Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 15. August 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/3892 19. Wahlperiode 17.08.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Renate Künast, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/3655 – Stand der freiwilligen staatlichen Tierhaltungskennzeichnung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nachdem die damalige Bundesregierung in der 18. Wahlperiode ihr Vorhaben einer Einführung eines staatlichen Tierhaltungslabels nicht umsetzen konnte, hat sich die Bundesregierung dieses Themas in der 19. Wahlperiode erneut angenommen . Momentan befindet sich der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung und Verwendung eines Tierwohlkennzeichens (Tierwohlkennzeichengesetz – TierWKG) in der Ressortabstimmung, parallel dazu tagt die Arbeitsgruppe Tierwohlkennzeichnung Schwein. 1. Was versteht die Bundesregierung unter dem Begriff „Tierwohl“? 2. Inwieweit besteht nach Ansicht der Bundesregierung die Möglichkeit, dass die rechtliche Fixierung des Begriffs Tierwohl andere legal definierte Begriffe (etwa „Leiden“, „Schmerzen“) in der gesellschaftlichen Wahrnehmung negativ überschatten könnten? Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Zweck des Tierschutzgesetzes ist es nach dessen § 1, das Leben und Wohlbefinden von Tieren zu schützen. Darüber hinaus dürfen ihnen nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Seit einiger Zeit hat sich im Sprachgebrauch neben dem Begriff des „Tierschutzes “ auch der Begriff des „Tierwohls“ eingebürgert, wobei häufig nicht zwischen den Begriffen differenziert wird. Die Bundesregierung schließt sich den Ausführungen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ (s. Kapitel 5.1.1) vom März 2015 sowie des Kompetenzkreises Tierwohl beim BMEL in seinem Abschlussbericht (s. Kapitel 2) vom September 2016 zu den Begrifflichkeiten an. Demnach ist unter „Tierwohl“ der Zustand des Tieres in Bezug auf die Abwesenheit von Schmerzen , Leiden, Schäden sowie die Ausprägung von Wohlbefinden zu verstehen. Der Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/3892 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Begriff zielt also darauf ab, wie es dem Tier geht. Der Begriff „Tierschutz“ bezieht sich dagegen darauf, was getan wird, um das Tierwohl zu sichern. Die Begriffe bezeichnen also kein unterschiedliches Tierschutz- oder Tierwohlniveau, sondern geben unterschiedliche Perspektiven wieder. Sowohl Tierschutz als auch Tierwohl können von sehr niedrig bis sehr hoch ausgeprägt sein. Während lange Zeit (lediglich) die Abwesenheit von Schmerzen, Leiden, Schäden das Ziel des Tierschutzes war, wird das in der gesellschaftlichen Diskussion zunehmend als nicht ausreichend empfunden. Auch die wissenschaftliche Diskussion und die Diskussionen auf internationaler Ebene gehen in die Richtung, dass stattdessen das Ziel des Tierschutzes die Sicherung des Tierwohls sein muss. Dieses Ziel geht über die Abwesenheit von Schmerzen, Leiden, Schäden hinaus indem es auch das Erleben positiver Emotionen einschließt (z. B. bei der Ausführung arteigener Verhaltensweisen). Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung nicht die Gefahr, dass durch die rechtliche Fixierung des Begriffs des Tierwohls die in Tierschutzvorschriften verwendeten, zentralen Begriffe wie Schmerzen, Leiden, Schäden in den Hintergrund gedrängt oder überschattet werden könnten. 3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass es für Schweine zu ihrem artspezifischen Verhalten gehört, ihren Lebensbereich in Liege-, Aktivitäts- und Kotbereich zu unterteilen? In der wissenschaftlichen Literatur existieren einige Untersuchungen dazu, dass Schweine die Ausübung des Verhaltens unterschiedlicher Funktionskreise räumlich trennen. Unter semi-natürlichen (naturnahen) Haltungsbedingungen ist dies daran erkennbar, dass Schweine innerhalb ihres Geheges fixe Örtlichkeiten /Plätze zum Ruhen/Liegen (Nester) bzw. zum Kotabsetzen nutzen, die jeweils in größerer Entfernung zueinander liegen. Die designierten Ruhe-/Liege- bzw. Plätze zum Abkoten sind außerdem in einem Abstand zur Futterstelle lokalisiert (z. B. Stolba und Wood-Gush 1989). Während Schweine unter semi-natürlichen Haltungsbedingungen 6 Prozent der Tagesaktivität mit Ruhen/Liegen verbringen, nehmen Wühlen/Erkunden circa 70 Prozent ein. Diese von den Tieren präferierte räumliche Trennung unterschiedlicher Aktivitäten ist auch unter landwirtschaftlichen Haltungsbedingungen erkennbar: So zeigen experimentelle Untersuchungen, dass Schweine in Buchten aktiv zwischen Liege- und Kotbereich unterscheiden und diese Unterscheidung von Ferkeln bereits kurz nach der Geburt gemacht wird (Baxter 1981, und zusammengefasst in Petherick 1983). 4. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ab welchem Platzangebot (bitte in Quadratzentimeter angeben) Schweine ihr artspezifisches Verhalten der räumlichen Trennung von Liege-, Aktivitäts- und Kotbereich ausleben können und auf welche Studien stützt sie sich dabei? Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Schweine unter landwirtschaftlichen Haltungsbedingungen in Buchten zwischen Liege- und Kotbereich unterscheiden können (zusammengefasst in Petherick 1983). Die Nutzung von räumlich getrennten Liege-, Aktivitäts- und Kotbereichen (sog. Funktionsbereiche ) wird neben einem hinreichenden Platzangebot von dem spezifischen Aufbau der Haltungssysteme abhängen. Zu der Frage, wie viel Platz Schweine zur Ausübung ihres artspezifischen Verhaltens benötigen, liegen keine expliziten experimentellen Daten vor (EFSA 2005). Hinsichtlich der Nutzung des zur Verfügung stehenden Platzangebotes Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/3892 wurde in einer Studie gezeigt, dass ein höheres Platzangebot je Tier besonders dann wirksam ist, wenn es in strukturierten Buchten angeboten wird (Beattie et al., 1996). Gleichzeitig gilt es jedoch auch zu beachten, dass die Einrichtung einer Strukturierung (zur Einrichtung von Funktionsbereichen) per se einen höheren Platzbedarf notwendig macht. Für eine erste Annäherung an den Platzbedarf, der für die Ausübung unterschiedlichen Verhaltens von Schweinen benötigt wird, bieten die am häufigsten ausgeübten Verhaltensweisen eine sinnvolle Hilfestellung . Hierzu zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass in der landwirtschaftlichen Haltung Schweine etwa 80 bis 90 Prozent des Tages mit Liegeverhalten verbringen (Ruckebusch 1972; Sambraus, 1991; Ekkel et al., 2003; Hoy 2009), was deutlich höher ist, als unter semi-natürlichen Bedingungen (Stolba, Wood-Gush 1989). Während der Ausführung dieses Liegeverhaltens brauchen Schweine mehr Stallfläche als im stehenden Zustand, da im Liegen die Körperlänge mal der Körperhöhe die bedeckte Fläche bestimmt, während im Stehen die Körperlänge mit der Körperbreite die bedeckte Fläche bestimmt. Die Körperhöhe ist aber gerade für große Sauen über 100 kg Lebendgewicht erheblich größer als die Körperbreite (Curtis et al., 1989; Baxter et al., 2011). Daher ist es wissenschaftlich begründet sinnvoll, für die Ermittlung des Platzbedarfes von Schweinen das Liegeverhalten zu betrachten. Allerdings sollte der Flächenbedarf von Schweinen nicht als rechteckig angenommen werden, wie es sich aus der einfachen Berechnung Köperlänge mal Körperhöhe (inklusiv ausgestreckter Beine) ergeben würde, denn beim Liegen in Seitenlage wird ein Teil dieser rechteckigen Flächenschätzung nicht von einem Schwein exklusiv besetzt, sondern zwischen 20 bis 40 Prozent dieser Fläche wird mit Artgenossen geteilt (Ekkel et al., 2003), wenn ein Thermoregulationsverhalten nicht ausgeübt wird. Den sich daraus ergebenden Flächenbedarf je Tier, abzüglich der mit anderen Schweinen geteilten Fläche, hat Ekkel mit Kollegen (2003) in einer wissenschaftlichen Studie ermittelt und in einer Formel zusammengefasst : Platzbedarf = 0,033 x W0,66 (W = Lebendgewicht des Tieres). Für das individuelle Verhalten von Liegen und stehenden Aktivitäten muss zusätzliche Fläche zur Verfügung stehen. Referenzen Baxter EM, Lawrence AB., Edwards SA (2011) Alternative farrowing systems: design criteria for farrowing systems based on the biological needs of sows and piglets. Animal 5: 580–600. Beattie VE, Walker N, Sneddon IA (1996) An investigation of the effect of environmental enrichment and space allowance on the behaviour and production of growing pigs. Appl. Anim. Behav. Sci. 48: 151–158. Curtis SE, Hurst RJ, Gonyou HW, Jensen AH, Muehling AJ (1989) The physical space requirement of the sow. J. Anim. Sci. 67: 1242–1248 EFSA (2005) The welfare of weaners and rearing pigs: effects of different space allowances and floor types. The EFSA Journal 268, 1-19. Ekkel ED, Spoolder HAM, Hulsegge I, Hopster H (2003) Lying characteristics as determinants for space requirements in pigs. Appl. Anim. Behav. Sci. 80: 19–30 Hoy S (2009) Verhalten der Schweine. In: Hoy S. Nutztierethologie. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, S. 105–139 Petherick JC (1983) A biological basis for the design of space in livestock housing . In Farm Animal Housing and Welfare, ed. SH Baxter, MR Baxter and JAC MacCormack, 103–120. Dordrecht: Martinus Nijhoff Publishers. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/3892 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Ruckebusch Y, (1972) The relevance of drowsiness in the circadian cycle of farm animals. Anim. Behav. 20, 637–643. Sambraus HH (1991) Nutztierkunde. Verlag Eugen Ulmer ISBN 3-8001-2637-0 Stolba A, Wood-Gush DGM (1989) The behaviour of pigs in a semi-natural environment . Anim. Prod. 48, 419–425. 5. Auf welche Umfragen stützt sich die Meinung der Bundesregierung, wonach „Verbraucherinnen und Verbraucher sich ein Kennzeichen wünschen, die [sic!] Auskunft über das Tierwohl gibt“ (Seite 1 der Anlage „Inhalte der geplanten Tierwohlkennzeichen-Verordnung“, Stand 31. Mai 2018, zum Brief Beteiligung Fraktionen vom 18. Juni 2018)? Ein Großteil der Verbraucher wünscht sich eine Tierwohl-Kennzeichnung (79 Prozent). Das zeigen die Ergebnisse des Ernährungsreports 2018 des BMEL und auch andere Studien stützen diese Ergebnisse (Alvensleben, R. V. (2002), Schulze et al. (2008a); TE Velde et al., (2002); Franz, A., Deimel, I., Spiller, A. (2012): Spiller, Franz, Deimel, v. Meyer, Zülsdorf (2010); Lemke, Schulze, Spiller , Wocken (2006). Mit der Einführung eines staatlichen Tierwohlkennzeichens wird diesen Forderungen Rechnung getragen. Ein staatliches Kennzeichen in der geplanten Form versetzt die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage, Produkte , bei deren Erzeugung höhere als die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten wurden, zu erkennen und dies in ihre Kaufentscheidung einzubeziehen. 6. Wie werden die verschiedenen Stufen des Tierwohlkennzeichens gekennzeichnet sein? Die Produkte werden mit einem Kennzeichen versehen, das die unterschiedlichen Stufen eindeutig differenziert. Die genaue Darstellung des Kennzeichens wird derzeit erarbeitet. Ziel der Visualisierung ist es, dem Verbraucher leicht verständlich darzulegen, welche Stufe für wie viel Tierwohl steht. 7. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass innerhalb der jeweiligen Stufen die Kriterien transparent dargestellt werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher eine möglichst aufgeklärte Entscheidung treffen können? Die auf der jeweiligen Stufe einzuhaltenden Kriterien werden in einer Verordnung festgelegt und sind insofern transparent. Bei der Erzeugung der mit dem Kennzeichen versehenen Produkte müssen die festgelegten Kriterien eingehalten worden sein. Dies wird durch unabhängige Kontrollen sichergestellt. Für Transparenz wird zudem eine Informationsinitiative des BMEL sorgen. Mit der Initiative werden Verbraucherinnen und Verbraucher darüber informiert, wofür das Kennzeichen auf den einzelnen Stufen steht. Das Konzept der Initiative wird derzeit erarbeitet. Mögliche Maßnahmen könnten Flyer, Broschüren, Anzeigen oder Informationen über das Internet oder Social Media sein. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/3892 8. Worin soll sich das staatliche Tierhaltungskennzeichen von den bisherigen Labeln (ITW, Tierschutzlabel etc.) unterscheiden, wie soll es sich in das bestehende Label-Regime einordnen, und was wird das Alleinstellungsmerkmal sein? Anders als bei den bisherigen am Markt befindlichen privatwirtschaftlich organisierten Labeln wird es sich um ein staatliches Kennzeichen handeln. Dies drückt sich unter anderem durch einen nationalen Rechtsrahmen, die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben bei der Verwaltung des Kennzeichens durch eine Behörde und staatliche Informationsmaßnahmen aus. Erfahrungsgemäß bringen Verbraucherinnen und Verbraucher dem Staat als Träger größeres Vertrauen entgegen als privatwirtschaftlichen Trägern, denen häufig das Verfolgen eigener Interessen unterstellt wird. Der Staat hat zudem eine größere Zugkraft, alle Beteiligten zusammenzubringen und zu motivieren, sich in ein gemeinsames Projekt einzubringen . 9. Ab wann ist nach Ansicht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ein für Verbraucherinnen und Verbraucher erkennbarer Unterschied zum gesetzlichen Standard gegeben, und wie verhält sich dieser erkennbare Unterschied zu Anforderungen des Tierwohls? Das Tierwohlkennzeichen stellt eine (Positiv)Auszeichnung von Produkten dar. Eine solche zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Produkte im positiven Sinne von der Standardware abheben. Im Falle eines Tierwohlkennzeichens unterscheidet sich die Prozessqualität im Hinblick auf die eingehaltenen Tierschutzstandards vom gesetzlichen Tierschutzstandard. Schon die Kriterien der Eingangsstufe müssen eindeutig über dem gesetzlichen Mindeststandard liegen. Es handelt sich dabei auch um einen entscheidenden Faktor für den Erfolg des Kennzeichens , denn nur wenn Verbraucherinnen und Verbraucher den Unterschied zwischen Standardware und Produkten der Eingangsstufe des Tierwohlkennzeichens wahrnehmen und als echten Mehrwert bewerten, werden sie auch bereit sein, für die Produkte einen höheren Preis zu bezahlen. Im Hinblick auf die Festlegung der Kriterien gilt es, verschiedene Aspekte wie Verbrauchererwartungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Umsetzbarkeit zu berücksichtigen. Was vom Verbraucher als ausreichender Abstand vom gesetzlichen Mindeststandard gesehen wird, dürfte individuell sehr unterschiedlich sein. Auch aus diesem Grund wird das staatliche Kennzeichen drei Stufen haben. Die drei Stufen werden steigende Anforderungen im Hinblick auf den Tierschutz beinhalten . Die Kriterien der jeweiligen Stufen beinhalten somit auch einen steigenden Abstand vom gesetzlichen Mindeststandard, der sich in einem steigenden Preisabstand zur Standardware ausdrücken wird. Dem tierschutzinteressierten Verbraucher wird dadurch ein differenziertes Angebot gemacht, aus dem er wählen kann. 10. Welche rechtlichen Argumente sprechen für bzw. gegen die nationale Umsetzung einer (für alle Betriebe) verpflichtenden Haltungskennzeichnung von Fleischprodukten? Das allgemeine Lebensmittelkennzeichnungsrecht ist grundsätzlich mit der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittel-Informations-Verordnung (LMIV)) EU-weit harmonisiert. Eine nationale verpflichtende Regelung würde eine zusätzliche verpflichtende Angabe darstellen, die grundsätzlich auf Artikel 39 Absatz 1 LMIV gestützt werden könnte. Danach können nationale Vorschriften, die zusätzliche Angaben für Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/3892 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode bestimmte Arten oder Klassen von Lebensmitteln vorschreiben, erlassen werden, wenn sie aus einem der dort genannten Gründe gerechtfertigt sind, darunter auch der Verbraucherschutz. Die Rechtfertigung der Einführung einer nationalen Pflichtkennzeichnung müsste entsprechend begründet werden. Eine nationale Maßnahme muss weiterhin mit dem Binnenmarkt in Einklang gebracht werden und darf keine unverhältnismäßigen Beschränkungen für den freien Warenverkehr schaffen. Bei einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung bestünde die Herausforderung darin, eine Ausgestaltung der Kennzeichenvorgaben zu finden, welche diesen Anforderungen Rechnung tragen würde. Je nach Ausgestaltung müssten Fragen der Diskriminierung ausländischer Ware bzw. inländischer Ware geklärt werden. Daneben sind die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu beachten. Insgesamt ist festzuhalten, dass es sich bei der Schaffung einer verpflichtenden Kennzeichnung, um einen deutlich komplexeren und zeitaufwändigeren Prozess handelt. Anders als eine freiwillige Kennzeichnung müsste bei einer verpflichtenden Vorschrift das Mitteilungsverfahren nach Artikel 45 LMIV durchlaufen und die Erfüllung der Voraussetzungen des Artikels 39 LMIV dargelegt werden. Deshalb ist es das Ziel des BMEL, wie Dänemark , mit einem kurzfristig realisierbaren freiwilligen Tierwohlkennzeichen zu starten. 11. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ab wann sich für die Europäische Kommission eine Einstiegsstufe von dem gesetzlichen Standard abhebt und welche Kriterien dafür angelegt werden? 12. Falls die Bundesregierung darüber keine Erkenntnisse hat, welche Einschätzung vertritt die Bundesregierung dazu, ab welchem Abstand zu den gesetzlichen Regelungen (Platzangebot, Raufutter und Beschäftigung, Tiergesundheit , Kontrollen, Schlachtung, Fortbildungen) die Europäische Kommission eine Einstiegsstufe für förderbar hält? Die Fragen 11 und 12 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die für den Agrarsektor geltenden Bestimmungen des EU-Beihilferechts sehen vor, dass für die Zulässigkeit von staatlich finanzierten Informationsmaßnahmen zur Markteinführung die Qualität der gekennzeichneten Erzeugnisse erheblich über die handelsüblichen Warennomen hinausgehen muss. Die Bewertung, ob diese Vorgabe bei den im geplanten Tierwohlkennzeichen vorgesehenen Kriterien im Vergleich zu den EU-Mindeststandards eingehalten ist, führt die Europäische Kommission auf Grundlage der Rahmenregelung der Europäischen Union für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten 2014-2020 im Rahmen der von Deutschland einzuleitenden Notifizierung gemäß Artikel 108 Absatz 3 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union) in Verbindung mit der Verordnung (EU) 2015/1589 in eigener Zuständigkeit durch. 13. Welche Priorisierung nimmt die Bundesregierung bei den Kriterien „Bezahlbarkeit für Verbraucherinnen“, „Verbesserung des Tierwohls“ und „Kosten für Landwirtinnen“ vor? Der Aufbau eines staatlichen Tierwohlkennzeichens ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Aspekte zu berücksichtigen sind. Oberste Priorität hat für die Bundesregierung , die Rahmenbedingungen für das staatliche Tierwohlkennzeichen so zu definieren, dass das Kennzeichen erfolgreich sein wird. Ein erfolgreiches Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/3892 Kennzeichen schließt die derzeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern empfundene Informationslücke bezüglich der bei der Erzeugung von Lebensmitteln eingehaltenen Tierschutzstandards, eröffnet den Landwirten eine neue Vermarktungsoption und verbessert den Tierschutz in der Nutztierhaltung. Dazu müssen die Kriterien eine deutliche Verbesserung des Tierschutzes beinhalten und das Kennzeichen muss einen maßgeblichen Marktanteil gewinnen. Es geht also nicht darum, zu Priorisieren, sondern die angesprochenen Aspekte bestmöglich zum Ausgleich zu bringen. 14. Werden die Aspekte regionale Herkunft, Transport und Schlachtung berücksichtigt und durch feste Kriterien in der Tierhaltungskennzeichnung verankert werden? Rechtliche Bestimmungen zur Herkunftskennzeichnung von Fleisch gibt es bereits heute europaweit. Bei Fleisch, bei dem die Herkunft schon jetzt nach Marktordnungsrecht oder nach der Verordnung (EU) Nr. 1337/2013 verpflichtend angegeben werden muss, soll eine Integration dieser Angaben in das Kennzeichen möglich sein. Dies soll ebenfalls für „einheitliche“ Verarbeitungsware gelten, bei der eine Herkunftskennzeichnungspflicht nicht europaweit verbindlich vorgegeben ist. Die zusätzliche Nutzung des „Regionalfensters“ schafft eine zusätzliche Möglichkeit, auf die Herkunft der Ware zu verweisen. Inwieweit der Transport und die Schlachtung durch Festlegung entsprechender Anforderungen in das Kennzeichen einbezogen werden, wird derzeit noch geprüft. 15. Welche Organisationen, Verbände und Unternehmen sind unter der Formulierung „die Beteiligten der Wertschöpfungskette“ (vgl. Eckpunktepapier vom 31. Mai 2018) subsumiert? Zur Erörterung möglicher Kriterien für das Tierwohlkennzeichen wurden seitens des BMEL folgende Beteiligte der Wertschöpfungskette eingeladen: Deutscher Bauernverband e. V. (DBV), Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e. V. (BVLH), Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH (ITW), QS – Qualität und Sicherheit GmbH, Bundesverband Rind und Schwein e. V. (BRS), Verband der Deutschen Fleischindustrie (VDF), Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e. V. (ISN), Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V. (BÖLW), Deutscher Raiffeisenverband e. V. (drv), NEULAND–Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung e. V. Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e. V. (DLG e. V.) Deutscher Verband Neutraler Kontroll- und Klassifizierungsunternehmen e. V. (DVK). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/3892 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Daneben waren die Bundestierärztekammer e. V., der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte e. V., der Deutsche Tierschutzbund e. V. sowie die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. eingeladen. Für die wissenschaftliche Begleitung haben Vertreter des Friedrich-Loeffler-Instituts an den Erörterungen teilgenommen . 16. Für welche Tierhaltungsformen werden im Moment Kriterien für das staatliche Tierhaltungskennzeichen erarbeitet und ist die AG Schwein die einzige tagende Gruppe? 17. Aus welchem Grund wurde mit der Aufstellung der Kriterien für Schweinehaltung begonnen? 18. Ist die Erarbeitung von Kriterien für weitere Tierhaltungsformen (etwa Geflügelhaltung , Milchkuhhaltung etc.) geplant? 19. Welchen Zeitplan verfolgt die Bundesregierung bei der Aufstellung von Kriterien für weitere Tierhaltungsformen? Die Fragen 16 bis 19 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Bereich Schwein eignet sich aus verschiedenen Gründen für den Start eines Tierwohlkennzeichens. Im Bereich Schwein gibt es EU-weit ausdifferenzierte gesetzliche Standards. Der Bereich steht in der Kritik und vor großen Herausforderungen . Zudem macht Schweinefleisch einen maßgeblichen Anteil des Fleischmarktes aus. Derzeit tagen keine weiteren Arbeitsgruppen zur Erarbeitung von Kriterien für weitere Nutztierarten. Grundsätzlich ist das staatliche Tierwohlkennzeichen aber offen für alle Nutztierarten und Lebensmittel tierischer Herkunft angelegt. Es soll perspektivisch auf weitere Nutztierarten erweitert werden. Einen Zeitplan gibt es dazu nicht. Vordringliches Ziel ist es, bis zur Mitte der Legislaturperiode die organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen für das staatliche Tierwohlkennzeichen zu schaffen. Dabei handelt es sich um einen komplexen und aufwändigen Prozess, bei dem verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind. Sobald die grundlegenden Strukturen geschaffen sind, kann die schrittweise Umsetzung in weiteren Bereichen erfolgen. 20. Welche Personen, Organisationen und Institutionen sind momentan bei der Aufstellung der Kriterien für das „Tierwohlkennzeichen Schwein“ einbezogen , und nach welchen Kriterien wurden diese ausgewählt? Auf die Antwort zu Frage 15 wird verwiesen. Ziel der Auswahl war es, die für die Umsetzung eines staatlichen Tierwohlkennzeichens relevanten Akteure sowie Vertreter des Tierschutzes und der Verbraucher umfassend einzubeziehen. Zudem wurden Organisationen berücksichtigt, die bereits über Erfahrung in vergleichbaren Prozessen verfügen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/3892 21. Welche Personen, Organisationen und Institutionen haben den am 5. Juli 2018 in der AG Tierwohlkennzeichnung Schwein diskutierten Entwurf für die Aufstellung der Kriterien erstellt? Grundlage der Erörterungen am 5. Juli 2018 waren folgende, im Vorfeld der Sitzung an die Teilnehmer versandten, Unterlagen: Kriterien für ein dreistufiges Kennzeichen im Bereich Schwein, die aus den Sitzungen einer vergleichbar zusammengesetzten Arbeitsgruppe im BMEL Ende 2016 hervorgegangen sind, ein Vorschlag für Kriterien für eine Eingangsstufe im Bereich Schwein der Brancheninitiative Tierwohl und ein Vorschlag für Kriterien im Bereich Schwein des Deutschen Tierschutzbundes. 22. Welche Ergebnisse hat die Sitzung der AG Tierwohlkennzeichnung Schwein am 5. Juli 2018 erbracht, gibt es bereits geeinte Kriterien, und wann sollen diese veröffentlicht werden? In der Arbeitsgruppe wurden die vorliegenden Vorschläge (s. Antwort zu Frage 23) in konstruktiver Weise erörtert. Die vorgetragenen Argumente werden nun im BMEL ausgewertet. Es wird angestrebt, kurzfristig zu einem Ergebnis zu kommen. Die Kriterien werden dann Eingang in den Entwurf einer Tierwohlkennzeichenverordnung finden. 23. Wie sieht der Zeitplan zur Einbindung weiterer Personen, Organisationen und Institutionen aus? 24. Welche Beteiligungsformen und Maßnahmen zur Sicherstellung eines transparenten Prozesses sind vorgesehen? Die Fragen 23 und 24 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Weitere Gespräche zu einzelnen Aspekten der Schaffung eines Tierwohlkennzeichens werden bei Bedarf mit Vertretern relevanter Organisationen geführt. Im Wesentlichen ist geplant, das Gesetz- bzw. Verordnungsverfahren voranzutreiben . Im Rahmen dieser Verfahren erfolgen die üblichen Beteiligungen gemäß der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333