Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 13. Dezember 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/6564 19. Wahlperiode 17.12.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Thomas Seitz, Stephan Brandner, Andreas Bleck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/6039 – Unregelmäßigkeiten bei Wahlen: Urnenwahl, Briefwahl und Wahlsicherungsmechanismen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das aus dem Artikel 38 des Grundgesetzes stammende Gebot der Geheimhaltung von Wahlen wurde in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes von 1967 (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1967 – 2 BvC 2/66 –, BVerfGE 21, 200-207) und 1981 (BVerfG, Beschluss vom 24. November 1981 – 2 BvC 1/81 –, BVerfGE 59, 119-128) abgewogen mit der Forderung des Allgemeinheitsgrundsatzes von Wahlen. Die Hinnehmbarkeit etwaiger Sicherheitsmängel der Briefwahl und der – gegenüber der Urnenwahl – nicht garantierbaren Geheimniswahrung des Wahlvorganges wurde mit dem verhältnismäßig geringen Anteil von Briefwahlstimmen begründet. Mittlerweile liegt der Anteil an Briefwahlstimmen jedoch bei fast 25 Prozent, Tendenz steigend (Giebler, Heiko: Die Briefwähler. In: Zwischen Fragmentierung und Konzentration: Die Bundestagswahl 2013. Nomos Verlag, 2014). Durch die Abschaffung der Begründungspflicht zur Erteilung des Briefwahlscheines (BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2013 – 2 BvC 7/10 –, BVerfGE 134, 25-32) ist de facto eine Gleichwertigkeit von Urnenwahl und Briefwahl entstanden. Dabei entfällt bei der Briefwahl der Öffentlichkeitsgrundsatz für Wahlen und der Ausnahmefall kann ohne rechtliche Einschränkung zum Normalfall werden, so dass 100 Prozent der Wähler die Briefwahl nutzen könnten. Zu denken gibt auch der Expertenbericht der OSZE zur Bundestagswahl von 2009 (Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission , Wahl zum Deutschen Bundestag am 27. September 2009,Warschau, 14. Dezember 2014), der anmahnt, dass bestehende „Sicherungsmechanismen gegen den potenziellen Missbrauch des Briefwahlsystems auf ihre Eignung zu überprüfen“ sind. Die demokratische Willensbildung bei Wahlen – also auch auf dem Wege der Briefwahl – muss daher einer besonderen Sorgfalt der Behörden unterliegen. So fragen wir einerseits nach den erfolgten Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen, andererseits nach den Verfahrensweisen zur Sicherung der Stimmergebnisse und drittens nach der Behandlung der Briefwahl gegenüber der Urnenwahl. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6564 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Für die Untersuchung von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl wird als statistische Grundlage der sogenannte Pearson-Korrelationskoeffizient angenommen, der einen statistischen Zusammenhang von ungültigen Zweitstimmen und dem Zweitstimmenanteil der betreffenden Partei aufzeigt. Bei den Wahlergebnissen der Bundestagswahl 2017 war dieser besonders auffällig hoch in den Wahlkreisen Wiesbaden (179), Kassel (168/167), Hamburg-Altona (19) und Lörrach- Mülheim (282) und besonders bemerkenswert im Wahlkreis Aachen I (87), wo 2013 ein Wert von 0,02 erhoben wurde und bei der Bundestagswahl 2017 der als signifikant geltende Wert von 0,6 weit überschritten wurde (https://statistics. laerd.com/statistical-guides/pearson-correlation-coefficient-statistical-guide.php). Als weiteres Indiz für Unregelmäßigkeiten gilt, wenn in einem Wahlbezirk fünf oder mehr Prozent ungültiger Stimmen (das Fünffache des Bundesdurchschnitts ) abgegeben wurden. So sind z. B. in den Wahlkreisen Bitburg-Prüm (202), Fulda (174) und Werra-Meißner-Hersfeld-Rotenburg (169) nach der Bundestagswahl 2017 besonders hohe Abweichungen aufgetreten (Wagschal, Uwe: „Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl?“, Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. April 2018, Seite 6). V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Analyse des Zusammenhangs zwischen ungültigen Stimmen und Wähleranteil einer Partei im Sinne des genannten Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von Wagschal fußt auf dem Korrelationskoeffizienten nach Pearson. Dies ist die Standardmethode zur Berechnung mathematischer Zusammenhänge zwischen metrischen Merkmalen. Der Korrelationskoeffizient nimmt Werte zwischen -1 und 1 an, -1 für einen perfekten negativen Zusammenhang und 1 für einen perfekten positiven Zusammenhang. Einen Wert nahe 0 erhält man als Ergebnis , wenn keine mathematische Abhängigkeit in den Daten erkennbar ist. Stellt man in einem Streudiagramm zwei metrische Daten gegenüber, würde man bei einer Korrelation von 1 alle Punkte auf einer Linie mit positiver Steigung erwarten , bei -1 mit negativer Steigung. In der Analyse werden Korrelationen in Wahlkreisen präsentiert. Wahlkreise setzen sich aus vielen Wahlbezirken zusammen. Über diese Wahlbezirke hinweg werden die Anteile der ungültigen Stimmen dem Wähleranteil einer Partei gegenübergestellt. Sie sind die Punkte in dem oben genannten Streudiagramm . Wird ein mathematischer Zusammenhang gefunden, obliegt es dem Analysten , diesen auf seine Kausalität zu prüfen und nach der plausibelsten Erklärung für das Ergebnis zu suchen. Es existiert kein eindeutiger, wissenschaftlich anerkannter Wert über oder unter dem ein Korrelationskoeffizient nach Pearson per se auffällig ist. Ab welcher Höhe eine Korrelation als auffällig gewertet werden kann, ist immer kontextabhängig. Geht man davon aus, dass der tatsächliche Wählerwille vorliegt, existiert in den als auffällig definierten Wahlkreisen, ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der ungültigen Stimmen und dem Zweitstimmenanteil der AfD. Dies kann aber einen plausiblen Grund haben, da sowohl die Abgabe einer ungültigen Stimme, als auch die Stimmabgabe für die AfD Ausdruck von Protest sein können. Beides kann also eine identische Motivlage haben und die Korrelation plausibel erklären. Wenn man unterstellt, die Korrelation hätte ihre Ursache in Wahlmanipulationen, müssten in sehr vielen Wahlbezirken dieses Wahlkreises Manipulationen vorgenommen worden sein (Ungültigmachen von Stimmen). So setzt sich beispielsweise der unten genannte Wahlkreis Aachen I aus 195 Wahlbezirken zusammen. Dies erscheint bereits aus diesem Grund nicht naheliegend. Die Aussage, dass als weiteres Indiz für Unregelmäßigkeit gilt, wenn in einem Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/6564 Wahlbezirk fünf oder mehr Prozent ungültige Stimmen abgegeben wurden, kann nicht bestätigt werden. Die Höhe des prozentualen Anteils kann ihre Ursache unter anderem in der geringen Zahl von Wahlberechtigten haben. Zudem sind alle drei hierfür in der Anfrage genannten Beispiele unrichtig. Bei keinem der genannten Wahlkreise lag der Anteil der ungültigen Erst- und Zweitstimmen bei über 5 Prozent, sondern maximal bei 2 Prozent. Im Übrigen ist der prozentuale Anteil der ungültigen Erst- und Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2017 im Vergleich zu den anderen Bundestagswahlen seit der Wiedervereinigung so niedrig wie noch nie. Er schwankt seit der Bundestagswahl 1990 für Erststimmen zwischen 1,8 Prozent und 1,2 Prozent (bei der Bundestagswahl 2017) und für die Zweitstimmen zwischen 1,6 Prozent und 1 Prozent (bei der Bundestagswahl 2017). 1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Bericht der Wahlbewertungsmission der OSZE/ODIHR vom 14. Dezember 2014 in Hinsicht auf eine Verbesserung der Sicherungsmechanismen des Briefwahlsystems bei Wahlen zum Deutschen Bundestag? Ein Bericht einer Wahlbewertungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (OSZE/ODIHR) vom 14. Dezember 2014 ist der Bundesregierung nicht bekannt. Der Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission zur Bundestagswahl 2009 vom 14. Dezember 2009 konstatiert unter XIII.B. eine höhere Missbrauchsanfälligkeit der Briefwahl, aber auch die in Deutschland existierenden Verfahren zum Schutz der Sicherheit der Briefwahl. Die in dem Bericht anhand eines Falles bei einer Verbandsgemeinderatswahl dargestellte Problematik, dass eine Person Briefwahlunterlagen für zahlreiche Personen beantragt und selber ausfüllt, kann bei der Bundestagswahl nicht auftreten, weil nach § 28 Absatz 5 Satz 5 der Bundeswahlordnung eine Person nicht für mehr als vier Wahlberechtigte Briefwahlunterlagen aufgrund einer Vollmacht entgegennehmen kann. 2. Unterstützt die Bundesregierung Bestrebungen, die Mängel bei der Sicherheit des Briefwahlsystems zu beheben, etwa durch die Einführung von QRoder Strichcodesystemen, die den Eingang der Briefwahlunterlagen bei der Wahlbehörde registrieren und so einen Abgleich mit dem Wählerverzeichnis ermöglichen? Bei der Bundestagswahl 2017 waren bundesweit 4 338 Wahlbriefe unanbringlich , das heißt sie konnten nicht an die Gemeinde zurückgesandt werden. Damit betrug der Anteil der nicht zustellbaren Wahlbriefe nur 0,0323 Prozent. Die geringe Unzustellbarkeitsquote wurde durch Änderungen im Bundestagswahlrecht der letzten Jahre erreicht. So wurde vor der Bundestagswahl 2017 durch die 11. Verordnung zur Änderung der Bundeswahlordnung vom 24. März 2017 durch Vorverlegung des Stichtags für die Erstellung der Wählerverzeichnisse auf den 42. Tag vor der Wahl auch eine frühere Versendung der Briefwahlunterlagen ermöglicht. Zum anderen wurde durch technische Standards zur Sicherstellung der Maschinenlesbarkeit der Wahlbrief der Zustellungsprozess beschleunigt und verbessert. Der für die Gemeinden durch eine zusätzliche Einführung von QR- oder Strichcodesystemen und einen Abgleich mit dem Wählerverzeichnis verursachte Aufwand erscheint darum als unverhältnismäßig und nicht Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6564 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode gerechtfertigt. QR- und Strichcodesysteme auf Wahlbriefen könnten zudem Befürchtungen bezüglich der Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in dem derart digitalisierten Verfahren hervorrufen. 3. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass der Bundeswahlleiter von seiner Möglichkeit nach § 81 der Bundeswahlordnung Gebrauch gemacht hat, sich die, bei den Landeswahlleitern vorhandenen Wahlunterlagen nach den Bundestagswahlen 2013 und 2017 übersenden zu lassen? Der Bundeswahlleiter hat bei den Bundestagswahlen von 2013 und 2017 wie bei jeder Bundestagswahl die Prüfung gemäß § 81 Absatz 1 der Bundeswahlordnung vorgenommen und keinen Einspruch eingelegt. Er hat hierbei nicht von der Möglichkeit des § 81 Absatz 2 Bundeswahlordnung Gebrauch gemacht. 4. Wenn die vorhergehende Frage mit ja beantwortet wurde, hat der Bundeswahlleiter dies für alle Bundesländer beantragt, und wie lange hat er sie zur Nachprüfung von etwaigen auffälligen Stimmbezirken aufbewahrt? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 5. Werden die Wahlunterlagen digitalisiert oder im Papieroriginal gelagert? Welche Fristen werden hierbei beachtet, und welche Vorschriften gibt es zur Aufbewahrung und Sicherung der Wahlunterlagen nach der Wahl? Die Wahlunterlagen werden im Original aufbewahrt. Die Fristen zur Aufbewahrung sind in § 90 der Bundeswahlordnung geregelt. 6. Hält die Bundesregierung den wissenschaftlich anerkannten Signifikanzwert von 0,6 für den Pearson-Korrelationskoeffizient ebenfalls für maßgeblich, und geht sie bei einem Überschreiten des Werts von einer Abweichung aus, die einer näheren Aufklärung bedarf? Nein. 7. Gab es bei der Bundestagswahl 2017 nach Kenntnis der Bundesregierung Wahlkreise, in denen es signifikante Abweichungen im Sinne des Pearson- Korrelationskoeffizienten gab, und wenn ja, welche waren es, und welche Parteien waren davon betroffen? Bei der Bundestagswahl 2017 findet man einen Wert des Pearson-Korrelationskoeffizienten von über 0,6 in insgesamt 16 Wahlkreisen, bei 12 Wahlkreisen für die AfD (Hamburg-Altona (19), Stadt Hannover I (41), Bremen I (54), Berlin- Reinickendorf (77), Aachen I (87), Kassel (168), Wiesbaden (179), Frankfurt am Main II (183), Karlsruhe-Stadt (271), Mannheim (275), Pforzheim (279), Freiburg (281) (statt Lörrach-Mülheim (282) wie in der Anfrage fälschlich angegeben ), und in 4 Wahlkreisen für die SPD Berlin-Reinickendorf (77), Bonn (96), Frankfurt am Main I (182), Frankfurt am Main II (183)). Es gibt aber auch den umgekehrten Fall einer negativen Korrelation (<-0,6) zwischen Anteil ungültiger Stimmen und Zweitstimmenanteil einer Partei. Dies ist der Fall für die FDP in Dortmund II (143) und in Frankfurt am Main I (182). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/6564 8. Gab es bei der Bundestagswahl 2017 nach Kenntnis der Bundesregierung in der bundesweiten Betrachtung eine Tendenz zum Nachteil einer Partei oder eine statistisch zu erwartende Verteilung des Phänomens auf alle Parteien? Eine Tendenz zum Nachteil einer Partei gab es bei der Bundestagswahl 2017 nach Kenntnis der Bundesregierung in der bundesweiten Betrachtung nicht. 9. Wenn es eine solche Tendenz gab, sieht die Bundesregierung andere Erklärungsmöglichkeiten als manipulative bzw. unlautere Einflüsse, und wenn ja, welche? Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. 10. Falls die vorhergehende Frage mit nein beantwortet wurde, welche Möglichkeiten für manipulative bzw. unlautere Einflüsse sieht die Bundesregierung, und wer kommt als Urheber in Frage? Konkrete Möglichkeiten für manipulative beziehungsweise unlautere Einflüsse auf das Wahlverfahren sieht der Bundeswahlleiter nicht. Die wahlrechtlichen Vorschriften enthalten verschiedene Vorkehrungen zum Schutz der Bundestagswahl vor Manipulationen. Zu hypothetischen Fragen nimmt die Bundesregierung nicht Stellung. 11. Sieht die Bundesregierung in der Möglichkeit, dass festgestellte Auffälligkeiten auf manipulative bzw. unlautere Einflüsse zurückzuführen sein könnten , eine Gefahr für das Vertrauen der Bürger in die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Wahlen und für das Vertrauen in die Legitimität der gewählten Volksvertretung? 12. Hält es die Bundesregierung für geboten, einer in der vorhergehenden Frage beschriebenen Entwicklung entgegenzuwirken, und wenn ja, mit welchen Maßnahmen? Die Fragen 11 und 12 werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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