Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 29. Dezember 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/359 19. Wahlperiode 02.01.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stephan Thomae, Linda Teuteberg, Katharina Kloke, Katrin Helling-Plahr und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/287 – Haftentschädigung zu Unrecht Verurteilter V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnamen (StrEG) werden zu Unrecht Verurteilte für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung mit 25 Euro entschädigt (vgl. § 7 Absatz 3 StrEG). Im Falle des Freispruchs oder der Verfahrenseinstellung räumt das Gericht gemäß § 2 StrEG dem Betroffenen einer Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme im Regelfall Schadensersatzansprüche ein. Hierunter fällt auch die einstweilige Unterbringung (vgl. § 2 Absatz 2 Nummer 1 StrEG). Der erlittene Schaden wird aus der Staatskasse ersetzt. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder erachten die derzeitige Entschädigung nach § 7 Absatz 3 StrEG von 25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung für zu gering (vgl. Beschluss der 88. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 9. November 2017 zu TOP II.18 Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen). Eine Studie der Kriminologischen Zentralstelle e. V. (KrimZ), die deutschlandweit alle Verfahren mit Freisprüchen nach Wiederaufnahme und Verbüßung einer Freiheitsstrafe von Ende 1990 bis Anfang 2017 ausgewertet hat, kommt zu dem Schluss, dass das derzeitige Verfahren im Umgang mit zu Unrecht inhaftierten Personen objektiv verbesserungswürdig erscheint (vgl. Anika Hoffmann, Fredericke Leuschner, Rehabilitation und Entschädigung nach Vollstreckung einer Freiheitsstrafe und erfolgreicher Wiederaufnahme, Berichte und Materialien – BM-Online, Elektronische Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle e. V., Band 11, Wiesbaden 2017, S. 97). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/359 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Wie viele Anträge zur Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten nach § 359 ff. der Strafprozeßordnung wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 2013 bis 2017 bei den Gerichten eingereicht (bitte nach dem jeweiligen Jahr und Bundesland aufschlüsseln)? Die Anzahl der Anträge zur Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Statistik „Strafgerichte “ (Fachserie 10, Reihe 2.3), letztmalig für das Berichtsjahr 2016 erschienen. Daten für den laufenden Berichtszeitraum 2017 liegen noch nicht vor. 2. Wie viele dieser Anträge auf Wiederaufnahme wurden nach Kenntnis der Bundesregierung a) als unzulässig verworfen, b) als unbegründet entschieden? 3. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zu einer erneuten Hauptverhandlung? 4. In wie vielen Fällen der Wiederaufnahme kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zu a) einem Freispruch, b) einer sonstigen Strafmilderung? Die Fragen 2 bis 4 werden zusammen beantwortet. Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Antrag auf Wiederaufnahme nach Rechtskraft gemäß § 359 ff. der Strafprozessordnung – zugunsten des Beschuldigten 2013 2014* 2015* 2016* AG LG OLG* AG LG AG LG AG LG Baden-Württemberg 146 19 0 168 15 140 14 125 13 Bayern 213 34 0 168 27 153 50 140 39 Berlin 5 3 0 0 1 3 6 2 5 Brandenburg 59 5 0 71 5 56 3 23 6 Bremen 8 0 0 4 0 0 0 1 0 Hamburg 19 0 1 19 3 23 2 10 2 Hessen 28 12 0 23 15 20 12 39 12 Mecklenburg-Vorpommern 33 4 0 29 4 21 11 9 2 Niedersachsen 44 4 0 47 5 39 8 46 13 Nordrhein-Westfalen 227 34 0 221 34 238 49 205 32 Rheinland-Pfalz 49 3 0 54 7 53 8 51 15 Saarland 6 6 0 6 5 2 0 0 2 Sachsen 70 12 0 74 7 80 8 47 7 Sachsen-Anhalt 19 6 0 24 4 8 8 16 5 Schleswig-Holstein 5 2 0 6 3 4 4 9 4 Thüringen 15 2 0 14 0 25 7 18 5 Deutschland 946 146 1 928 135 865 190 741 162 * In den Jahren 2014 bis 2016 gab es vor den Oberlandesgerichten keine entsprechenden Verfahren. Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10 Reihe 2.3, Strafgerichte, Tabellen 2.1, 4.1 und 7.1. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/359 5. In wie vielen Fällen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 2013 bis 2017 Untersuchungshaft vollstreckt (bitte nach dem jeweiligen Jahr und Bundesland aufschlüsseln)? Aus der vom Statistischen Bundesamt dreimal jährlich zu den Stichtagen 31. März, 31. August und 30. November herausgegebenen „Statistik zum Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten“ ergibt sich folgende Anzahl von Personen, an denen im genannten Zeitraum Untersuchungshaft vollstreckt wurde: Land Untersuchungshaftvollzug zum Stichtag 31.03.2013 31.08.2013 30.11.2013 31.03.2014 31.08.2014 30.11.2014 31.03.2015 Baden-Württemberg 1436 1412 1400 1481 1366 1443 1487 Bayern 2614 2441 2726 2561 2604 2749 2536 Berlin 570 538 589 603 558 618 667 Brandenburg 237 197 204 251 211 214 196 Bremen 81 73 77 72 68 72 95 Hamburg 391 379 386 365 352 372 388 Hessen 894 810 891 926 961 1032 961 Mecklenburg- Vorpommern 169 140 179 167 143 137 162 Niedersachsen 650 617 662 665 665 713 659 Nordrhein-Westfalen 2292 2265 2435 2459 2320 2497 2558 Rheinland-Pfalz 422 460 466 493 424 449 461 Saarland 138 140 146 111 136 113 94 Sachsen 582 538 544 551 531 513 519 Sachsen-Anhalt 190 180 170 162 166 180 160 Schleswig-Holstein 216 199 185 200 204 218 230 Thüringen 237 201 211 193 189 190 186 Deutschland insgesamt 11119 10590 11271 11260 10898 11528 11359 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/359 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Land Untersuchungshaftvollzug zum Stichtag 31.08.2015 30.11.2015 31.03.2016 31.08.2016 30.11.2016 31.03.2017 31.08.2017 Baden- Württemberg 1380 1532 1783 1692 1727 1826 1848 Bayern 3125 3026 2925 2753 2861 3004 3068 Berlin 632 609 719 731 751 827 846 Brandenburg 196 233 249 224 227 238 210 Bremen 80 97 120 117 121 129 127 Hamburg 453 464 507 516 533 610 604 Hessen 1024 1049 1139 1056 1094 1092 983 Mecklenburg- Vorpommern 146 140 162 164 158 161 147 Niedersachsen 658 701 716 698 681 791 787 Nordrhein- Westfalen 2495 2664 3120 2874 2944 3148 2932 Rheinland-Pfalz 443 451 514 487 500 513 401 Saarland 98 111 151 139 158 136 115 Sachsen 507 561 630 566 614 703 688 Sachsen-Anhalt 142 170 185 169 182 219 207 Schleswig- Holstein 175 175 213 203 210 234 231 Thüringen 197 223 256 244 231 234 249 Deutschland insgesamt 11751 12206 13389 12633 12992 13865 13443 6. Wie viele dieser Verfahren wurden nach Kenntnis der Bundesregierung wieder eingestellt, und in wie vielen dieser Verfahren wurde der Beschuldigte freigesprochen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Die vom Statistischen Bundesamt jährlich, zuletzt für das Berichtsjahr 2016, herausgegebene „Strafverfolgungsstatistik“ (Fachserie 10, Reihe 3) weist nur die Anzahl der abgeurteilten Personen mit erlittener Untersuchungshaft aus. Weder wird hier Untersuchungshaft bezogen auf Fälle statistisch erfasst, noch werden diejenigen Personen in der Strafverfolgungsstatistik gezählt, die Untersuchungshaft ohne eine Aburteilung erlitten haben (beispielsweise bei einer Einstellung im Vorverfahren). 7. In wie vielen Fällen in den Jahren 2013 bis 2017 wurde nach Kenntnis der Bundesregierung eine einstweilige Unterbringung angeordnet (bitte nach Jahren und Bundesland aufschlüsseln)? 8. In wie vielen dieser Fälle wurde nach Kenntnis der Bundesregierung der Unterbringungsbefehl wieder aufgehoben? Die Fragen 7 und 8 werden zusammen beantwortet. Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/359 9. Wie hoch waren nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils die gezahlten Entschädigungen (bitte nach Jahren, Bundesland sowie Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden aufschlüsseln)? In Verfahren des Generalbundesanwalts wurde in Verfahren nach Wiederaufnahme in den Jahren 2013 bis 2017 keine Entschädigung gezahlt. Zu Entschädigungszahlungen in Länderverfahren liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 10. Wie verteilen sich die gezahlten Entschädigungen nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils auf ehemalige Untersuchungshäftlinge , Strafhäftlinge und auf Fälle der einstweiligen Unterbringung (bitte nach Jahren, Bundesland sowie Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden aufschlüsseln)? Es wird auf die Antwort zu Frage 9 Bezug genommen. 11. Wie bewertet die Bundesregierung die Höhe der Entschädigung von pauschal 25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung nach § 7 Absatz 3 StrEG? Wer zu Unrecht in Haft saß, sollte nach Ansicht der Bundesregierung eine deutlich höhere finanzielle Entschädigung als bisher erhalten. Hierdurch entstehende Kosten müssten jedoch vor allem die Länder tragen, da diese für den Bereich der Strafrechtspflege zuständig sind. Die Bundesregierung nimmt eine etwaige Initiative der Länder gerne auf und steht Verbesserungen aufgeschlossen gegenüber. Die Diskussion um die Höhe der Pauschalentschädigung für immateriellen Schaden infolge einer unschuldig erlittenen Freiheitsentziehung wird bereits seit einiger Zeit geführt. Mit jeder Erhöhung, die der Gesetzgeber beschlossen hat, hat er auch stets darauf hingewiesen, dass mittelfristig zu prüfen sei, ob jener Betrag noch den Erfordernissen genüge. Die letzte Erhöhung des Pauschalbetrags – auf 25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung – liegt jetzt acht Jahre zurück. 12. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Justizministerkonferenz, dass die Entschädigung für jeden angefangenen Tag in Haft in Höhe von pauschal 25 Euro zu gering ist? a) Falls ja, ist seitens der Bundesregierung eine Erhöhung geplant, oder wird sich die Bundesregierung für eine Erhöhung einsetzen? b) Falls nein, warum nicht? Es wird auf die Antwort zu Frage 11 Bezug genommen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/359 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 13. Mit welcher zusätzlichen Haushaltsbelastung (bitte nach Bundesland aufschlüsseln ) rechnet die Bundesregierung bei einer Erhöhung der Entschädigung von aktuell pauschal 25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung auf a) 35 Euro b) 50 Euro c) 75 Euro d) 100 Euro? Der Bundesregierung liegen diesbezüglich aktuell keine Informationen vor. Die zusätzlichen Haushaltsbelastungen bei einer Erhöhung der Haftentschädigungspauschale dürften überwiegend die Länder betreffen (vgl. die Antworten zu den Fragen 9 und 11). Der Bundeshaushalt kann dagegen allein betroffen sein, soweit Oberlandesgerichte in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes, also in Staatsschutz-Strafsachen , erstinstanzlich entscheiden. Insoweit wird auf die Antwort zu Frage 9 Bezug genommen. 14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Studie der KrimZ, dass den unschuldig ehemals Inhaftierten nicht die Hilfe entgegengebracht wird, die sie im Sinne der Wiedergutmachung erwarten und verdienen? Die Bundesregierung schließt sich der Auffassung der Länder an, wonach das System der Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) für die aufgrund gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung erlittenen Nachteile einer eingehenden Überarbeitung insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Nachsorge gegenüber den aus der Haft Entlassenen und auf deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft bedarf (vergleiche den Beschluss der 88. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 9. November 2017 zu TOP II.18 Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ). Der Staat muss alles dafür tun, dass die Betroffenen schnell wieder ein bürgerliches Leben führen können. Sie dürfen nicht alleine gelassen werden, wenn sie wieder in Freiheit sind. Dazu sollte über Verfahrenserleichterungen bei der Anwendung des StrEG und Unterstützungsangebote nachgedacht werden. Dem entspricht auch die in der Studie der Kriminologischen Zentralstelle e. V. (KrimZ) getroffene Aussage, dass das derzeitige Verfahren im Umgang mit zu Unrecht inhaftierten Personen objektiv verbesserungswürdig erscheine (vergleiche Anika Hoffmann, Fredericke Leuschner: Rehabilitation und Entschädigung nach Vollstreckung einer Freiheitsstrafe und erfolgreicher Wiederaufnahme; BM-Online - Elektronische Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle e. V., Band 11, Seite 97). 15. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in den Jahren 2013 bis 2017 ergriffen, um die Situation für ehemals zu Unrecht Inhaftierte zu verbessern, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung künftig in diesem Bereich ? Im April 2015 startete die KrimZ eine von den Ländern initiierte und auf zwei Jahre angelegte Studie über die Praxis der Entschädigung nach StrEG. Ermittelt werden sollten die Folgen von Fehlurteilen – insbesondere für Personen, die aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen zu Unrecht einen Gefängnisaufenthalt durchleben mussten (vgl. die Antwort zu Frage 14). Des Weiteren sollte geklärt Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/359 werden, wie die Entschädigung und Rehabilitation der Betroffenen in der justiziellen Praxis erfolgt. Anhand dieser Erkenntnisse wurden die Defizite der Praxis aus Sicht der beteiligten Institutionen und der Betroffenen eruiert und bewertet, um so mögliche Maßnahmen zur Beschleunigung und Optimierung der Entschädigung und Rehabilitation zu finden. Die Bundesregierung hat – in Übereinkunft mit den Ländern – vor einer etwaigen Änderung des StrEG zunächst das Ergebnis der oben genannten Studie der KrimZ abgewartet. Diese ist im November 2017 erschienen und wird nunmehr ausgewertet sowie danach bewertet, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu Unrecht Inhaftierter erforderlich sind. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333