mit-
einander einzusetzen.
Die Bundesregierung begrüßt dabei ausdrü
cklich jedes zivilgesellschaftliche En-
gagement, welches sich auf Basis des Grundgesetzes und der freiheitlichen de-
mokratischen Grundordnung gegen Extremismus und Menschenfeindlichkeit ein-
setzt, ohne dieses Engagement allgemein regeln zu wollen.
Seit vielen Jahren fördern das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (BMFSFJ) – aktuell mit de
m Bundesprogramm „Demokratie leben!
Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ – und das
Bundesministerium des Innern (BMI) mit dem Bundesprogramm „Zusammenhalt
durch Teilhabe“ (ZdT) Projekte für demokratische Teilhabe und gegen Extremis-
mus unter anderem auch in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Die Pro-
jekte setzen an den Strukturen und Potenzialen an, die regional bereits vorhanden
sind, wie z. B. Feuerwehrverbände, Sportv
ereine oder kirchliche Organisationen.
Ziel ist es, diese zivilgesellschaftlichen
Strukturen zu stärken und weiterzuentwi-
ckeln, um so die demokratische Beteiligung vor Ort zu stärken und Extremismus
entgegenzuwirken. In diesem Rahmen wünscht sich die Bundesregierung Enga-
gement zur Stärkung der demokratischen Kultur. Die Fördermaßnahmen des Pro-
gramms ZdT konzentrieren sich hierbei vor allem auf Erwachsene und ergänzen
damit bestehende Förderangebote.
Extremistischen Organisationen oder Personen, die nicht die Gewähr für eine den
Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbe
it bieten, darf keine direkte oder indi-
rekte Förderung zuteilwerden. Unterwanderungsversuchen von geförderten Initi-
ativen durch solche Personen oder Gruppen muss wirksam begegnet werden -
ungeachtet dessen, ob sie den Bereichen islamistischer Extremismus, Rechts- o-
der Linksextremismus angehören. Darauf weisen die Fördermittelgeber durch das
„Begleitscheiben zum Zuwendungsbescheid im Rahmen der Bundesprogramme
zur Extremismusprävention“ hin.
Nach dem Grundgesetz sind die Bundesregierung und die weiteren Verfassungs-
organe verpflichtet, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesre-
publik Deutschland zu schützen. Eine von Antikapitalisten verfolgte zentralisierte
Planwirtschaft würde dem Recht auf die
freie Entfaltung der Persönlichkeit (Ar-
tikel 2 Absatz 1 GG), der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG), der Gewähr-
leistung von Eigentum und Erbrecht (Artikel 14 GG), der Koalitionsfreiheit und
Tarifautonomie (Artikel 9 Absatz 3 GG) entgegenstehen. „Weitergehende antika-
pitalistische Ziele“ müssen sich an diesem Maßstab messen lassen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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Die Bundesregierung begreift daher politische Bildung zur Extremismuspräven-
tion als Daueraufgabe. Der Fachbereich „Extremismus“ der Bundeszentrale für
politische Bildung hat zum Ziel, Informationen über extremistische Strömungen
darzustellen sowie Handlungskompetenzen gegen Extremismus zu stärken – ein
Schwerpunkt liegt hier auf dem Engagement gegen Rechtsextremismus.
Dies wird durch unterschiedliche Ansätze bewerkstelligt – durch die Ausrichtung
von Fachtagungen und Podiumsdiskussionen, durch Fortbildungen von Multipli-
katoren, durch Förderung einzelner Träger sowie durch die Veröffentlichung von
Online- sowie Printformaten.
10.
Inwieweit hält die Bundesregierung eine Sichtweise, die rechtsextreme Ent-
wicklungen bzw. den Faschismus als Herrschaftsform aus dem Kapitalismus
ableitet, für vereinbar mit der FDGO?
Entsprechende Sichtweisen sind Gegenstand kontroverser politikwissenschaftli-
cher Diskussionen, die die Bundesregierung nicht bewertet. Unabhängig davon
sind alle Herrschaftsformen, die mit Absi
chten verbunden sind, einen rechtsext-
remistischen Führerstaat oder eine komm
unistische oder sozialistische Diktatur
errichten zu wollen, nicht vereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grund-
ordnung. Dazu gehören auch Forderungen nach einer Revolution bzw. einem po-
litischen Umsturz durch Gewaltanwendungen.
Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ist nicht Bestandteil der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung. Insofern ist Kritik am Kapitalismus dann mit der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar, wenn sie sich ausschließ-
lich an den Kapitalismus als Wirtschaftssystem richtet. Eine Kritik, die darüber
hinaus den Kapitalismus als Gesellschaftsform ansieht, die es z. B. mit dem Ziel
der Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Diktatur oder mit Gewaltan-
wendung zu überwinden gilt, ist dagege
n nicht mit der freiheitlichen demokrati-
schen Grundordnung vereinbar.
11.
Inwieweit hält die Bundesregierung eine von einigen sich als antifaschistisch
bezeichnenden Gruppierungen vertretene Sichtweise, die rechtsextreme Ent-
wicklungen bzw. den Faschismus als Herrschaftsform aus dem Kapitalismus
ableitet, grundsätzlich für ein Merkmal des „antifaschistischen Linksextre-
mismus“ oder „orthodox-kommunistischen Antifaschismus“?
Auf die Antworten zu den Fragen 3 und 5 wird verwiesen.
12.
Inwieweit ordnet die Bundesregierung eine Berufung von Antifaschistinnen
und Antifaschisten auf den „Schwur der Überlebenden von Buchenwald“,
der die Passage „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist un-
sere Losung“ enthält, dem linksextremen oder orthodox-kommunistischen
Antifaschismus zu (https://dasjahr1945.de/der-schwur-von-buchenwald/)?
Die Fragestellung bedarf aus hiesiger Sicht einer politikwissenschaftlichen Re-
flektion. Dies betrifft jedoch nicht da
s Aufgabenspektrum und die Zuständigkeit
der Bundesregierung.
13.
Wie weit darf Kritik am Kapitalismus bzw. am kapitalistischen System da-
gegen nach Ansicht der Bundesregierung gehen, um sich noch im Rahmen
der FDGO zu bewegen?
Auf die Antworten zu den Fragen 8, 9 und 10 wird verwiesen.
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14.
Inwieweit teilt die Bundesregierung die unter anderem vom Rechtswissen-
schaftler Wolfgang Abendroth vertretene Ansicht, dass „die Garantie der
Möglichkeit zu legaler Transformation der sozialökonomischen und sozio-
kulturellen Basis in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaft, die auch
real (und nicht nur juristisch-fiktiv) wirklich allen gleiche Rechte gewährt“,
wesentlicher Gehalt des Systems der Demokratie in der Rechtsordnung des
Grundgesetzes bleibt (Wolfgang Abendroth: Das Grundgesetz: Eine Einfüh-
rung in seine politischen Probleme, 3. erweiterte Aufl., Pfullingen 1972,
S. 12)?
a)
Inwieweit ist das Grundgesetz nach Ansicht der Bundesregierung bezüg-
lich der wirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland fest-
gelegt?
b)
Inwiefern ist das Eintreten für eine nichtkapitalistische sozialistische Ge-
sellschaft nach Ansicht der Bundesregierung mit dem Grundgesetz bzw.
der FDGO vereinbar?
Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, einzelne wissenschaftliche An-
sichten zu kommentieren.
Das Grundgesetz enthält keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer
bestimmten Wirtschaftsordnung. Anders als die Weimarer Reichsverfassung
(Artikel 151 ff. WRV) normiert es au
ch nicht konkrete verfassungsrechtliche
Grundsätze der Gestaltung des Wirtschaftslebens. Es überlässt dessen Ordnung
vielmehr dem Gesetzgeber, der hierüber innerhalb der ihm durch das Grundgesetz
gezogenen Grenzen frei zu entscheiden hat, ohne dazu einer weiteren als seiner
allgemeinen demokratischen Legitimation zu bedürfen (BVerfGE 50, 290,
(336 f.)).
Dem entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen hat, dass
das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral sei; der Gesetzgeber darf jede ihm
sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, sofern er dabei das Grund-
gesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet (BVerfGE 4, 7 (17 f.). Ihm kommt
also eine weitgehende Gestaltungsfreihei
t zu (vgl. etwa BVe
rfGE 7, 377 (400);
25, 1 (19 f.); 30, 292 (317, 319)). Das darin zutage tretende Element relativer
Offenheit der Verfassungsordnung ist notwendig, um einerseits dem geschichtli-
chen Wandel Rechnung zu tragen, der im besonderen Maße das wirtschaftliche
Leben kennzeichnet, andererseits die normierende Kraft der Verfassung nicht
aufs Spiel zu setzen. Allerdings darf di
e Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit
des Gesetzgebers nicht zu einer Verkürzung dessen führen, was die Verfassung
in allem Wandel unverändert gewährleisten will, namentlich nicht zu einer Ver-
kürzung der in den Einzelgrundrechten garantierten individuellen Freiheiten,
ohne die nach der Konzeption das Grundgesetzes ein Leben in menschlicher
Würde nicht möglich ist. Die Aufgabe besteht infolgedessen darin, die grundsätz-
liche Freiheit wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung, die dem Gesetzgeber
gewahrt bleiben muss, mit dem Freiheitsschutz zu vereinen, auf den der einzelne
Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen
Anspruch hat (BVerfG
E 7, 377 (400)).
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 13 verwiesen.
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Inwieweit und aus welchem Grund ist die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA
e. V.) derzeit Objekt der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz oder nach Kenntnis der Bundesregierung von Landesämtern für
Verfassungsschutz?
Die Verfassungsschutzbehörden sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auf-
trags Informationen und werten sie aus.
Weder diese Informationen selbst noch die Angaben über eventuelle nachrichten-
dienstliche Aktivitäten zum Gewinnen solcher Informationen sind ihrem Wesen
nach veröffentlichungsfähig. Durch eine Stellungnahme zum Beobachtungsstatus
einer Organisation außerhalb der Verfassungsschutzberichte könnten Rück-
schlüsse auf den Aufklärungsbedarf, den Erkenntnisstand sowie die generelle Ar-
beitsweise des BfV gezogen werden, was die Funktionsfähigkeit der Verfas-
sungsschutzbehörden bei der Bekämpfung des Extremismus nachhaltig beein-
trächtigen würde.
Nach sorgfältiger Abwägung des parlamentarischen Fragerechts mit den negati-
ven Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des Verfas-
sungsschutzes ist die Bundesregierung zur Auffassung gelangt, dass eine Beant-
wortung dieser Frage hinsichtlich ei
ner etwaigen Beobachtung der VVN-BdA
(Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten) durch
das BfV nicht erfolgen kann. Aufgrund der oben dargelegten Ausforschungsge-
fahr überwiegt das öffentliche Geheimhaltungsinteresse.
Zur Frage der Beobachtung durch die Landesämter für Verfassungsschutz wird
auf die Verfassungsschutzberichte der Länder verwiesen.
16.
Inwieweit trifft ein Bericht der Zeitung „unsere zeit“, der sich auf eine Ant-
wort des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz bezüglich einer
Klage gegen die Observation eines VVN-BdA-Mitgliedes beruft, zu, wo-
nach „ein zentraler Verfassungsschutzverbund aller Ämter des Bundes und
der Länder“ besteht, „der mit einem großen einheitlichen Dossier über die
VVN-BdA arbeitet, bei dem sich alle Geheimdienste bedienen können“
(www.unsere-zeit.de/de/4904/theorie
_geschichte/4651/Von-der-Ruhrlade-
zum-Verfassungsschutz.htm)?
a)
Inwieweit gibt es einen zentralen Verbund des Bundesamtes und der Lan-
desämter für Verfassungsschutz?
b)
Inwieweit und wo besteht ein Dossier über die VVN-BdA, auf das Ver-
fassungsschutzämter Zugriff haben?
c)
Was geschah mit den vom Bundesamt für Verfassungsschutz bezüglich
der VVN-BdA gesammelten Daten, nachdem die VVN-BdA nicht mehr
im Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz genannt wurde, und inwieweit haben die Landesämter für Verfas-
sungsschutz Zugriff auf diese Daten des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz?
Die gesetzliche Grundlage für den angefragten Verbund der Verfassungsschutz-
behörden des Bundes und der Länder ergibt sich aus den §§ 2 ff. BVerfSchG.
Gemäß § 6 Absatz 1 BVerfSchG übermitteln sich die Verfassungsschutzbehör-
den des Bundes und der Länder (VS-Behörd
en) die für ihre Au
fgaben relevanten
Informationen, einschließlich ihrer Auswertungen.
Gemäß § 6 Absatz 2 BVerfSchG sind die VS-Behörden verpflichtet, beim BfV
zur Erfüllung der Unterrichtungsverpflichtung nach Absatz 1 gemeinsame Da-
teien im automatisierten Verfahren zu führen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Für das BfV ergeben sich die gesetzlichen Regelungen zur Löschung von Daten,
soweit ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist, aus
§ 12 BVerfSchG. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 15 verwiesen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt.
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ISSN 0722-8333