Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom 12. Dezember 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/6539 19. Wahlperiode 13.12.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, Petr Bystron, Martin Erwin Renner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/3264 – Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Bundesregierung hat angekündigt, die Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen mit einem eigenen Schwerpunkt fördern zu wollen. Im Weiteren soll die Zusammenarbeit mit Afrika verstärkt und ein stärkerer Kulturaustausch befördert werden, und zwar insbesondere durch die Aufarbeitung des Kolonialismus, im Besonderen der deutschen Kolonialzeit, sowie den Aufbau von Museen und Kultureinrichtungen in Afrika. Allgemein wird hervorgehoben, dass das Humboldt Forum im Berliner Schloss die öffentliche Diskussion um einen ethischen Umgang mit völkerkundlichen Sammlungen stark vorantreibe. Vor dem Hintergrund des Befundes, dass die Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe mit einem hohen zeitlichen Aufwand und einer großen Anzahl von Objekten (so umfasst zum Beispiel die Sammlung aus Tansania allein rund 10 000 Objekte; https://www.preussischer-kulturbesitz.de/ newsroom/dossiers-und-nachrichten/dossiers/dossier-humboldt-forum/tansaniader -vergessene-krieg.html) zu bewältigen ist, sehen Fachleute keine hinreichenden finanziellen und personellen Ressourcen, um eine derartige Aufgabe zu bewältigen ; momentan laufe das, so Medienberichte, hauptsächlich bei Kuratoren /Kuratorinnen neben ihrer alltäglichen Arbeit her (www.art-in-berlin.de/ incbmeld.php?id=4409). Abgesehen von den begrenzten Ressourcen im Hinblick auf eine effektive Provenienzforschung steht bei möglichen Rückgaben von Artefakten die Frage nach dem Stand des konservatorischen und kuratorischen Know-hows in den Herkunftsländern im Raum. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie sichergestellt werden soll, dass derartige Artefakte nicht in Privathände gelangen und damit der Öffentlichkeit entzogen werden. Schließlich steht nach Auffassung der Fragesteller die Gefahr im Raum, dass unter dem Schlagwort „Dekolonialisierung der ethnologischen Museen“ ein Einfallstor für deren ideologische Überformung geschaffen wird, gehen doch in die postkoloniale Theoriebildung vor allem auch marxistische Ansätze ein. De- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6539 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode ren Perspektive geht weit über die Fragen, die mit Provenienz und ggf. Restitution zusammenhängen, hinaus. Nach wie vor seien – so steht entsprechend dieser Ansätze beispielsweise in einer Studie der „ifa-Edition für Kultur und Außenpolitik “ zu lesen (Regina Wonisch: Reflexion kolonialer Vergangenheit in der musealen Gegenwart?, ifa-Edition für Kultur und Außenpolitik, 2017, S. 14 f.) – „hegemoniale Machtstrukturen und Wissensproduktionen, die Konstruktion des ‚Anderen‘, asymmetrische Blickregime, diskursive Markierungen von ,eigen‘ und ,fremd‘ zu hinterfragen, die bis in die Gegenwart“ fortwirken sollen. In der Konsequenz dieses Ansatzes liege die „Dekolonialisierung ethnologischer Museen“, die auf „eine fundamentale Veränderung derselben“ abziele. Aus diesem Ansatz folgt das, was der Gründungsintendant des Humboldt Forums , Horst Bredekamp, in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ wie folgt auf den Punkt brachte: „Nicht die Wertschätzung der Exponate fremder Kulturen, sondern die hypostasierte Schuld, diese zu besitzen, steht gegenwärtig im Fokus .“ (www.zeit.de/2017/36/humboldt-forum-berlin-stadtschloss-neubaugeschichte ). Aus Sicht der Fragesteller muss Sorge getragen werden, dass unter dem Siegel der Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe nicht Ideengut in die ethnologischen Sammlungen des Humboldt Forums hineingetragen wird, die diese zum Schauplatz ideologischer Einflussnahme mutieren lassen könnten. 1. Wie viele Mitarbeiter des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin beschäftigen sich derzeit mit den Themen Kolonialismus und Provenienzforschung? a) Inwieweit sind diese Mitarbeiter ausschließlich mit diesen Themen beschäftigt ? Kann die Bundesregierung angeben, welche Kostenrahmen diese Tätigkeit verursacht? b) Plant die Bundesregierung, die Zahl der Mitarbeiter, die an diesen Museen beschäftigt sind, zu erhöhen? Falls ja, welche zusätzlichen Mehrkosten wären aufgrund dieser Erhöhung der Mitarbeiterzahl zu erwarten? c) Wie soll der am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geplante Förderschwerpunkt zu den Themen Provenienzforschung und Kolonialismusaufarbeitung ausgestaltet werden? Mit welchem Personalansatz ist bei dieser Ausgestaltung zu rechnen? Wie hoch ist der zu erwartende Kostenrahmen für diese Ausgestaltung zu veranschlagen? d) Wie soll aus Sicht der Bundesregierung der für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz geplante Förderschwerpunkt zu den Themen Provenienzforschung und Kolonialismusaufarbeitung ausgestaltet werden? Mit welchem Personalansatz ist bei dieser Ausgestaltung zu rechnen? Wie hoch ist der zu erwartende Kostenrahmen für diese Ausgestaltung zu veranschlagen? e) Gibt es seitens der Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie hoch der Personalansatz und der Kostenrahmen wäre, würde ein Großteil der Artefakte der ethnologischen Sammlungen in Berlin einer umfassenden Provenienzforschung unterzogen? Laut Angaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind am Ethnologischen Museum insgesamt 16 und am Museum für Asiatische Kunst 10 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (MA) beschäftigt. Bei all diesen Personen ist Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/6539 die Provenienzforschung integraler Teil der Arbeitsaufgaben. Die möglichst genaue Kenntnis der Zusammenhänge, in denen Objekte hergestellt, verwendet und weitergegeben wurden, ist grundlegend in der Museumsarbeit. Gerade im Bereich der Ethnologie besteht deshalb seit jeher ein wichtiger Teil der Forschungsaufgabe darin, die Geschichte oder „Biografie“ der Objekte zu beleuchten. Mit welchem Zeitanteil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich genau dieser Fragestellung widmen, lässt sich daher von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht quantifizieren. Ausschließlich mit Provenienzforschung im Sinne der Erforschung der Übergänge von der Herstellung und vom Gebrauch innerhalb der Herkunftsgesellschaft über mögliche Zwischenstationen bis zum Eingang in eine Museumssammlung sind derzeit die folgenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ethnologischen Museums (EM) beschäftigt: EM / Amazonien wiss. MA 100 % EM / Tansania Projekt wiss. MA 100 % EM / Tansania Projekt Museologe 50 % Bei diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entstehen in 2018 Personalkosten in Höhe von zwei Tarifbeschäftigten E 13 und einer/einem Tarifbeschäftigten E 9. Im Mitte des Jahres in Kraft getretenen Bundeshaushalt 2018 wurden der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Staatlichen Museen zu Berlin für die Klärung von Provenienzen darüber hinaus sechs zusätzliche Stellen mit der Wertigkeit E 13 zur Verfügung gestellt, von denen vier schwerpunktmäßig Provenienzen der ethnologischen Sammlungen erforschen sollen, und die derzeit besetzt werden. Zu Frage 1c Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Die Ausgestaltung des Förderschwerpunktes zur Provenienzforschung in Bezug auf Kulturgüter aus kolonialen Kontexten liegt in der Verantwortung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Bundesregierung stellt hierfür die Ressourcen zur Verfügung. Nach Kenntnis der Bundesregierung ist der Ressourcenbedarf zur Provenienzforschung nicht quantifizierbar. 2. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie viele Artefakte des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin als mögliche Restitutionsgüter einzustufen sind? a) Falls ja, wie viele dieser Restitutionsgüter stammen aus den ehemaligen deutschen Kolonien? b) Falls ja, bei welchen dieser Restitutionsgüter konnte nachgewiesen werden , dass die Aneignung durch Raub oder Plünderung zustande gekommen ist? Hierzu liegen den beiden Museen und daher auch der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6539 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass diese möglichen Restitutionsgüter mittlerweile als „Eigentumserwerb durch Ersitzen“ oder als „außerordentliche Ersitzung“ im Sinne von § 937 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu betrachten sind (Peter René Becker et al.: „Leitfaden Provenienzforschung und Restitution“ – eine Empfehlung, 2015, S. 2)? a) Falls die Bundesregierung diese Einschätzung nicht teilt, welche Gründe sprechen aus ihrer Sicht gegen diese Einschätzung? b) Falls die Bundesregierung diese Einschätzung teilt, wie steht die Bundesregierung in diesem Fall zur Aussage eines der Gründungsintendanten des Humboldt Forums, „geraubte und gestohlene Dinge“ zurückgeben zu wollen (www.zeit.de/2018/18/kolonialismus-humboldt-forum-berlinmonika -gruetters-hermann-parzinger/seite-2)? c) Inwiefern ist hier für die Einschätzung der Bundesregierung die „Washingtoner Erklärung“ von 1998 zur Restitution von NS-Raubkunst leitend, die unverbindliche Grundsätze zwischen den Unterzeichnerstaaten festlegte? Die Beurteilung, welche Rechte die Museen und andere Inhaber von Sammlungen an Sammlungsgegenständen erlangt haben, ist ohne Kenntnis des konkret bezeichneten Kulturgutes und der Art und Weise, wie die einzelnen Museen und Sammlungen in Deutschland in den Besitz dieses Kulturgutes gelangt sind, nicht möglich. Die Klärung der Eigentumsverhältnisse bedarf jeweils einer Prüfung im Einzelfall, einschließlich der Frage, ob Eigentum durch Ersitzung gemäß § 937 Absatz 1 BGB erworben wurde. Eigentumserwerb durch Ersitzung ist unter den Voraussetzungen des § 937 BGB möglich, insbesondere bedarf es der Gutgläubigkeit des Besitzers. Eine „außerordentliche Ersitzung“ ist dem deutschen Sachenrecht nicht bekannt. Nach § 197 Absatz 1 Nummer 2 BGB verjährt der Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe in 30 Jahren. In diesem Fall findet ein Eigentumserwerb wie bei der Ersitzung nach § 937 Absatz 1 BGB gerade nicht statt. Die Verjährung hindert lediglich die Durchsetzbarkeit des Anspruchs, den Bestand des Eigentums lässt sie unberührt. Die Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washingtoner Erklärung), behandeln einen geschichtlich anderen Sachverhalt, der präzedenzlos und nicht ohne weiteres übertragbar ist. 4. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, die geltende Rechtslage, nach der deutsche Museen gehalten sind, Eigentum und Vermögenswerte nur dann wegzugeben, wenn es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt, zu ändern (Deutscher Museumsbund: Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Berlin 2018, S. 99)? a) Falls ja, innerhalb welchen zeitlichen Rahmens plant die Bundesregierung , entsprechende rechtliche Grundlagen zu erarbeiten? b) Falls nein, warum ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es hier keiner rechtlichen Grundlagen bedarf? Die ganz überwiegende Zahl von Kulturgut bewahrenden Einrichtungen steht in Trägerschaft der Länder und Kommunen. Die Voraussetzungen für eine Rückgabe richten sich für die jeweiligen Einrichtungen nach dem entsprechenden Bundes-, Landes- und Organisationsrecht, insbesondere den Haushaltsordnungen des Bundes, der Länder und der Kommunen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/6539 5. Gibt es mittlerweile Planungen im Hinblick auf die von der Bundesregierung ins Auge gefasste Option, das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste auch auf den Bereich Kolonialismus auszuweiten (www.dw.com/de/gr%C3%BCtterswill -kolonialismus-forschung-bundesweit-unterst%C3%BCtzen/a-40367552)? a) Falls nein, warum nicht? b) Falls ja, wie ist hier der Stand der Dinge im Hinblick auf den Finanzrahmen , den Personalansatz und den zeitlichen Rahmen? Der Stiftungsrat des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste hat das Zentrum beauftragt , ab 2019 seine Fördertätigkeit auf Projekte von Museen und Sammlungen in öffentlicher Trägerschaft in Deutschland zur Aufarbeitung der Provenienzen von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in deren Beständen sowie auf Grundlagenforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zu erweitern. Die Ausgestaltung obliegt dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Für die Erweiterung der Fördertätigkeit des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste auf die Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten sind bereits im Bundeshaushalt 2018 zusätzliche Mittel in Höhe von rund 200 000 Euro sowie eine zusätzliche Stelle ausgebracht worden. Im Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2019 sind unter anderem hierfür eine weitere Erhöhung der institutionellen Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste um rund 1,9 Mio. Euro sowie weitere drei Stellen vorgesehen. 6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung im Hinblick auf das konservatorische Know-how der Herkunftsländer mutmaßlicher Restitutionsgüter? a) Sieht die Bundesregierung hier Aufholbedarf? b) Falls nein: Warum nicht? c) Falls ja: Welche Initiativen gibt es von Seiten der Bundesregierung, das konservatorische Know-how der Herkunftsländer an den westlichen Standard heranzuführen? Die Bereiche Restaurierung und Konservierung gehören zu den wichtigsten Arbeitsfeldern des modernen Museumsbetriebs. Eine systematische Erhebung der konservatorischen Kenntnisse anderer Staaten wird durch die Bundesregierung nicht vorgenommen. Die Bundesregierung begrüßt die vielfältigen Kooperationen auf Seiten deutscher Museen mit Partnermuseen weltweit, die auf einen Wissenstransfer in den Bereichen Restaurierung und Konservierung abzielen. Die Bundesregierung steht hierzu sowohl mit den Museen als auch mit den Mittlerorganisationen der Auswärtigen Kulturpolitik im engen Kontakt. Nach Kenntnis der Bundesregierung werden zum Beispiel die Staatlichen Museen zu Berlin um Unterstützung und Schulung gebeten, wenn die Expertise im jeweils eigenen Land des Museums nicht als ausreichend angesehen wird. Das Kulturerhalt-Programm des Auswärtigen Amts sieht im Kontext von Maßnahmen im Ausland regelmäßig die Ausbildung von Nachwuchskräften des betreffenden Landes vor. Im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gibt es zahlreiche Kooperationsprogramme und Projekte, die zur Stärkung der kulturellen Infrastruktur in den jeweiligen Herkunftsstaaten beitragen. Konkrete Maßnahmen hat die Bundesregierung bei der Vertiefung der Archivzusammenarbeit (z. B. Gruppenreise von afrikanischen Archivaren, Vernetzungsprojekt „Quelleninventar zur deutschen Kolonialzeit“ der FH Potsdam) und bei der Digi- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6539 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode talisierung sowie im Rahmen des Kulturerhalts (z. B. Kandt-Haus in Ruanda) ergriffen . Hinzu kommen zahlreiche Aktivitäten der Mittlerorganisationen, wie insbesondere des Goethe-Instituts, des Instituts für Auslandsbeziehungen und des DAAD (Stipendienprogramme). Dadurch werden afrikaübergreifend die Professionalisierung von Personal an Museen sowie die Verbesserung der technischen Bedingungen bis hin zur Museumspädagogik und Kuratierung gefördert. 7. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie viele der möglichen Restitutionsgüter in den Herkunftsländern dort noch einen kulturell-rituellen Sitz im Leben haben? a) Falls diese Artefakte keinen Sitz im Leben mehr haben, wie stellt die Bundesregierung dann sicher, dass diese Artefakte in den Herkunftsländern museal mit einer entsprechenden konservatorischen oder kuratorischen Kompetenz aufbereitet werden? b) Inwiefern spielt aus Sicht der Bundesregierung bei der Auseinandersetzung um die Frage nach einer möglichen Rückgabe von Restitutionsgütern auch der „Paradigmenwechsel“ weg von der oralen Weitergabe von Geschichte und hin zu einer „stärker objektbasierten Geschichtswahrung“ in der Erinnerungskultur afrikanischer Staaten oder Ethnien eine Rolle (Peter René Becker et al.: „Leitfaden Provenienzforschung und Restitution “ – eine Empfehlung, 2015, S. 14)? Die Bundesregierung weist darauf hin, dass sich die Bedeutung von Kulturgut für kulturelle, rituelle oder religiöse Zwecke für die Mitglieder der Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften des jeweiligen Kulturguts aus Achtung vor diesen einer Bewertung durch die Bundesregierung entzieht. Die Bundesregierung befindet nicht über die Entwicklung der Erinnerungskultur in anderen Staaten. 8. Hat die Bundesregierung Kenntnis über Regelungen, mit denen gewährleistet werden soll, dass zurückgegebene Artefakte nicht in Privathände gelangen und damit der Öffentlichkeit entzogen werden? a) Falls nein, heißt das, dass derartige Regelungen bisher nicht in Erwägung gezogen worden sind? b) Falls ja, um was für Regelungen handelt es sich hier? Die Entscheidung über die Rückgabe und die Ausgestaltung derselben liegen bei der jeweiligen Einrichtung, in der sich das Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten befindet, und ihrem Träger. 9. Stellen diese Regelungen aus Sicht der Bundesregierung sicher, dass zurückgegebene Artefakte nicht in Privathände gelangen? a) Falls ja, aufgrund welcher Annahmen hegt die Bundesregierung diese Auffassung? b) Falls nein, welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen , um sicherzustellen, dass zurückgegebene Artefakte nicht in Privathände gelangen? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/6539 10. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, aus welchen Staaten unter den Herkunftsländern konkrete Rückgabeforderungen vorliegen? a) Falls ja, welche Artefakte sind davon betroffen? b) Gibt es seitens der Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie der Stand der postkolonialen Provenienzforschung bei diesen Artefakten ist? c) Befürwortet die Bundesregierung die Rückgabe dieser Artefakte? Falls ja, aus welchen Gründen? d) Welche Staaten, die Rückgabeforderungen erheben, gehören zu den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten? Der Bundesregierung liegt in Bezug auf Kulturgut aus kolonialen Kontexten eine offizielle Rückgabeforderung aus Namibia vor. Das Gebiet der heutigen Republik Namibia war von 1884 bis 1915 Kolonialgebiet (Deutsch-Südwestafrika) des ehemaligen Deutschen Reiches. Die Rückgabeforderung betrifft die sogenannte Cape-Cross-Säule, die sich im Deutschen Historischen Museum befindet. Die Prüfung der Anfrage dauert an. 11. a) Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie viele der Artefakte, die bisher zu den Restitutionsgütern zählen, im Zuge einer gewaltsamen Aneignung (Plünderung, Raub etc.) vor dem Hintergrund von Kolonialkriegen in die ethnologischen Sammlungen nach Berlin kamen? b) Gab es mit Blick auf diese Artefakte schon in der Vergangenheit Forderungen nach Rückgabe? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 12. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob diesen Forderungen entsprochen wurde oder nicht? a) Falls diesen Forderungen entsprochen wurde, was waren die Gründe? b) Falls diesen Forderungen nicht entsprochen wurde, was waren die Gründe? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 13. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung des französischen Präsidenten , dass in den nächsten fünf Jahren „die Voraussetzungen für zeitweilige oder endgültige Restitutionen des afrikanisches Erbes an Afrika geschaffen werden“ sollten (www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/macron-fordertendgueltige -restitutionen-des-afrikanisches-erbes-an-afrika-15388474.html)? a) Falls die Bundesregierung diese Auffassung teilt, welche Maßnahmen wurden bisher eingeleitet, um diesem Zeitplan entsprechen zu können? b) Falls die Bundesregierung diese Auffassung nicht teilt, welche Gründe sind hierfür maßgebend? Jede ehemalige Kolonialmacht ist dazu aufgerufen, eine eigene Antwort auf den Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten in den Einrichtungen und Sammlungen ihres Landes zu finden. Der Zeitplan des französischen Präsidenten ist auf die rechtliche und politische Situation in Frankreich zugeschnitten. Die Bundesregierung hat der Aufarbeitung von und dem Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten nicht erst seit der Rede des französischen Staatspräsidenten vom 28. November 2017 in Burkina Faso Aufmerksamkeit geschenkt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6539 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Beispielhaft genannt sei hier die Förderung des Deutschen Museumsbundes durch die Bundesregierung für die Erarbeitung eines Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Der im Mai 2018 in der Erstfassung veröffentlichte Leitfaden wurde als Hilfestellung für Museen im Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten entwickelt. Er liegt als online-Publikation in deutscher und englischer sowie zeitnah französischer Sprache vor. Die überarbeitete und ergänzte Zweitfassung soll nach Einbindung internationaler Expertinnen und Experten im Frühjahr 2019 veröffentlicht werden. 14. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob und inwiefern die kuratorischen und konservatorischen Leistungen, die mit Blick auf die Artefakte der ethnologischen Sammlungen in Berlin erbracht wurden und durch die ein fundamentaler Beitrag für die Erinnerungskultur afrikanischer Staaten erbracht wurde, in den Herkunftsländern in irgendeiner Weise gewürdigt worden sind? a) Falls ja, welcher Art waren diese Würdigungen? b) Falls nein, kann daraus geschlossen werden, dass es keine Würdigungen gab? Aus Sicht der Bundesregierung stellt sich die Frage der Würdigung von kuratorischen und konservatorischen Maßnahmen in Berlin durch afrikanische Staaten nicht. Anliegen der Bundesregierung ist es, die Aufarbeitung der Provenienz von Kulturgut aus kolonialen Kontexten voranzutreiben und den Austausch sowie die Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften zu fördern , auch in Hinblick auf den Umgang mit solchem Kulturgut. Die Bundesregierung begrüßt die vielfältigen Kooperationen deutscher Museen mit Partnermuseen weltweit. Diese Zusammenarbeit wird von allen Seiten als gewinnbringend betrachtet. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 15. Hat die Bundesregierung Initiativen ergriffen, um auf diesem Beitrag zur Erinnerungskultur hinzuweisen? a) Falls ja, welcher Natur waren diese Initiativen? b) Falls nein, warum nicht? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 14 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/6539 16. Denkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund von Frage 10 über Optionen nach, bei denen Artefakte, die möglicherweise für eine Restitution infrage kämen, im Sinne eines „Sharing heritage“ in Deutschland bleiben könnten? a) Falls ja, sind in diesem Sinne bereits Kontakte geknüpft oder Maßnahmen ergriffen worden? Falls ja, welche genau? b) Falls nein, warum zieht die Bundesregierung eine derartige Option nicht in Erwägung? Die Bundesregierung befürwortet beim Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten den Dialog, Austausch und die Kooperation mit den Herkunftsstaaten und den Herkunftsgesellschaften. An dieser Stelle seien beispielhaft folgende Projekte genannt, bei denen Dialog, Austausch und Kooperation im Vordergrund stehen: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz plant in Zusammenhang mit dem Projekt „Tansania-Deutschland: Geteilte Objektgeschichten“ eine Ausstellung im Humboldt Forum in Berlin. Auch ist eine Ausstellung mit den gleichen Inhalten in Tansania vorgesehen, die auf der Grundlage eines „Memorandum of Understanding “ vereinbart wurde. Auch das Projekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz „Lebende Dinge in Amazonien und im Museum – Geteiltes Wissen im Humboldt Forum“ basiert auf einer kooperativen Arbeit, die sich gezielt mit der Erschließung der Bestände von Ethnographika und Zeugnissen immaterieller Kultur aus Amazonien befasst. Dies geschieht anhand einer Online-Plattform, die von Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern indigener Bildungsinstitutionen und Organisationen in Venezuela, Brasilien und Kolumbien beforscht wird. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wirkt zudem in der sog. Benin Dialog Gruppe mit, in der europäische und nigerianische Museumsvertreterinnen und -vertreter gemeinsam Konzepte zum Umgang mit den Schätzen des Königreichs Benin (im heutigen Nigeria) entwickeln, die sich in Sammlungen in Nigeria und Europa befinden. Im Zuge der Provenienzforschung zum im Berliner „Museum für Naturkunde“ befindlichen weltweit größten montierten Dinosaurierskelett (Brachiosaurus brancai) sind – unter Vermittlung der Bundesregierung – seit 2014 vertiefte Arbeits - und Kooperationskontakte zum Nationalmuseum Tansania entstanden. Diese deutsch-tansanische wissenschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Paläontologie soll zukünftig auch auf gemeinsame Projekte der Archäologie, beim Aufbau naturkundlicher Sammlungen sowie bei der wissenschaftlich-technischen Ausbildung ausgedehnt werden. In diesem Zusammenhang plant das „Museum für Naturkunde“ Berlin mit Unterstützung der Bundesregierung, weitere Kooperationsanbahnungen in Tansania vorzusehen. Das Bundesarchiv führt – in Kooperation mit dem Goethe-Institut in Yaoundé (Kamerun) – mit dem Nationalarchiv in Kamerun ein seit 2014 laufendes Projekt zur Sicherung deutscher Kolonialakten in Kamerun durch (www.bundesarchiv. de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/Textsammlung-Kamerun/ kamerun.html). Während der Vorbereitung auf die Jahreskonferenz des Internationalen Archivrats (ICA), die 2018 in Kamerun stattfinden wird, hat sich der Kontakt zwischen dem Bundesarchiv und dem kamerunischen Nationalarchiv gefestigt . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6539 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Das Goethe-Institut führt derzeit Museumgespräche in Kigali, Kinshasa, Ouagadougou , Accra, Johannesburg und Windhuk durch. In Workshops und Seminaren für Fachpublikum wie auch öffentlichen Diskussionen werden gemeinsam mit afrikanischen Partnern Fragen zur Museumsarbeit im Allgemeinen und in den jeweiligen Partnerländern im Besonderen erörtert. In einer Konferenz werden 2019 die Ergebnisse zusammengetragen und mit Diskursen aus anderen Teilen der Welt vernetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333