Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 2. Januar 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/387 19. Wahlperiode 09.01.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/281 – Präventions- und Deradikalisierungsstrategien mit Blick auf die Rückkehrer aus dem sogenannten Islamischen Staat V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Angesichts der Tatsache, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) in Syrien und dem Irak zunehmend an Gebiet verliert, muss damit gerechnet werden, dass viele dorthin ausgereiste Kämpfer und Mitläufer demnächst nach Europa und auch nach Deutschland zurückkehren werden. Ein Konzept der Bundesregierung , wie man hinsichtlich der Sicherheitslage, aber auch bezüglich deren Integration mit den Rückkehrern, ihren Kindern und Familien in Deutschland umgehen wird, ist derzeit noch nicht ersichtlich. Wie kürzlich bekannt wurde, soll das Bundeskriminalamt (BKA) bereits Ende August dieses Jahres vier deutsche Frauen in Bagdad vernommen haben, die zum IS ausgereist waren (Süddeutsche Zeitung, 23. November 2017). Die Frauen sollen einen Monat zuvor nach der Befreiung der Millionen-Metropole Mossul von irakischen Soldaten festgenommen worden sein (ebd.). Bereits im Rahmen ihrer Vernehmung durch das BKA soll es dabei auch um die Situation der Kinder gegangen sein, die gegenwärtig zusammen mit ihren Müttern in Bagdad inhaftiert sind (ebd.). In diesem Zusammenhang wurde außerdem berichtet, dass die Bundesregierung sich um die Rückführung der Kinder zu ihren in Deutschland lebenden Angehörigen bemüht (ebd.). Offen ist jedoch, wie die Rückkehr der vom BKA vernommenen Frauen erfolgen wird, und welche Präventions- und Deradikalisierungsstrategien seitens der Bundesregierung hinsichtlich der Rückkehrerproblematik im Allgemeinen verfolgt werden. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Begriffe Gefährder und Relevante Personen entstammen der polizeifachlichen Terminologie und finden Anwendung im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Im Verfassungsschutzverbund hingegen werden sie nicht verwandt. Personen, die im besonderen Fokus der Verfassungsschutzbehörden stehen, werden vielmehr nach einem eigenständigen Kategorisierungssystem eingestuft. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/387 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Für die Begrifflichkeiten Gefährder und Relevante Personen liegen folgende bundeseinheitlich abgestimmte polizeifachliche Definitionen vor: „Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen , dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.“ „Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen /terroristischen Spektrums die Rolle a) einer Führungsperson, b) eines Unterstützers/Logistikers, c) eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder d) es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO, handelt .“ Bei Vorliegen der o. g. Voraussetzungen können Personen entweder als Gefährder oder als Relevante Personen eingestuft werden. Überschneidungen zwischen diesen beiden Kategorien bestehen nicht. Die Einstufungen im Rahmen des Gefährderprogramms werden in der Regel durch die örtlich zuständigen Polizeibehörden der Länder vorgenommen. Zuständig ist die Dienststelle, in deren Bereich der Gefährder/die Relevante Person seine/ihre Wohnung hat. Im sogenannten polizeifachlichen Gefährderprogramm sind bundeseinheitlich Maßnahmen abgestimmt , die bei Gefährdern (bzw. Relevanten Personen) durchgeführt werden oder durchgeführt werden können. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen aus dem Bereich der Gefahrenabwehr, die ihre Rechtsgrundlage in den jeweiligen Polizeigesetzen der Länder und des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) haben und deren rechtliche Voraussetzungen im Einzelfall jeweils erfüllt sein müssen. Die Gefährdersachbearbeitung sowie die Anwendung des Passgesetzes liegen regelmäßig im Zuständigkeitsbereich der Länder. Es wird daher darauf hingewiesen , dass im Folgenden lediglich die den Bundesbehörden vorliegenden Erkenntnisse dargestellt werden. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass den Bundesbehörden nicht zu allen Fragestellungen die entsprechenden Einzelaspekte abschließend vorliegen. Eine Antwort muss in diesen Fällen mit Verweis auf genauere und abschließende Informationen den Ländern, welche die Ausschreibung in der entsprechenden Kategorie veranlasst haben oder für die Anwendung des Passgesetzes zuständig sind, offenbleiben. Des Weiteren ist anzumerken, dass die Auswahl, Art, Umfang und Durchführung von Maßnahmen gegen Personen, die im Rahmen des Gefährderprogramms eingestuft wurden, vom jeweiligen konkreten Einzelfall abhängen und grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder fallen. Sie unterliegen keiner Meldepflicht gegenüber der Bundesregierung. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/387 1. Wie viele Menschen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Verlauf der letzten fünf Jahre aus Deutschland zum sogenannten Islamischen Staat ausgereist , und wie viele sind im gleichen Zeitraum wieder nach Deutschland zurückgekehrt (bitte tabellarisch nach Jahr aufschlüsseln)? Es liegen derzeit Erkenntnisse zu mehr als 960 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des sog. Islamischen Staates (IS) und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen . Derzeit werden nur noch vereinzelt Ausreisesachverhalte bekannt. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Teilweise werden die Ausreisen erst mit zeitlicher Verzögerung bekannt. Insgesamt ergibt sich folgende kumulative Auflistung der Ausreisen in Richtung Syrien/Irak nach Jahren: • bis Ende 2013: mehr als 240 • bis Ende 2014: mehr als 550 • bis Ende 2015: mehr als 780 • bis Ende 2016: mehr als 890 • bis Ende November 2017: mehr als 960 Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/Irak beteiligt haben. Im Zusammenhang mit fortschreitenden Gebietsverlusten des IS sind pressewirksame Einzelsachverhalte von im Kampfgebiet festgenommenen Personen aus Deutschland bekannt. Eine verstärkte Rückreisetendenz zeichnet sich bislang jedoch nicht ab. Als Ergebnis der kontinuierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 80 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner liegen zu ca. 150 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. 2. Wie vielen der aus Deutschland in den sogenannten Islamischen Staat ausgereisten Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung vor der Ausreise dazu aufgefordert, den Reisepass und/oder Personalausweis abzugeben, und wie viele sind der Aufforderung nachgekommen? Für Reisepass- und Personalausweisangelegenheiten sind in Deutschland die von den Ländern bestimmten Behörden (§ 19 Absatz 1 Satz 1 des Passgesetzes, § 8 Absatz 1 Satz 1 des Personalausweisgesetzes), im Ausland die vom Auswärtigen Amt bestimmten Auslandsvertretungen (§ 19 Absatz 2 des Passgesetzes, § 8 Absatz 2 Satz 1 des Personalausweisgesetzes) zuständig. Diese zuständigen Behörden sind daher auch für Entscheidungen hinsichtlich einer Passversagung (§ 7 des Passgesetzes), einer Passentziehung (§ 8 des Passgesetzes) oder zu Versagung und Einziehung von Personalausweisen, einschließlich der Ausstellung von Ersatz -Personalausweisen (§ 6a des Personalausweisgesetzes), zuständig. Nach Maßgabe des § 10 Absatz 1 des Passgesetzes können die für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständigen Behörden ebenfalls die Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/387 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Ausreise untersagen. Die Pass- und Personalausweisbehörden sind daher grundsätzlich auf die Meldung bzw. Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder angewiesen. Eine Meldepflicht der Pass- und Ausweisbehörden über getroffene passrechtliche und/oder personalausweisrechtliche Maßnahmen gegenüber dem Bund besteht nicht. Abschließende und vollumfängliche Aussagen zu Maßnahmen der Länder sind der Bundesregierung daher nicht möglich. Insofern kann die Bundesregierung im Folgenden nur zu den ihr ausschnittsweise vorliegenden Daten Stellung nehmen. Eine belastbare Aussage über die Gesamtzahl der Fälle im Sinne der Fragestellung lässt sich aus diesen Daten aus den oben genannten Gründen nicht ableiten. Im Rahmen der Auswertung der Reisebewegungen Richtung Syrien/Irak liegen dem Bundeskriminalamt (BKA) insgesamt zu 298 Personen Erkenntnisse vor, dass gegen diese eine Ausreiseuntersagung erlassen worden ist. Zu 110 dieser 298 Personen sind dem BKA keine Reisebewegungen in Richtung Syrien / Irak bekannt, sodass davon ausgegangen wird, dass die Ausreiseuntersagung , neben anderen Maßnahmen, zu einer Verhinderung der Ausreise geführt hat. Eine weitergehende Differenzierung der Angaben ist der Bundesregierung anhand der ihr vorliegenden Daten und aus den vorgenannten Gründen nicht möglich . 3. Wie viele sogenannte Gefährder wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit Einführung des Ersatz-Personalausweises für Gefährder dazu aufgefordert , ihren Personalausweis abzugeben und gegen ein Ersatzdokument auszutauschen , und wie viele sind der Aufforderung nachgekommen? a) In wie vielen Fällen ist neben der Aufforderung den Personalausweis abzugeben (vgl. Frage 3) auch eine Anordnung nach § 8 des Passgesetzes (PassG) in Verbindung mit § 7 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 10 PassG ergangen? b) In wie vielen Fällen wurde betroffenen Personen die Ausreise in das Ausland untersagt (bitte soweit möglich nach § 10 Absatz 1 Satz 1, 2 und 3 PassG aufschlüsseln)? Die Bundesregierung beantwortet die Fragen 3, 3a und 3b zusammenhängend. Von den 298 Personen, zu denen nach Kenntnis der Bundesregierung eine Ausreiseuntersagung erlassen worden ist, sind aktuell 138 Personen als Gefährder eingestuft. Von den 110 Personen, die nach einer Ausreiseuntersagung nicht ausgereist sind, sind 32 Personen als Gefährder eingestuft. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen; insbesondere ist der Bundesregierung anhand der ihr vorliegenden Daten aus den in der Antwort zu Frage 2 genannten Gründen eine weitergehende Differenzierung der Angaben nicht möglich. 4. Wie viele Personen werden in Deutschland derzeit im Bereich Islamismus als sogenannte Gefährder und wie viele als sogenannte relevante Personen eingestuft? Derzeit sind 724 Personen als „Gefährder“ und 444 als „Relevante Person“ eingestuft (Stand: 15. Dezember 2017). Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/387 5. Wenn der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière sagt, dass „weniger als ein Drittel“ der Gefährder „als hochgefährlich“ gelten (DER TAGESSPIEGEL, 4. Dezember 2017), inwiefern deckt sich das mit den Erkenntnissen , die der bisherige Einsatz des sogenannten Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE gebracht hat, und wie spiegelt die dreistufige Risikoskala dies in konkreten Zahlen genau wider (bitte nach hohem, auffälligem und moderatem Risiko aufschlüsseln)? Die vom Bundesminister des Innern in den Medien genannten Zahlen entsprechen dem aktuellen Stand der der Bundesregierung vorliegenden Risikobewertungen aus den Bundesländern. Das Instrument RADAR-iTE wird durch die Polizeien der Länder fortlaufend auf bestehende und neue Fälle angewendet. Statistiken zur Einordnung in die dreistufige Risikoskala unterliegen deshalb tagesaktuellen Schwankungen. Die Bundesregierung verzichtet deshalb darauf, konkrete Zahlen aufzuschlüsseln, zumal die Aussagekraft einer rein quantitativen Betrachtung ohnehin begrenzt ist. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 6. Wie schätzt die Bundesregierung aktuell die Chancen ein, möglichst bald alle Kinder deutscher Staatsbürger, die sich im Irak infolge der Inhaftierung eines ihrer Elternteile selbst in Haft befinden, zeitnah zu ihren Verwandten in Deutschland ausfliegen zu können? a) Inwiefern werden dabei die Interessen und das Wohl der einzelnen Kinder und Jugendlichen bei der Rückkehr und bei der Unterbringung beachtet? b) Welche administrativen Hürden könnten einer baldigen Zuführung der Kinder zu ihren Verwandten in Deutschland nach Einschätzung der Bundesregierung entgegenstehen, und wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, diese zeitnah zu überwinden? Die Fragen 6, 6 a und 6 b beantwortet die Bundesregierung zusammenhängend. Die konsularische Betreuung der inhaftierten Deutschen und der deutschen Kinder und Kleinkinder, die sich infolge der Inhaftierung eines ihrer Elternteile selbst in Haft befinden, erfolgt entsprechend §§ 1, 5, 7 des Konsulargesetzes. Das Auswärtige Amt bemüht sich im Rahmen dieser konsularischen Betreuung, soweit die Sorgeberechtigten dies wünschen, auch um schnellstmögliche Rückführung der Kinder und Kleinkinder nach Deutschland, die sich infolge der Inhaftierung eines ihrer Elternteile selbst in Haft befinden. Sie steht dazu mit den irakischen Behörden und möglichen Verwandten in Deutschland in Kontakt. Das Wohlergehen der betroffenen deutschen Kinder und Kleinkinder ist für das Auswärtige Amt dabei von wesentlicher Bedeutung. Ein Zeithorizont für die Rückführung der Kinder kann nicht benannt werden, da diese maßgeblich von der Kooperation der irakischen Behörden abhängt. 7. Inwiefern haben deutsche Sicherheitsbehörden des Bundes sich bereits in der Vergangenheit intensiv mit der Situation in Deutschland lebender Familien beschäftigt, deren Angehörige in den letzten Jahren zum sogenannten Islamischen Staat ausgereist sind? Das Beratungsangebot der Beratungsstelle „Radikalisierung“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) umfasst seit 2012 professionelle Unterstützung durch erfahrene lokale Projektpartner und Hilfe für Angehörige und das soziale Umfeld von Radikalisierten. Sofern sich die Angehörigen der ausgereisten Personen an das Beratungsnetzwerk wenden, werden sie im Rahmen der Angehörigenberatung betreut. Darunter waren auch Familien, deren Angehörige ausgereist sind, um sich dem sogenannten IS anzuschließen. Die Beratungsarbeit erfolgt in enger Kooperation mit diversen sicherheitsbehördlichen Akteuren. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/387 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 8. In welcher Weise werden nach Kenntnis der Bundesregierung die im Sinne der Frage 7 betroffenen Familien im Rahmen der Sicherheitskonzeptionen sowie der Präventions- und Deradikalisierungsstrategien der Sicherheitsbehörden einbezogen? Die Arbeitsgruppe „Deradikalisierung“ im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) versteht sich als Plattform der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zur Thematik Deradikalisierungsstrategien. In diesem Zusammenhang findet auch eine Befassung mit dem Phänomen der „jihadistischen Sozialisation “ von Kindern und Jugendlichen statt. Die Arbeitsgruppe „Deradikalisierung “ versucht durch die Vernetzung und den Erfahrungsaustausch von Innenund Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern ihren Beitrag zur Früherkennung , Relevanzprüfung und etwaigen Empfehlungen bzw. Handlungsansätzen (Gegenstrategien) in den Grenzen und Möglichkeiten der bestehenden föderalen Strukturen zu leisten. Ergänzend zu sicherheitsbehördlichen Bemühungen existiert im Beratungsnetzwerk der Beratungsstelle „Radikalisierung“ beim BAMF ein spezifisches bedarfsorientiertes Angebot für die Angehörigen der Rückkehrerinnen und Rückkehrer . Das Angebot umfasst u. a. Coaching im Umgang mit Rückkehrerinnen und Rückkehrern im familiären Bereich und kann im Sinne der Aufgaben tertiärer Prävention verstanden werden. 9. Welche Programme zur Prävention und Deradikalisierung im Bereich Islamismus werden seitens des Bundes aktuell mit je welcher Summe im Bundeshaushalt gefördert (bitte auch nach Einzelplänen aufschlüsseln)? Dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie , Senioren, Frauen und Jugend – BMFSFJ (Einzelplan 17) stehen 2017 insgesamt 104,5 Mio. Euro für die Förderung von Projekten in den Bereichen Extremismusprävention und Demokratieförderung zur Verfügung. 10. Wie viele rückkehrende Kinder und Jugendliche von Angehörigen des „Islamischen Staats“ werden von deutschen Sicherheitsbehörden erwartet (bitte nach Alter aufschlüsseln, falls keine exakten Zahlen vorhanden sind, bitte Schätzung angeben)? Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden Daten von Kindern (d. h. Personen unter 14 Jahren), die mit ihren Eltern ausgereist sind, nicht statistisch nachgehalten . Hinzu kommt eine für die Bundesregierung derzeit nicht bezifferbare Anzahl von in Syrien/Irak geborenen Kindern von aus Deutschland ausgereisten bzw. zurückgekehrten Personen. Insofern liegen der Bundesregierung derzeit keine belastbaren Daten vor, die eine nach Alter differenzierte Aufschlüsslung oder eine seriöse Schätzung im Sinne der Fragestellung erlauben. Gleichwohl verfügt die Bundesregierung derzeit über Informationen, die eine niedrige dreistellige Anzahl von Minderjährigen erwarten lassen, wobei der Großteil im Baby- bzw. Kleinkindalter sein dürfte. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/387 a) Welche Maßnahmen im Sinne des Kindeswohls sind zur Unterstützung der rückkehrenden Kinder und Jugendlichen vorgesehen? Die Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ist gemäß Artikel 30, 83 des Grundgesetzes eine Aufgabe der Länder. Die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugend- und Familienbehörden (AGJF) hat auf ihrer Herbstsitzung am 21./22. September 2017 in Schwerin beschlossen, eine länderoffene Arbeitsgruppe einzusetzen, um die Kinder- und Jugendhilfepraxis im Umgang mit islamistisch radikalisierten Familien weiter zu professionalisieren. Insbesondere geht es um die Sicherstellung des Kindeswohls. Die Arbeitsgruppe hat bereits im November 2017 zum ersten Mal getagt, die nächste Sitzung ist für Anfang des Jahres 2018 geplant. Die Beratenden innerhalb des Beratungsnetzwerkes der Beratungsstelle „Radikalisierung “ im BAMF können die Einschätzung des Kindeswohls im Sinne des SGB VIII nur ergänzend zu den Fachkräften der zuständigen Jugendämter vornehmen , denen die Entscheidung bezüglich der Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls obliegt. b) Unterstützt – und wenn ja wie – die Bundesregierung die zuständigen Jugendämter durch Informationen und ggf. weitere Maßnahmen? Den Jugendämtern steht die Expertise des Beratungsnetzwerkes der Beratungsstelle „Radikalisierung“ im BAMF zur Verfügung. Dies betrifft sowohl konkrete Sachverhalte als auch allgemeine Anfragen zum Themenfeld im Sinne der Sensibilisierung der Mitarbeitenden der Jugendhilfe. Das entsprechende Angebot wird flächendeckend genutzt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 10a verwiesen . 11. Welche Maßnahmen sind in Bezug auf die rückkehrenden Erwachsenen in Planung? Maßnahmen zum Umgang mit sog. Rückkehrern aus Krisen-, Kriegs- bzw. Jihadgebieten werden bundesweit in Handlungskonzepten abgestimmt und fortlaufend, auch anlassbezogen, überprüft und fortgeschrieben. Der Vorbereitung von Maßnahmen bei einer möglichen (Wieder-)Einreise kommt hohe Bedeutung zu. Hierzu sind im Rahmen der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten entsprechende nationale und internationale Fahndungsausschreibungen vorgesehen. Grundsätzlich wird in jedem Einzelfall umfassend und fortlaufend, unter Einbindung der zuständigen Behörden, geprüft, welche Maßnahmen in Betracht kommen und zweckmäßig sind. Art und Umfang der Maßnahmen (auch Präventions-/ Deradikalisierungsmaßnahmen) richten sich dabei nach den vorliegenden Erkenntnissen zur Person und nach der Bewertung ihres Gefährdungspotenzials sowie nach den rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen im konkreten Einzelfall . Darüber hinaus werden die bereits existierenden Maßnahmen im Rahmen der Angehörigenberatung sowie direkte Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit im Beratungsnetzwerk der Beratungsstelle „Radikalisierung“ auch für rückkehrende Erwachsene fortgeführt, soweit keine Strafverfolgungsmaßnahmen stattfinden. Weitere Maßnahmen erfolgen bedarfsorientiert in Abstimmung mit verschiedenen behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Hierbei handelt es sich u. a. um professionelle Begleitung im Sinne der Ausstiegs- und Distanzierungsberatung und psychosoziale Unterstützung. Ab dem Jahr 2018 sollen zusätzliche Modellprojekte durch die Beratungsstelle „Radikalisierung“ des BAMF zum Thema „RückkehrerInnen und Rückkehrer“ mit Beteiligung diverser Behörden Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/387 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode und Akteure initiiert und umgesetzt werden. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. a) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung? Auf die Antwort zu Frage 11 wird verwiesen. b) Welche Maßnahmen erfolgen nach Kenntnis der Bundesregierung in Bezug auf Präventions- und Deradikalisierungsarbeit im Rahmen von etwaigem Strafvollzug? Sowohl für das Strafvollzugsrecht als auch für die Durchführung des Strafvollzugs sind nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes die Länder zuständig . In diesem Rahmen werden in den Ländern zahlreiche Präventions- und Deradikalisierungsprogramme im Strafvollzug durchgeführt. Die Strafvollzugsabteilungsleiterinnen und Strafvollzugsabteilungsleiter der Länder beschäftigen sich im Strafvollzugsausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister mit dem Thema „Umgang mit radikal-islamistischen Gefangenen“ und haben hierzu eine eigene Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese hat am 18. April 2016 einen Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen vorgelegt. Der Bericht befasst sich unter anderem mit Radikalisierungsursachen, der Identifizierung und Beobachtung extremistischer Gefangener, dem Umgang mit gewonnenen Informationen, Kommunikation und Zusammenarbeit der zuständigen Behörden, Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung im Vollzug, Ausund Fortbildung des Vollzugspersonals und – sofern im Themenkomplex Radikalisierung einschlägig – mit der Seelsorge für muslimische Gefangene. Mit ergänzendem Bericht vom 10. September 2017 wurde dieser Bericht um Empfehlungen zum Umgang mit terroristischen Attentäterinnen und Attentätern erweitert . c) Inwiefern unterstützt die Bundesregierung hierbei die zuständigen Stellen der Bundesländer, und wenn ja, mit welchen Maßnahmen genau? Das BMFSFJ hat zur Unterstützung der Länder bei der Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ in diesem Jahr einen neuen Programmbereich eingerichtet . Aktuell wird in jedem Land ein Modellprojekt gefördert. Der Programmbereich ist phänomenübergreifend ausgestaltet. Darüber hinaus organisiert das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Strafvollzug der Länder. Im November 2015 fand in diesem Rahmen ein Workshop zum „Umgang mit Salafismus im Strafvollzug“ statt. Mit dem Thema „Islamische Seelsorge im Strafvollzug“ befasste sich eine Expertenanhörung im September 2016. Im Juni 2017 wurde gemeinsam mit deutschen und französischen Praktikern ein Erfahrungsaustausch im Rahmen der „Fachkonferenz Islamistische Verurteilte im Strafvollzug – Vorgehen und Erfahrungen in Frankreich und Deutschland“ durchgeführt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/387 Weiterhin stellen der Generalbundesanwalt und das BKA dem Justizvollzug ein gemeinsam herausgegebenes Merkblatt mit Indikatoren zum Erkennen islamistisch -terroristischer Zusammenhänge zur Verfügung. Die Bediensteten der Justizvollzugsanstalten sollen durch eine zielorientierte Sensibilisierung Verbindungen Inhaftierter zu islamistisch-terroristischen Kreisen frühzeitig erkennen, um beispielsweise etwaige Rekrutierungsversuche im Kreis der Insassen unterbinden zu können. 12. Liegt nach Kenntnis der Bundesregierung inzwischen eine Fortschreibung der „Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind“ vor? Wenn ja, seit wann? Wenn nein, wann ist damit zu rechnen? Nach der zweiten Fortschreibung im Jahre 2016 ist keine weitere Fortschreibung vorgenommen worden und bislang auch nicht geplant, da seitdem kein substantieller Fallzahlenzuwachs beobachtbar ist, der eine Revision bzw. Neubewertung der vorliegenden Analysebefunde erforderlich machen würde (vgl. auch Antwort zu Frage 1). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333