Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 18. Oktober 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/5197 19. Wahlperiode 22.10.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/4788 – Akteneinsicht zum NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach einem Bericht der „Hannoverschen Allgemeinen“ vom 13. September 2018 soll der amtierende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, während seiner Amtszeit am 30. August 2018 damit gedroht haben, wegen eines unliebsamen Urteils auf die Änderung des Bundesarchivgesetzes hinwirken zu wollen. So solle verhindert werden, dass ein Journalist, der vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster auf Herausgabe von über 30 Jahre alten Akten zum inzwischen verstorbenen SS-Hauptsturmführer Alois Brunner geklagt hatte, Akteneinsicht erhält. Das Gericht hatte der Klage am 5. Juli 2018 stattgegeben, der Verfassungsschutz will das Urteil jedoch nicht anerkennen und legte Anfang September vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Revision ein. Maaßen soll demnach gesagt haben „Wenn das Urteil vom OVG Münster in Sachen Brunner vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wird, werden wir dafür sorgen, dass das (Bundesarchiv-) gesetz geändert wird.“ Bereits am 19. Januar 2017 hatte die Große Koalition durch eine Novelle des Bundesarchivgesetzes (Gesetz zur Neuregelung des Bundesarchivrechts, Drucksache 18/9633) den Informationszugang zu historischen Unterlagen von Geheimdiensten erheblich eingeschränkt. Die Geheimdienste können jetzt selbst entscheiden, ob und welche Unterlagen sie dem Bundesarchiv übergeben. Journalistenverbände, Archivare, Historiker, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und die Opposition hatten die Ausnahmeregelung für den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Verfassungsschutz heftig kritisiert. Alois Brunner, die rechte Hand von Adolf Eichmann in der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien, war einer der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher . Das Simon Wiesenthal Center macht Brunner für die Ermordung von ca. 130 000 Jüdinnen und Juden verantwortlich, wofür er sich in Deutschland jedoch nie vor einem Gericht verantworten musste. Immer wieder gab es Hinweise darauf, deutsche und ausländische Geheimdienste würden ihn schützen. In der Regierungszeit von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vernichtete der BND den Großteil seines Aktenbestandes über Alois Brunner, der 2001 in Syrien gestorben sein soll (Bundestagsdrucksache 18/3777). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/5197 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage „Suche nach dem Kriegsverbrecher Alois Brunner“ (Bundestagsdrucksache 18/3777) erklärte die Bundesregierung, dass beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „Informationen zu Alois Brunner im Umfang eines Aktenordners veraktet“ wurden, die Inhalte dieser Akte seien allerdings „nicht Gegenstand des Untersuchungsauftrages der Unabhängigen Historikerkommission des BfV (UHK)“, weshalb eine Sichtung durch die UHK des BfV deshalb nicht stattgefunden habe. 1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass es sich bei Alois Brunner um eine NS-belastete Person handelt, bei der das historische Aufklärungsinteresse die Belange des Quellenschutzes überwiegt und die Offenlegung von nachrichtendienstlichen Verbindungen mit vorhandener NS-Belastung im Interesse des Staatswohls, um Forschung, wissenschaftliche Auseinandersetzung und Geschichtsaufarbeitung zu ermöglichen (Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes – GG), erfolgen müsste (bitte begründen)? Die Bundesregierung versteht die Frage im Zusammenhang mit der Vorbemerkung des Fragestellers bezogen auf die dort angesprochenen Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Fragesteller, dass es sich bei Alois Brunner (geb. 8. April 1912 in Rohrbrunn) um eine NS-belastete Person handelt. Die Nutzung der hierzu im BfV vorhandenen Unterlagen – z. B. im Rahmen der Forschung, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und der Geschichtsaufarbeitung – richtet sich im vorliegenden Zusammenhang nach den Bestimmungen des BArchG. Hinsichtlich der Nutzung von Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt des BfV unterliegen, ist in jedem Einzelfall u. a. zu prüfen, ob zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes entgegenstehen. Ob die Voraussetzungen einer archivrechtlichen Nutzung in Bezug auf die im BfV vorhandenen Unterlagen der Akte „BRUN- NER, Alois, 8. April 2012 in Rohrbrunn“ vorliegen, ist Gegenstand des anhängigen Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), auf das die Fragesteller in der Vorbemerkung Bezug nehmen. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass an der Offenlegung von nachrichtendienstlichen Verbindungen mit vorhandener NS-Belastung ein wissenschaftliches und auch öffentliches Interesse besteht. Der Gesetzgeber hat zum Ausgleich der im jeweiligen Einzelfall zu berücksichtigenden Interessenlagen Normen erlassen, an deren Beachtung die entscheidenden Behörden gebunden sind. 2. Handelt es sich bei den Akten, deren Einsichtnahme nun Gegenstand des Gerichtsverfahrens gegen den BfV ist, um den in der Antwort der Bundesregierung erwähnten Aktenbestand, und wenn ja, welchen Umfang hat dieser insgesamt, und wie viele Seiten davon sind auch weiterhin als geheim eingestuft ? Es handelt sich um die Akte des BfV mit dem Aktenbetreff „BRUNNER, Alois, 8. April 2012 in Rohrbrunn“, die Gegenstand des Gerichtsverfahrens ist. Die Akte umfasst insgesamt 230 Seiten. Der Schlusssatz zu Frage 2 wird dahingehend verstanden, wie viele Seiten der Akte derzeit noch einer Einstufung nach der Verschlusssachenanweisung unterliegen. Es handelt sich hierbei um neun Seiten mit der gültigen Einstufung „Geheim“, 54 Seiten mit der Einstufung „VS – Vertraulich – amtlich geheim gehalten“ und sechs Seiten mit der Einstufung „VS – Nur für den Dienstgebrauch“. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/5197 3. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass die Akten des verstorbenen SS-Hauptsturmführer Alois Brunner, ein wichtiger Bestandteil für die Aufarbeitung der systematisch vom NS-Staat betriebenen „Endlösung der Judenfrage“ sind, und diese Akten jüdischen Einrichtungen wie „Yad Vashem“, der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ etc. sowie Journalisten und Wissenschaftlern unbedingt zur Verfügung stehen müssen, und wenn nein, wie begründet die Bundesregierung dies? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Teilt die Bundesregierung die Äußerungen des BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen vom 30. August 2018, und wenn nein, welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen wird sie daraus ziehen? 5. Wird die Bundesregierung für den Fall einer letztinstanzlichen Bestätigung der Entscheidung des OVG Münster in Sachen Brunner durch das Bundesverwaltungsgericht das Urteil akzeptieren oder versuchen, das Bundesarchivgesetz entsprechend zu ändern, damit eine Akteneinsicht in über 30 Jahre alte Geheimdienstakten verhindert werden kann, und wenn ja, mit welcher Begründung? 6. Sieht die Bundesregierung aufgrund des Handelns des BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen Anlass darüber nachzudenken, das Bundesarchivrecht erneut zu novellieren, um für mehr Transparenz und eine unabhängige historische Aufarbeitung zu sorgen sowie künftig ausschließen zu können, dass die Geheimdienste selbst entscheiden, ob und welche Unterlagen sie dem Bundesarchiv übergeben (bitte begründen)? Die Bundesregierung bezieht Frage 4 auf die Unterstellung der Fragesteller aus der Vorbemerkung und beantwortet die Frage im Zusammenhang mit den Fragen 5 und 6. Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keinen Bedarf für eine Änderung des Bundesarchivgesetz im erfragten Sinn. 7. Warum hat der BND Mitte der 90er-Jahre die Akte des SS-Verbrechers gesäubert und 581 Seiten vernichtet (SPIEGEL ONLINE vom 20. Juli 2011 und Neues Deutschland vom 23. Juli 2011)? Aus im Dezember 2011 offengelegten und seit dem öffentlich nutzbaren Unterlagen des BND (Signaturen 103320_OT, 150041_OT und 151887) geht hervor, dass im BND bis Mitte der 1990er Jahre mikroverfilmte Unterlagen zum Thema Alois BRUNNER im Umfang von 581 Seiten vorgelegen haben. Dabei soll es sich um Unterlagen aus den Jahren 1957 bis 1964 gehandelt haben, die in Abstimmung mit dem damaligen Datenschutzbeauftragten zur Löschung vorgeschlagen wurden. Es liegen im BND keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass andere als datenschutzrechtliche Gründe Anlass für die Löschung gewesen sein könnten. 8. Wurden die früheren BND-Präsidenten August Hanning und Ernst Uhrlau, zu diesem Sachverhalt befragt? Wenn ja, wann geschah dies, durch wen, und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht, und wird dies nachgeholt? Dem BND liegen keine Erkenntnisse zu einer Befragung der ehemaligen BND- Präsidenten Dr. August Hanning und Ernst Uhrlau zum Thema Alois Brunner vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/5197 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. Seit wann hatte die Bundesregierung von den CIA-Akten zu Franz Rademacher und Hans-Joachim Rechenberg Kenntnis (vgl. Bettina Stangneth, WELT Online vom 21. August 2011 www.welt.de/kultur/ history/article13554689/Warum-tilgte-der-BND-die-Akte-des-Eichmann- Helfers.html)? Der BND wurde im Jahr 2000 über die Veröffentlichung von Akten, die NS-Verbrecher im Rahmen des Nazi War Crimes Disclosure Acts von 1998 betreffen, informiert. 10. Hat die Bundesregierung die CIA-Akten zu Franz Rademacher und Hans- Joachim Rechenberg mittlerweile ausgewertet oder hat sie zumindest Kenntnis darüber, ob die UHK diese Akten im Rahmen ihrer Arbeit ausgewertet hat, und welches Ergebnis hatten die Aktenauswertungen jeweils insbesondere was die Tätigkeiten von Rademacher und Rechenberg für den BND und Kontakte zu Brunner betrifft? Im BND wurden CIA-Akten zu Franz Rademacher und Hans-Joachim Rechenberg bislang nicht ausgewertet. Die UHK zur „Erforschung der Geschichte des BND, seiner Vorläuferorganisationen sowie seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis 1968 und des Umgangs mit dieser Vergangenheit“ forscht unabhängig. Bislang haben sich aufgrund der bereits vorliegenden Forschungsergebnisse der UHK keine neuen Erkenntnisse ergeben. 11. Seit wann wussten die Bundesregierung und der BND, dass Brunner zusammen mit dem NS-Verbrecher und ehemaligen Lagerkommandanten von Treblinka, Franz Stangl, in einer Wohnung in Damaskus lebte (www.profil. at/home/ns-verbrechen-das-phantom-128650 und Georg M. Hafner, Esther Schapira: Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist, Frankfurt am Main 2000, S. 229)? 12. Seit wann wussten die Bundesregierung und der BND, dass Brunner alias Georg Fischer zum Berater der syrischen Regierung geworden war (vgl. u. a. Gerhard Freihofner: Kopf(los)geld nach 62 Jahren, Wiener Zeitung, 20. Juli 2007 (https://web.archive.org/web/20090208190915/, www.wienerzeitung.at/ DesktopDefault.aspx?TabID=4564&Alias=wzo&cob=294446¤tpage=0)? 13. Gibt es in den Unterlagen des BND Informationen, wonach Brunner (oder Personen mit Brunners Aliasnamen Alois Schmaldienst, Dr. Georg (Waldemar) Fischer, Alois Fescoer, Klaus Fischer, Franz Kolar oder unter dem Decknamen »Linden«) in Verbindung mit der Firma Orient Trading Company stand, die in Waffengeschäfte verwickelt war? Wenn ja, welche sind dies im Detail (vgl.: Hafner, Schapira: Die Akte Alois Brunner., S. 234 und Oliver Schröm, Andrea Röpke: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis. Ein Inside-Report , Berlin 2002, S. 52 und Matthias Ritzi, Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann, Berlin 2011, S. 122)? 14. Lassen sich in den Akten von BND und Auswärtigem Amt Informationen darüber finden, dass der damalige Botschafter in Beirut, Dr. Walter Hellenthal, Kontakt zu Brunner hatte? Wenn ja, welche sind dies (Die Akte Brunner, FfM 2000, S. 133 und 233)? Die Fragen 11 bis 14 werden gemeinsam beantwortet. Im BND liegen zu diesen Fragen keine Erkenntnisse vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/5197 15. Hat nach Kenntnis der Bundesregierung die UHK die BND-Akten gezielt nach den Alias- bzw. Decknamen von Brunner (Alois Schmaldienst, Dr. Georg (Waldemar) Fischer, Alois Fescoer, Klaus Fischer, Franz Kolar und „Linden“) ausgewertet, und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Die Forschungstätigkeit der UHK erfolgt unabhängig vom BND, sodass der BND zur konkreten Arbeitsweise der UHK im Einzelnen keine Auskunft geben kann. In den bislang vorliegenden Forschungsergebnissen der UHK haben sich hierzu keine neuen Erkenntnisse ergeben. 16. Konnte rekonstruiert werden, um welche 253 BND-Personalakten, die in den Jahren 1996 und 2007 vernichtet worden sind, es sich gehandelt hat und ob darunter auch Akten von Personen waren, die mit Adolf Eichmann und Alois Brunner in Kontakt gestanden hatten (Mitteilung der Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“ – MFGBND – vom 22. Dezember 2011: www.bnd.bund.de/DE/Organisation/Geschichte/Geschichtsaufarbeitung/ MFGBND_Uebersicht/MFGBND_Sonderausgabe/Sonderausgabe_2011_ node.html)? Die damalige Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“ hat die UHK im Januar 2011 über die Kassation von 253 Personalakten informiert, woraufhin die UHK den Umstand der Kassation öffentlich machte. Der BND hat die erfolgte Kassation aufgearbeitet und die Öffentlichkeit über die dafür ursächlichen Gründe sowie den betroffenen Personenkreis durch die eigene Publikation „Kassationen von Personalakten im Bestand des BND-Archivs“ (Sondermitteilung MFGBND) am 22. Dezember 2011 informiert. Ob aus dem Kreis der 253 Personen zu irgendeinem Zeitpunkt Kontakt zu Adolf Eichmann und Alois Brunner bestanden hat, war nicht Gegenstand bisheriger Untersuchungen durch den BND. Bislang liegen hierzu in den bereits vorliegenden Forschungsergebnissen der UHK keine neuen Erkenntnisse vor. 17. Wird sich die Bundesregierung bemühen aufzuklären, wer einen Massenmörder beschützt, bezahlt und seine Akten vernichtet hat? Der BND hat 2011 die UHK berufen. Ein Fokus der wissenschaftlichen Forschungen der UHK liegt hierbei auf der Erforschung von NS-Kontinuitäten im Personalbestand der Organisation Gehlen und des BND. Deren noch nicht abschließend vorliegende Forschungsergebnisse bleiben abzuwarten. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333