Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 3. Januar 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/380 19. Wahlperiode 08.01.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/315 – Rechte Straf- und Gewalttaten und Rechtsterrorismus unter „falscher Flagge“ V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In der Vergangenheit kam es in mindestens einem Fall zur Planung von rechtsmotivierten und rechtsterroristischen Straf- und Gewalttaten bzw. zu Vorbereitungen dazu, die gezielt unter „falscher Flagge“ begangen werden sollten und bei denen der politische Hintergrund erst im Nachhinein festgestellt wurde. Am 26. September 2016 verübte der Neonazi und Pegida-Redner Nino K. wohl mit Unterstützung eines Komplizen mutmaßlich zwei Sprengstoffanschläge auf die Fatih-Camii-Moschee und das Kongresszentrum in Dresden und deponierte zudem eine Bombenattrappe. Kurz darauf wurde im Internet das angebliche Bekennerschreiben einer nicht existierenden „Antifa Dresden“ verbreitet, welches sich folglich als Fälschung herausstellte. Dieses Schreiben führte dazu, dass der rechtsterroristische Doppelanschlag im Verfassungsschutzbericht Thüringen fälschlicher Weise unter der Rubrik Linksextremismus erwähnt wurde (vgl. www.tagesspiegel.de/politik/thueringen-fake-news-im-verfassungsschutzbericht/ 20465002.html). 13 Jahre lang hatte das mutmaßliche Kerntrio des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) mit Hilfe eines Netzwerks von Neonaziaktivistinnen/Neonaziaktivisten in der Illegalität gelebt, mehr als ein Dutzend Raubüberfälle begangen und in einer für die Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus beispiellosen rassistischen Mordserie neun migrantische Kleinunternehmer ermordet. Bei drei rassistisch motivierten Sprengstoffanschlägen 1999 in Nürnberg sowie 2001 und 2004 in Köln verletzte der NSU mehr als zwei Dutzend Menschen zum Teil lebensgefährlich. Der letzte Mord war der an der Polizistin Michèle Kiesewetter (und der Mordversuch an ihrem Kollegen) im April 2007 in Heilbronn . Diese Serie von Gewalttaten und Raubüberfällen wurde erst nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 bekannt. Bis dahin blieben die Rechtsterroristen zumindest für die Öffentlichkeit unerkannt und hinterließen im Stile des führerlosen Widerstandes, wie ihn bspw. die Neonaziorganisation Blood & Honour im „Field Manual“ propagiert, keine Bekennerschreiben oder anderen Hinweise auf die Täterschaft. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sieht zudem den schwedischen Neonazi, Mörder und Bankräuber John A., auch bekannt als „Laserman“ (siehe Bundestagsdrucksache 18/12724, www.fr.de/ rhein-main/kriminalitaet/lasermann-mysterioeser-mord-an-einer-frankfurter- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/380 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode garderobenfrau-a-1406818), der bei seinen Gewalttaten ähnlich agierte, als mögliches Vorbild des NSU (vgl. www.projekt-entgrenzt.de/sites/default/files/ attachments/Projekt_entgrenzt_Terrorkonzepte.pdf, Bundestagsdrucksache 17/14600, S. 162 f.). Vier Anführer der Gruppe Oldschool Society, die planten, Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte zu verüben, wurden am 15. März 2017 wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Aus Abhörprotokollen ging hervor, dass die Gruppe auch über Anschläge auf Kindergärten , den Kölner Dom und Förderschulen diskutierte. Die Taten müssten so aussehen, „als ob die vom Spektrum links kommen“. Oder man sollte „einfach einen Deutschen opfern und es den Musels in die Schuhe schieben“ (vgl. www. zdf.de/politik/frontal-21/old-school-society-diskutierte-anschlaege-100.html). Am 22. April 2017 entdeckte die Polizei bei mehreren Razzien in Großbartloff (Landkreis Eichsfeld, Thüringen) und Heiligenstadt bei dem Bombenbastler Eric F. ein Sprengstofflabor. Der Sprengstoff soll dem ähneln, der in der Vergangenheit bei islamistischen Anschlägen verwendet wurde. Zudem fand die Polizei zwei Burka-Hauben. Hier scheint ein politischer Hintergrund bisher nicht bekannt zu sein (vgl. www.welt.de/politik/deutschland/article164053040/ Unfall-mit-der- Kreissaege-Quatsch-Eine-Bombenexplosion.html). Der Neonazi und Bundeswehrsoldat Franco A. tarnte sich im Dezember 2015 als Flüchtling aus Syrien und stellte einen Asylantrag, der auch bewilligt wurde. Am 26. April 2017 wurde er festgenommen, nachdem er im Februar dieses Jahres am Flughafen Wien eine versteckte Pistole suchte und die Ermittler weitere Schusswaffen und Munition fanden, die u. a. unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Diese soll er seinem mutmaßlichen Komplizen und AfD-Mitglied Maximilian T. übergeben haben. Ein zweiter Mithelfer namens Mathias F. habe Munition versteckt. Auf einem PC entdeckten die Ermittler zwei Terror- bzw. Kriegsanleitungen. Zum einen das „Mujahideen Explosives Handbook“ und das in Neonazikreisen beliebte Buch „Der totale Widerstand“ (vgl. www.spiegel. de/politik/deutschland/bundeswehr-komplize-von-franco-a-ist-afd-mitglied-a- 1165675.html, www.spiegel.de/politik/deutschland/fall-franco-a-bgh-hebt-haftbefehlfuer -komplizen-auf-a-1156107.html, www.generalbundesanwalt.de/de/showpress. php?themenid=19&newsid=741). Außerdem wurden Listen mit Namen von Politikerinnen und Politiker, wie bspw. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, und weiteren Personen des öffentlichen Lebens gefunden, die nach Kategorien von A bis D markiert waren. Dazu der Vermerk „Leute wie ihr saugen uns unser Volk aus, das müsst ihr bezahlen.“ Auch die Zentralräte der Juden und der Muslime in Deutschland waren verzeichnet. In weiteren Notizen stand u. a. „Sprengung Rothschild-Stein in Frankfurt“ sowie „Gruppe Antifa: Granate Asylant werfen lassen, filmen“. Die Generalbundesanwaltschaft wirft Franco A. vor, einen Anschlag geplant zu haben und „die anschließenden Ermittlungen aus fremdenfeindlicher Gesinnung in Richtung der in Deutschland erfassten Asylbewerber lenken [zu] wollen“ (vgl. www.welt.de/politik/deutschland/article168289929/Was-wurde-aus-dem- Fall-Franco-A.html; BGH-Beschluss AK 58/17, S. 7). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/380 1. Sind der Bundesregierung seit 2000 Straf- und Gewalttaten im Phänomenbereich „Politische motivierte Kriminalität – rechts“ (PMK-rechts) bekannt, bei denen die Tat ohne Hinweis auf den rechtsmotivierten Hintergrund, getarnt bzw. gezielt unter „falscher Flagge“ begangen oder im Nachgang versucht wurde, den Verdacht/die Ermittlungen auf andere Personen(gruppen) (bspw. Linke, Flüchtlinge/Asylsuchende, Migrantinnen/Migranten, Muslime ) zu lenken, um die polizeilich und/oder gerichtlich festgestellte rechtsmotivierte Täterschaft zu verschleiern (bitte einzeln auflisten nach Bundesländern , Straftaten und Erläuterungen zu der versuchten Motivverschleierung und deren -aufdeckung machen)? Politisch motivierte Straftaten werden dem Bundeskriminalamt (BKA) im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) gemeldet und erfasst. Der Begriff der Politisch motivierten Kriminalität-rechts ist im Definitionssystem KPMD-PMK (Stand: 8. Dezember 2016) bestimmt. Der Politisch motivierten Kriminalität-rechts werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z.B. nach Art der Themenfelder) einer „rechten“ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Der wesentliche Kerngedanke einer „rechten“ Ideologie ist die Annahme einer Ungleichheit /Ungleich-wertigkeit der Menschen. Insbesondere sind Taten dazuzurechnen, wenn Bezüge zu völkischem Nationalismus , Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. Diese politisch motivierten Straftaten sind in der Regel als rechtsextremistisch zu qualifizieren. Liegen die entsprechenden Merkmale vor, wird die Straftat durch die örtlich zuständige Polizeibehörde als PMK-rechts- eingestuft und über den KPMD-PMK an das BKA gemeldet. Die Systematik des KPMD-PMK erlaubt zu jeder Zeit eine Anpassung der phänomenologischen Zuordnung an den Stand der Ermittlungen. Auf diese Weise können Straftaten, die zunächst einem anderen Phänomenbereich zugerechnet, beziehungsweise nicht als politisch motivierte Straftat erkannt worden sind, jederzeit neu zugeordnet und erfasst werden. Eine automatisierte Auswertung der phänomenologischen Korrektur von Sachverhalten ist nicht möglich. 2. Sind der Bundesregierung seit 2000 Straf- und Gewalttaten im Phänomenbereich „PMK-rechts“ bekannt, zu denen im Nachgang bei den Tätern Terroranleitungen oder Hinweise auf Vorbilder (bspw. „Field Manual“, „The way forward“, „White Restistance Manual“, „The Order“, „The Turner Diaries “, „Der totale Widerstand“, „Eine Bewegung in Waffen“, John A.) gefunden wurden oder sich der/die Täter direkt oder indirekt auf diese bezogen bzw. diese nachahmten (bitte einzeln auflisten nach Bundesländern, Straftaten und Erläuterungen zu der Bezugnahme auf Terroranleitungen und Vorbilder machen)? Der Bundesregierung sind die in der Vorbemerkung der Fragesteller angegebenen dargestellten Sachverhalte bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/380 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Bei den im Rahmen von Exekutivmaßnahmen sichergestellten Asservaten handelt es nicht um ein verbindliches Erfassungskriterium des KPMD-PMK. Der Bundesregierung liegen deshalb hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor. 3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verbreitung einer Strategie der Tarnung bzw. der Verübung von Straftaten unter „falscher Flagge“ in der Neonazi- und extrem rechten Szene, und wie schätzt die Bundesregierung diese ein? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über eine derartige Strategie als einheitliche und möglicherweise sogar abgesprochene Handlungsvorgabe innerhalb der rechtsextremistischen Szene vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333