Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 27. September 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4794 19. Wahlperiode 01.10.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Achim Kessler, Susanne Ferschl, Sylvia Gabelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/4311 – Wirksamkeit und Transparenz in der Kieferorthopädie V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Gesetzlich Krankenversicherte haben Anspruch auf kieferorthopädische Behandlung , soweit diese aus medizinischen Gründen notwendig ist. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen müssen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Dies beinhaltet die Vermeidung von Über-, Unter- und Fehlversorgung und die Vermeidung von Risiken. Um eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung sicherstellen zu können, ist eine wissenschaftliche Fundierung der Versorgung erforderlich. Verschiedene Gutachten und Studien weisen jedoch darauf hin, dass häufig diagnostische und therapeutische Maßnahmen erbracht werden, für die es keine Nutzennachweise gibt. Zugleich, so die Kritik, bestehen im Bereich der kieferorthopädischen Versorgung erhebliche Probleme in Bezug auf die Transparenz der Versorgung. Die Behandlungsrate von „etwa 60 – 70 Prozent jedes Altersjahrgangs“ bei den 11- bis 14-Jährigen in Deutschland ist „international einmalig hoch“ und „betrifft zu jedem Zeitpunkt etwa 1,2 – 1,6 Millionen Personen“ (Spassov, A., Bettin, H., Braun, B.: „Die vertragszahnärztliche Kieferorthopädie – unzweckmäßig , intransparent und paternalistisch“; in: Gesundheits- und Sozialpolitik, 6/2016, S. 64 – 70). Auch die „durchschnittliche Behandlungsdauer […] liegt mit 30 – 40 Monaten ebenfalls erheblich über der international üblichen, die bei etwa 24 Monaten“ liegt (ebenda S. 1). Bereits durch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen im Jahr 2001 und in einem Health-Technology-Assessment (HTA)-Bericht im Jahr 2008 wurde darauf hingewiesen, dass es noch zu wenige wissenschaftliche Untersuchungen in Bezug auf die Indikationsstellung und die Wirksamkeit kieferorthopädischer Maßnahmen gebe (vgl. Frank et al. 2008, S. 1, https://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta205_bericht_de.pdf). Der Bundesrechnungshof weist in seinem Jahresbericht 2017 darauf hin, dass die Versorgungslage, die Behandlungsnotwendigkeiten und die Behandlungsziele unzureichend untersucht sind und der Nutzen bzw. die Wirksamkeit kie- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4794 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode ferorthopädischer Behandlung wissenschaftlich nicht belegt ist. Der Bundesrechnungshof hat das Bundesministerium für Gesundheit daher aufgefordert, eine Versorgungsforschung im Bereich Kieferorthopädie anzustoßen (vgl. Bundestagsdrucksache 19/1800, S. 46 – 51). Andererseits zeigt sich, dass auch bereits vorliegende wissenschaftliche Ergebnisse nicht hinreichend in der Versorgungsrealität berücksichtigt werden. Gravierend ist dies aus Sicht der Fragestellenden insbesondere dann, wenn es um nutzlose, aber belastende diagnostische Verfahren oder andere Interventionen geht. Beispiele dafür sind die offenbar zu häufige Diagnostik mit Röntgenaufnahmen und die Frühbehandlung mit losen Zahnspangen. Zu behandlungsplanerischen und diagnostischen Zwecken können in einzelnen Fällen Röntgenaufnahmen erforderlich sein. Jedoch sind sie „für die Planung in den meisten Fällen nicht notwendig“ (Spassov et al. 2016). Zudem ist besonders für Heranwachsende ihr „Gefährdungspotential […] keineswegs gering“ (ebd.: 67), weshalb ein besonders strenger Indikationsmaßstab zugrunde zu legen ist (ebd.). Dennoch „wurden 2014 […] fast 2 Millionen Röntgenaufnahmen im Kopfbereich bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt“ – also praktisch als „Routinemaßnahme“ (ebd.). Auch eine Auswertung von Routinedaten einer Krankenkasse zeigte, dass diagnostische Maßnahmen mit Röntgenstrahlung […] „unabhängig von Alter und kieferorthopädischer Indikationsstellung bei nahezu allen Versicherten durchgeführt“ wurden, was gegen „zum Schutz der Gesundheit junger Menschen aufgestellte sozialrechtliche Regelungen, nationale und internationale Röntgenverordnungen sowie wissenschaftliche Leitlinien “ (Braun & Spassov 2018: 62f) verstößt. Ein anderes Beispiel sind Frühbehandlungen mit losen Zahnspangen. In der oben zitierten Studie zeigte sich, dass 25 Prozent aller Frühbehandlungen in der Altersstufe unter acht Jahren begannen oder erfolgten, wobei in diesem Alter kaum Nutzen der Behandlung zu erwarten ist, die jungen Patientinnen und Patienten dagegen Belastungen und Risiken (zum Beispiel auch hier durch Röntgenaufnahmen ) ausgesetzt sind. Die Kosten für aus medizinischen Gründen notwendigen kieferorthopädischen Behandlungen werden in der Regel von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen. In einer Vielzahl von Fällen werden jedoch zusätzlich zu den als ausreichend und zweckmäßig definierten Leistungen noch Behandlungsverträge über darüberhinausgehende Selbstzahlerleistungen geschlossen. Bei einer Studie einer Krankenkasse gab knapp die Hälfte der Befragten an, dass die Kosten ihrer Selbstzahlerleistung über 1 000 Euro betrugen. Zugleich zeigten sich starke regionale Unterschiede (www.dak.de/dak/download/studie-kieferorthopaedischeversorgung -1703654.pdf, Zugriff: 14. August 2018). Bei vielen dieser Leistungen fehlten wissenschaftlich fundierte Informationen zu ihrem Nutzen (vgl. Bundestagsdrucksache 19/1800, S. 46 – 51). Ein Viertel der Befragten in der oben genannten Studie gaben an, dass ihnen keine zuzahlungsfreie Behandlung angeboten wurde. Laut Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Thomas Gebhart auf die Schriftliche Frage 67 der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche bereitet das Bundesministerium für Gesundheit die Vergabe eines wissenschaftlichen Gutachtens zur Darstellung und evidenzorientierten Einschätzung des aktuellen medizinischen Wissensstands über die langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit, der dafür eingesetzten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der Selbstzahlerleistungen vor. Das Gutachten soll auch eine Abschätzung des voraussichtlichen Zeithorizontes für „ggf. erforderliche weitere Studien umfassen, um Evidenz und den Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen festzustellen“ (Bundestagsdrucksache 19/2334, S. 45). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4794 V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Kieferorthopädische Maßnahmen sind häufig durchgeführte zahnmedizinische Interventionen. Wie bei allen Interventionen in der medizinischen Versorgung stellt sich die Frage, in welcher Weise es wissenschaftliche Belege (Evidenzen) für die Wirksamkeit und den langfristigen Nutzen dieser Maßnahmen gibt. Angesichts der Kombination von hoher Anwendungshäufigkeit mit den damit verbundenen beträchtlichen finanziellen Aufwendungen ist die wissenschaftliche Absicherung von kieferorthopädischen Maßnahmen von besonderer Bedeutung. Die Wirksamkeit von medizinischen Interventionen wird üblicherweise in wissenschaftlichen Studien mit Patientinnen und Patienten geklärt. Dabei ist zwischen standardisierten und nicht-standardisierten Interventionen zu unterscheiden . Kieferorthopädische Maßnahmen als nicht-standardisierte Interventionen erfordern eine individuelle Behandlungsplanung und maßgeschneiderte Therapie. Des Weiteren wird bei kieferorthopädischen Maßnahmen eine große Anzahl von Methoden, Techniken und Geräten eingesetzt, die in ihren therapeutischen Auswirkungen auf die Mundgesundheit unterschiedlich sind. Es fehlt bislang an einer zusammenfassenden Darstellung und evidenzorientierten Einschätzung des wissenschaftlich-medizinischen Sachstands über die langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit , der dafür eingesetzten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der Selbstzahlerleistungen, eventueller weiterer Forschungsbedarfe und des voraussichtlichen Zeithorizonts für weitere Studien, um die Evidenz und den Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen festzustellen. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse des Gutachtens sollen die Grundlage bilden, um die kieferorthopädische Versorgungslage, Behandlungsnotwendigkeiten und -ziele sowie Qualitätsindikatoren und -kontrollen auszuwerten und weiterzuentwickeln. Mit Erstellung dieses Gutachtens wurde das IGES Institut beauftragt. Seinen Abschlussbericht soll das IGES Institut bis zum 31. Oktober 2018 dem BMG vorlegen. Zur Verbesserung der Transparenz der kieferorthopädischen Versorgung und der Stärkung der Patientenrechte sieht der Regierungsentwurf eines Terminserviceund Versorgungsgesetzes (TSVG) die Schaffung einer Mehrkostenregelung bei kieferorthopädischen Leistungen analog der Mehrkostenregelung bei zahnerhaltenen Maßnahmen vor. Dadurch soll klargestellt werden, dass Versicherte, die Mehrleistungen in Anspruch nehmen, ihren Leistungsanspruch behalten und lediglich die entstehenden Mehrkosten tragen müssen. Zudem wird klargestellt, dass Kieferorthopäden ihre Patientinnen und Patienten über die mit Behandlungsalternativen verbundenen Mehrkosten aufzuklären und zu informieren haben. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4794 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Wie viele Fachzahnärztinnen und Fachzahnärzte für Kieferorthopädie praktizieren nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in der Bundesrepublik Deutschland? Wie viele davon bieten vertragszahnärztliche Leistungen an? Wie haben sich die entsprechenden Zahlen in den letzten 20 Jahren entwickelt ? Die Zahl der an der vertragszahnärztlich-kieferorthopädischen Versorgung teilnehmenden Zahnärztinnen und Zahnärzte betrug im Jahr 2016 (Stand: 31. Dezember 2016) 3 088. Die Vergleichszahl für das Jahr 1996 (Stand: 31. Dezember 1996) belief sich auf 2 436. Diese bieten alle vertragszahnärztlichen Leistungen an. Über die Zahl der rein privatzahnärztlich tätigen Fachzahnärztinnen und -zahnärzte für Kieferorthopädie liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. 2. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten 20 Jahren die Gesamtkosten für kieferorthopädische Behandlungen und die durchschnittlichen Kosten pro Behandlung entwickelt (bitte nach von der gesetzlichen Krankenversicherung – GKV – übernommenen Kosten und Selbstzahlerkosten unterscheiden)? Die von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommenen Kosten für kieferorthopädische Behandlungen betrugen gemäß der Statistik KJ1, basierend auf den Rechnungsergebnissen der Krankenkassen, im Jahr 2016 1 102,9 Mio. Euro. Der Vergleichswert für das Jahr 1996 belief sich auf 1 022,3 Mio. Euro. Die Ausgaben der GKV für kieferorthopädische Behandlungen sind insgesamt in den letzten 20 Jahren um 7,9 Prozent bzw. jahresdurchschnittlich um rund 0,4 Prozent gestiegen. Bei dieser Entwicklung muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Ausgabenentwicklung maßgeblich von der Preiskomponente und nicht von der Mengenentwicklung bestimmt wurde. Der Punktwert im Bereich Kieferorthopädie als Preiskomponente für die zahnärztlichen Honorare erhöhte sich im Zeitraum 1996 bis 2016 um rund 24 Prozent. Angesichts der Ausgabensteigerung von rund 7,9 Prozent in diesem Zeitraum bedeutet dies eine rückläufige Mengenkomponente in diesem Zeitraum, die vor allem auf die Einführung des KIG-Systems (Einstufung des kieferorthopädischen Behandlungsbedarfs anhand kieferorthopädischer Indikationsgruppen) im Jahr 2002 und die Umstrukturierung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für Zahnärztliche Leistungen (BEMA) im Jahr 2004 zurückgeht. Über die Höhe der Selbstzahlerkosten liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Diese Kosten werden direkt zwischen der bzw. dem Versicherten und der behandelnden Zahnärztin bzw. dem behandelnden Zahnarzt abgerechnet. Über die durchschnittlichen Kosten einer mehrjährigen kieferorthopädischen Behandlung liegen der Bundesregierung keine detaillierten Daten vor. Hierüber können aufgrund der über die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZV) nur quartalsbezogen stattfindenden Abrechnung und ohne eine statistische Beobachtung einer bzw. eines Versicherten über die gesamte Behandlungsdauer keine Aussagen gemacht werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/4794 3. Wie viele gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten wurden in den letzten 20 Jahren nach Kenntnis der Bundesregierung kieferorthopädisch behandelt (bitte nach Altersgruppen – mindestens voll- und minderjährig – aufschlüsseln und jeweils den Anteil der Behandelten in den Altersgruppen an der jeweiligen Gesamtgruppe angeben)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Daten vor. 4. Wie lange haben die Behandlungen nach Kenntnis der Bundesregierung durchschnittlich gedauert? Die kieferorthopädische Behandlung gliedert sich in eine aktive Phase, in der die erforderlichen Zahnbewegungen durchgeführt werden, und eine Retentionsphase, in der das Behandlungsergebnis gesichert wird. Nach Angaben des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopädie dauert eine durchschnittliche aktive Behandlung ca. 18 bis 20 Monate, an die sich eine je nach durchgeführter Behandlung längere oder kürzere Retentionsphase anschließt. Hieraus ergäben sich Gesamtbehandlungszeiten von 3 bis 5 Jahren. 5. Wie hoch war nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil an Frühbehandlungen bei den kieferorthopädisch behandelten Kindern (bitte nach Altersgruppen und Jahr aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine detaillierten Daten vor. Anhand von Abrechnungsdaten der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZV) aus dem Jahr 2016 kann allenfalls der Anteil der Neuplanungen von kieferorthopädischen Frühbehandlungen an allen kieferorthopädischen Neuplanungen (Bema-Position Nr. 5) abgeschätzt werden. Dieser Anteil liegt bei etwa 7 Prozent. 6. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung vor über den Anteil der Menschen, die in anderen, mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Ländern kieferorthopädisch behandelt werden? 7. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über die Dauer kieferorthopädischer Behandlungen in anderen, mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Ländern vor? 8. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über den Anteil an Frühbehandlung (vgl. Frage 5) in anderen, mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Ländern vor? Die Fragen 6, 7 und 8 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Hierzu liegen der Bundesregierung keine detaillierten Daten vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4794 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. Welche Evidenz besteht nach Einschätzung der Bundesregierung für die Aussage in dem „Leitfaden für KFO-Gutachter“, wonach „für die Beurteilung [.] in der Regel ein OPG“, also ein Röntgenbild des Ober- und Unterkiefers der (meist) Kinder „notwendig“ sei? 10. Wie bewertet die Bundesregierung den häufigen Einsatz der Röntgendiagnostik in der kieferorthopädischen Behandlung? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um diesen Einsatz auf ein notwendiges Maß zu reduzieren? Die Fragen 9 und 10 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für die kieferorthopädische Behandlung beschreibt unter Punkt B Nr. 5 die diagnostischen Mittel zur Feststellung der Indikation für eine vertragszahnärztliche kieferorthopädische Versorgung. Danach legt die Kieferorthopädin bzw. der Kieferorthopäde bzw. die kieferorthopädisch tätige Zahnärztin bzw. der kieferorthopädisch tätige Zahnarzt nach eigenverantwortlicher Befunderhebung, Diagnostik und Planung den Inhalt und Umfang der notwendigen diagnostischen Leistungen nach den individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls fest. Für die Planung und Durchführung der kieferorthopädischen Behandlung sind je nach Indikation neben der Anamnese und klinischen Untersuchung u. a. die röntgenologische Darstellung aller Zähne und Zahnkeime beider Kiefer erforderlich. Dabei soll einem strahlenreduzierten Aufnahmeverfahren , wie z. B. der Panoramaschichtaufnahme/Orthopantomogrammen (OPG), der Vorzug gegeben werden. Hinsichtlich der Röntgendiagnostik, die für eine de lege artis und der Richtlinie des G-BA entsprechenden durchzuführenden kieferorthopädischen Behandlung erforderlich ist, liegt es in der Verantwortung der Vertragszahnärztin bzw. des Vertragszahnarztes, die Aufnahmefrequenz so zu gestalten, dass den gesetzlichen Vorgaben Genüge getan wird, ohne das Patientenwohl im Rahmen von Diagnostik und Behandlung zu gefährden. Abstrakte Aussagen über die medizinische Notwendigkeit (Evidenz) für den Einsatz von Orthopantomogrammen lassen sich nicht treffen, da es sich bei jeder Anfertigung von Röntgenaufnahmen stets um eine patienten- und krankheitsbezogene Einzelfallentscheidung handelt. Aus diesem Grund stellen die Regelungen der G-BA-Richtlinie zutreffend auf die individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls und die jeweilige Indikation ab. Für die Kieferorthopädie bedeutet dies, dass in Abhängigkeit von einer rechtfertigenden Indikation vor und auch während einer Behandlung verschiedene Faktoren überprüft werden müssen. Diese umfassen sowohl die Planung als auch die therapeutischen Effekte und Nebenwirkungen. Beispiele hierfür sind Nichtanlagen , Retentionen, Sekundärkaries, Doppelanlagen, parodontale Schädigungen und Wurzelresorptionen im Behandlungsverlauf. Im Rahmen der kieferorthopädischen Diagnostik, Behandlungsplanung und -überwachung ist die Anfertigung unter anderem von Orthopantomogrammen unverzichtbar . Die Aufnahmen dienen zur Abklärung der Zahnzahl sowie der Lage, Mineralisation, Form und Größe von Zahnkeimen und Wurzeln, zur Feststellung von Veränderungen im Bereich der Zahnwurzeln, im Kieferknochen und Parodontium , zur Kariesdiagnostik sowie zur Bestimmung des dentalen Alters. Für alle Arten von Röntgenbildern gilt es, ihre Anzahl – insbesondere aus Gründen der Strahlenbelastung – auf das diagnostisch erforderliche Mindestmaß zu beschränken . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/4794 Die Bestimmungen des BEMA sehen seit dem 1. Januar 2004 im Übrigen vor, dass neben der Anfertigung eines Orthopantomogramms die gleichzeitige Anfertigung eines Röntgenstatus (= mehr als 8 Aufnahmen) ausgeschlossen ist. Damit wird eine zusätzliche Strahlenexposition für die Patientinnen und Patienten vermieden . 11. Wie ist es nach Einschätzung der Bundesregierung mit den von Dr. Alexander Spassov genannten Studienergebnissen, in denen für lose Spangen beschrieben wird, dass sie mit wenigen Ausnahmen ineffizient bis unwirksam sind, zu vereinbaren, dass in einer von dem Autor durchgeführten und zitierten Studie 64,5 Prozent der befragten Jugendlichen damit statt mit festsitzenden Spangen behandelt wurden? Das BMG hat – wie in der Vorbemerkung ausgeführt wird – das IGES Institut mit der Erstellung eines Gutachtens zur Darstellung und evidenzorientierten Einschätzung des aktuellen medizinischen Wissensstand über die langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit beauftragt. Im Rahmen dieses Gutachtens soll auch die Evidenz von losen Spangen untersucht werden und die Anzahl der Behandlungen mit losen Spangen ermittelt werden. 12. Besteht für die Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden die Pflicht, die Behandlungspläne den Versicherten auszuhändigen? Falls nein, welche Folgen hat dies für die Versicherten im Hinblick auf die Transparenz der Leistung und der Kosten? In der Regel schickt der Kieferorthopäde den kieferorthopädischen Behandlungsplan direkt an die jeweilige Krankenversicherung des Versicherten. Da nach § 630g des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Versicherten als Patientinnen und Patienten auf Verlangen Einsicht in die vollständige, sie bzw. ihn betreffende Patientenakte zu gewähren ist, wozu auch der Behandlungsplan gehört, ist der Versicherten bzw. dem Versicherten auf Wunsch von der behandelnden Kieferorthopädin bzw. dem behandelnden Kieferorthopäden der Behandlungsplan zu zeigen oder eine Kopie auszuhändigen. 13. Wie bewertet die Bundesregierung das Gutachterverfahren in der Kieferorthopädie hinsichtlich seiner Transparenz für die Patientinnen und Patienten sowie deren Beteiligungs- oder Einspruchsmöglichkeiten? Sieht sie hier Verbesserungsbedarf, und wenn ja, welchen? Das vertragsärztliche Gutachterverfahren ist seit Jahrzehnten im Bereich der Versorgung mit Zahnersatz und Kieferorthopädie etabliert. Im Zuge des Patientenrechtegesetzes wurde in § 13 Absatz 3a Satz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) die Möglichkeit der Durchführung des vertragszahnärztlichen Gutachterverfahrens im Rahmen der vorgeschriebenen Bearbeitungsfrist für Anträge auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen aufgeführt. Die ausdrückliche Ermächtigung zur Durchführung des vertragszahnärztlichen Gutachterverfahrens soll im Rahmen des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens zum TSVG geschaffen werden. Im Regierungsentwurf ist demnach eine Ermächtigungsgrundlage zur Beauftragung und Durchführung der im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenen Gutachterverfahren und somit eine von § 275 ff. SGB V abweichende Aufgabenregelung vorgesehen. Demgemäß sollen die Krankenkassen künftig an- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4794 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode stelle einer gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) eine Prüfung im Wege des im Bundesmantelvertrag der Zahnärzte vorgesehenen Gutachterverfahrens durchführen lassen können. Nach Auffassung der Bundesregierung erfüllt das vertragszahnärztliche Gutachterverfahren in Bezug auf Transparenz für Patientinnen und Patienten sowie deren Beteiligungs- und Einspruchsmöglichkeiten vergleichbare Anforderungen wie bei der gutachterlichen Stellungnahme durch den MDK. Insoweit bestehen auch keine direkten Rechtsbehelfe gegen eine Begutachtung des MDK oder des vertragszahnärztlichen Gutachterverfahrens, da diese lediglich als Entscheidungsgrundlage der Krankenkassen dienen. Gegen die Entscheidungen der Krankenkasse , die auf Grundlage eines Gutachtens des MDK oder eines Gutachtens des vertragszahnärztlichen Gutachterwesens getroffen wurde, können die Versicherten Widerspruch einlegen oder Klage erheben. Dies gilt unabhängig vom gewählten Gutachterverfahren. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine Beschwerden hinsichtlich der Transparenz des vertragszahnärztlichen Gutachterverfahrens vor. 14. Inwieweit sind Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden verpflichtet, auf die Möglichkeit der Nichtbehandlung und deren Folgen hinzuweisen? Nach § 630c Absatz 2 und 3 und § 630e BGB ist die Kieferorthopädin bzw. der Kieferorthopäde als Behandelnde bzw. Behandelnder dazu verpflichtet, die Patientin bzw. den Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf über sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände aufzuklären. Es ist insbesondere über den Umfang der Durchführung , zu erwartenden Folgen und Risiken der Maßnahme sowie Notwendigkeit , Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie und ggf. über Behandlungsalternativen aufzuklären. Dabei ist die Kieferorthopädin bzw. der Kieferorthopäde gehalten, den medizinischen Nutzen nicht nur fachlich korrekt zu beschreiben, sondern die Patientin bzw. den Patienten auch auf die Dringlichkeit der Maßnahme hinzuweisen und vor Gefahren zu warnen, die bei ihrem Unterbleiben eintreten können. 15. Welche „Choosing wisely/klug Entscheiden“- Listen für kieferorthopädische Behandlung existieren nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit oder werden gerade erstellt? Welche wissenschaftliche Fachgesellschaft ist bzw. welche wissenschaftlichen Fachgesellschaften sind nach Kenntnis der Bundesregierung geeignet bzw. zuständig für die Erarbeitung entsprechender Leitlinien? Der Bundesregierung sind „Klug-Entscheiden-Listen“ in der Kieferorthopädie nicht bekannt. Entscheidungshilfen in der Kieferorthopädie ergeben sich neben den einschlägigen wissenschaftlichen Werken aus den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften , insbesondere der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie und der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie. Für die vertragszahnärztliche Versorgung stellen weiter die Festlegungen des G-BA Entscheidungshilfen dar. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/4794 16. Welche Hilfen für „Shared-decision Making“ für kieferorthopädische Behandlung existieren nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit oder werden gerade erstellt? Welche Institutionen kommen nach Ansicht der Bundesregierung für die Erarbeitung entsprechender Hilfen in Frage oder sind zuständig? Das „shared-decision-making“, also die gemeinsame Behandlungsentscheidung von Behandelndem und Patient, ist Grundlage einer jeden kieferorthopädischen Behandlung. Die Diagnose und die möglichen Behandlungsalternativen müssen, um die Mitarbeit der Patientin bzw. des Patienten zu sichern, erörtert werden. Dies geschieht in der Regel aufgrund des einer jeden kieferorthopädischen Behandlung zugrundeliegenden Behandlungsplans. Eine kieferorthopädische Behandlung ohne das Einverständnis und die Mitarbeit der Patientin bzw. des Patienten ist nicht möglich und rechtlich nicht zulässig. Es existieren eine Vielzahl von Aufklärungs- und Informationsmaterialien und -medien, um diese Aufklärung und Entscheidungsfindung zu begleiten, sowohl von öffentlichen als auch von privaten Trägern, wie KZ(B)Ven, Krankenkassen, Verbänden, Verbraucherorganisationen und Vereinen. Die Angebote reichen dabei von eindeutig wertenden Angeboten (z. B. Projekt Kostenfalle-Zahn) über die Informationsstelle Kieferorthopädie der Initiative Kiefergesundheit e. V. in Kooperation mit dem Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (www. infostelle-kfo) bis zu schlichten Arbeitshilfen für die Dokumentation des Aufklärungsgesprächs (www.bdk-online.org). Im Rahmen des aktuellen Gesetzgebungsverfahren zum TSVG soll den Bundesmantelvertragspartnern gesetzlich aufgegeben werden, für eine einheitliche und vollständige Aufklärung über zu erwartende Mehrkosten Formularvordrucke zu erstellen, die dann von den Kieferorthopäden verbindlich zugrunde zu legen sind. 17. Welche Institution wurde durch das Bundesministerium für Gesundheit mit der Erarbeitung des Gutachtens zur Darstellung und evidenzorientierten Einschätzung des aktuellen medizinischen Wissensstands über die langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit, der dafür eingesetzten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der Selbstzahlerleistungen beauftragt? Wann ist mit den Ergebnissen des Gutachtens zu rechnen? Das BMG hat das IGES Institut mit der Erstellung eines systematischen Überblicks und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes über die langfristigen Auswirkungen der am häufigsten eingesetzten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit sowie eine Darstellung des weiteren Forschungsbedarfs zur Feststellung der Evidenz und des Nutzens kieferorthopädischer Behandlungen beauftragt. Den Abschlussbericht wird IGES dem BMG bis zum 31. Oktober 2018 vorlegen. 18. Welche Unterstützung gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für Menschen mit niedrigem Einkommen oder Sozialleistungen, um den Versichertenanteil für kieferorthopädische Behandlung finanzieren zu können, und was geschieht für den Fall, dass der Erfolg der Behandlung ausbleibt? Sofern es sich bei Personen mit Sozialleistungen um Bezieher von existenzsichernden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII: Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel SGB XII sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4794 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vierten Kapitel SGB XII) handelt, sind diese für den Krankheitsfall durch eine gesetzliche oder private Krankenversicherung abgesichert. Leistungsbezieherinnen und -bezieher nach dem SGB XII, die aufgrund einer Übergangsregelung nicht krankenversichert sind, werden über die Hilfen zur Gesundheit (Fünftes Kapitel SGB XII) entsprechend dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert. Für die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung gelten für Leistungsbezieherinnen und -bezieher nach dem SGB II und dem SGB XII folglich die gleichen Voraussetzungen und der gleiche Leistungsumfang wie für alle Krankenversicherten . Aufgrund der allgemeinen Absicherungspflicht in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung gilt Entsprechendes auch für alle Personen mit geringem Einkommen, die nicht hilfebedürftig sind und folglich keine Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII beziehen. Sind für eine kieferorthopädische Behandlung Eigenanteile zu tragen, müssen die Leistungsbezieherinnen und -bezieher sowie nicht hilfebedürftige Personen mit geringem Einkommen entscheiden, ob sie diese Ausgaben finanzieren können und wollen. Für Leistungsberechtigte nach dem SGB II und dem SGB XII gilt dabei, dass Eigenanteile oder Selbstbehalte aus dem monatlichen Regelbedarf zu finanzieren sind. Dazu wurden bei der Regelbedarfsermittlung alle durchschnittlichen Verbrauchsausgaben, die bei gesetzlich Krankenversicherten für Eigenanteile oder Zuzahlungen anfallen, in voller Höhe für die Regelbedarfe berücksichtigt . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333