Deutscher Bundestag Drucksache 19/6926 19. Wahlperiode (zu Drucksache 19/6334) 09.01.2019 Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes – Drucksache 19/6334 – Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung Stellungnahme des Bundesrates Der Bundesrat hat in seiner 973. Sitzung am 14. Dezember 2018 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen: Zum Gesetzentwurf allgemein Gegen den Gesetzentwurf bestehen erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken. Der Bundesrat lehnt den Gesetzentwurf daher ab. Begründung: Nach dem BVerfG-Urteil vom 11.03.2008 (1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07) greift die automatisierte Kennzeichenerfassung in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein, wenn die erfassten Daten nicht unverzüglich wieder gelöscht werden. Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sind zwar grundsätzlich möglich, sie dürfen jedoch nicht anlasslos erfolgen und müssen auf einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage basieren. Für die automatisierte Erfassung von Autokennzeichen verlangt das BVerfG konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen. Das Ausmaß der Anforderungen richtet sich nach der Intensität des Grundrechtseingriffs. Der vorliegende Gesetzentwurf ermöglicht ohne vorherige Festlegung und Beschränkung auf besonders gefährdete Bereiche die weiträumige Aufstellung und Nutzung von automatisierten Kennzeichenlesegeräten. Vorgesehen ist nicht nur ein Abgleich des Halters und der Fahrzeugdaten, sondern auch die Anfertigung eines Bildes des Fahrers. Die Regelung erfasst unterschieds- und anlasslos alle Fahrer und Fahrzeuge, die sich – rechtmäßig oder rechtswidrig – innerhalb von für bestimmte dieselbetriebene Fahrzeuge beschränkten Strecken oder Zonen bewegen . Dabei ist nicht hinreichend sichergestellt, dass die automatisch erfassten Halter- und Fahrerdaten unverzüglich ausgewertet werden und dass sie in Fällen, in denen eine für bestimmte Dieselfahrzeuge beschränkte Strecke oder Zone rechtmäßig befahren wird, unverzüglich, spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden. Darüber hinaus stößt die vorgesehene Löschungsfrist von sechs Monaten mit Blick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf Bedenken. Diese Fristsetzung geht erheblich über die einschlägige Verjährungsfrist von drei Monaten für Verkehrsordnungswidrigkeiten hinaus. Die Daten können bis zu diesem Zeitpunkt aufgehoben werden, es sei denn, die Berechtigung, den Ort zu befahren, wird positiv festgestellt. Dies lässt es ohne weitere Regelungen zur Zweckbindung in unverhältnismäßiger Weise zu, Daten von Autofahrern auf Vorrat zu erheben und zu speichern. Drucksache 19/6926 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gegenäußerung der Bundesregierung: Die gegen den Gesetzentwurf geäußerten datenschutzrechtlichen Bedenken wurden geprüft. Aus Sicht der Bundesregierung wahrt der Gesetzentwurf in der vorgelegten Fassung das geltende Datenschutzrecht. Um den geäußerten Bedenken jedoch entgegenzukommen und die Rechtsklarheit zu steigern, empfiehlt die Bundesregierung, die im Gesetzentwurf bereits angelegten datenschützenden Regelungen deutlicher herauszuarbeiten und an einigen Stellen zu schärfen. Hierzu sind aus Sicht der Bundesregierung folgende Änderungen des Gesetzentwurfes zu formulieren: Artikel 1 wird wie folgt geändert: 1. In Nummer 1 Buchstabe c und in Nummer 2 werden die Wörter „Durchführung und“ jeweils gestrichen. 2. In Nummer 4 wird § 63c Absatz 1 wie folgt gefasst: „(1) Zur Überwachung von Verkehrsbeschränkungen und Verkehrsverboten, die aufgrund des § 40 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften angeordnet worden sind oder aufgrund straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zum Schutz der Wohnbevölkerung oder der Bevölkerung vor Abgasen zur Abwehr von immissionsbedingten Gefahren ergangen sind, darf die nach Landesrecht zuständige Behörde im Rahmen von stichprobenartigen Kontrollen folgende Daten, auch automatisiert, erheben, speichern und verwenden: 1. das Kennzeichen des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination, die in einem Gebiet mit Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverboten am Verkehr teilnehmen, 2. die für die Berechtigung zur Teilnahme am Verkehr in Gebieten mit Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverboten erforderlichen Merkmale des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination, 3. das durch eine Einzelaufnahme hergestellte Bild des Fahrzeugs und des Fahrers, 4. den Ort und die Zeit der Teilnahme am Verkehr im Gebiet mit Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverboten . Eine verdeckte Datenerhebung ist unzulässig.“ 3. In Nummer 4 wird dem§ 63c Absatz 2 folgender Satz angefügt: „Der Abruf und die Feststellung haben unverzüglich zu erfolgen.“ 4. In Nummer 4 wird dem § 63c Absatz 3 folgender Satz angefügt: „Diese Datenübermittlung hat unverzüglich nach Abschluss der Prüfung nach Absatz 2 zu erfolgen.“ 5. In Nummer 4 wird § 63c Absatz 4 wie folgt gefasst: „(4) Die Daten nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 und Absatz 2 sind von der in Absatz 1 genannten Behörde unverzüglich zu löschen, 1. sobald die nach Absatz 2 vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fahrzeug berechtigt ist, am Verkehr im Gebiet mit Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverboten teilzunehmen, oder 2. nach der Übermittlung an die in Absatz 3 genannte, für die Verfolgung von diesbezüglichen Ordnungswidrigkeiten zuständige Verwaltungsbehörde, wenn die nach Absatz 2 vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fahrzeug nicht berechtigt ist, am Verkehr im Gebiet mit Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverboten teilzunehmen. Alle Daten sind von der in Absatz 1 genannten Behörde, sofern sie nach den vorgenannten Vorschriften nicht vorher zu löschen sind, spätestens zwei Wochen nach ihrer erstmaligen Erhebung zu löschen.“ Begründung der Änderungen: Zu Ziffer 1: Mit der Streichung wird der Zweck der Datenübermittlung dahingehend eingeschränkt, dass die Daten des Zentralen Fahrzeugregisters (ZFZR) nur an die für die Überwachung der eingerichteten Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen zuständige Behörde übermittelt werden dürfen. Diese Klarstellung hilft den Ländern dabei, eine klare und eindeutige Zuständigkeitsregelung erlassen zu können. Die Daten werden dagegen nicht für die Durchführung – also etwa die Anordnung oder Aufhebung von Verkehrszeichen – der Zonen benötigt. Vielmehr geht es hier speziell um die Überwachung deren Einhaltung durch Verkehrsteilnehmer. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/6926 Zu Ziffer 2: Die sprachliche Korrektur „ergangen sind“ unterstreicht, dass es nicht um die Durchführung, sondern um die Überwachung bereits angeordneter Verkehrsbeschränkungen und -verbote geht. Die Präzisierung der „stichprobenartigen“ Kontrollen macht deutlich, dass die entworfene Regelung keine flächendeckende Überwachung von Verkehrsverbotszonen ermöglicht. Vielmehr sollen die für die Überwachung zuständigen Behörden sorgfältig abwägen, wo solche Kontrollen zu Zwecken der Abschreckung und Aufdeckung von Verstößen erforderlich und angemessen sind. Es bleibt dabei, dass § 63c Absatz 1 StVG-E beide Formen der Verkehrsüberwachung, nämlich sowohl die manuelle Form durch Überwachungsbeamte vor Ort als auch die automatisierte Form, enthält. Mit der Änderung in § 63c Absatz 1 Nummer 3 StVG-E (Einfügung: „durch eine Einzelaufnahme hergestellte“) wird klargestellt, dass Bewegtbildaufzeichnungen, wie Videoaufzeichnungen, unzulässig sind. Die bisherige Regelung verfolgte den Zweck, Ermessensentscheidungen der Überwachungsbehörden dahingehend zu binden, dass verdeckte Kontrollen nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein können. Mit der nun vorgenommenen Streichung werden verdeckte Kontrollen gänzlich ausgeschlossen. Dies ist für die hier vorliegende Fragestellung auch vertretbar. Selbst wenn verdeckte Kontrollen grundsätzlich zulässig sein können, ist es im Rahmen von Kontrollen der Einhaltung immissionsbedingter Verkehrsbeschränkungen und -verboten nicht erforderlich, davon Gebrauch zu machen. Die neue Fassung schließt dies nunmehr konsequent aus. Zu Ziffer 3: Der angefügte Satz (Satz 2 neu) stellt klar, dass nach der Aufzeichnung eines Fahrzeugkennzeichens die für die Überprüfung der Berechtigung zum Einfahren in die Verbotszone erforderlichen Fahrzeugdaten unverzüglich abzurufen sind. Das bedeutet für das automatisierte Verfahren, dass dies online zu erfolgen hat. Die Fahrzeugkennzeichen werden also nur kurz in einem Zwischenspeicher abgelegt, um auf dieser Grundlage den Abruf beim ZFZR vorzunehmen. Für das manuelle Verfahren, also die persönliche Beobachtung eines einzelnen Fahrzeugs durch einen Überwachungsbeamten z. B. im ruhenden Verkehr, bedeutet das, dass die manuell aufgezeichneten Daten unverzüglich von den Überwachungsbehörden genutzt werden müssen, um einen Abruf der Daten aus dem ZFZR vorzunehmen. Sobald die Daten abgerufen worden sind, hat auch die Auswertung und Überprüfung, ob der Verdacht eines Verstoßes vorliegt, unverzüglich zu erfolgen. Je nach Sachlage sind die Daten anschließend nach Absatz 3 zu übermitteln und/oder nach Absatz 4 aus dem automatisiert arbeitenden Gerät oder dem manuellen Vorgang zu löschen. Zu Ziffer 4: Mit dem angefügten Satz (Satz 2 neu) wird klargestellt, dass die Behörde nach unverzüglicher Auswertung der erhobenen und abgerufenen Daten, sei es im manuellen oder im automatisierten Verfahren, im Verdachtsfalle unverzüglich auch eine Weiterleitung an die Verfolgungsbehörden vornehmen muss. Verzögerungen sind von der Behörde damit auszuschließen. Zu Ziffer 5: Mit dem zweimaligen Verweis auf die Prüfung nach Absatz 2 wird auch in der Löschungsvorschrift die lückenlose Unverzüglichkeit des Gesamtvorganges gewährleistet. Es ist somit klargestellt, dass sowohl die Prüfung, ob ein Fahrzeug berechtigt ist, als auch die Weiterübermittlung und Löschung der Daten unverzüglich zu erfolgen hat, um den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf ein Minimum zu reduzieren. Die sprachliche Korrektur der verpflichteten Stelle („von der in Absatz 1 genannten Behörde“) dient der Vermeidung von Auslegungszweifeln. Weiterhin wird die absolute Löschungsfrist verkürzt. Dies hat folgenden Hintergrund: Die Löschung der Daten durch die Überwachungsbehörde hat stets unverzüglich zu erfolgen. Mit der in Satz 2 vorgesehenen maximalen Speicherfrist wird gleichwohl eine doppelte Sicherung vorgesehen. Unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls soll danach die Löschung stets spätestens nach zwei Wochen erfolgen, selbst wenn die Verfolgung eines Verstoßes dadurch gehindert werden würde. Dies ist in Abwägung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung sachgerecht. Die bisherige Frist wird im Interesse des Datenschutzes dergestalt reduziert. Die Frist von zwei Wochen berücksichtigt die Gegebenheiten des manuellen Verfahrens. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333