Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 25. September 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4540 19. Wahlperiode 26.09.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martin Reichardt, Stephan Protschka, Frank Pasemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/4273 – Bewahrung dörflicher Brauchtumspflege in Gestalt des ländlichen Traditionsschlachtens in der Magdeburger Börde – Erfordernis bundesgesetzlicher Anpassungen des Lebensmittelhygienerechts V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das Traditionsschlachten in Verbindung mit der Abgabe der hergestellten Erzeugnisse gegen eine Spende geht in den Dörfern der Magdeburger Börde bis ins 19. Jahrhundert zurück. Getragen von den örtlichen Vereinen, namentlich den Schützenvereinen, auch den Kirchgemeinden, prägt das Schlachten ganz wesentlich ländliches Brauchtum und fördert den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaften . Ohne dass Rechtsfragen in kritischer Weise aufgeworfen waren, wurde das Traditionsschlachten seit vielen Jahrzehnten stets ohne Beanstandungen und unter Beteiligung eines Kreistierarztes durchgeführt. In letzter Zeit sind indes Erschwerungen seitens der das Hygienerecht vollziehenden zuständigen Verwaltungsbehörden zu beobachten, die das Traditionsschlachten in die engen Grenzen des Hausschlachtens verweisen wollen und ansonsten auf der Einhaltung der strengen, europarechtlich geprägten Lebensmittelhygienevorschriften (u. a. zugelassener Fleischer) bestehen. Dabei wird die Brauchtumspflege des Traditionsschlachtens in der Magdeburger Börde in kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen durchgeführt, die teils mit Fördermitteln aus Programmen der EU finanziert wurden (dies gilt etwa für das Schlachthaus am Dorfgemeinschaftshaus in Rottmersleben, Einheitsgemeinde Hohe Börde, siehe hierzu www.volksstimme.de/lokal/haldensleben/hygiene-daempfer-fuer-doerflicheschlachttradition ). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4540 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Gibt der Bundesregierung der in der Vorbemerkung geschilderte Fall Anlass, über eine Ausweitung des Begriffs der Hausschlachtung in lebensmittelhygienerechtlicher oder anderer fachgesetzlicher Hinsicht nachzudenken? Wenn ja, könnte hierfür der Gedanke leitend sein, dass im Rahmen einer gewachsenen Dorfgemeinschaft, welche einen lang geübten Brauch pflegt, die größere soziale Kontrolle in der Regel Gewähr dafür trägt, dass die gesetzgeberischen Ziele des Lebensmittelhygienerechts auch ohne gesetzliche Sanktionierung nicht verfehlt werden? Wenn ja, könnte sich die Bundesregierung einem funktionalen Begriff der Hausschlachtung nähern, der die dörfliche Gemeinschaft wegen der dort herrschenden größeren sozialen Kontrolle als einen Haushalt betrachtet? Die Bundesregierung sieht eine solche Notwendigkeit nicht. Die lebensmittelhygienerechtlichen Vorschriften dienen dem vorbeugenden Schutz der Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Nach Auffassung der Bundesregierung hat sich ihre flächendeckende Anwendung unter Herausnahme lediglich des eng begrenzten privaten häuslichen Verbrauchs bewährt. 2. Besteht mit Blick auf die Politik der Bundesregierung, die auf die Förderung des ländlichen Raumes abzielt, das Erfordernis, den Schutz des dörflichen Brauchtums unter Anwendung sensibler bundesgesetzlicher Differenzierungen nicht zu vereiteln und auf die Gewachsenheit der Bräuche Rücksicht zu nehmen? Bedarf es nach Ansicht der Bundesregierung einer Bewertung bundesrechtlicher Eingriffs-, Verbots- und Gefahrenabwehrnormen unter dem Aspekt der Besonderheiten des ländlichen Raumes, um eine gefahrenabwehrrechtliche Engführung auf typisch urbane Gefahrenlagen zu vermeiden? Die Bewahrung der dörflichen Brauchtumspflege liegt der Bundesregierung sehr am Herzen. Brauchtum und Tradition sind Teil der kulturellen Identität im Ländlichen Raum und prägen in besonderer Weise das Gefühl von Heimat. Sie bedürfen deshalb der besonderen Pflege und Würdigung. Der den lebensmittelrechtlichen Regelungen zu Grunde liegende Gedanke des vorbeugenden Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt jedoch uneingeschränkt und unabhängig vom jeweiligen Lebensraum. 3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der empirischen Relevanz von tatsächlich eingetretenen Gesundheitsgefährdungen durch das Traditionsschlachten im ländlichen Raum? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu eingetretenen Gesundheitsgefährdungen durch das Traditionsschlachten vor. Die Bundesregierung weist darüber hinaus darauf hin, dass derartige Erkenntnisse schon deshalb nicht vorliegen können, weil die unter 1. genannten Regelungen seit Jahrzehnten gelten. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4540 4. Betrachtet die Bundesregierung den gesellschaftlichen Kosmos deutscher Dörfer, der sich um Honoratioren wie den Bauern, den Lehrer und den Pfarrer entfaltet, als spezifisch schützenswerte Ausprägung deutscher Lebensart, zumal des deutschen Protestantismus? Wenn ja, sieht die Bundesregierung die Brauchtumspflege, die sich innerhalb dieses Kosmos abspielt, dem Grunde nach vom Schutzbereich des Artikels 4 Absatz 2 des Grundgesetzes erfasst, soweit Brauchtumsträger (auch) Kirchengemeinden sind? Die Bundesregierung vertritt die Ansicht, dass Artikel 4 Absatz 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht der Glaubensfreiheit den Schutz der Freiheit des Glaubens , des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und der ungestörten Ausübung der Religion garantiert. Neben der inneren Freiheit, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu bilden und zu haben, schützt die Glaubensfreiheit demnach auch die äußere Freiheit, diese Überzeugungen bzw. Entscheidungen zu bekennen und zu verbreiten (BVerfGE 32, 98 (106); 69, 1 (33 f.)). Wie Artikel 4 Absatz 2 GG klarstellt, wird auch die Ausübung der Religion geschützt, insbesondere kultische Handlungen sowie religiöse Feiern und Gebräuche. Das beschriebene Tierschlachten stellt indes kein zwingendes Gebot für die Religionsausübung dar. 5. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass eine Pönalisierung ländlicher Traditionen im Verwaltungswege, soweit europarechtlich präfigurierte Eingriffs- und Verbotsnormen zur Anwendung gelangen, EUkritische Haltungen nur befördern kann? 6. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu dem Umstand ein, dass in Vollzug rigider, den Erfordernissen ländlicher Brauchtumspflege nicht angemessen Rechnung tragender Normen des öffentlichen Rechts die Nutzung von mit EU-Fördermitteln verwirklichten öffentlichen Einrichtungen teils faktisch vereitelt wird? Die Fragen 5 und 6 werden zusammen beantwortet. Die Bundesregierung teilt die Prämisse der Fragesteller nicht; eine weitergehende Antwort erübrigt sich daher. 7. Ist dem Gesetzgeber aus Sicht der Bundesregierung mit Blick auf die gesellschaftlich heterogener werdende Betrachtung von Fleisch als Nahrungsmittel (Speiseregeln im Judentum und im Islam, Vegetarismus, Veganismus, traditionelle deutsch-bürgerliche Vorstellungen) aufgegeben, die gesetzlichen Koordinaten der Herstellung, Zubereitung und des Feilbietens von Fleisch mit besonderer Sensibilität auszutarieren, welche den Bedingungen der multikulturellen Gesellschaft mit Bezirken wachsender Religiosität einerseits , weiter anwachsender Säkularität andererseits Rechnung trägt? Wenn ja, von welchen Wertungen lässt sich die Bundesregierung hierbei leiten , und was bedeuten diese Wertungen für den in der Vorbemerkung geschilderten Fall? Die hygienerechtlichen Regelungen zur Herstellung, Zubereitung und zum Inverkehrbringen von Lebensmitteln tierischer Herkunft orientieren sich am Gedanken des vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Religiösen Belangen wird dabei in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333