Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 14. September 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4371 19. Wahlperiode 18.09.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/4085 – Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Sinn und Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 der Strafprozessordnung (StPO) ist der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen bestimmten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen (vgl. BVerfGE 38, 312, 323). Ein Zeugnisverweigerungsrecht bedeutet, dass umfassend zu der Person des bzw. der Angeklagten und dem angeklagten Sachverhalt keine Angaben gemacht werden müssen. Damit die Rechtspflege aber funktionsfähig bleibt, ist das Zeugnisverweigerungsrecht eng begrenzt auf bestimmte Berufsgruppen wie zum Beispiel Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger oder Seelsorgerinnen und Seelsorger. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben nur dann ein Zeugnisverweigerungsrecht , wenn sie gemäß § 53 Absatz 1 Nummer 3b StPO als Drogenberaterinnen oder Drogenberater, die in einer Beratungsstelle, die eine Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechtes anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, arbeiten. In allen anderen Fällen können sie sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Mit der Einschränkung auf die genannten Institutionen soll sichergestellt sein, dass die Personen, die mit dem Zeugnisverweigerungsrecht in diesem Zusammenhang ausgestattet sind, sorgfältiger Auswahl und Überwachung unterliegen, um zu verhindern, dass die Ausübung des Rechts von Zufall oder Willkür abhängt oder dass unter seinem Schutz und Deckmantel illegale Ziele verfolgt werden (BVerfGE 44, 353, 379). Eine derartige Beschränkung kann man durchaus als fragwürdig ansehen – denn inhaltlich leistet eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter, die bzw. der für einen freien Träger Beratung u. Ä. anbietet, dieselbe sensible Tätigkeit, die auch jemand „aus dem Amt“ leistet. Diese Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter müssten dann genauso das umfassende Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen dürfen. Die Arbeit mit sozial auffälligen Jugendlichen basiert, wie z. B. Thomas Mücke, einer der bekanntesten Sozialarbeiter Deutschlands, betont, maßgeblich auf zwei Dingen: Ehrlichkeit und Vertrauen (vgl. www.deutschlandfunk.de/debatteum -die-schweigepflicht-sozialarbeiter-unter-druck.862.de.html?dram:article_id= 363478). Vertrauen kann aber nur entstehen, wenn die Jugendlichen nicht befürchten müssen, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter später einmal Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4371 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode gegen sie aussagen müssen. Dies betrifft ebenso die Beratung von Gewaltopfern , wie zum Beispiel Opfer von Menschenhandel, die häufig minderjährig sind, oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern . Eine gute Zusammenarbeit kann auch dort nur gelingen, wenn die Opfer nicht befürchten müssen, selbst noch Opfer ihrer Aussage zu werden. Insoweit ist die derzeitige gesetzliche Regelung nicht geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und denen, die deren Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen, zu befördern, ganz im Gegenteil werden die Sozialaufgaben, die die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter übernehmen, durch die derzeitige Gesetzeslage torpediert. Ein enges Vertrauensverhältnis ergibt sich zum Klienten aber unabhängig von dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin des Sozialarbeiters bzw. der Sozialarbeiterin . Deshalb sollte ein Zeugnisverweigerungsrecht für alle anderen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in dem Bereich nach verbreiteter Meinung (vgl. Prof. Dr. Peter Schruth/Prof. Dr. Titus Simon, Strafprozessualer Reformbedarf des Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit, Rechtsgutachten im Auftrag der Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund – DOSB) auch gelten. Das Gesetz sieht dieses allerdings nicht vor und bedarf auch aus der Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller entsprechender Ergänzungen. Hinzu kommt, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gemäß § 203 Absatz 1 Nummer 6 des Strafgesetzbuchs (StGB) als Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger einer Schweigepflicht unterliegen. Im Gegensatz zu anderen Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern wie z. B. Ärztinnen und Ärzten können sie sich aber in einem Strafprozess gerade nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Dies stellt, auch wenn die prozessuale Aussagepflicht letztlich Vorrang hat, einen Wertungswiderspruch dar. Widersprüchlich sind auch die gesetzlichen Regelungen in § 35 Absatz 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) sowie § 73 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich der sozialrechtlichen Geheimhaltungspflichten einerseits und das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht für das Berufsfeld der sozialen Arbeit andererseits. 1. Inwieweit sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf vor dem Hintergrund, dass die Beratung in Jugend-, Erziehungs- und Ehefragen und bei Gewaltopfern im Gegensatz zu Schwangerschaftskonfliktberatung und Beratung zu Betäubungsmittelabhängigkeiten nicht in § 53 StPO berücksichtigt wird (bitte begründen)? 2. Hält die Bundesregierung die derzeitige Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts auf zwei Beratungsfelder sozialer Arbeit aufgrund ihrer Nähe zu strafrechtlichen Fragen (Betäubungsmittelgesetz und § 218 StGB) gerade im Hinblick auf die Arbeitsfelder wie mobile Jugendarbeit, Reintegration gewaltbereiter junger Menschen oder auch im Bereich der Beratung von Gewaltopfern , die auf vertrauensvolle und belastbare Beziehungen angewiesen sind, für zureichend (bitte jeweils begründen)? Die Fragen 1 und 2 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Bundesregierung hält die Regelung zum Zeugnisverweigerungsrecht im Bereich der sozialen Arbeit für Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach § 53 Absatz 1 Nummer 3a StPO und Beratern nach § 53 Absatz 1 Nummer 3b StPO für sachgerecht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Tätigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Arbeitsfeldern mobiler Jugendarbeit, Reintegration gewaltbereiter junger Menschen und bei der Beratung von Gewaltopfern ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Klienten voraussetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4371 Zu beachten ist jedoch, dass das Interesse an einer leistungsfähigen Strafjustiz in den Gewährleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes fällt. Soweit das Rechtsstaatsprinzip die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, verlangt es die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen (Straf-)Rechtspflege, ohne die Gerechtigkeit nicht verwirklicht werden kann. Hierzu gehört auch die möglichst umfassende Wahrheitsermittlung (BVerfG 44, 353 ff., Beschluss vom 24. Mai 1977 – 2 BvR 988/75; Beschluss vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17; st. Rspr.). Aus diesem Grund ist der Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten in Strafprozessen auf das unbedingt erforderliche Maß zu begrenzen. Eine Einschränkung der möglichst umfassenden Wahrheitsermittlung kommt daher nur bei Vorliegen ganz besonders wichtiger Interessen in Betracht. Diese besonders wichtigen Interessen sind bei der Tätigkeit der Beratungsstellen nach § 53 Absatz 1 Nummer 3a und 3b StPO gegeben. Denn in beiden Konstellationen ist die Gewährleistung eines absoluten und ungestörten Vertrauensverhältnisses zwischen Berater und Beratenem/Beratener für eine erfolgreiche Arbeit unabdingbar, denn der Erfolg hängt in diesen Fällen entscheidend davon ab, dass sich der Adressatenkreis der Beratung wirklich sicher sein kann, dass die Informationen , die unter dem Siegel der Verschwiegenheit gegeben werden, nicht preisgegeben werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs zur Einfügung des § 53 Absatz 1 Nummer 3b StPO, Bundestagsdrucksache 12/870, sowie BVerfGE 44, 353, 376). Ergänzend wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 22 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Die Situation der Straßenkinder in Deutschland “ auf Bundestagsdrucksache 19/4123 Bezug genommen. 3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Widersprüchlichkeit zwischen sozialrechtlichen Geheimhaltungsverpflichtungen (§ 35 Absatz 3 SGB I sowie § 73 SGB X) und einem fehlenden Zeugnisverweigerungsrecht für das Berufsfeld der sozialen Arbeit (bitte begründen)? Nach Auffassung der Bundesregierung besteht keine Widersprüchlichkeit zwischen dem gesetzlichen Schutz von Sozialdaten und dem Umstand, dass im Berufsfeld der sozialen Arbeit kein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Die Übermittlung von Sozialdaten für die Durchführung eines Strafverfahrens ist nach Maßgabe des § 73 SGB X zulässig. 4. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung – vor dem Hintergrund des für eine erfolgreiche Tätigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern u. a. erforderlichen besonderen Vertrauensverhältnisses im Bereich der Gewaltprävention in unterschiedlichen Phänomenbereichen – mit Blick auf den aus der derzeitigen Fassung des § 53 StPO resultierenden fehlenden Schutz vor eingriffsintensiven Maßnahmen (Telekommunikationsüberwachung , Quellen-Telekommunikationsüberwachung etc.) für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter (bitte begründen)? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4371 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Ist aus Sicht der Bundesregierung nach der Reformierung der Sozialgesetzgebung – und damit einhergehend des Sozialdatenschutzes – sowie der in den vergangenen Jahrzehnten weiter professionalisierten Fachlichkeit sozialer Arbeit eine Ausweitung des § 53 StPO auf jenes Berufsfeld erstrebenswert ? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. 6. Wie hoch ist der Anteil der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die kein Zeugnisverweigerungsrecht haben, zu der Gesamtzahl aller deutschlandweit arbeitenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter? Der Bundesregierung sind hierzu keine Zahlen bekannt. 7. In wie vielen Fällen wurde gegen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den vergangenen drei Jahren in Zusammenhang mit ihren prozessualen Aussagepflichten von Gerichten Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängt? Der Bundesregierung sind hierzu keine entsprechenden Zahlen aus den insoweit zuständigen Ländern bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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