Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 20. September 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4488 19. Wahlperiode 24.09.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Roman Müller-Böhm, Stefan Thomae, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/4036 – Völkerrechtliche Immunität durch UN-Richtermandat V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Türkei hat am 21. September 2016 den türkischen Diplomaten Aydin Sefa Akay, der von 2003 bis 2012 Richter am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda tätig war und dem „Mechanismus für die UN-Tribunale zu Ruanda und Ex-Jugoslawien“ (MICT) zum Zeitpunkt seiner Verhaftung als Berufungsrichter angehörte, in seinem Haus in der Türkei festgenommen (www.zeit.de/ news/2016-11/09/tuerkei-un-richter-tuerkischer-kollege-trotz-diplomatischerimmunitaet -festgenommen-09202628), obwohl die Immunität unter anderem in Artikel 29 Nummer 2 der Resolution 1966 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2010 benannt wird und sich nach Artikel 29 Absatz 1 ebendieser auf das Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen bezieht und nach Artikel 11 Richtern der Vereinten Nationen weitreichende Immunität gewährt. Der Grund für die Verhaftung war unter anderem eine App, die auf seinem Mobiltelefon gefunden wurde, mit der auch Putschisten kommuniziert haben sollen . Obwohl von zahlreichen Seiten aufgrund seiner Tätigkeit als UN-Richter auf seine diplomatische Immunität verwiesen wurde, blieb diese unbeachtet, da aus türkischer Sicht die Anklage nicht in Verbindung mit seiner diplomatischen Tätigkeit gestanden haben soll. Somit wurde Aydin Sefa Akay schließlich zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, obwohl dieser vehement bestritt an dem Putschversuch beteiligt gewesen zu sein noch Verbindung zu der Gülen-Bewegung zu haben. Der damalige türkische Justizminister Bekir Bozdağ stellte in einem Interview ferner klar, dass es kein völkerrechtliches Dokument geben würde, welches Aydin Sefa Akay Immunität geben würde. „Man müsste nur einmal hinschauen .“ Die Nichtbeachtung der Immunität irritierte, da die Türkei 2010 als UN-Sicherheitsratsmitglied selbst der Resolution 1966 zugestimmt hat. Eine schnelle Reaktion von Seiten der internationalen Staatengemeinschaft, als auch eine Reaktion der Türkei auf die Aufforderung der Vereinten Nationen, Aydin Sefa Akay freizulassen, blieb zunächst aus. Einem im Anschluss erfolgten grundsätzlich bindendem Gerichtsbeschluss, Aydin Sefa Akay freizulassen (vom 31. Januar 2017), hat die Türkei ebenfalls nicht Folge geleistet (www.lto.de/ recht/nachrichten/n/tuerkei-richter-haft-un-gericht-freilassung-angeordnet). Erst Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4488 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode nachdem Aydin Sefa Akay Rechtsmittel zum Kassationshof eingelegt hatte, ist dieser vorläufig freigelassen worden, darf bis heute das türkische Staatsgebiet nicht verlassen. Aydin Sefa Akay übte sein Richteramt seit Juni 2017 offiziell wieder aus, da er aber nicht nach Den Haag reisen durfte, konnte er dies faktisch jedoch nicht. Im Juni 2018 hätte die Wiederernennung von Aydin Sefa Akay als UN-Richter durch den UN-Generalsekretär turnusgemäß am 29. Juni 2018 stattfinden können. Aufgrund des anhaltenden Drucks der türkischen Regierung fand diese aber nicht statt. Die Unabhängigkeit von Richtern als Schutzmechanismus ist in einer Demokratie ein zentrales Element und von wesentlicher Bedeutung. Diese garantiert Richtern nicht nur eine sachliche sondern auch eine persönliche Unabhängigkeit , damit sie frei von Zwängen und Einflüssen ihr Amt ausüben können. Man spricht in diesem Fall auch von einer sogenannten doppelten Unabhängigkeit, die über die Bedeutung für das nationale Recht hinaus, auch eine hervorgehobene Stellung für das Völkerrecht besitzt. Insbesondere Richter an internationalen Gerichtshöfen müssen davor geschützt werden, von den beteiligten Staaten oder ihrem Heimatstaat unter Druck gesetzt zu werden (z. B. durch politisch motivierte Strafverfolgung). Wesentliches Mittel, um die persönliche Unabhängigkeit des Richters in solchen Fällen zu gewährleisten, ist die Immunität, durch die er weder festgenommen noch vor einem Gericht verklagt oder angeklagt werden kann. 1. Besaß Aydin Sefa Akay aus Sicht der Bundesregierung zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, seines Gerichtsverfahrens oder seiner Verurteilung aufgrund seiner Tätigkeit als UN-Richter völkerrechtliche Immunität? Richter Aydin Sefa Akay war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, seines Gerichtsverfahrens sowie seiner Verurteilung in der Türkei Richter am „Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe“ („Mechanism for International Criminal Tribunals“ – MICT). Dieser wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) durch Resolution 1966 (2010) eingerichtet. Gemäß Artikel 29 Absatz 1 MICT-Statut, der auf das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13. Februar 1946 verweist , sind Richter des MICT hinsichtlich Vorrechten und Immunitäten diplomatischen Vertretern gleichgestellt. Soweit Diplomaten die Staatsangehörigkeit ihres Empfangsstaates besitzen, ist ihre Immunität diesem gegenüber auf Amtshandlungen beschränkt. Hintergrund dieser in Artikel 38 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 enthaltenen Beschränkung ist die Personalhoheit, die ein Empfangsstaat über seine eigenen Staatsangehörigen ausübt. 2. Wenn ja, wie hat die Bundesregierung sich für die Durchsetzung seiner Immunität eingesetzt? Welche Maßnahmen hat sie getroffen? 3. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des damaligen türkischen Justizministers Bekir Bozdağ, dass Aydin Sefa Akay keine diplomatische Immunität besitzen würde (https://washingtonhatti.com/2017/02/01/turkishjustice -minister-after-cnn-gets-a-scolding-from-trump-it-targets-turkey)? Zu den Fragen 2 und 3 wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4488 4. Ist beim damaligen Treffen des UN-Sicherheitsrates im Juni 2017, an dem auch Deutschland teilgenommen hat, das Thema Aydin Sefa Akay besprochen worden? Hat sich die Bundesregierung zu diesem Thema geäußert oder Maßnahmen ergriffen? Welche Reaktion erfolgte darauf? Die Inhaftierung von Richter Aydin Sefa Akay wurde bei einer Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am 7. Juni 2017 behandelt. Deutschland stand bei dieser Sitzung kein Rederecht zu. Das Protokoll der Sitzung ist unter http://undocs.org/S/PV.7960 verfügbar. 5. Wie beurteilt die Bundesregierung die damalige Festnahme von Aydin Sefa Akay? 6. Welche Schutzmaßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um Aydin Sefa Akay aus der türkischen Haft zu befreien? 7. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, sofern die Türkei ihre Haltung zu Aydin Sefa Akay nicht ändert? 8. Welche politischen Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene sieht die Bundesregierung vor, um die Lage Aydin Sefa Akays zu verändern? Die Fragen 5 bis 8 werden im Zusammenhang beantwortet. Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Nichtwiederernennung von Aydin Sefa Akay als UN-Richter am 29. Juni 2018 aufgrund seiner Verurteilung im Juni 2017 als Mitglied einer terroristischen Vereinigung und anderer Vorwürfe ? Gemäß Artikel 9 Absatz 1 MICT-Statut müssen die Richter am MICT die in ihrem Heimatstaat für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, wie die Vereinten Nationen diese primär nach türkischem Recht zu beurteilenden Voraussetzungen bewerten. 10. Stimmt die Bundesregierung mit der Ansicht des Deutschen Anwaltsvereins überein, dass die Initiative der türkischen Regierung, die Wiederernennung Aydin Sefa Akays zu verhindern, einer rechtlichen Grundlage entbehrt (www.zeit.de/news/2018-07/04/uno-anwaltsverein-verurteilt-verhinderte -wiederernennung-von-tuerkischem-un-richter-04204203)? Auf die Antworten zu den Fragen 1 und 9 wird verwiesen. 11. Wie ist die Haltung der Bundesregierung bezüglich eines EU-Beitritts der Türkei unter Berücksichtigung der aktuellen völkerrechtlichen Geschehen? Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und des Völkerrechts ist wesentlicher Bestandteil im Beitrittsprozess. Der Beitrittskandidat muss diese aus einer Mitgliedschaft in der EU erwachsende Verpflichtung, wie sie auch im Vertrag über die Europäische Union Erwähnung findet, übernehmen. Hinsichtlich der Haltung der Bundesregierung bezüglich eines EU-Beitritts wird auf die Schlussfolgerungen des Rates zur Erweiterung sowie zum Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess vom 26. Juni 2018, insbesondere Ziffer 30 bis 35, verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4488 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 12. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung völkerrechtlichen Verträgen mit der Türkei zu, wenn die Türkei diese durch innerstaatliche Maßnahmen verletzt? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 13. Sieht die Bundesregierung ein akutes Schutzbedürfnis für Angehörige der internationalen Justiz oder der international agierenden Vereinigungen in der Türkei? Ein akutes Schutzbedürfnis kann nur im Einzelfall festgestellt werden. Derzeit sind der Bundesregierung keine weiteren Einzelfälle bekannt. 14. Sieht die Bundesregierung ein akutes Schutzbedürfnis für Angehörige der internationalen Justiz oder der international agierenden Vereinigungen in weiteren Staaten? Wenn ja, in welchen? Der Bundesregierung sind derzeit keine derartigen Fälle bekannt. Die Bundesregierung beobachtet Entwicklungen, die sich gegen die internationale Justiz oder international agierende Vereinigungen richten, intensiv und kritisch, in der Türkei und anderswo. 15. Wird die Bundesregierung durch das Auswärtige Amt die Reise- und Lageeinschätzung bezüglich der Türkei verändern? Die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts werden kontinuierlich geprüft und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. 16. Welche Möglichkeiten stehen der Bundesregierung zur Verfügung, um einen UN-Richter vor einer Festnahme und Haft in einem anderen Staat zu schützen , und welche Schutzmechanismen kann die Bundesregierung in einem solchen Fall ergreifen? 17. Befürwortet die Bundesregierung scharfe Sanktionen gegen einen Staat, der die Immunität von UN-Richtern nicht beachtet? 18. Wird die Bundesregierung konkrete Maßnahmen ergreifen, um in einem solchen Fall die völkerrechtliche Immunität durchzusetzen? Wenn ja, welche? 19. Wie plant die Bundesregierung, die Einhaltung völkerrechtlich begründeter Immunitäten langfristig sicherzustellen? Die Fragen 16 bis 19 werden zusammen beantwortet. Soweit sich die Fragen auf die Türkei beziehen, wird auf die Antworten zu den Fragen 5 bis 8 verwiesen. Im Übrigen beantwortet die Bundesregierung hypothetische Fragen grundsätzlich nicht Sollte eines der in den Fragen 16 bis 18 dargestellten Szenarien eintreten, käme es auf es auf eine sorgfältige Prüfung der spezifischen Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333