Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 7. September 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4235 19. Wahlperiode 11.09.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christian Dürr, Renata Alt, Nicole Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/3979 – EU-Mehrwertsteuerreform V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das heutige, seit 1967 vorläufige System der Mehrwertsteuer gilt als ausgesprochen kompliziert, betrugsanfällig und auch insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen als sehr aufwendig bis kaum beherrschbar. Aus diesem Grunde wird in der EU, hier vor allem von der Europäischen Kommission, über ein neues, endgültiges, weniger bürokratisches und weniger betrugsanfälliges System nachgedacht. Es stellt sich die Frage, ob das heutige System, das alle Stufen der Wertschöpfung erfasst, obwohl nur die letzte Stufe des Verbrauchs das eigentliche Objekt der Besteuerung darstellt, als sinnvoll und zeitgemäß angesehen werden kann. Diese Frage gewinnt vor dem Hintergrund der hohen Steuerausfälle zum Beispiel durch sogenannten Karussellbetrug, der von der Kommission selber auf jährlich 50 bis 60 Mrd. Euro geschätzt wird, enorm an Bedeutung . Eine Umstellung auf eine totale Steuerumkehr („Reverse Charge“) oder der Umbau zu einer reinen „Sales Tax“, also einer Erfassung nur noch auf der letzten Stufe, wird vor allem mit der Begründung abgelehnt, dass hierdurch vorübergehend eine Finanzierungslücke entstehen würde oder könnte. Den EU-Ländern sind laut einer Studie der Europäischen Kommission im Jahr 2015 schätzungsweise insgesamt rund 152 Mrd. Euro Mehrwertsteuereinnahmen entgangen. Am 8. März 2018 legte die EU-Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Auswirkungen der in den Artikeln 199a und 199b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwSt-Richtlinie) festgelegten Verfahren zur Betrugsbekämpfung vor. Diesem Bericht zufolge erachten die Mitgliedstaaten und Interessenträger die in Artikel 199a der Richtlinie 2006/112/EG vorgesehene Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge-Verfahren) generell als wirksames und effizientes befristetes Instrument zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs in den betreffenden Sektoren bzw. zur Verhütung eines solchen Betrugs. Diese Auffassung wird von Unternehmen geteilt, die die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft als eine effiziente zeitlich befristete Maßnahme zur Betrugsbekämpfung ansehen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4235 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Am 25. Mai 2018 legte die EU-Kommission einen Entwurf (Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf den Anwendungszeitraum der fakultativen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei Lieferungen bestimmter betrugsanfälliger Gegenstände und Dienstleistungen und des Schnellreaktionsmechanismus gegen Mehrwertsteuerbetrug, COM(2018) 298) hinsichtlich des endgültigen Mehrwertsteuersystems vor, die eine Abschaffung des zweistufigen und betrugsanfälligen Systems von innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb vorsieht. Für grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU solle der Verkäufer – wie im nationalen Handel üblich – die Mehrwertsteuer einbehalten. Durch Anwendung des Bestimmungslandprinzips werde der Steuersatz des Bestimmungsmitgliedstaats angewendet. Ist der Abnehmer ein zertifizierter Steuerpflichtiger, gilt für eine Übergangszeit die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers. Aus diesen Vorschlägen ergeben sich viele Fragen für die betroffenen Unternehmen , die im Vorfeld einer Klärung bedürfen. Unüberlegte Schnellschüsse gilt es ebenso zu verhindern, wie auch ein zu zögerliches deutsches Einbringen in den Reformprozess 1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Kommissar Pierre Moscovici, dass die geltenden Mehrwertsteuervorschriften aus dem Jahr 1993 nicht mehr zeitgemäß sind (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-3441_de.htm)? Das derzeit geltende, EU-weit harmonisierte Mehrwertsteuersystem ist als Übergangsregelung konzipiert, soweit es um den grenzüberschreitenden Warenhandel innerhalb der Union geht. Die hierfür geltenden Bestimmungen wurden mit der Schaffung des europäischen Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 durch Änderung der 6. EG-Richtlinie eingeführt, seither allerdings kontinuierlich fortentwickelt insbesondere auch zur Verbesserung der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Die Bundesregierung begrüßt jede Diskussion hierüber auf EU-Ebene. 2. Hat die Bundesregierung eine systematische Evaluierung der Mehrwertsteuerlücke und ihrer Ursachen durchgeführt, um so Maßnahmen gegen die Steuermindereinnahmen treffen zu können? 3. Wie hoch ist nach Ansicht der Bundesregierung die gesamte Mehrwertsteuerlücke , und deckt sich diese mit den Angaben der EU-Kommission (bitte in Prozent vom erwarteten Gesamtaufkommen und in absoluten Beträgen angeben )? Wenn nein, weshalb nicht? 4. Wie hoch ist nach Ansicht der Bundesregierung die deutsche Mehrwertsteuerlücke , und deckt sich diese mit den Angaben der EU-Kommission (bitte in Prozent vom erwarteten Gesamtaufkommen und in absoluten Beträgen angeben )? Wenn nein, weshalb nicht? Wegen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 2 bis 4 gemeinsam beantwortet . Bei der Beantwortung geht die Bundesregierung davon aus, dass die Fragesteller unter der Mehrwertsteuerlücke eine Gegenüberstellung der tatsächlichen kassenmäßigen Mehrwertsteuereinnahmen und hypothetisch erzielbarer Einnahmen verstehen. Derartige Berechnungen werden bereits im Auftrag der EU-Kommission regelmäßig vorgelegt. Solche Berechnungen sind oft mit einer Vielzahl von methodischen Unschärfen behaftet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4235 Die dabei errechnete sogenannte Mehrwertsteuerlücke kann nicht mit Betrug und Hinterziehung gleichgesetzt werden, da sich in dieser Zahl sowohl die Effekte der Zuschätzungsqualität von Schattenwirtschaft in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen , statistische Unschärfen bei der Periodizierung von Kasseneinnahmen , asymmetrische Korrekturen für Tanktourismus sowie legale Steuerumgehungen , Insolvenzen sowie Zahlungsschwierigkeiten und -ausfälle niederschlagen . 5. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Umsatzsteuerbetrugsdelikte in den letzten drei erfassten Jahren von der Steuerverwaltung aufgedeckt wurden ? Nach Artikel 108 des Grundgesetzes sind die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer zuständig. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wie viele Umsatzsteuerbetrugsdelikte in den letzten drei erfassten Jahren von der Steuerverwaltung aufgedeckt wurden. 6. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen der Vorsteuerabzug verweigert wurde bzw. erstattete Vorsteuerbeträge zurückgefordert wurden, weil es einen Verdacht auf bzw. nachgewiesenen Umsatzsteuerbetrug gab? Nach Artikel 108 des Grundgesetzes sind die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer zuständig. Der Bundesregierung sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen der Vorsteuerabzug verweigert wurde bzw. erstattete Vorsteuerbeträge zurückgefordert wurden, weil es einen Verdacht auf bzw. nachgewiesenen Umsatzsteuerbetrug gab. Unabhängig davon ist es regelmäßige Praxis, dass bei Vorliegen eines Verdachts bzw. nachgewiesenem Umsatzsteuerbetrug Erstattungen von Vorsteuerbeträgen im Interesse der Sicherung des Steueraufkommens unter bestimmten Voraussetzungen nicht ausgezahlt werden. Darüber hinaus besteht bei bestimmten Fallgestaltungen die Möglichkeit, im Einvernehmen mit dem Unternehmer bei Steueranmeldungen die Zustimmung nach § 168 Satz 2 der Abgabenordnung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen (§ 18f des Umsatzsteuergesetzes). 7. Wie hoch war der Schaden durch die erfassten Umsatzsteuerbetrugsdelikte in diesen Jahren, und welcher Betrag konnte jeweils nachträglich von den Steuerbehörden eingetrieben werden? Nach Artikel 108 des Grundgesetzes sind die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer zuständig. Der Bundesregierung liegen hierzu keine statistischen Aufzeichnungen vor. In den Jahren 2013 bis 2017 wurden nach Mitteilungen der Länder durch die Steuerfahndungen bundesweit folgende Mehrsteuern im Bereich der Umsatzsteuer festgestellt: Jahr festgestellte Mehrsteuern im Bereich der Umsatzsteuer in Euro 2013 1.013.647.407 2014 1.011.087.630 2015 1.406.010.958 2016 1.407.367.371 2017 718.204.481 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4235 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 8. In welchen Branchen war der Schaden am höchsten (bitte auflisten)? Es wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. 9. Inwieweit hat sich nach Ansicht der Bundesregierung die Einführung des Reverse Charge-Verfahrens in bestimmten betrugsanfälligen Branchen (Mobiltelefone , Gas und Strom, Telekommunikationsdienste, Spielkonsolen, Tablets und Laptops, Getreide und Rohstoffe sowie Metalle) bewährt? Die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens ist aus Sicht der Bundesregierung eine außerordentlich effektive und effiziente Maßnahme zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs, da damit verhindert wird, dass der Erwerber einerseits das Vorsteuerabzugsrecht in Anspruch nehmen kann, der Erbringer der Warenlieferung oder Dienstleistung jedoch die von ihm geschuldete korrespondierende Umsatzsteuer nicht an die Finanzbehörden abführt. Insofern kann es keinen unvalutierten Vorsteuerabzug mehr geben, so dass dieser Betrug systematisch verhindert wird. Entsprechend hat Deutschland in den genannten Branchen nach Feststellung entsprechender Betrugsszenarien von Artikel 199a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie – umfassend Gebrauch gemacht. Nach Auffassung der Bundesregierung konnte der Betrug in den betreffenden Branchen damit erfolgreich bekämpft werden, so dass sich die Anwendung des Verfahrens bewährt hat. 10. Hat die Bundesregierung konkrete Hinweise, dass in der Bundesrepublik Deutschland aktuell bestimmte Branchen außerhalb des Reverse Charge-Verfahrens für Umsatzsteuerkarussellbetrugsgeschäfte genutzt werden , und wenn ja, welche, und könnte dies durch die Einführung des Reverse Charge-Verfahrens verhindert werden? Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, dass derzeit bestimmte Branchen, in denen das Reverse-Charge-Verfahren nicht zur Anwendung kommt, verstärkt für Umsatzsteuerkarussellgeschäfte genutzt werden. Wie in der Antwort zu Frage 9 bereits ausgeführt, hat Deutschland von Artikel 199a der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie bereits umfassend Gebrauch gemacht. 11. Plant die Bundesregierung, für weitere Branchen das Reverse Charge-Verfahren einzuführen? Auf die Antwort zu Frage 10 wird hingewiesen. Die EU-Kommission hat wiederholt darauf hingewiesen, dass sie Anträge der Mitgliedstaaten zur Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens über die im Artikel 199a der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie genannten Branchen hinaus nicht befürworten würde, so dass ein entsprechender Antrag wenig erfolgversprechend sein dürfte. Aus diesem Grund beabsichtigt die Bundesregierung derzeit nicht, für weitere Branchen das Reverse -Charge-Verfahren einzuführen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/4235 12. Wie beurteilt die Bundesregierung den bürokratischen Aufwand der aktuellen Praxis einer selektiven und in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen Anwendung des Reverse Charge-Verfahrens? Aus den in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen Rechtsrahmen ergibt sich insoweit für die betroffenen grenzüberschreitend tätigen Unternehmer ein gewisser Befolgungsaufwand, der jedoch im Hinblick auf das angestrebte Ziel, nämlich die Sicherung des Umsatzsteueraufkommens, gerechtfertigt ist. 13. Unterstützt die Bundesregierung die Initiative einiger Mitgliedstaaten einen Systemwechsel bei der Umsatzsteuer hin zu einer allgemeinen Reverse Charge-Regelung zu vereinbaren? Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung? Wenn ja, setzt sich die Bundesregierung im Ministerrat und im Europäischen Rat aktiv für einen Systemwechsel ein, und wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen dieser Initiative? Die Bundesregierung hält die Einführung eines allgemeinen Reverse-Charge- Systems für einen der ernsthaft zu diskutierenden Lösungsansätze bei der Suche nach einem endgültigen betrugssicheren Mehrwertsteuersystem. Aus diesem Grund unterstützt die Bundesregierung in den fachlichen Beratungen und in den Gremien die Suche nach Kompromissen, um im Rahmen der Verabschiedung der aktuellen Richtlinienvorschläge auch die Einführung eines befristeten generellen Reverse-Charge-Systems in bestimmten Mitgliedstaaten zu ermöglichen. 14. Welche Maßnahmen sind nach Meinung der Bundesregierung geeignet, um Umsatzsteuerbetrug effizient zu bekämpfen, und welche davon setzt die Bundesregierung ein? Die Umsatzsteuer unterliegt systembedingt einer erhöhten Betrugsanfälligkeit. Grund hierfür ist der unvalutierte Vorsteuerabzug. Dies bedeutet, dass das Vorsteuerabzugsrecht vom Empfänger einer Lieferung oder Dienstleistung in Anspruch genommen werden kann, ohne dass der Lieferer die von ihm geschuldete korrespondierende Umsatzsteuer an den Fiskus abgeführt hat. Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen verabschiedet, die dieser Betrugsanfälligkeit entgegenwirken und die in der Praxis erfolgreich angewendet werden. Soweit aus Sicht der Praxis weitere gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich werden, wird die Bundesregierung dies auch künftig unterstützen . 15. Ist der Bundesregierung bekannt, ob durch Anwendung des Reverse Charge- Verfahrens neue Betrugsmöglichkeiten entstanden sind? a) Wenn ja, welche? b) Sind diese in den Branchen aufgetreten, in denen das Reverse Charge Verfahren angewendet wird? c) Wie hoch ist der Schaden? d) Hat man diese neuen Arten des Betrugs erfolgreich eindämmen können, und wenn ja, wie? Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, dass durch die punktuelle Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens neue Betrugsmöglichkeiten entstanden sein könnten. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4235 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 16. Plant die Bundesregierung im Laufe der Legislaturperiode weitere gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs? Der vom Bundeskabinett am 1. August 2018 beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften enthält entsprechende Maßnahmen zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung. 17. Welche Zeithorizonte hält die Bundesregierung momentan für Reformen zur Betrugsbekämpfung für geeignet, und wie wird dies begründet? Derzeit gibt es keine hinreichend konkretisierten Vereinbarungen zur Reform der Umsatzsteuer auf EU-Ebene. Von daher werden auch keine Überlegungen darüber angestellt, welche Zeithorizonte aus Sicht der Betrugsbekämpfung für eine solche Reform geeignet wären. 18. Hält die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem, das die Normalbesteuerung auf nationaler Ebene auch für innergemeinschaftliche Lieferungen und Leistungen anwendet (gleichlaufende Besteuerung, Anwendung des Bestimmungslandprinzips ), für mehr oder weniger geeignet als die Ausweitung des Reverse Charge-Mechanismus (im Hinblick auf Kosten für Steuerpflichtige und Unternehmen , Bürokratie für Mitgliedstaaten und Unternehmen sowie der Betrugsanfälligkeit )? Die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem sind sehr umfangreich und müssen gründlich geprüft und zwischen den Mitgliedstaaten beraten werden. Aus Sicht der Bundesregierung müssen in der Diskussion über ein besseres und betrugssichereres System verschiedene Ansätze gleichberechtigt betrachtet werden. Dabei müssen auch die Auswirkungen auf die Administrierbarkeit und Kosten für die betroffenen Unternehmen und die Verwaltungen stets im Blick behalten werden. 19. Stellt nach Ansicht der Bundesregierung der Vorschlag der gleichlaufenden Besteuerung ein zusätzliches Hindernis für den Zugang zum Europäischen Binnenmarkt dar (Unternehmen müssten nicht mehr nur Vorsteuerpflichten im eigenen Land, sondern auch in bis zu 27 anderen EU-Bestimmungsländern nachkommen)? Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, die seit 1993 bestehende Aufspaltung einer Lieferung durch einen Unternehmer in einen anderen EU-Mitgliedstaat an einen anderen Unternehmer in eine innergemeinschaftliche Lieferung und einen durch den unternehmerischen Leistungsempfänger zu versteuernden innergemeinschaftlichen Erwerb aufzugeben. Bislang kann der Leistungsempfänger unter weiteren Voraussetzungen aus dem von ihm erklärten innergemeinschaftlichen Erwerb auch den Vorsteuerabzug vornehmen. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll der liefernde Unternehmer künftig bei Nutzung der einzigen Anlaufstelle (OSS) die Umsatzsteuer für seine Lieferungen in andere EU-Mitgliedstaaten in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat erklären (Bestimmungslandprinzip). Dem unternehmerischen Leistungsempfänger steht wie bisher im Bestimmungsmitgliedstaat unter den weiteren Voraussetzungen der Vorsteuerabzug zu. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/4235 20. Wie beurteilt die Bundesregierung das Betrugspotenzial bei dieser Ausweitung des Vorsteuerverfahrens auf innergemeinschaftliche Leistungen bzw. der gleichlaufenden Besteuerung? Durch das von der EU-Kommission vorgeschlagene Auseinanderfallen der Steuererklärung durch den leistenden Unternehmer im Rahmen des OSS und des Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger im Bestimmungsmitgliedstaat kann sich im Vergleich zum bisherigen Verfahren (Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs und Vorsteuerabzug durch eine Person) Ausfallpotenzial ergeben . Dieses Ausfallpotenzial ist zum Teil betrugsindiziert, zum Teil aber auch durch andere Umstände wie Insolvenzen verursacht. 21. Wie beurteilt die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit anderen mitgliedstaatlichen Steuerverwaltungen im Hinblick auf den Austausch der notwenigen Informationen bei einer Ausweitung der Normalbesteuerung auf innergemeinschaftliche Lieferungen und Leistungen? Die EU-Kommission hat in ihrem aktuellen Vorschlag eine Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer angekündigt, mit der die Regelungen zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten an die vorgeschlagenen technischen Änderungen des Mehrwertsteuersystems angepasst werden sollen. Dieser Vorschlag soll so rechtzeitig vorgelegt werden, dass er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Richtlinienvorschlags umgesetzt werden kann. 22. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage der EU-Kommission, dass durch eine Ausweitung des Reverse Charge-Verfahrens eine Finanzierungslücke entstehen könnte? Wenn ja, wie hoch schätzt die Bundesregierung diese Finanzierungslücke ein? Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission enthält eine Aussage zur angeblichen Vergrößerung einer Finanzierungslücke nicht. Unabhängig davon, wäre eine solch tiefgreifende Reform hin zu einem umfassenden Reverse-Charge-Verfahren einer intensiven Prüfung zu unterziehen. Dies schließt den Aspekt der Sicherung der steuerlichen Einnahmenbasis mit ein. Eine Prüfung für das Reverse- Charge-Verfahren mit effizientem Risikomanagementsystem wurde im Auftrag der Finanzverwaltung im Jahr 2005 vorgenommen. Hinweise auf eine bestehende Finanzierungslücke waren dieser Studie nicht zu entnehmen (vgl. Beitrag im BMF-Monatsbericht Januar 2006, S. 45 ff.). 23. Sind die ständigen Umsatzsteuereinnahmen unter Beteiligung aller Wertschöpfungsstufen , wie heute praktiziert, unter dem Strich höher als die zu erwartenden Umsatzsteuereinnahmen, die nur von der letzten Stufe geleistet würden? Wenn ja, liegt dies daran, dass die Zurückerstattung oder Verrechnung der Vorsteuer nicht zeitnah erfolgt, oder hat dies auch andere Gründe? Wenn ja, welche? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Untersuchungen vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4235 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 24. Sofern dauerhaft oder auch nur zeitweilig Mehreinnahmen im heutigen System gegenüber einer oben genannten Umstellung erwartet werden und dies ausschließlich oder zu einem erheblichen Teil aus noch nicht ausgeglichenen Vorsteuerverrechnungen resultiert, werden diese in den Haushalten als Schuld ausgewiesen? Der Haushalt folgt dem Kassenprinzip. Im Haushaltsplan dürfen nur diejenigen Einnahmen und Ausgaben veranschlagt werden, die im Haushaltsjahr voraussichtlich kassenwirksam werden. Das umfasst auch Steuernachzahlungen und Steuererstattungen, die mit ihrem Kassenaufkommen zum Zeitpunkt ihrer Zahlung berücksichtigt werden. Zwischenzeitlich werden keine Forderungen oder Schulden im Haushalt ausgewiesen. 25. In welcher Höhe haben – vor dem Hintergrund, dass Unternehmen berichten, dass in Betriebsprüfungen immer häufiger aufgrund meist formaler Unzulänglichkeiten oder nicht beigebrachter Dokumente wie Gelangensbescheinigungen der Vorsteuerabzug verwehrt oder Mehrwertsteuer nacherhoben wird – in den Jahren 2013 bis 2017 Betriebsprüfungen Mehreinnahmen aus Umsatzsteuer einschl. Zinsen erbracht? In den Jahren 2013 bis 2017 wurden bei Betriebsprüfungen nach Mitteilungen der Länder bundesweit folgende Mehreinnahmen aus Umsatzsteuer festgestellt: Jahr Festgestellte Mehreinnahmen aus Umsatzsteuer in Euro 2013 1.982.030.562 2014 2.043.326.885 2015 2.039.403.265 2016 1.376.035.426 2017 1.868.409.888 Zur Höhe der auf die Mehreinnahmen aus Umsatzsteuer entfallenden Zinsen liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Ebenso liegen keine Daten dazu vor, in welcher Höhe die Mehreinnahmen auf verwehrtem Vorsteuerabzug oder Mehrwertsteuernacherhebungen wegen formaler Unzulänglichkeit oder nicht beigebrachter Dokumente beruhen. 26. Wie viele Umsatzsteuer-Nachschauen gab es in den letzten fünf erfassten Jahren, und wie hoch waren die Mehrergebnisse? In den Jahren 2013 bis 2017 wurde nach Mitteilung der Länder bundesweit folgende Anzahl an Umsatzsteuer-Nachschauen durchgeführt: Jahr Anzahl der durchgeführten Umsatzsteuer-Nachschauen 2013 82.066 2014 83.199 2015 83.564 2016 83.686 2017 85.818 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/4235 Die Höhe der erzielten Mehrergebnisse aus Umsatzsteuer-Nachschauen wird auf Grund der Tatsache, dass Umsatzsteuer-Nachschauen häufig auch aus präventiven Gründen durchgeführt werden, nicht in der bundeseinheitlichen Statistik erfasst . Daher liegen der Bundesregierung hierzu keine Daten vor. 27. Wie viele Umsatzsteuer-Sonderprüfungen gab es in den letzten fünf erfassten Jahren, und wie hoch waren die Mehrergebnisse? In den Jahren 2013 bis 2017 wurde nach Mitteilung der Länder bundesweit folgende Anzahl an Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt und folgende Mehrergebnisse erzielt: Jahr Anzahl der durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen Mehrergebnis aus durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen in Euro 2013 90.407 1.968.141.712 2014 89.202 2.234.504.547 2015 88.321 1.679.366.410 2016 85.681 1.717.571.627 2017 83.167 1.530.801.309 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333