Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 11. Oktober 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/4959 19. Wahlperiode 12.10.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/4589 – Handhabung und Bewertung des Maßregelvollzugs seit der Novellierung 2016 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Der Deutsche Bundestag hat am 28. April 2016 das von der Bundesregierung vorgelegte „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 des Strafgesetzbuches (StGB) und zur Änderung anderer Vorschriften“ (Bundestagsdrucksache 18/7244) beschlossen. Mit dieser Novellierung, welche am 1. August 2016 in Kraft trat, sollte unter anderem für die Unterbringung nach § 63 StGB der Schaden bei Vermögensdelikten angehoben werden. So wird der „schwere wirtschaftliche Schaden“, wie bei § 66 StGB, bei 5 000 Euro angenommen. Dabei handelt es sich lediglich um eine grobe Richtschnur. Im Rahmen des § 63 StGB muss zudem eine Gefährlichkeitsprognose vorgenommen werden. Parameter hierfür sind beispielsweise die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, das Maß der Gefährdung und Häufigkeit der begangenen Straftaten und die Rückfallfrequenz. Die Novellierung wurde notwendig, weil in den Jahren zuvor die Zahl von Personen , die gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurden, kontinuierlich stieg. So lag die Zahl im Jahr 1990 bei 2 489 Menschen, im Jahr 2000 bei 4 089, im Jahr 2010 bei 6 569. Zudem erhöhte sich die Verweildauer von 6,2 Jahren im Jahr 2008 auf 8 Jahre im Jahr 2012 (www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/Strafverfolgung Vollzug/Strafverfolgung2100300147004.pdf?__blob=publicationFile). Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gab es laut Aussagen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz nicht (www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/04292016_ Novellierung_des_Rechts_der_Unterbringung.html). Deshalb erachtete das Bundesjustizministerium gemeinsam mit einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine Novellierung für notwendig. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4959 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Wie bewertet die Bundesregierung die praktische Auswirkung der oben genannten Novellierung? Für eine fundierte Bewertung ist es nach Ansicht der Bundesregierung zu früh. Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (Bundestagsdrucksache 18/7244, Seite 17) zur Frage der Evaluation Folgendes ausgeführt: „Aufgrund der um zwei Jahre verzögerten vollen Anwendbarkeit der vorgesehenen Neuregelungen (vgl. die in Artikel 3 vorgesehene Übergangsvorschrift) soll diese Auswertung [gemeint ist eine Auswertung der Daten zur Zahl der Anordnungen nach § 63 StGB, zur Zahl der nach § 63 StGB untergebrachten Personen sowie Angaben der Bundesländer zur durchschnittlichen Dauer der Unterbringung] frühestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Neuregelungen vorgenommen werden.“ An diesem Zeitplan wird festgehalten. Dies gilt umso mehr, als gegenwärtig überhaupt noch keine der vorstehend genannten Daten vorliegen, die sich auf einen Zeitraum nach Inkrafttreten des Gesetzes (1. August 2016) beziehen (siehe im Einzelnen die Antworten zu den Fragen 3 ff.). Die bisherigen Entscheidungen der obergerichtlichen Rechtsprechung lassen immerhin erkennen, dass die Neuregelungen von den Gerichten im Wesentlichen so angewandt werden, wie dies vom Gesetzgeber intendiert war. Dies gilt etwa für den Begriff des schweren wirtschaftlichen Schadens in § 63 Satz 1 StGB (vgl. BGH 1 StR 523/17 vom 23. Januar 2018), für die „besonderen Umstände“ nach § 63 Satz 2 StGB (vgl. die Nachweise zur BGH-Rechtsprechung bei Cirener, StraFo 2018, Seite 373, 377 oben) und für den anzulegenden Prüfungsmaßstab bei einer Unterbringung über sechs Jahre (vgl. OLG Rostock 20 Ws 234/16 vom 21. September 2016; KG 5 Ws 17/17 vom 20. Februar 2017; OLG Celle : 2 Ws 86/17 vom 3. Mai 2017) bzw. zehn Jahre hinaus (vgl. KG Berlin 5 Ws 195/16 vom 25. November 2016; OLG Hamm 4 Ws 408/16 vom 29. Juni 2017). 2. Sieht die Bundesregierung Änderungsbedarf? Wenn ja, in welchem Zeitraum? Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Änderungsbedarf. 3. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 1. August 2018 aus dem Maßregelvollzug in Deutschland (bitte nach Jahr, Bundesländern und Geschlecht auflisten) entlassen ? Die nachfolgenden Tabellen enthalten unter anderem Daten zu den jährlichen „Abgängen“ aus dem Maßregelvollzug, die das Statistische Bundesamt in der Erhebung „Im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug)“ zusammengefasst hat. Die Daten erstrecken sich nicht auf das gesamte Bundesgebiet, da nur elf Länder entsprechende Daten liefern. Sie erfassen nur den vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften reichenden Zeitraum (hier bis zum 31. Dezember 2015) und enthalten – wie erfragt – Daten zum Maßregelvollzug insgesamt, also einschließlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Aktuellere Daten zu den „Abgängen “ liegen der Bundesregierung noch nicht vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/4959 2014 Bestand am 1.1. Zugang 1) Abgang 2) Bestand am 31.12. insgesamt darunter weiblich insgesamt darunter weiblich zusammen darunter weiblich dar. bedingte Entlassungen Insgesamt darunter weiblich insgesamt darunter weiblich Baden- Württemberg 1.002 78 434 38 461 35 129 6 975 81 Bayern 2.583 233 1.422 97 1.456 107 688 49 2.549 223 Berlin 686 78 249 31 244 24 119 9 691 85 Bremen 139 5 85 8 82 5 16 1 142 8 Hamburg 290 30 105 13 90 14 37 4 305 29 Hessen 792 73 324 22 344 31 16 - 772 64 Mecklenburg- Vorpommern 226 10 76 5 81 4 36 3 221 11 Niedersachsen 1.305 84 561 16 559 26 29 - 1.307 74 Nordrhein- Westfalen 3.017 205 1.198 96 1.157 105 122 11 3.058 196 Saarland 169 6 48 1 51 7 - - 166 - Schleswig- Holstein 335 18 110 6 132 13 - - 313 11 Zusammen 10.544 820 4.612 333 4.657 371 1.192 83 10.499 782 1) Nicht nur Erstaufnahmen 2) Nicht nur Entlassungen in die Freiheit. Quelle: Statistisches Bundesamt, Zusammenstellung der Länderlieferungen zum Maßregelvollzug im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: Im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug)“ 2014/2015 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/4959 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2015 Bestand am 1.1. 1) Zugang 2) Abgang 3) Bestand am 31.12. insgesamt darunter weiblich insgesamt darunter weiblich zusammen darunter weiblich dar. bedingte Entlassungen Insgesamt darunter weiblich insgesamt darunter weiblich Baden- Württemberg 1.007 81 485 50 464 43 70 - 1.028 88 Bayern 2.547 222 1.432 121 1.398 109 679 31 2.581 234 Berlin 691 86 266 25 278 28 125 11 679 83 Bremen 142 8 79 5 95 4 20 - 126 9 Hamburg 306 29 62 9 68 7 39 2 300 31 Hessen 772 64 330 30 385 38 80 8 717 56 Mecklenburg- Vorpommern 222 11 68 3 64 2 24 - 226 12 Niedersachsen 1.296 150 432 25 511 36 33 - 1217 139 Nordrhein- Westfalen 3.057 196 1.228 78 1.235 81 116 6 3.050 193 Saarland 166 - 58 7 56 1 - - 168 6 Schleswig- Holstein 313 11 84 3 95 4 - - 302 10 Zusammen 10.519 858 4.524 356 4.649 353 1.186 58 10.394 861 1) Abweichungen in den Zahlen am 1.1. gegenüber dem 31.12 des Vorjahres sind durch nachträgliche Berichtigung der Bestandszahlen bedingt. 2) Nicht nur Erstaufnahmen 3) Nicht nur Entlassungen in die Freiheit. Quelle: Statistisches Bundesamt, Zusammenstellung der Länderlieferungen zum Maßregelvollzug im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: Strafvollzugsstatistik „Im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug)2015/16 Erläuterungen zu den Tabellen: Die Maßregelvollzugsstatistik erstreckt sich auf die Personen, gegen die aufgrund einer Straftat strafrichterlich als Maßregel der Besserung und Sicherung Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (gemäß § 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (gemäß § 64 StGB) angeordnet wurde. In die Erhebung sind auch Unterbringungen nach Bestimmungen wie etwa § 93a JGG, die auf die entsprechenden Vorschriften des StGB verweisen, mit einbezogen. Zum Bestand sollen alle Personen erfasst werden, die sich im Vollzuge einer Maßregel der Besserung und Sicherung befinden, auch wenn sie die Anstalt für eine kurze Zeit – z. B. Urlaub – verlassen haben. In den psychiatrischen Krankenhäusern werden dabei – im Gegensatz zu der Stichtagserhebung nach Berichtsvordruck B – auch die nach § 126a StPO einstweilig Untergebrachten zu zählen. Als Zugang ist zu zählen, wer in die Anstalt zum Vollzuge einer Maßregel der Besserung und Sicherung – z. B. bei Verlegung oder in Widerrufsfällen auch zum weiteren Vollzuge – eintritt. Als Abgang ist zu zählen, wer aus der Anstalt infolge Beendigung der Unterbringung (z. B. Ablauf der Unterbringungsfrist, Aufhebung der Maßregel) bedingt, wegen Verlegung oder durch Tod ausscheidet. Unter bedingter Entlassung ist hier neben Entlassung aus der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nur eine Entlassung zu verstehen, die vor Ablauf der zulässigen Höchstdauer der Unterbringung erfolgt. Bei den Zahlen dieser Zelle handelt es sich um „Darunter“-Zahlen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/4959 4. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei Unterbringungen nach § 63 StGB zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 1. August 2018 dar (bitte nach Jahr, Bundesländern und Geschlecht auflisten)? Ist es seit der Gesetzesänderung zu einer Verkürzung der Verweildauer gekommen ? Wenn ja, in welchem Maße? Wenn nein, warum nicht? 5. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 1. August 2018 zu einer Entlassung, die die Klinik nicht befürwortet hat (bitte nach Jahr auflisten)? 6. Wie viele gerichtliche und andere Entscheidungen (bspw. Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern) zur Unterbringung nach § 63 StGB wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seitens der höheren Instanzen aufgehoben ? Zu den Fragen 4 bis 6 liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. So wird die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in keiner Bundesstatistik erfasst. Der in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (Bundestagsdrucksache 18/7244, Seite 32) festgestellte kontinuierliche Anstieg der durchschnittlichen Unterbringungsdauer von 6,2 Jahren im Jahr 2008 auf knapp acht Jahre bis 2012 beruhte im Wesentlichen auf Angaben der in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vertretenen Mitglieder der AG Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden. Eine entsprechende erneute Umfrage soll zu dem in der Antwort zu Frage 1 erwähnten Evaluationszeitpunkt erfolgen. Statistische Daten zur Frage, inwieweit in Rahmen eines vollstreckungsrechtlichen Überprüfungsverfahrens eine Klinik der vom Gericht angeordneten Entlassung widersprochen hat, werden überhaupt nicht erhoben. Zur Frage der erfolgreichen Rechtsmittelanfechtung liegen der Bundesregierung nur die punktuell veröffentlichten Einzelfallentscheidungen der Obergerichte vor (siehe auch Antwort zu Frage 1). 7. Wie viele Personen haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Juli 2018 im Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB befunden, wie viele befinden sich aktuell in der entsprechenden Unterbringung (jeweils inklusive der Beurlaubten ; bitte nach Bundesländern und Geschlecht auflisten)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Die vorliegenden Daten beziehen sich auch insoweit nur auf einen Zeitraum vor Inkrafttreten des oben genannten Gesetzes zum 1. August 2016 (siehe bereits Antworten zu den Fragen 1 und 4 bis 6). 8. Wie viele von diesen Personen befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit mehr als zehn Jahren in der Unterbringung nach § 63 StGB (bitte von 2014 bis heute und nach Jahr, Bundesländern sowie Geschlecht auflisten )? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor; im Übrigen wird zur Dauer der Unterbringung auf die Antwort zu den Fragen 4 bis 6 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333