Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 18. Januar 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/511 19. Wahlperiode 23.01.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Simone Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/277 – Kinderarbeit von Geflüchteten in der Türkei V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach Recherchen des „stern“ befinden sich im Moment etwa 1,5 Millionen minderjährige Schutzsuchende vor allem aus Syrien in der Türkei (www.stern.de/ politik/ausland/tuerkei--wie-fluechtlingskinder-als-billige-arbeitskraefte-missbrauchtwerden -7287630.html). Nach einer Berechnung von Anfang des Jahres 2017, die von Murat Erdogan, dem Direktor des Forschungszentrums für migrationspolitische Fragen der Hecettepe Universität (HÜGO), durchgeführt wurde, und die von der damals aktuellen Zahl von etwa 900 000 minderjährigen Schutzsuchenden in der Türkei ausgeht, waren zu diesem Zeitpunkt etwa 400 000 geflüchtete Kinder und Jugendliche von Kinderarbeit betroffen. So besuchten nach Angaben des türkischen Flüchtlingsrechtsvereins Halklarin Köprüsü beispielsweise von 90 000 registrierten geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Izmir nur 6 000 die Schule (www.dw.com/tr/ebeveynler-i%C5%9F-bulamay%C4% B1nca-%C3%A7ocuklar-%C3%A7al%C4%B1%C5%9F%C4%B1yor/a-19068094). Kinderarbeit ist in der Türkei für Kinder ab 14 Jahren mit Einschränkungen erlaubt , so dürfen diese keine harten Tätigkeiten ausführen. Für landwirtschaftliche Betriebe mit weniger als 50 Angestellten gilt diese Einschränkung allerdings nicht. Im Jahr 2014 lag die Zahl der arbeitenden Kinder in der Türkei insgesamt bei etwa einer Million, etwa die Hälfte von ihnen arbeitete im Landwirtschaftssektor . Aufgrund der aktuellen Lageentwicklung ist diese Zahl höchstwahrscheinlich massiv angestiegen (www.stern.de/politik/ausland/ tuerkei--wie-fluechtlingskinder-als-billige-arbeitskraefte-missbraucht-werden- 7287630.html). In den Jahren 2013 bis 2014 sind nach Angaben der türkischen Organisation für Arbeitssicherheit ISIG 145 Kinder und Jugendliche am Arbeitsplatz tödlich verunglückt (https://correctiv.org/recherchen/stories/2015/06/18/tote-kinder-bei-derernte /). Deutschland befindet sich auf dem zweiten Platz der Rangliste von Ländern, für die im türkischen Landwirtschaftssektor produziert wird, im ersten Halbjahr betrug das Importvolumen von landwirtschaftlichen Produkten aus der Türkei 110 Mio. US-Dollar. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hatte 2012 angekündigt, die Landwirtschaft besonders zu fördern, das Volumen der Agrarproduktion stieg in der Folge massiv an, von 3 Mrd. US-Dollar Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/511 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode im Jahr 2002 auf 12,3 Mrd. US-Dollar im Jahr 2015. Anscheinend ist zumindest ein Teil dieser erhöhten Nachfrage an Billiglohnkräften in der landwirtschaftlichen Produktion durch Kinderarbeit kompensiert worden (www.stern.de/politik/ ausland/kinderarbeit--wie-syrische-fluechtlingskinder-billigschuhe-in-der-tuerkeiproduzieren -7518216.html). Dreiviertel der weltweiten Haselnussernte stammt aus Kleinasien, diese wird nach Recherchen von correctiv hauptsächlich von Kindern eingebracht. Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen, von denen die wenigsten offiziell registriert zu werden scheinen. So beklagt Iraz Öykü Söyalp vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), dass Kinder kaum in den Statistiken über tödliche Arbeitsunfälle auftauchten, da Unfälle mit Kindern per se nicht mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht würden. Trotz der Häufung der Todesfälle blockierte die in der Türkei herrschende Partei AKP 2014 die Einrichtung einer Kommission zur Untersuchung der Ursachen für die Todesfälle von Kindern in Fabriken und Geschäften. Im derzeit gültigen Bildungssystem in der Türkei sind im Rahmen des Schulbesuchs bestimmte verpflichtende Praktika vorgesehen, welche ebenfalls Kriterien von Kinderarbeit erfüllen. Auch hier kommt es zu tödlichen Unfällen – so starb der 17-jährige Schüler Oguzhan Caliskan bei seiner Arbeit in einer Fabrik, seine Mutter erklärte, er sei als billige Arbeitskraft missbraucht worden (https://correctiv.org/recherchen/stories/2015/ 06/18/tote-kinder-bei-der-ernte/). Die Arbeitsrechtorganisation ISIG spricht davon, dass bis 2012 vor allem einheimische Kinder zur Kinderarbeit gezwungen waren, mittlerweile aber ein Großteil der Kinderarbeit von syrischen Flüchtlingskindern erledigt würde. Kurdische Binnenflüchtlinge stellen traditionell eine wichtige Gruppe der Saisonarbeiterinnen und -arbeiter dar. Mit der Zerstörung kurdischer Stadtviertel und ganzer Städte durch das Bombardement des türkischen Militärs ab Sommer 2014 wurden etwa 500 000 Kurdinnen und Kurden obdachlos. Auch diese Familien sind immer wieder als Saisonarbeitskräfte von Kinderarbeit betroffen (www.dw.com/de/t%C3%BCrkei-droht-der-kurdische-exodus/a-19472788). 1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kinderarbeit in der türkischen Landwirtschaft? Nach Einschätzung des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) treten knapp die Hälfte aller Fälle von Kinderarbeit in der Türkei im Agrarsektor auf. Kinderarbeit in der türkischen Landwirtschaft kommt dabei insbesondere durch den Einsatz von Kindern als Saisonkräfte und Erntehelfer vor. Vor allem in der türkischen Schwarzmeerregion werden ungeachtet der nationalen und internationalen Anstrengungen zur Bekämpfung dieser Praxis weiterhin Kinder als Erntehelfer bei der Haselnussproduktion eingesetzt. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antworten zu den Fragen 12, 13 und 14 verwiesen. 2. Wie viele Flüchtlinge in der Türkei sind nach Kenntnis der Bundesregierung minderjährig? Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) und des türkischen Innenministeriums lebten im Dezember 2017 mehr als 1,6 Millionen registrierte minderjährige Flüchtlinge in der Türkei. a) Wie viele davon sind nach Kenntnis der Bundesregierung schulpflichtig, und wie viele davon besuchen eine Schule? Nach Angaben von UNICEF sind rund eine Mio. Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter. Das türkische Bildungsministerium gibt die Zahl der beschulten Kinder mit 608 095 an (Stand: Dezember 2017). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/511 b) Wie viele Schulplätze für Schutzsuchende stehen nach Kenntnis der Bundesregierung für geflüchtete Kinder und Jugendliche zur Verfügung? Der Bundesregierung liegen hierzu keine abschließenden Angaben vor. Die Türkei hat seit Beginn des Zustroms von Flüchtlingen aus Syrien kontinuierlich die Beschulungskapazitäten für (nicht nur syrische) Flüchtlingskinder ausgebaut. Sie wird in ihren Anstrengungen zur Gewährleistung einer vollständigen Beschulung für Flüchtlingskinder durch die Europäische Union und die Vereinten Nationen unterstützt. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antworten zu den Fragen 2a und 5 verwiesen. Die Bundesregierung leistet darüber hinaus bilaterale Unterstützung . c) Wie viele Schutzsuchende im schulpflichtigen Alter werden nach Kenntnis der Bundesregierung in Flüchtlingslagern in der Türkei versorgt, und welcher Staatsangehörigkeit sind diese? Insgesamt leben nach Angaben der türkischen Zivil- und Katastrophenschutzbehörde AFAD derzeit 223 732 syrische und 6 953 irakische Flüchtlinge aller Altersgruppen in von den türkischen Behörden errichteten Lagern. Es liegen der Bundesregierung keine Angaben darüber vor, wie viele dieser Schutzsuchenden im schulpflichtigen Alter sind. d) Wie viele Schulplätze gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in Flüchtlingslagern in der Türkei? Nach Angaben des türkischen Bildungsministeriums besuchen gegenwärtig rund 80 000 Kinder die 36 in den Flüchtlingslagern eingerichteten, temporären Bildungseinrichtungen . Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antwort zu Frage 2b verwiesen. e) Wie viele der Schutzsuchenden in der Türkei sind nach Kenntnis der Bundesregierung jünger als sechs Jahre, und wie viele von ihnen leben in Flüchtlingslagern? Nach Angaben der türkischen Regierung leben mehr als 500 000 syrische und knapp 30 000 nicht-syrische Flüchtlingskinder unter fünf Jahren in der Türkei. Statistische Angaben zur Altersgruppe bis sechs Jahre und deren Anteil an den Flüchtlingskindern, die in von den türkischen Behörden errichteten Lagern leben, liegen nicht vor. f) Inwiefern müssen nach Kenntnis der Bundesregierung geflüchtete Kinder und Jugendliche an dem nach türkischem Schulgesetz verpflichtenden Islamkundeunterricht teilnehmen auch wenn sie nichtislamischen Glaubensgemeinschaften angehören? Die Mehrheit der syrischen Flüchtlingskinder wird nach wie vor in temporären Bildungseinrichtungen in arabischer Sprache und nach angepasstem syrischen Curriculum beschult. Zugleich wird eine vollständige Integration in das türkische Schulsystem angestrebt. Das Unterrichtsfach „Religionskultur und Morallehre“ ist für alle dem türkischen Schulgesetz unterfallenden Schulen gegenwärtig ab der vierten Klasse bis zum Ende des Gymnasiums (zwölfte Klasse) mit zwei Wochenstunden verpflichtend. Erziehungsberechtigte haben die Möglichkeit, eine Befreiung ihres Kindes vom sunnitisch geprägten Religionsunterricht bei der Provinzbehörde des Bildungsministeriums zu beantragen. Nach Einschätzung von Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/511 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vertretern türkischer Bildungsgewerkschaften wird derartigen Anträgen allerdings oftmals nicht stattgegeben. g) Inwiefern wird für kurdischsprachige Schutzsuchende nach Kenntnis der Bundesregierung kurdischsprachiger Unterricht durchgeführt oder zumindest entsprechende Sprachkurse angeboten, und hat sich die Bundesregierung für solche Kurse eingesetzt? h) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung die Möglichkeit für Kinder kurdischer Binnenflüchtlinge zur Ausbildung in Muttersprache und zum Besuch muttersprachlicher Kindergärten? Die Fragen 2g und 2h werden gemeinsam beantwortet. Das Wahlpflichtfach Kurdisch kann seit dem Schuljahr 2012/2013 an staatlichen Mittelschulen (Klasse 5 bis 8) mit zwei Wochenstunden gewählt werden, soweit durch das türkische Bildungsministerium ein entsprechender Bedarf festgestellt wurde und Lehrkräfte vorhanden sind. Nach Angaben des Bildungsministeriums ist die Nachfrage nach Kurdisch-Unterricht dabei – in dieser Reihenfolge – in den Provinzen Van, Hakkari, Bingöl, Siirt, Mardin, Diyarbakir, Agri, Batman und Istanbul am größten. Nach Angaben des türkischen Bildungsministeriums wählten im Schuljahr 2016/2017 insgesamt 19 328 Schülerinnen und Schüler dieses Fach. Auch Flüchtlingskinder haben in diesem Rahmen die Möglichkeit, Kurdisch als Wahlfach zu belegen. In der Erwachsenenbildung können Kurdisch-Kurse an Volksbildungszentren (Halk Egitim Merkezleri) besucht werden. i) Sind der Bundesregierung zunehmende Einschränkungen bezüglich muttersprachlichen, insbesondere kurdischsprachigen Unterrichts bekannt , und welche Konsequenzen zieht sie daraus, insbesondere auch in Hinsicht auf den EU-Beitrittsprozess? Der Bundesregierung sind keine zunehmenden Einschränkungen hinsichtlich des kurdischsprachigen Unterrichts bekannt. 3. Wie viele minderjährige Kinder wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens in die Türkei zurückgeschoben, und wie alt waren diese Kinder (bitte nach unter sechs, sechs bis zwölf, zwölf bis 16 und 16 bis 18 Jahren aufschlüsseln und mit welchen Erziehungsberechtigten welchen Verwandtschaftsgrades sie abgeschoben wurden)? Nach Angaben von UNHCR hatten Kinder einen Anteil von fünf Prozent an der Gesamtzahl von 1 484 Personen, die im Zeitraum von April 2016 bis zum 31. Dezember 2017 gemäß der EU-Türkei-Erklärung rückgeführt wurden (Quelle: UN- HCR https://data2.unhcr.org/en/documents/details/61473). Über öffentlich einsehbare Zahlen hinausgehende, weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. 4. Inwiefern fallen nach Kenntnis der Bundesregierung Minderjährige im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens unter den Schutz vor Zurückschiebung in die Türkei, wenn sie nicht mit ihren Eltern, sondern allein oder mit Verwandten reisen, welche die Verantwortung für sie übernehmen? Unbegleitete Minderjährige sind von Rückführungen im Rahmen der EU-Türkei- Erklärung nicht betroffen, da sie nach dem griechischen Gesetz 4375, Artikel 50 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/511 Nummer 4 (f) in Verbindung mit Artikel 14 Nummer 8 von den Grenzverfahren ausgenommen sind. Dies gilt auch für Minderjährige, die von Verwandten begleitet werden, die nicht ihre Eltern sind. 5. Wie hat sich die humanitäre und menschenrechtliche Situation für geflüchtete Kinder in der Türkei nach Kenntnis der Bundesregierung im letzten Jahr entwickelt, was sind die größten Probleme und Herausforderungen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus? Die türkischen Behörden, Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen haben in den letzten Jahren ihre Maßnahmen zur Verbesserung der Lage von Flüchtlingen in der Türkei einschließlich geflüchteter Kinder spürbar intensiviert. Die Europäische Union leistet durch die Mobilisierung von drei Mrd. Euro zur Unterstützung von Organisationen und Projekten im humanitären und im sozio-ökonomischen Bereich im Rahmen der EU-Türkei Flüchtlingsfazilität einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Flüchtlingen und den sie aufnehmenden Kommunen. Hierzu zählt unter anderem der Aufbau des „Emergency Social Safety Net“ (ESSN), die bis dato größte humanitäre Einzelmaßnahme der Europäischen Union, mit der über eine Mio. Menschen erreicht werden. Die Bundesregierung stellt über die deutsche Beteiligung an der EU-Türkei -Flüchtlingsfazilität i. H. v. insgesamt 428 Mio. Euro hinaus zudem bilaterale Mittel zur Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei bereit. Für das Jahr 2017 hat die Bundesregierung rund 140 Mio. Euro für Projekte mit Fokus auf Bildung, Ausbildung und Beschäftigung zur Verfügung gestellt. Ein besonderer Schwerpunkt der Maßnahmen liegt dabei auf der Gewährleistung schulischer Bildungsangebote für Flüchtlingskinder. So stellt die Bundesregierung beispielsweise Mittel für die Anstellung von 12 000 syrischen Lehrerinnen und Lehrern bereit, die den Schulunterricht von 260 000 syrischen Kindern in der Türkei sichern. Darüber hinaus hat die Bundesregierung 2017 rund 35 Mio. Euro für Maßnahmen der humanitären Hilfe in der Türkei zur Verfügung gestellt. Der Schwerpunkt lag dabei auf Maßnahmen zum Schutz und zur Versorgung besonders vulnerabler Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Diakonie Katastrophenhilfe und das Deutsche Rote Kreuz betreiben im Auftrag der Bundesregierung eine Reihe von Gemeindezentren (Multi-Service-Center), in denen unter anderem Betreuung und psychosoziale Beratung für Flüchtlingskinder angeboten wird. Zugleich bestehen nach wie vor Herausforderungen bei der Gewährleistung eines besseren Schutzes der Flüchtlingskinder. So bleibt insbesondere ihre Beschulungsrate mit rund 60 Prozent noch hinter dem gemeinsamen Ziel einer vollständigen Beschulung zurück. Die Bundesregierung unterstützt die Türkei daher auch weiterhin bei ihren diesbezüglichen Anstrengungen und tritt auch im EU-Kreis dafür ein, dass im Rahmen der EU-Türkei-Flüchtlingsfazilität ein besonderer Schwerpunkt auf Kinderschutz- und Bildungsprojekte gelegt wird. Aktuell fördert die Bundesregierung zur Erweiterung der Beschulungskapazitäten den Ausbau von 37 Schulen sowie die Ausstattung und Teilrenovierung von 122 Schulen. Im Rahmen der EU-Türkei-Flüchtlingsfazilität wurden bis Jahresende 2017 Verträge zum Bau von 99 zusätzlichen Schulen abgeschlossen, Verträge für 50 weitere Schulen befinden sich derzeit in Vorbereitung. Die Europäische Union fördert zudem die Erarbeitung spezieller Lehrpläne für syrische Flüchtlinge und verfolgt zusammen mit der türkischen Regierung ein Programm zur Verbesserung der Einschulungsrate. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/511 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über obdachlose schutzsuchende Kinder und Jugendliche in der Türkei, und inwiefern hat sich die Bundesregierung bisher für diese Gruppe Schutzsuchender eingesetzt? Nach Kenntnis der Bundesregierung unterstützt neben den türkischen Behörden und Nichtregierungsorganisationen insbesondere UNICEF obdachlose schutzsuchende Kinder und Jugendliche in der Türkei. Die Bundesregierung unterstützt diese Maßnahmen als einer der größten Beitragszahler und wichtigsten Geber von UNICEF. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 7. Hat die Bundesregierung mittlerweile über die Berichte, wonach die auch in Deutschland tätigen Firmen Asos, M&S, Zara und Mango bzw. ihre Zulieferer in der Türkei Flüchtlingskinder zur Produktion von Textilien einsetzten , hinreichende Erkenntnisse eingeholt (falls nein, bitte ausführlich darlegen , warum keine Informationen eingeholt wurden und bei wem die Zuständigkeit für solche Rechtsverstöße liegt, vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 18d der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/11568)? Welche Konsequenzen zieht sie daraus? Die Zuständigkeit für die Ahndung etwaiger Rechtsverstöße im Bereich des Arbeitsrechts in der Türkei liegt bei den türkischen Behörden. Die Bundesregierung steht zur Lage der Flüchtlinge in der Türkei in einem kontinuierlichen Austausch mit Vertretern türkischer Behörden, Nichtregierungsorganisationen und internationaler Organisationen, wie beispielsweise mit UNCHR und UNICEF. Dabei kommt regelmäßig auch die Situation von Flüchtlingskindern zur Sprache. Weitere , über Medienberichte hinausgehende eigene Erkenntnisse zur Fragestellung liegen der Bundesregierung nicht vor. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 8. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass Produzenten von nach Deutschland importiertem Obst und Gemüse aus der Türkei ihre landwirtschaftlichen Produkte auch mit Hilfe von Kinderarbeit herstellen lassen? Falls ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus? Falls nein, warum hat die Bundesregierung dazu keine Untersuchungen angestellt (vgl. Debatte im Deutschen Bundestag, Plenarprotokoll 17/133, S. 15809 ff. zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/5803)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine über Pressemeldungen und andere öffentliche Berichte hinausgehenden eigenen Erkenntnisse vor. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antworten zu den Fragen 1, 7 und 9 verwiesen. 9. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung aktuell gegen Kinderarbeit in der Türkei ein, und inwieweit werden Importeure nach Kenntnis der Bundesregierung für diese Problematik sensibilisiert oder unter Umständen sanktioniert ? Die Bundesregierung tritt durch eine Vielzahl von Maßnahmen auf nationaler Ebene, im EU-Kreis und im Rahmen internationaler Organisationen für die Abschaffung von Kinderarbeit und die Beseitigung ihrer Ursachen ein. Dieses Engagement bezieht sich auch auf die Bekämpfung von Kinderarbeit in der Türkei. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/511 Mit dem „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020“ (NAP) bringt die Bundesregierung ihre Erwartung zum Ausdruck, dass alle Unternehmen den Prozess der unternehmerischen Sorgfalt in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte in einer ihrer Größe, Branche und Position in der Liefer- und Wertschöpfungskette angemessenen Weise einführen. Der NAP legt als Zielvorgabe fest, dass mindestens 50 Prozent aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten bis 2020 die im NAP (Kapitel III) beschriebenen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben. Speziell für den Textilsektor hat sich die Bundesregierung im Bündnis für nachhaltige Textilien gemeinsam mit den in Deutschland tätigen Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen , Standardorganisationen, Gewerkschaften, Verbänden und weiteren Akteuren zusammengeschlossen, um Kinderarbeit in der Textilindustrie durch Förderung von Sozialstandards systematisch zu verhindern. Der Schutz der Menschen- und Arbeitnehmerrechte, darunter die Abschaffung der Kinderarbeit, sind auch Gegenstand der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, des umfassendsten internationalen Regelwerks zur Umsetzung verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns. Die Bundesregierung setzt sich konsequent – zuletzt im Rahmen der deutschen Präsidentschaften der G7 (2015) und G20 (2017) – für eine bessere Verbreitung und Anwendung der Leitsätze und für die nachhaltige Gestaltung internationaler Lieferketten ein. Die Türkei hat sich als Unterzeichner der Leitsätze dazu verpflichtet, deren Umsetzung zu befördern und hat hierzu eine Nationale Kontaktstelle im türkischen Wirtschaftsministerium eingerichtet. Die Bundesregierung tritt zudem als ständiges Mitglied des Verwaltungsrates der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für die Abschaffung von Kinderarbeit ein, die eines der vier Grundprinzipien der ILO darstellt. Die Türkei hat sowohl das ILO-Übereinkommen 138 als auch das ILO-Übereinkommen 182 ratifiziert. Sie ist – wie alle ILO-Mitgliedstaaten – zur regelmäßigen Berichterstattung über die Umsetzung von Arbeitsnormen verpflichtet, wodurch die Mitgliedstaaten ständig auf etwaige Normverletzungen überprüft werden. Darüber hinaus hat sich die Bundesregierung jüngst im Rahmen der IV. Weltkonferenz zur nachhaltigen Abschaffung der Kinderarbeit im November 2017 in Buenos Aires insbesondere dafür eingesetzt, die Abschaffung von Kinderarbeit in globalen Lieferketten als einen Handlungsschwerpunkt zu verankern. Grundsätzlich stehen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Beschulung und zur Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Ursachen von Kinderarbeit im Rahmen der Flüchtlingsversorgung immer auch der türkischen Bevölkerung in den Aufnahmegemeinden oder besonders vulnerablen Mitgliedern offen. Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 10. Wie hat sich die Einschulungsquote in die Grundschule in der Türkei nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen Jahren ab 2004 entwickelt (wenn möglich, nach Provinzen und Jahren aufschlüsseln)? Nach Angaben des türkischen Statistikamtes hat sich die Einschulungsrate in den Grundschulen in der Türkei von 90,21 Prozent im Jahr 2004 auf 94,87 Prozent im Jahr 2016 erhöht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/511 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zur Einschulungsquote von Flüchtlingskindern aus Syrien in der Türkei? Zur Beantwortung wird auf die Antwort zu Frage 2a verwiesen. 12. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der arbeitenden Kinder und Jugendlichen in der Türkei ab 2004 entwickelt (wenn möglich, nach Provinzen und Jahren aufschlüsseln, falls grobe Altersangaben bekannt , bitte ebenfalls darlegen)? 13. Welche sonstigen Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß und die Entwicklung von Kinderarbeit in der Türkei? Die Fragen 12 und 13 werden gemeinsam beantwortet. Nach Angaben der türkischen Statistikbehörde wurden in den frühen 1990er Jahren drei Mio. arbeitende Kinder türkischer Staatsangehörigkeit gezählt. Staatlichen Angaben von 2017 zufolge beläuft sich die Zahl der betroffenen türkischen Kinder nunmehr auf rund 850 000. Nach Einschätzung von UNICEF stellt zudem Kinderarbeit von Flüchtlingskindern , die in den vergangenen Jahren in der Türkei Aufnahme gefunden haben, nach wie vor eine große Herausforderung dar. Offizielle Angaben zur Anzahl der Betroffenen liegen nicht vor. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 18b der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/11568 vom 15. März 2017 verwiesen. Die türkische Regierung setzt ihre Anstrengungen zur Bekämpfung von Kinderarbeit fort. Im Mai 2017 wurde vom türkischen Arbeitsministerium ein überarbeiteter „Nationaler Plan zur Beseitigung von Kinderarbeit (2017-2023)“ veröffentlicht , der unter Beteiligung weiterer Ministerien, der Sozialpartner und betroffener Kommunen erarbeitet wurde. Der Nationale Plan zur Beseitigung von Kinderarbeit zielt ab auf (1) Veränderungen in bestehenden Gesetzen, (2) die Stärkung institutioneller Kapazitäten und die Einrichtung neuer Strukturen, (3) die Schaffung eines größeren gesellschaftlichen Bewusstseins für das Problem, (4) die Einbindung der Sozialpartner und der betroffenen Kommunen, (5) die Ausweitung von Bildungseinrichtungen, (6) die Reduzierung der Armut sowie (7) die Verbesserung der sozialen Sicherung und zugehöriger Netzwerke. In Gesprächen mit Vertretern der Bundesregierung unterstrich das türkische Arbeitsministerium vor allem die Notwendigkeit, Kindern von Wanderarbeitern durch die Einrichtung mobiler Schulen einen verbesserten Zugang zu Bildung zu ermöglichen . 14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Importe von durch Kinderarbeit gewonnene Produkte nach Deutschland, insbesondere agrarische Produkte aus der Türkei, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Der Bundesregierung liegen hierzu keine über Pressemeldungen und andere öffentliche Berichte hinausgehenden eigenen Erkenntnisse vor. Zur weiteren Beantwortung wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 9 verwiesen. Darüber hinaus haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung auch deutsche Unternehmen über den europäischen Dachverband CAOBISCO („Association of Chocolate, Biscuits and Confectionery Industries of Europe“) mit dem türkischen Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherheit sowie der ILO mit dem Ziel zusammengeschlossen , die schlimmsten Formen von Kinderarbeit bei der Haselnussernte in der Türkei zu bekämpfen. Einzelne Importeure, die türkische Agrarprodukte in Deutschland anbieten, kooperieren nach eigenen Angaben auch mit Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/511 der Fair Labour Association, welche Akteure aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammenbringt, um die Arbeitsbedingungen weltweit an internationalen Standards auszurichten. 15. Ist nach Auffassung der Bundesregierung das Gesetz, nachdem Kinder in landwirtschaftlichen Betrieben unter 50 Personen arbeiten dürfen, konform mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, insbesondere auch im Hinblick auf den EU-Beitrittsprozess der Türkei? Die Türkei ist der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen beigetreten und ist damit an die Einhaltung der darin enthaltenen Verpflichtungen gebunden. Die Umsetzung der Kinderrechtskonvention durch die Vertragsstaaten wird durch den auf Grundlage der Konvention eingesetzten Vertragsausschuss der Vereinten Nationen (Kinderrechtsausschuss) beobachtet. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat der Kinderrechtsausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen vom 15. Juni 2012 zum letzten Staatenbericht der Türkei empfohlen, dass die Türkei weitere Anpassungen an ihrer Gesetzgebung zur Verhinderung von Kinderarbeit vornimmt. 16. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Lage von Kindern kurdischer Binnenflüchtlinge ab 2014? Die Situation von Kindern kurdischer Binnenflüchtlinge hat sich nach Einschätzung von UNICEF nach der Beendigung des Friedensprozesses im Jahr 2015 und der Verhängung des Ausnahmezustands in der gesamten Türkei im Juli 2016 verschlechtert . Ungeachtet des schwierigen Sicherheitsumfelds im Südosten ist UNICEF in Kooperation mit lokalen Behörden und türkischen Nichtregierungsorganisationen darum bemüht, möglichst allen schutzbedürftigen Kindern den Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen und Bildungsangeboten zu ermöglichen . 17. Welche Projekte unterstützt die Bundesregierung zur Hilfe von kurdischen Binnenflüchtlingen in der Türkei bzw. den kurdischen Regionen in der Türkei , auch im Kontext des Anstiegs von Obdachlosigkeit aufgrund der Zerstörung von großen Teilen von Städten wie Sirnak, Cizre, Nusaybin etc.? Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen der humanitären Hilfe sowie über die EU-Türkei-Flüchtlingsfazilität landesweit humanitäre Hilfsmaßnahmen mit der Hauptzielgruppe syrische Flüchtlinge. Diese Maßnahmen richten sich auch an besonders vulnerable Mitglieder der aufnehmenden Gemeinden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333