Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 31. August 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4128 19. Wahlperiode 03.09.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sven Lehmann, Ulle Schauws, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/3879 – Auswirkungen der ICD 11 der Weltgesundheitsorganisation auf das Transsexuellenrecht in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Transsexualität wird künftig auch international nicht mehr als psychische Krankheit gelten. Das teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit, als sie am 18. Juni 2018 ihren grundlegend überarbeiteten Diagnosekatalog ICD 11 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme ) vorstellte, der seit 2000 diskutiert und vorbereitet wurde. Trans-Personen (da die Bundestagsverwaltung die Verwendung des Begriffs „trans*“ nicht zulässt, verwendet die fragende Bundestagsfraktion diesen Begriff ) werden damit nicht länger als Menschen mit „Störungen der Geschlechtsidentität “ im Abschnitt „Mentale und Verhaltensstörungen“ pathologisiert und eingeordnet. „Es ist wissenschaftlich klar, dass es sich eben nicht um eine psychische Krankheit handelt. Diese Einordnung hat die betroffenen Personen sehr stigmatisiert“, erklärte die zuständige WHO-Koordinatorin Lale Say in einem Video auf der Webseite der Organisation (www.youtube.com/watch?v= kyCgz0z05Ik). Man hoffe, mit dem Schritt die soziale Akzeptanz für Trans- Personen zu steigern. Stattdessen findet sich im neuen Abschnitt „Conditions related to sexual health“ die Kategorie „Gender incongruence“. Definiert wird diese „Geschlechts-Inkongruenz ” als ausgeprägte und beständige Nichtübereinstimmung zwischen dem erlebten und dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) ist mit dieser Änderung des ICD nicht mehr kongruent. Laut Gutachten der Humboldt -Universität Berlin (November 2016, www.bmfsfj.de/blob/114064/460 f9e28e5456f6cf2ebdb73a966f0c4/imag-band-7-regelungs--und-reformbedarffuer -transgeschlechtliche-menschen---band-7-data.pdf) zum Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen, das von der interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- und Transsexualität in Auftrag gegeben wurde, „basiert das TSG auf einer medizinisch-diagnostischen Vorstellung von ,Transsexualität ‘ als psychische Erkrankung, die nach den aktuellen Erkenntnissen der Sexu- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4128 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode alforschung nicht mehr zu vertreten ist.“ Dementsprechend muss sich beispielsweise eine Transfrau („Mann zu Frau“) als psychisch kranker Mann von zwei Gutachterinnen bzw. Gutachter diagnostizieren lassen, damit ein Gericht entscheidet , dass sie doch eine Frau ist. 1. Welche Auswirkungen für die deutsche Rechtsordnung und insbesondere für das Transsexuellenrecht hat aus Sicht der Bundesregierung die Streichung von Transsexualität aus der Liste psychischer Krankheiten? 2. Hat die im Rahmen der seit 2000 diskutierten und nun beschlossenen Streichung von Transsexualität aus der Liste psychischer Krankheiten die Bewertung der Bundesregierung zur verlangten psychologischen bzw. psychiatrischen Gutachten als Voraussetzung für die Änderung des Vornamens und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit verändert? Wenn ja, welche Gesetzesänderungen plant die Bundesregierung? Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre unveränderte Position? Wenn die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen ist, wie viele weitere Jahre wird die Meinungsbildung voraussichtlich dauern angesichts der Tatsache, dass die Revision seit 2000 diskutiert wird? 3. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung für die Beibehaltung psychologischer bzw. psychiatrischer Gutachten als Voraussetzung für die Änderung des Vornamens und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit für Menschen , die nach neuem ICD 11 psychisch gesund sind? Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Die Bundesregierung hat sich im Rahmen des Entwicklungsprozesses zur Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) für eine Entpsychopathologisierung der Transsexualität erfolgreich eingesetzt. Die 11. Revision der ICD wurde im Juni 2018 durch die WHO veröffentlicht. Die ICD-11 der WHO soll nach Kenntnis der Bundesregierung von der World Health Assembly im Mai 2019 verabschiedet und dann ab 1. Juni 2022 zur Kodierung verwendet werden. Gemäß § 295 Absatz 1 und § 301 Absatz 2 SGB V ist die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebene deutsche Fassung der internationalen Klassifikation der Krankheiten (derzeit: ICD-10-German Modification ) rechtsverbindlich zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung anzuwenden. Nach einer ersten Schätzung des DIMDI würde – nach zuvor erforderlicher Übersetzung der ICD-11 – die Anpassung aller an die ICD gekoppelten Systeme im Gesundheitswesen mindestens fünf Jahre in Anspruch nehmen. Das Kuratorium für Fragen der Medizinischen Klassifikation im Gesundheitswesen , das das Bundesministerium für Gesundheit bei der Erarbeitung, Pflege und Weiterentwicklung von amtlichen Klassifikationen im Gesundheitsbereich berät, hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der die Anforderungen an eine Umstellung zur ICD-11 und dazu erforderliche Vorarbeiten erarbeitet werden. Insbesondere in Abhängigkeit von den Ergebnissen wird zu prüfen sein, ob und wann eine Umstellung auf die ICD-11 in Deutschland erfolgen wird. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4128 Die Bundesregierung beabsichtigt, zeitnah einen Gesetzentwurf unter gemeinsamer Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vorzulegen, der Regelungen zum Vornamens- und Personenstandswechsel sowohl für inter- als auch für transsexuelle Personen vorsehen und damit einen weitgehenden Gleichklang der Verfahren für beide Gruppen erreichen soll. Auch die aktualisierte internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) wird in die Diskussion einbezogen werden. 4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die negativen Folgen und insbesondere über Missbrauchsfälle der neuen Regelungen für transsexuelle Personen, die, ohne mit Begutachtungszwang pathologisiert zu werden, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag entsprechend ihres Empfindens ändern können, wie es beispielsweise in Schweden, Dänemark, Malta, Norwegen , Irland oder Argentinien der Fall ist (bitte nach Ländern aufschlüsseln)? In den vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beauftragten und herausgegebenen Gutachten „Geschlechtervielfalt im Recht“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte und des Gutachtens „Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“ von Dr. Laura Adamietz und Katharina Bager (Humboldt Universität zu Berlin) wurden auch die auf Selbstbestimmung basierenden Regelungen der Länder Argentinien und Malta untersucht. Die diesbezüglichen Ergebnisse können unter www.bmfsfj.de/blob/114064/ 460f9e28e5456f6cf2ebdb73a966f0c4/imag-band-7-regelungs--und-reformbedarffuer -transgeschlechtliche-menschen---band-7-data.pdf und www.bmfsfj.de/bmfsfj/ service/publikationen/gutachten--geschlechtervielfalt-im-recht--status-quo-undentwicklung -von-regelungsmodellen-zur-anerkennung-und-zum-schutz-vongeschlechtervielfalt /114072 eingesehen werden. 5. Welche Empfehlungen des Menschenrechtskommissars bezüglich des Transsexuellenrechts und den Vorgaben der Resolution 2048, insbesondere was Transparenz, Zugänglichkeit und Selbstbestimmung betrifft, hat die Bundesregierung bislang umgesetzt bzw. hat sie vor umzusetzen? Resolution 2048 empfiehlt u. a die Einführung einer dritten Geschlechtsoption und Regelungen zum Diskriminierungsschutz. Die Bundesregierung hat am 15. August 2018 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben beschlossen. Darin wird die Möglichkeit eingeräumt , bei der Beurkundung der Geburt eines Neugeborenen neben den Angaben „weiblich“ und „männlich“ oder der „Eintragung des Personenstandsfalls ohne eine solche Angabe“, auch die Bezeichnung „divers“ zu wählen, wenn eine Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter nicht möglich ist. In Fällen, in denen auch die weitere Geschlechtsentwicklung nicht zu einer Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter führt, oder in denen die Zuordnung nach der Geburt unrichtig erfolgte, wird betroffenen Personen die Möglichkeit eröffnet, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt die Zuordnung im Geburtseintrag ändern zu lassen und – soweit dies gewollt ist – neue Vornamen zu wählen. Die die Regierung tragenden Parteien haben sich weiter im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode dazu bekannt, geschlechtliche Vielfalt zu respektieren, Homosexuellen- und Transfeindlichkeit zu verurteilen und jeder Diskriminierung entgegenzuwirken. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hierzu sollen umgesetzt werden. Diesen Aussagen fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4128 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Verändert die in der Vorbemerkung der Fragesteller genannte Entscheidung der WHO aus Sicht der Bundesregierung den geltenden Anspruch von Trans- Personen auf Kostenübernahme von Hormonbehandlung und geschlechtsangleichenden Operationen? Die Kostenübernahme erfolgt auch künftig nach den Grundsätzen des SGB. 7. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der aktuelle Stand der Entwicklung der AWMF-S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans*-Gesundheit: Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung “ durch die beteiligten Fachgesellschaften (vgl. www.transsexuelleheidelberg .de/docs/awmf.pdf)? Nach Angaben der Bundesvereinigung Trans* e. V. wird der Entwurf zurzeit in der Leitlinienkommission behandelt und soll Ende 2018 veröffentlicht werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333