Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 25. Juli 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/3628 19. Wahlperiode 27.07.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/3350 – Beschlagnahme von „Feindeslisten“ bei Rechtsterroristen, Neonazis und Rechtsextremisten V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In den letzten Jahren wurden bei Durchsuchungen im Rahmen von Ermittlungen wegen Rechtsterrorismus gegen Angehörige der extrem rechten Szene mehrfach sogenannte Feindeslisten mit Namen und Räumlichkeiten politischer Gegnerinnen und Gegner gefunden. Diese sogenannte Anti-Antifa-Strategie kam bereits in den 1990er Jahren in der Neonaziszene auf. Betroffene kritisierten mehrfach die Sicherheitsbehörden, weil diese sie nur unzureichend informieren und schützen und außerdem die Bedrohungslage relativieren würden (vgl. www. antifainfoblatt.de/artikel/die-aktivit%C3%A4ten-der-%C2%BBanti-antifa%C2%AB, www.taz.de/!5405726). Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU), der zehn Menschen ermordete und mehrere Anschläge beging, hatte u. a. in einem Adressbuch 24 Namen von Personen notiert, die am ersten NPD-Verbotsverfahren beteiligt waren (vgl. www.taz.de/!5101678). Außerdem hatte die Gruppe eine Liste mit 233 jüdischen Einrichtungen angelegt, darunter nicht nur Synagogen, sondern auch Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Museen. Auf einen jüdischen Friedhof , der ebenfalls verzeichnet war, wurden 1998 und 2002 insgesamt drei Sprengstoffanschläge verübt, die bis heute nicht aufgeklärt sind (vgl. www. sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-nsu-trio-fuehrte-liste-mit-juedischeneinrichtungen -1.3358060). Auf Stadtplänen waren zudem 386 Adressen u. a. von Politikerinnen und Politikern und migrantischen Institutionen und Läden in ganz Deutschland markiert und mit Notizen zu Ausspähungen versehen (vgl. www. fr.de/politik/rechtsextremismus/nsu-neonazi/rechter-terror-nsu-spaehte-terrorziele -im-ganzen-land-aus-a-799456). Des Weiteren wurde im Unterschlupf des NSU in Zwickau eine sogenannte Zehntausenderliste gefunden, ebenfalls mit unzähligen Namen politischer Gegnerinnen und Gegner. Während die Bundesanwaltschaft daran festhält, dass diese „Todesliste“ allein vom NSU-Kerntrio erstellt worden sei, gehen Nebenklagevertreter und Mitglieder parlamentarischer Untersuchungsausschüsse von Mithelfern aus, die Orte und Personen ausgespäht haben sollen (vgl. www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-die-todesliste-desnsu -100.html, www.tagesschau.de/inland/nsu-prozess-197.html). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/3628 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Bei Durchsuchungen gegen die Rechtsextremisten Franco A., Maximilian T. und Mathias F. wegen des Verdachts einer schweren staatsgefährdenden Straftat fanden die Ermittler im April und Mai 2017 neben Waffen, Munition und Sprengkörpern auch Listen mit Namen von Politikerinnen und Politikern wie Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen (DIE LINKE.), und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Außerdem habe Franco A. das Büro der Amadeu Antonio Stiftung ausgespäht und Skizzen der Räumlichkeiten angefertigt (vgl. www.zeit.de/gesellschaft/2018-06/ oberlandesgericht-frankfurt-franco-a-bundeswehr, www.welt.de/politik/ deutschland/article168289929/Was-wurde-aus-dem-Fall-Franco-A.html, www. generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=19&newsid=741). Ebenfalls wegen der mutmaßlichen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durchsuchten die Ermittlungsbehörden seit August 2017 mehrere Objekte von Mitgliedern der extrem rechten Prepper-Gruppierung „Nordkreuz “. Bei dem tatverdächtigen Rechtsanwalt Jan Hendrik H. wurden u. a. Listen mit mehreren tausend Namen von linken Politikerinnen und Politikern und Journalistinnen und Journalisten gefunden. H. gilt als Waffennarr und habe zudem darüber fantasiert, Linke zu ermorden (vgl. www.taz.de/!5445699, www.taz.de/ !5468003, www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?searchstring=liste& newsid=728, www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/bundesanwaltschaftlaesst -acht-objekte-in-mv-durchsuchen-2431858004.html; www.lobbi-mv.de/ nachrichten/aufklaerung-und-transparenz-statt-weiterer-verunsicherung/). Mitglieder eines Ablegers der rechtsterroristischen Gruppierung „Combat 18“ (C18) in Pinneberg (Schleswig-Holstein) sollen schon vor dem Jahr 2000 „Todeslisten “ angelegt haben. Außerdem hätten sie einem Gewerkschafter eine Morddrohung zugeschickt und sich Waffen beschafft. 2003 wurden mehrere Mitglieder wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. In C18- bzw. „Blood and Honour“-Terroranleitungen wird das Erstellen von Opferlisten propagiert . Beide Organisationen gelten als Teil des NSU-Netzwerks (vgl. www. nsu-watch.info/2015/06/der-nsu-im-netz-von-blood-honour-und-combat-18- gesamtversion, www.antifainfoblatt.de/artikel/das-label-%E2%80%9Ecombat- 18%E2%80%9C; ARD Monitor Sendung Nr. 628, 24. November 2011). In Berlin veröffentlichte die extrem rechte Gruppierung „Nationaler Widerstand Berlin“ bis Ende 2012 auf ihrer Internetseite im Anti-Antifa-Stil „Feindeslisten“ mit Adressen und Namen von Personen aus Politik, Zivilgesellschaft und Journalismus . Darunter sind auch Betroffene einer mutmaßlich rechtsterroristischen Serie von Brandanschlägen im Stadtteil Neukölln (vgl. www.mbr-berlin.de/aktuelles/ nw-berlin, https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/03/24/razzia-bei-berlinernpd -chef-wegen-feindesliste-im-netz_8312, www.rbb24.de/politik/beitrag/2018/ 03/brandanschlag-serie-neukoelln-rechtsextremist-.html). 1. Wie viele Personen, mutmaßliche politische Gegnerinnen und Gegner sowie potentielle Anschlagsziele bzw. Anschlagsorte waren nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt auf allen Namenslisten und Stadtplänen verzeichnet , die bisher im Rahmen von Ermittlungen im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) beschlagnahmt wurden? Das Bundeskriminalamt (BKA) hat aus den bei der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) aufgefundenen und digital gespeicherten Adress- und Telefonlisten eine Gesamtliste mit rund 10 000 Datensätzen erstellt. Darüber hinaus wurden Adresslisten in Papierform sowie Karten, zum Teil mit nicht eindeutig lokalisierbaren Markierungen sichergestellt. Eine verlässliche Zuordnung, bei welchen Datensätzen, Adressen und Markierungen es sich um ein potentielles Anschlagsziel gehandelt haben könnte, ist nicht möglich. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/3628 2. Wie viele Personen, mutmaßliche politische Gegnerinnen und Gegner sowie potentielle Anschlagsziele bzw. Anschlagsorte waren nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt auf allen Namenslisten und Stadtplänen verzeichnet , die bisher im Rahmen von Ermittlungen gegen die Rechtsextremisten Franco A., Maximilian T. und Mathias F. beschlagnahmt wurden? Auf den im Strafverfahren gegen Franco A., Maximilian T. und Mathias T. sichergestellten schriftlichen Unterlagen waren insgesamt 32 Personen oder Örtlichkeiten verzeichnet (Doppelnennung auf verschiedenen Papieren sind hierbei vorhanden). 3. Wie viele Personen, mutmaßliche politische Gegnerinnen und Gegner sowie potentielle Anschlagsziele bzw. Anschlagsorte waren nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt auf allen Namenslisten und Stadtplänen verzeichnet , die im Rahmen von Ermittlungen gegen Mitglieder der extrem rechten Prepper-Gruppierung „Nordkreuz“ beschlagnahmt wurden? In dem vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) geführten Ermittlungsverfahren wurden bei den Durchsuchungen am 28. August 2017 und 23. April 2018 neben schriftlichen Aufzeichnungen auch elektronische Datenträger mit Aufzeichnungen zu Personen sichergestellt. Deren Auswertung führte bislang zur Feststellung von etwa 25 000 Personen. 4. Bei wie vielen und welchen weiteren Ermittlungsverfahren gegen extrem rechte bzw. neonazistische Gruppierungen hat die Generalbundesanwaltschaft nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2011 wie viele Listen mit Namen von Politikerinnen und Politikern gefunden (bitte auflisten)? 5. Wie viele Personen waren nach Kenntnis der Bundesregierung auf den in Frage 4 genannten Feindeslisten jeweils verzeichnet, und aus welchen Bereichen kommen diese (bitte nach Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen , antirassistischen bzw. antifaschistischen Initiativen etc. aufschlüsseln )? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. In weiteren durch den GBA seit dem Jahr 2011 im Bereich des Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus geführten Ermittlungsverfahren wurden keine Listen mit Namen von Politikern und Politikerinnen festgestellt. 6. Wie viele auf den sogenannten Feindeslisten (Fragen 1 bis 3 und 5) aufgeführte Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von den Bundesbehörden vollständig darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihre Namen auf einer oder mehreren solchen Listen verzeichnet waren, und wenn ja, auf welchem Weg und wann ist diese Meldung erfolgt (bitte unter Angabe von Bundesland und Datum beantworten)? a) In wie vielen Fällen erfolgte keine Meldung, und aus welchen Gründen wurden die Personen nicht über diesen Sachverhalt in Kenntnis gesetzt? b) In wie vielen Fällen erhielten die betroffenen Personen besonderen polizeilichen Schutz („Personenschutz“)? Im „NSU-Ermittlungskomplex“ hat das BKA die für die Gefahrenabwehr zuständigen Polizeien der Länder Ende des Jahres 2011 über die Adresslisten in Kenntnis gesetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/3628 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die im Verfahren gegen Franco A., Maximilian T. und Mathias F. festgestellten Namen beziehungsweise Örtlichkeiten wurden an die zuständigen Landespolizeibehörden beziehungsweise die Abteilung Sicherungsgruppe des BKA übermittelt . Das BKA hat zeitnah Gefährdungsbewertungen erstellt und den für die Gefahrenabwehr zuständigen Ländern übermittelt. Die Information der betroffenen Personen erfolgte durch die Länder in eigener Zuständigkeit beziehungsweise durch die Abteilung Sicherungsgruppe (SG) des BKA. Die Abteilung SG des BKA informierte jeweils am Tag des Bekanntwerdens zwei betroffene Personen am 28. April 2017 und eine Person am 2. Mai 2017. Hierbei handelt es sich um Personen, für die im Rahmen von § 6 des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) Maßnahmen zum Schutz bestehen. Im „Verfahren Nordkreuz“ wurden eine Auflistung der verzeichneten Personen sowie eine vom BKA zeitnah erstellte Gefährdungsbewertung an die für die Gefahrenabwehr zuständigen Länder übermittelt. Entsprechend der Gefährdungsbewertung des BKA ist eine Unterrichtung der auf der Liste aufgeführten Personen durch die Bundesbehörden nicht erfolgt. Zu besonderem polizeilichem Schutz durch für die Gefahrenabwehr zuständigen Polizeien der Länder kann die Bundesregierung keine Aussage treffen. c) Wie schätzt die Bundesregierung die Gefährdung von Personen ein, die auf solchen Listen aufgeführt sind? Ohne detaillierte Hintergrundinformationen zur Intention des jeweiligen Anlegens beziehungsweise Führens einer solchen Liste ist eine Aussage zur Gefährdung Betroffener erst nach einer Einzelfallprüfung und -bewertung möglich. 7. Existieren nach Kenntnis der Bundesregierung Richtlinien zur Information von Betroffenen, die auf solchen Listen aufgeführt sind? a) Wenn ja, welche Verfahrensweisen beinhalten diese Richtlinien? b) Wenn nein, warum existieren keine solchen Richtlinien, und auf welcher anderweitigen formalen Grundlage erfolgt die Information der Betroffenen ? Die Vornahme einer Prüfung der Einzelsachverhalte und somit auch das Führen von gegebenenfalls erforderlich werdenden Gesprächen mit den gelisteten Personen , liegen, ebenso wie die Initiierung von etwaigen Schutzmaßnahmen, grundsätzlich in der Zuständigkeit der Polizeibehörden der Länder. Ausnahmen bilden Personen, die gemäß § 6 BKAG als Schutzpersonen des BKA anzusehen sind. Eine Information der Betroffenen erfolgt auf Grundlage präventivpolizeilicher gesetzlicher Bestimmungen des Bundes und der Länder. Darüber hinaus existieren Richtlinien zur Information von Betroffenen, die auf solchen Listen geführt werden, auf Bundesebene nicht. Entsprechende Richtlinien der Länder sind der Bundesregierung nicht bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/3628 8. Werden das Auffinden und/oder die Veröffentlichung von „Feindeslisten“ nach Kenntnis der Bundesregierung zentral erfasst? a) Wenn ja, welche Bundesbehörden erfassen solche Listen in welchen Statistiken bzw. Datenbanken (bspw. „Kriminalpolizeilicher Meldedienst – Politisch Motivierte Kriminalität“ oder „Lagebild Auswertung politisch motivierter Straftaten“)? b) Wenn nein, aus welchen Gründen entfällt eine solche zentrale Erfassung von „Feindeslisten“? Eine Zentraldatei oder Verbunddatei mit Personen im Sinne der Fragestellung wird nicht geführt. Entsprechende Daten werden in Ermittlungsdateien oder Amtsdateien beziehungsweise Fallakten von den zuständigen Behörden erfasst. Es werden jedoch zweckgebunden nur Personendaten gespeichert, die im Rahmen der jeweiligen Aufgabenwahrnehmung festgestellt wurden. Eine übergreifende beziehungsweise generelle Speicherung erfolgt nicht. 9. Wie oft haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung Bundesbehörden bzw. Bundesstellen (Bundeskriminalamt – BKA –, Bundesamt für Verfassungsschutz – BfV –, Militärischer Abschirmdienst – MAD –, „Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus“ – GETZ-R –, Generalbundesanwaltschaft etc.) mit sogenannten Feindeslisten befasst, die bei extrem rechten bzw. neonazistischen Personen aufgefunden oder von diesen selbst veröffentlicht wurden? Im Rahmen des „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums – Rechtsextremismus/-terrorismus“ waren die genannten Aufstellungen in den Ermittlungsverfahren gegen die Rechtsextremisten Franco A., Maximilian T. und Mathias F. und in den Ermittlungen „Nordkreuz“ dreimal Gegenstand von Erörterungen. Dem Militärischen Abschirmdienst sind im Rahmen des Fallkomplexes zu Franco A. die in der Antwort zu Frage 6 bezeichneten Listen bekannt geworden. Soweit die Ermittlungen des GBA zur Feststellung entsprechender Personenlisten führten, waren diese auch Gegenstand des regelmäßigen Austauschs mit den Sicherheitsbehörden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333