Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 18. Dezember 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/6631 19. Wahlperiode 19.12.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Benjamin Strasser, Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/6301 – LSBTI-diskriminierende Vorgaben in der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ (PDV 300) und deren Umsetzungspraxis in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Bei der Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift über die ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit. Polizeidienstvorschriften „beinhalten die bundesweit gültigen und schriftlich niedergelegten verbindlichen Regelungen für den Polizeidienst “ (Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018 „Leitfäden“). Auf die Schriftliche Frage des Mitglieds des Abgeordnetenhauses von Berlin, Marcel Luthe, bestätigte der Berliner Senat am 15. Februar 2018, dass „nach Nr. 10.3.1 der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift 300 zur ‚Ärztliche(n) Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit‘ [...] der Verlust oder ein diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden die Polizeidiensttauglichkeit bei Bewerbern“ ausschließt (s. Drucksache 18/13368, Abgeordnetenhaus Berlin). Weiterhin kursieren Medienberichten zufolge widersprüchliche Darstellungen darüber, dass Menschen, deren Gebärmutter nicht „funktionsfähig“ ist, von der Polizeidiensttauglichkeit ausgeschlossen werden. Auch Menschen, die über kein „intaktes andrologisches (männliches) beziehungsweise gynäkologisches (weibliches) Hormonsystem“ verfügen, seien von der Diensttauglichkeit der Polizei ausgeschlossen (www.siegessaeule.de/ no_cache/newscomments/article/3927-transphobie-bei-der-bundespolizei.html). Diese Vorgaben machen es inter- und transgeschlechtlichen Menschen unter Umständen unmöglich, in den Dienst der Polizei gestellt zu werden. Für die meisten Transmänner und Transfrauen, die sich geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen haben, ist eine hormonelle Behandlung lebenslang notwendig . Nach aktuellen medizinischen Möglichkeiten verfügen Transmänner und Transfrauen nach solchen Operationen auch nicht über funktionsfähige Hoden oder eine funktionsfähige Gebärmutter. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6631 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Auch intergeschlechtliche Menschen verfügen unter Umständen nicht über funktionsfähige Hoden oder eine funktionsfähige Gebärmutter oder ein „intaktes andrologisches (männliches) beziehungsweise gynäkologisches (weibliches ) Hormonsystem“ und würden demnach vom Polizeidienst ausgeschlossen . V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 wird zur Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit und der Polizeidiensttauglichkeit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Vollzugspolizei angewendet. Sie stellt eine rechtsnormausfüllende allgemeine Entscheidung des Dienstherrn dazu dar, welche gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen die Polizeibeamtinnen und -beamten erfüllen müssen, um den besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit zu genügen. Polizeidienstfähigkeit setzt die Verwendbarkeit zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder dem Amt entsprechenden Stellung voraus, ohne Rücksicht darauf, ob die Beamtin oder der Beamte im Außen- oder im Innendienst eingesetzt ist (ständige Rechtsprechung). An diesen Anforderung hat sich auch die Prüfung der Polizeidiensttauglichkeit von Bewerberinnen und Bewerbern zu orientieren. 1. Handelt es sich bei der PDV 300 um eine Verwaltungsvorschrift im Geltungsbereich der Bundespolizei, des Bundeskriminalamts sowie ggf. welcher weiteren Bundesbehörden? Ja, es handelt sich um eine Verwaltungsvorschrift für den Geltungsbereich der Bundespolizei und des Bundeskriminalamtes. 2. Trifft es zu, dass laut PDV 300 die nachfolgend genannten Kriterien die Polizeidiensttauglichkeit bei Bewerberinnen und Bewerbern der in Frage 1 genannten Behörden ausschließen (bitte erläutern)? Wie lautet die konkrete Formulierung in der PDV 300 zu den Kriterien a) der Verlust oder ein diesem gleichzusetzenden Schwund beider Hoden, b) das Nichtvorhandensein einer „funktionsfähigen Gebärmutter“ und/oder c) ein nicht „intaktes andrologisches (männliches) beziehungsweise gynäkologisches (weibliches) Hormonsystem“? In der aktuell noch gültigen PDV 300 sind in der Anlage 1.1 folgende Kriterien als Merkmale genannt, die die Polizeidiensttauglichkeit grundsätzlich ausschließen : a) unter 10.3.1 „Verlust oder ein diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden “, b) entfällt, da keine Erwähnung in der PDV 300, c) unter 10.3 bzw. 10.4 „Bei Bewerbern bzw. Bewerberinnen muss das andrologische bzw. gynäkologische Hormonsystem intakt sein.“ Die Kriterien a und c werden aufgrund einer fachlichen Neubewertung in der überarbeiteten PDV 300 keine Erwähnung mehr finden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/6631 3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Handhabung der PDV 300 im Sinne der Frage 2 in den Bundesländern? Zur konkreten Handhabung der PDV 300 im Sinne der Frage 2 in den Ländern liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 4. Was versteht die Bundesregierung unter einem „intakten andrologischen (männlichen) beziehungsweise gynäkologisch (weiblichen) Hormonsystem“ insbesondere bei Beamten (bitte erläutern)? Da das andrologische bzw. gynäkologische Hormonsystem nach der Überarbeitung der PDV 300 keine Erwähnung mehr finden wird, wird diesbezüglich auf eine Erläuterung verzichtet. Hormonsysteme regeln viele Körperfunktionen. Sie können durch krankheitsbedingte Veränderungen in den steuernden und produzierenden Organen (hier u. a. auch Schilddrüse, Nebenniere, Bauchspeicheldrüse) gestört sein. 5. Wie begründet die Bundesregierung das Vorhandensein der in Frage 2 genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Wie sieht die Bundesregierung dies im Lichte des Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 1 Absatz 3 GG? Da das andrologische bzw. gynäkologische Hormonsystem nach der Überarbeitung der PDV 300 keine Erwähnung mehr finden wird, wird diesbezüglich auf eine Erläuterung verzichtet. Bereits jetzt wird bei Einstellungsuntersuchungen grundsätzlich auf eine Prüfung der o. g. Punkte a und c verzichtet. Das Ausschlusskriterium b findet in der PDV 300 schon jetzt keine Erwähnung. 6. Wie bewertet die Bundesregierung das Vorhandensein der in Frage 2 genannten Ausschlusskriterien a, b und c? 7. Sind die in Frage 2 genannten Kriterien a, b und c nach Kenntnisstand der Bundesregierung mit einer Leistungsschwäche im Polizeidienst verbunden? Wenn ja, welche Belege hat die Bundesregierung dafür (bitte erläutern)? 8. Falls ja, kann die Anwendung der PDV 300 bezüglich der in Frage 2 genannten Kriterien a, b und c dazu führen, dass transgeschlechtliche Menschen nach ihrer Transition und intergeschlechtliche Menschen nicht für den Polizeidienst zugelassen werden (bitte erläutern)? 9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Diskriminierung transgeschlechtlicher und intergeschlechtlicher Menschen über das Vorhandensein der in Frage 2 genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Die Fragen 6 bis 9 werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6631 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 10. Wie viele Fälle abgelehnter Bewerberinnen und Bewerber aufgrund der in Frage 2 genannten Kriterien a, b und c sind der Bundesregierung aus den letzten zehn Jahren bekannt (bitte nach Bewerbungen für den Polizeidienst in den einzelnen Bundesländern und im Bund aufschlüsseln)? Über die in den letzten 10 Jahren ggf. aufgetretenen Fällen abgelehnter Bewerber /-innen im Sinne der Frage 2 wurde in der Bundespolizei und im Bundeskriminalamt keine Statistik erhoben. Eine Aussage über die Länder kann vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) nicht getroffen werden. 11. Befürwortet die Bundesregierung eine Änderung der PDV 300 bezüglich der in Frage 2 genannten Kriterien a, b und c (wenn ja, bitte die geplanten Änderungen und den diesbezüglichen Zeitplan erläutern)? Wenn nicht, wie begründet die Bundesregierung das Festhalten an diesen für trans- und intergeschlechtliche Menschen diskriminierenden Ausschlusskriterien in der PDV 300? Eine Änderung der PDV 300 mit Wegfall dieser Ausschlusskriterien ist beabsichtigt und befindet sich derzeit in Vorbereitung. Auf die Antwort zu den Fragen 2 und 15 wird verwiesen. 12. Gibt es vergleichbare Regelungen bezüglich der in Frage 2 genannten Kriterien a, b und c in anderen Tätigkeitsfeldern des öffentlichen Dienstes in den Bundesländern und im Bund? Wenn ja, welche? Wenn nicht, warum gibt es sie im Polizeidienst? Vergleichbare Regelungen sind hier nicht bekannt. Im Übrigen wird auf den geplanten Wegfall der Ausschlusskriterien hingewiesen. 13. Welche vergleichbaren Regelungen bezüglich der in Frage 2 genannten Kriterien a, b und c sind der Bundesregierung aus anderen Ländern bekannt? Vergleichbare Regelungen sind hier nicht bekannt. 14. Welche Erfahrungen bezüglich einer Sicherheitsgefährdung für sich selbst und andere und der physischen und psychischen Belastbarkeit wurden mit Menschen im Polizeidienst gemacht, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben? Berechtigt das aus Sicht der Bundesregierung ein Aufrechterhalten an den in Frage 2 genannten Ausschlusskriterien a, b und c (bitte erläutern)? In der Bundespolizei werden sehr unterschiedliche Erfahrungen mit im Polizeivollzugsdienst eingesetzten Menschen gemacht, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben. Weitere Ausführungen verbieten sich bei insgesamt kleiner Zahl aufgrund des Datenschutzes. Des Weiteren wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/6631 15. Wie ist der Stand der Bearbeitung der länderübergreifenden Arbeitsgruppe im Auftrag des Arbeitskreises II (Innere Sicherheit) der Konferenz der Innenminister und Innensenatoren der Länder bezüglich der Prüfung der Beurteilungsmaßstäbe in der Polizeidienstvorschrift 300, welche aufgrund neuerer Rechtsprechung zur Feststellung der gesundheitlichen Eignung für die Berufung in ein Beamtenverhältnis geprüft werden sollen? Gibt es bereits diesbezügliche Zwischenergebnisse (bitte erläutern)? Wie ist der weitere Zeitplan für den Fortgang der Bearbeitung? Die Abschlusssitzung der Bund-Länder-AG zur Überarbeitung der PDV 300 im Auftrag des AK II erfolgte im November 2018. Der Abschlussbericht der AG zur Änderung der PDV 300 wird in den Frühjahrssitzungen oder im Umlaufbeschlussverfahren finalisiert und durch den AK II gebilligt. Danach erfolgt die Beauftragung der Vorschriftenkommission mit der Überarbeitung der PDV 300. 16. Wird die Bundesregierung nach der Anerkennung intergeschlechtlicher und transgeschlechtlicher Menschen im Recht und im Lichte der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 1 BvR 2019/16 eine verfassungskonforme Änderung der Verwaltungsvorschrift vornehmen? Wenn ja, wann wird sie dies tun? Wenn nicht, warum (bitte erläutern)? Die PDV 300 wird in dem oben dargelegten Umfang aufgrund einer fachlichen Neubewertung überarbeitet (siehe die Antwort zu den Fragen 2, 5 und 15). Die Bundesregierung sieht darüber hinaus keinen verfassungsrechtlich begründeten Änderungsbedarf. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333