Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 7. Januar 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/6936 19. Wahlperiode 09.01.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/6351 – Staatliche Regularien für IT-Freelancer V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Deutschland befindet sich in allen gesellschaftlichen Sektoren, insbesondere in der Wirtschaft, im digitalen Wandel. In der Wirtschaft geht es für die Unternehmen derzeit vor allem um die Automatisierung von Geschäftsprozessen, die Integration digitaler Systeme in die Backend-IT, die Schaffung neuer Cloud-Services und die mit allem verbundene Frage nach IT-Security und Datensicherheit (Lünendonk-Studie von 2018: „Der Markt für IT-Beratung und IT-Service in Deutschland“). Bei der Digitalisierung von Prozessen, Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen ist die Kompetenz von IT-Spezialisten unabdingbar . Dabei steigt auch die Bedeutung von IT-Freelancern. Im Jahr 2017 gab es rund 100 000 IT-Freelancer (laut Zahlen der Allianz für selbstständige Wissensarbeit – ADESW, 2018), und diese erwirtschafteten (laut Lünendonk-Studie, 2018) 11,1 Mrd. Euro. Der Etengo-Freelancer-Index (EFX), eine Studie der Bitkom Research und der Etengo AG von 2016, zeigt, dass IT-Freelancer für 83 Prozent der Unternehmen eine große, wachsende Bedeutung haben. Gerade bei strategisch wichtigen Innovationsprojekten sei es, laut den Initiatoren der Studie, für Unternehmen weder möglich noch betriebswirtschaftlich sinnvoll, diese Bedarfe über klassische Festanstellungen zu decken. Allein im Jahr 2017 gab es 216 131 Projektanfragen an IT-Spezialisten (www.gulp.de/kb/tools/ gulpometer/datentabelle_gulpometer.html#monat). Die sehr große Nachfrage drückt sich auch und gerade in der Experten- und Fachkräftelücke im Bereich IT aus. Diese Informatikerlücke hat sich laut Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) zwischen 2015 und 2018 auf 40 000 verdoppelt. Im Zuge der digitalen Transformation wird die Bedeutung der IT- Freelancer für die Umsetzung innovativer Projekte noch weiter steigen. Gleichzeitig geraten IT-Freelancer zunehmend in den Fokus des Sozialversicherungsrechts , hier vor allem bei der komplizierten Abgrenzung zur Scheinselbstständigkeit nach § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) oder in Verbindung mit § 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Diese Vorschrift ist als Schutz von selbstständig tätigen Personen gedacht, bei Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode denen aufgrund ihres Einkommens oder besonderer Abhängigkeitsverhältnisse zum Auftraggeber die Gefahr einer unzureichenden Altersvorsorge besteht. IT-Freelancer verdienen durchschnittlich fast 4 700 Euro netto monatlich (www. computerwoche.de/a/it-freelancer-haben-hohe-einkuenfte,3544465), 87 Prozent von ihnen schätzen ihre wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut ein (soloselbstständige IT-Spezialisten, eine Allensbach-Untersuchung im Auftrag der ADESW, 2018). Zudem haben laut ADESW-Studie von 2018 97 Prozent der soloselbstständigen IT-Spezialisten für das Alter vorgesorgt und 84 Prozent sind bereits ausreichend für das Alter abgesichert. Die Gesetzeslage in diesem Bereich verunsichert aus Sicht der Fragesteller sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer. Hochqualifizierte und hoch dotierte IT-Freelancer und ähnliche Know-how-Träger werden von der Deutschen Rentenversicherung zunehmend einer sogenannten Scheinselbstständigkeit zugeordnet und ihre Auftraggeber teils mit hohen Strafzahlungen belegt. Gleichzeitig sind viele Unternehmen nach Kenntnis der Fragesteller zunehmend verunsichert , Aufträge an Selbstständige zu vergeben. Denn die Gefahr, bei unklarer Rechtslage nachzahlen zu müssen bzw. gegebenenfalls sogar strafrechtlich verfolgt zu werden, ist ihnen zu hoch. Insbesondere agile Projektformen wie etwa sog. Scrum-Verfahren, in denen zahlreiche IT-Projekte durchgeführt werden , passen nicht mehr zu den engen Abgrenzungskriterien des Arbeitsrechts sowie des Sozialversicherungsrechts. Scrum (von englisch: „Gedränge“) ist der Name eines Vorgehensmodells des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Softwareentwicklung, bei dem es unter anderem darum geht, die entwickelten Systeme schneller einsetzen zu können. Die Abgrenzungskriterien , die über Jahrzehnte von der arbeits- und sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelt und 2017 für das Arbeitsrecht in § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kodifiziert wurden, stammen weit überwiegend aus der „alten Arbeitswelt“. Sie stehen daher nach Ansicht der Fragesteller teilweise im Widerspruch zu modernen und agilen Arbeitsformen, die sich im Zuge der Digitalisierung entwickelt haben und zunehmend üblich sind. Laut Aussagen von Rechtsanwälten, Unternehmern und IT-Freelancern gegenüber den Fragestellern gibt es momentan drei typische Wege, um dieser Unsicherheit zu entgehen. Erstens: Der Selbstständige wird aufgefordert, sich durch den Auftraggeber anstellen zu lassen oder via Zeitarbeit tätig zu werden. Letzteres wird über zwischengeschaltete Zeitarbeitsfirmen geregelt. Das führt zu Einbußen beim Einkommen der IT-Freelancer. Auch wollen die meisten IT- Freelancer weder beim Auftraggeber noch bei der Zeitarbeit angestellt werden (Studie des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland e. V. aus dem Jahr 2016), da sie die Entscheidungsfreiheit über ihre Weiterbildung, Arbeitsorganisation und Arbeitsweisen wahren wollen. Ihr Innovationskapital liegt in ihrer funktions-, firmen- und branchenübergreifenden Expertise. Außerdem ist die Anstellung, sowie ein Einsatz als Zeitarbeitnehmer, nach einer vorherigen selbstständigen Tätigkeit im selben Unternehmen häufig nicht ratsam, da die Deutsche Rentenversicherung dies als Anzeichen sieht, dass die vorherige Tätigkeit auch in arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen stattgefunden hat und die neue Situation als Grund für eine vorher existierende Scheinselbstständigkeit annimmt. Deshalb beschließen aktuell immer mehr Unternehmen – dies ist die zweite weit verbreitete Option –, alle Aufträge mit Selbstständigen zu beenden und keine neuen Aufträge an Selbstständige zu vergeben. So hat unter anderem die Commerzbank beschlossen, nicht mehr auf IT-Freelancer zurückzugreifen. Als Grund dafür gibt sie unter anderem an, „dass der Einsatz von Fremdpersonal im agilen Umfeld aus rechtlicher Sicht durchaus kritisch ist, solange die gesetzlichen Rahmenbedingungen (u. a. das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz AÜG) pauschal für die Gruppe der Dienst- und Werkvertragler angewendet werden.“ Dies geht aus einem Schreiben des Vorstands der Commerzbank an den Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger vom Oktober 2018 hervor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/6936 Die dritte Möglichkeit ist die Verlagerung wesentlicher Teile oder auch gesamter IT-Projekte ins Ausland. Somit findet die Wertschöpfung nicht in Deutschland statt und es geht zudem Innovationskapital verloren. Eine Folge dieses Prozesses ist der Rückgang an Aufträgen für IT-Freelancer in Deutschland. Betroffene berichten, dass IT-Freelancer zunehmend ins Ausland gehen, beispielsweise in die Schweiz, die Niederlande oder die USA, was einen Know-how- Abfluss aus Deutschland bedeutet. Da hierzu kaum aussagefähige Statistiken vorliegen, gilt es aus Sicht der Fragesteller, diese Aussagen zu überprüfen. Befragte IT-Freelancer und Unternehmen wollen anonym bleiben, da sie Sorge vor einer strengeren Überprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung haben. Dem Vernehmen nach haben bereits im Juli 2018 14 deutsche Großunternehmen einen Brief mit dem Titel „Eine digitale Arbeitswelt braucht Digitalisierungsexperten “ an den Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, sowie an den Staatsminister im Bundeskanzleramt Helge Braun, die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär, den Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier, sowie die Vorsitzende des Digitalrats Katrin Suder, verfasst und auf die Dringlichkeit des Themas hingewiesen. In diesem Brief wird auch darauf verwiesen, dass die Abwanderung deutscher Digitalexperten ins Ausland zu beobachten ist. Zusätzlich zu den bisherigen Analysen gibt es nach Auffassung der Fragesteller Probleme im Verfahren der Statusfeststellung selbst. Es gibt drei Möglichkeiten , den Status eines Selbstständigen – zu welchen die IT-Freelancer gehören – zu überprüfen. Die erste ist die Feststellung durch einen Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung (vgl. § 28p SGB IV), welche mindestens alle vier Jahre rückwirkend stattfindet. Die zweite Möglichkeit ist die Feststellung durch die Krankenkasse gemäß § 28h SGB IV. Hierbei ist zu beachten, dass es sich um eine gesetzliche Krankenkasse handeln muss. Die dritte und aktuell meist diskutierte Option ist ein Antrag auf Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearing-Stelle der Deutschen Rentenversicherung (Antragsverfahren ) einzuleiten (vgl. § 7a SGB IV). Wird in einem dieser Verfahren Scheinselbstständigkeit festgestellt, muss der Auftraggeber die anfallenden Sozialabgaben gegebenenfalls mitsamt Säumniszuschlägen nachzahlen. Die Verjährungsfrist liegt hierbei vordergründig bei vier Jahren, kann jedoch nach Aussagen von Rechtsanwälten gegenüber den Fragestellern über die Auslegung des bedingten Vorsatzes leicht auf 30 Jahre erhöht werden. Durch Bruttohochrechnungen und jährliche Säumniszuschläge von 12 Prozent können solche Nachzahlungen, die teilweise mehrere Jahre betreffen , gerade mittelständische Unternehmen in die Insolvenz treiben. Die Feststellung durch die Krankenkassen gemäß § 28h SGB IV ist zudem für die Deutsche Rentenversicherung nicht bindend (BSG, Urteil vom 28. September 2011 – B 12 KR 15/10 R), wodurch das Problem entstehen kann, dass ein Selbstständiger, der von seiner Krankenkasse ursprünglich als sozialversicherungspflichtig eingeschätzt wurde und daraufhin in die Sozialversicherung einzahlt , im Fall einer nachträglichen Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung anders eingestuft wird. Wenn drittens ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearing-Stelle durchgeführt wird – was zumeist freiwillig von Auftragnehmern bzw. Auftraggebern eingeleitet wird –, ist zu beobachten, dass sich die Verteilung der Entscheidungen der Clearing-Stelle für bzw. gegen Selbstständigkeit signifikant verändert hat. Im Jahr 2007 sind noch 21,2 Prozent der Auftragnehmer bei einem Statusfeststellungsverfahren als „abhängig beschäftigt“ gewertet worden. Diese Quote erreichte bei den freiwilligen Statusfeststellungsverfahren – im Jahr 2014 – 44,7 Prozent (Zahlen der Deutschen Rentenversicherung, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 18/11982). Das ist bei einer unveränderten Gesetzeslage vor allem in Bezug auf die Grundnorm des § 7 Absatz 14 SGB IV mehr als eine Verdopplung des prozentualen Anteils innerhalb von sieben Jahren. Dies Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode impliziert nach Meinung der Fragesteller eine im Laufe der Zeit deutlich veränderte Auslegung der Abgrenzungskriterien durch die Clearing-Stelle. Häufig ist der beim Auftraggeber angesiedelte Arbeitsort und die dauerhafte Kommunikation mit dessen Mitarbeitern durch die Weiterentwicklung projektorientierter, agiler Arbeitsmethoden in der Softwareentwicklung wie Scrum in sehr vielen Fällen unumgänglich und auch nicht mit den bisherigen Weisungsbefugnissen vergleichbar. Der Freelancer ist damit voll in die betriebliche Projektarbeit und die damit verbundenen Problemlösungsprozesse eingebunden. Dies wird jedoch von der Deutschen Rentenversicherung als weisungsgebundene unselbstständige Arbeit gesehen. Hier droht aus Sicht der Fragesteller eine sich verfestigende Spannungslage zwischen der Realität digitaler Arbeitswelten und alten Regelwerken, im Besonderen rechtlichen Abgrenzungskriterien. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Ein zentraler Grund für Deutschlands wirtschaftliche Stärke besteht in einer verlässlichen sozialen Absicherung, die den Menschen Schutz im Wandel bietet und gleichzeitig flexibel und kontinuierlich an sich verändernde Ausgangslagen und Rahmenbedingungen angepasst wird. In der Zeit des digitalen Wandels wird dies ganz besonders deutlich. Damit die digitale Transformation gelingen kann, braucht es auch ein modernes Arbeits- und Sozialrecht, das der Lebenslage und Situation ganz unterschiedlicher Menschen – die diesen Wandel mitgestalten und von ihm betroffen sind – gerecht wird. Dazu gehören alle Erwerbstätigen, die als Expertinnen und Experten einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung von Prozessen in Unternehmen und Organisationen leisten. Die differenzierte arbeits- und sozialrechtliche Situation und Behandlung von Erwerbstätigen zielt darauf ab, die Vielzahl an Lebenslagen, die in der Realität zu beobachten sind, zu berücksichtigen. Insbesondere die Solo-Selbständigkeit in Deutschland zeichnet sich durch eine starke Streuung von Berufen, ein im Mittel geringeres Einkommen und eine höhere Spreizung der Einkommen und Vermögenswerte gegenüber Selbständigen mit Beschäftigten einerseits und gegenüber abhängig Beschäftigten andererseits aus (vgl. BMAS Forschungsbericht 514, „Selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland“). Gerade die Heterogenität der Gruppe der Solo-Selbständigen ist ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer bedachten Politikgestaltung im Bereich der sozialen Sicherung und der Statuseinordnung Solo-Selbständiger, die miteinander konkurrierende Chancen und Risiken abwägt. Ein wichtiger Aspekt ist die – auch im Koalitionsvertrag festgelegte – gründungsfreundliche Ausgestaltung von Vorhaben bezüglich (solo-)selbständiger Erwerbstätigkeit. Eine auf Berufsgruppen oder Branchen abzielende Ausgestaltung arbeits- und sozialrechtlicher Maßnahmen, die aufgrund der weitreichenden Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Arbeitswelt voraussichtlich eine weitaus größere Gruppe betreffen werden, wird aus Sicht der Bundesregierung nicht befürwortet. Verweise auf durchschnittlich von bestimmten Berufsgruppen erzielte Nettoeinkommen können – gerade vor dem Hintergrund der breiten Streuung der Einkommensverhältnisse Solo-Selbständiger – nicht Grundlage für die grundsätzliche Ausgestaltung angemessener Maßnahmenpakete sein. Die von den Fragestellern angesprochene Änderung im Arbeitsrecht (bezüglich des § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)) kodifiziert lediglich in der Rechtsprechung bereits seit einiger Zeit angewandte Grundsätze und hat die Rechtslage nicht verändert. Der zweite von den Fragestellern angesprochene Bereich – das Statusfeststellungsver- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/6936 fahren – ist Gegenstand einer Festlegung im Koalitionsvertrag. Demnach ist beabsichtigt , das Verfahren zu vereinfachen und zwischen den unterschiedlichen Zweigen der Sozialversicherung widerspruchsfrei auszugestalten. Im Rahmen des Koalitionsvertrags setzt sich die Bundesregierung intensiv mit diesen Fragen auseinander, u. a. im von Bundesminister Hubertus Heil ausgerufenen Zukunftsdialog „Neue Arbeit – Neue Sicherheit“. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales steht hierzu im engen Austausch mit (Solo-)Selbständigen sowie deren Vertreterinnen und Vertretern, mit Expertinnen und Experten, Verbänden und der Deutschen Rentenversicherung Bund. 1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller hinsichtlich der hohen Bedeutung der IT-Freelancer für die digitale Transformation? a) Wenn ja, weshalb? b) Wenn nein, weshalb nicht? IT-Kompetenzen sind ein zentrales Element in der digitalen Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Mit der fortschreitenden digitalen Transformation geht auch eine Zunahme an Digitalisierungsprojekten innerhalb der Unternehmen einher. Aufgrund der Komplexität und des agilen, innovativen Charakters solcher Projekte kommt IT-Fachleuten hierbei eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt sowohl für innerhalb des jeweiligen Unternehmens und bei Vertragspartnern beschäftigte Fachkräfte als auch für selbständig tätige Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer. Insgesamt ist zu erwarten, dass die Bedeutung digitaler Expertenkompetenzen zunimmt, dies geht u. a. aus dem Lagebild der Partnerschaft für Fachkräfte zu künftigen Kompetenz- und Qualifizierungsbedarfen hervor. 2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Open Innovation, d. h. unter anderem die temporäre Kollaboration mit Innovations- bzw. Digitalisierungsexperten außerhalb des Unternehmens, eine wichtige Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hat? Dies ist der Bundesregierung bekannt. 3. Gibt es nach Ansicht der Bundesregierung aus der Gesetzeslage (v. a. Abgrenzungen nach § 611a BGB und § 7 Absatz 1 SGB IV sowie die Versicherungspflicht von selbstständig tätigen Personen nach § 2 SGB VI) entstehende Probleme für den Wirtschaftsstandort Deutschland, wie z. B. die Abwanderung von Know-how und die Verlagerung von innovativen IT-Projekten ? Wenn ja, a) welche Daten liegen ihr vor, b) welche Probleme sieht sie, und c) was plant die Bundesregierung hinsichtlich einer Verbesserung des aktuellen Zustandes? Wenn nein, wieso nicht, bzw. sieht die Bundesregierung hier keinen Handlungsbedarf ? Der Bundesregierung liegen keine Daten zur Abwanderung von Know-how und zur Verlagerung von IT-Projekten ins Ausland aufgrund der einschlägigen Gesetzeslage vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode In § 611a BGB wurden die seit langer Zeit in der Rechtsprechung angewandten Grundsätze zur Abgrenzung des Arbeitsvertrages von anderen Vertragsverhältnissen gesetzlich niedergelegt. Eine Änderung der Rechtslage war damit nicht verbunden. Verträge, die bis zum Inkrafttreten von § 611a BGB als selbständige Dienst- oder Werkverträge zu qualifizieren waren, sind es auch nach Inkrafttreten dieser Vorschrift. Die nach § 611a BGB vorzunehmende Gesamtbetrachtung des Einzelfalls gewährleistet, dass den Besonderheiten von bestimmten Wirtschaftsbranchen , wie auch im IT-Bereich, bei der Abgrenzung von Vertragsverhältnissen Rechnung getragen wird. Die sozialversicherungsrechtliche Einstufung einer Tätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit richtet sich nach § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Dabei ist der zentrale Begriff der abhängigen Beschäftigung nicht abschließend definiert, sondern durch zwei zentrale Merkmale – Weisungsgebundenheit der Tätigkeit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers – näher umschrieben. Eine weitergehende Konkretisierung ist durch die Rechtsprechung erfolgt. Die gesetzlich vorgesehene Abgrenzung abhängiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit bietet Flexibilität und Offenheit sowohl für die Vielgestaltigkeit heutiger Erwerbsformen als auch eine entsprechende Zukunftsgerichtetheit in Bezug auf neue Entwicklungen. Sofern Zweifel bestehen, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, kann von den Beteiligten ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung eingeleitet werden. Diese bestimmt den Status der oder des Erwerbstätigen nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, so dass die Beteiligten Rechtssicherheit hinsichtlich ihres Status erlangen. Der Bundesregierung sind verschiedene Studien und Positionspapiere bekannt, einschließlich der darin genannten politischen Forderungen an die Politik. Erkennbar häufig vorgetragen wird der Wunsch nach Überarbeitung des Statusfeststellungsverfahrens . Der Koalitionsvertrag hat diese Forderung aufgegriffen. Die Bundesregierung beabsichtigt, das Statusfeststellungsverfahren zu vereinfachen und zwischen den unterschiedlichen Zweigen der Sozialversicherung widerspruchsfrei auszugestalten (vgl. Vorbemerkung der Bundesregierung). Dazu werden Ansätze geprüft, die nicht zu Lasten der Rechtssicherheit gehen oder Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen dürfen. Eine Festlegung ist bisher nicht erfolgt. 4. Beruht, nach Kenntnis der Bundesregierung, die Innovationsstärke besonders innovationsstarker Länder wie beispielsweise der Schweiz oder den USA insbesondere auf der Innovationskompetenz von Freelancern? Welche Schlüsse zieht sie daraus für die deutsche Wirtschaft? Der Bundesregierung liegen keine vergleichenden Untersuchungen vor, die die Frage beantworten, wie stark die Innovationsfähigkeit innovationsstarker Länder konkret auf dem Einfluss von selbständigen IT-Fachkräften beruht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/6936 5. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die aktuelle Gesetzeslage zum Brain Drain innovativer Köpfe führen kann? a) Wenn ja, wie groß schätzt die Bundesregierung diesen ein? b) Wenn nein, wieso nicht? Die Bundesregierung teilt die Einschätzung der Fragesteller nicht. Nach Einschätzung der Bundesregierung ist die Bundesrepublik ein für hochqualifizierte Arbeitskräfte attraktives Land. Eine Statistik zur Abwanderung speziell selbständiger IT-Fachkräfte liegt der Bundesregierung nicht vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 6. Welche Konsequenzen plant die Bundesregierung auf Basis des genannten Briefs von 14 deutschen Großunternehmen aus dem Juli 2018 mit dem Titel „Eine digitale Arbeitswelt braucht Digitalisierungsexperten“ zu ziehen? Wenn sie keine Konsequenzen daraus ziehen will, wieso nicht? In dem von den Fragestellern genannten Brief mit dem Titel „Eine digitale Arbeitswelt braucht Digitalisierungsexperten“ beschreiben die genannten Großunternehmen den hohen Nutzen aus der Zusammenarbeit mit Digitalisierungsexperten . Dabei handelt es sich auch um Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer ohne weitere Beschäftigte (Solo-Selbständige). Der Brief fordert insbesondere eine Anpassung des Arbeits- und Sozialrechts an den digitalen Wandel. Ein sachgerechter und rechtssicherer Einsatz von Experten sei das Ziel. Solo-Selbständige stellen in Deutschland eine sehr heterogene Gruppe dar. Eventuelle Anpassungsmaßnahmen im Arbeits- und Sozialrecht müssen daher ausführlich geprüft werden, um sicherzustellen, dass die spezifische Lage unterschiedlicher Teilgruppen angemessen berücksichtigt wird. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklungen genau und berücksichtigt diese Erkenntnisse bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags. Aber auch jenseits des Koalitionsvertrags setzt sich das für die angesprochenen Themen zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales intensiv und kontinuierlich mit dieser Thematik auseinander (vgl. Vorbemerkung der Bundesregierung). Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 7. Wie schätzt die Bundesregierung die aus der aktuellen Gesetzeslage entstehenden Folgen für Gründungen ein, wenn IT-Freelancer es als zu riskant sehen , ein Unternehmen – welches ein neues Unternehmen im Bereich Informatik wäre – zu gründen, da sie dadurch einer Prüfung der Deutschen Rentenversicherung unterzogen werden würden? Die Gründung eines Unternehmens löst keine Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung aus. 8. Wie kann man aus Sicht der Bundesregierung, bei der aktuellen Gesetzeslage , IT-Freelancer vor wechselnden Altersvorsorgevarianten – gesetzliche oder private Altersvorsorge, je nach Tätigkeit als Freiberufler, in Zeitarbeit oder Unternehmer im Fall einer Gründung – schützen, wenn dies eine konsistente Gestaltung der Altersvorsorge sehr schwierig macht? Die Fragestellung bezieht sich offensichtlich auf Tätigkeiten im IT-Bereich, die sowohl im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung als auch einer selbständigen Tätigkeit ausgeübt werden können. In diesen Fällen obliegt es grundsätzlich der Entscheidungsfreiheit der Erwerbstätigen, ob sie ihre Arbeitskraft im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit anbieten. Abhängig Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Beschäftigte sind grundsätzlich versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung . Selbständig Tätige können sich, sofern sie nicht bereits kraft Gesetzes rentenversicherungspflichtig sind, auf Antrag in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichern. Wechselnde Altersvorsorgevarianten können somit selbst bei wechselnden Erwerbsformen vermieden werden. 9. Aufbauend auf den Zahlen für 2007 bis 2016 aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung“ auf Bundestagsdrucksache 18/11982, wie viele optionale und obligatorische Statusfeststellungsverfahren hat die Deutsche Rentenversicherung im Jahr 2017 durchgeführt, und in wie vielen Fällen wurde eine a) Sozialversicherungspflicht als Beschäftigter bzw. Beschäftigte bzw. eine b) selbstständige Tätigkeit festgestellt? Die Fragen 9a und 9b werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 1 der Kleinen Anfrage „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung Bund“ auf Bundestagsdrucksache 19/749, Seite 1 f. wird verwiesen. c) Welche Faktenlage ist diesbezüglich von 2007 bis 2017 bei IT-Freelancern bekannt? Das hausinterne Statistikverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund differenziert hinsichtlich Statusfeststellungen nicht nach Berufsgruppen oder Tätigkeitsfeldern . 10. Bei wie vielen Entscheidungen bezüglich der Statusfeststellungsverfahren wurde von der Deutschen Rentenversicherung zwischen 2007 und 2017 eine a) Sozialversicherungspflicht als Beschäftigter bzw. Beschäftigte bzw. eine b) selbstständige Tätigkeit festgestellt (bitte jeweils nach Jahren und Honorargruppe bzw. Branche aufschlüsseln)? c) Welche Faktenlage ist diesbezüglich bei IT-Freelancern bekannt? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 9 wird verwiesen. Das hausinterne Statistikverfahren der Deutschen Rentenversicherung Bund differenziert hinsichtlich Statusfeststellungen nicht nach Honorargruppen oder Branchen. 11. Wie hoch war die durchschnittliche Höhe der bei Unternehmen eingeforderten Nachzahlungen von 2007 bis 2017 (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund entscheidet lediglich darüber, ob eine Erwerbstätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit zu beurteilen ist. Im Fall der Beschäftigung entscheidet die Clearingstelle ferner über die Versicherungspflicht in den einzelnen Sozialversicherungszweigen , die Entscheidung über die Beitragspflicht und die Beitragshöhe obliegt der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle im Anschluss an das Statusfeststellungsverfahren . Statistiken zu dem erfragten Sachverhalt werden seitens der Krankenkassen nicht geführt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/6936 Im Rahmen von Betriebsprüfungen werden im Zusammenhang mit versicherungsrechtlichen Beurteilungen auch Beitragsbescheide von den Rentenversicherungsträgern erlassen. Für diese Sachverhalte werden allerdings – wie für alle anderen Einzelsachverhalte auch – keine separaten Statistiken geführt. 12. Wie hoch ist von 2007 bis 2017 der Anteil der Anträge, die entsprechend dem Ziel bzw. gegen das Ziel der Antragsteller – abhängig beschäftigt oder selbstständig zu sein –, welches die Beteiligten im Antragsverfahren angeben müssen, entschieden wurden (bitte nach Jahr und Ziel aufschlüsseln)? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 4a der Kleinen Anfrage „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung“ auf Bundestagsdrucksache 18/11982, Seite 5 wird verwiesen. 13. Wie viele Statusfeststellungsverfahren, die als Tätigkeitsfeld „Entwickler“, „Administrator“ oder „Berater“ beinhalten, sind zwischen 2007 und 2017 a) bei der Clearing-Stelle beantragt worden bzw. b) als abhängig beschäftigt bzw. selbstständig eingestuft worden (bitte nach Jahr und Tätigkeitsfeld aufschlüsseln)? Auf die Antwort zu Frage 9c wird verwiesen. 14. Wieso wird „IT-Freelancer“ nicht als eigenes Tätigkeitsfeld bzw. als eigene Berufsgruppe in den Formularen der Deutschen Rentenversicherung geführt ? Die von der Deutschen Rentenversicherung Bund im Zusammenhang mit den Statusfeststellungsverfahren verwandten Formulare beinhalten allgemein keine Angabe einzelner Berufsgruppen. 15. Sieht die Bundesregierung die Besonderheiten dieser Berufsgruppen und die Möglichkeiten der Eingrenzung? Das Tätigkeitsspektrum und die Umstände der Leistungserbringung dieser Berufsgruppen sind so heterogen, dass verallgemeinernde Aussagen im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht zielführend erscheinen. 16. Weshalb wird der Ort der Tätigkeit bei IT-Freelancern als Kriterium für das Vorhandensein einer Scheinselbstständigkeit angesehen, wenn oft aus Gründen der technischen Infrastruktur, aus IT-Sicherheitsgründen und Datenschutzgründen (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO, Auflagen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin) nur eine Arbeit vor Ort möglich ist? Die Bedeutung des Arbeitsorts als ein Kriterium zur Abgrenzung abhängiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 11 auf die Kleine Anfrage „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung “ auf Bundestagsdrucksache 18/11982, Seite 10). Im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung ist dabei angemessen zu berücksichtigen, wenn bestimmte Tätigkeiten aus Gründen technischer Infrastruktur, aus IT-Sicherheitsgründen und Datenschutzgründen in den Räumen des Auftrag- bzw. Arbeitgebers verrichtet werden müssen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 17. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass sich aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels im Bereich der Informatik die Markt- und Einkommenssituation der IT-Freelancer noch weiter verbessert? a) Wenn ja, wieso? b) Wenn nein, wieso nicht? Der Bundesregierung liegen dazu keine genaueren Erkenntnisse vor. 18. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass IT-Freelancer , die durchschnittlich knapp 4 700 Euro netto verdienen und überwiegend die Vorsorge für das Alter selbst in die Hand nehmen, arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht schutzbedürftig sind? a) Wenn ja, wieso? b) Wenn nein, wieso nicht? Es wäre verfehlt, bei der Frage einer arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Schutzbedürftigkeit maßgeblich auf den Verdienst abzustellen. Auch gutverdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedürfen dieses Schutzes und sind in den Schutzbereich einbezogen. Zudem erzielen gerade selbständig Tätige nicht selten jährlich sehr unterschiedliche Einkommen. Würde eine bestehende, für die Einbeziehung in die Sozialversicherung konstitutive Verdienstgrenze mehrfach über- und dann wieder unterschritten, wäre ein auf Dauer angelegter und nachhaltiger arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Schutz kaum möglich. 19. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine Gleichbehandlung geringer und besser verdienender bzw. prekär Beschäftigter und Hochqualifizierter bei der Abgrenzung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit nicht gerechtfertigt ist? a) Wenn ja, wieso? b) Wenn nein, wieso nicht? Wie in der Antwort zu Frage 3 bereits ausgeführt, richtet sich die sozialversicherungsrechtliche Einstufung einer Tätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit allgemein nach § 7 Absatz 1 SGB IV. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung können im Einzelfall auch Aspekte der Entgelthöhe oder des Qualifikationsniveaus ggf. eine Rolle spielen. 20. Wird das Honorar des bzw. der Selbstständigen bei der Abgrenzung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit mit betrachtet? Wenn ja, wie wird dieses gewertet? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 6 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung Bund“ auf Bundestagsdrucksache 19/749, Seite 4 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/6936 21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der aktuellen Rechtslage einschließlich der derzeit von der Deutschen Rentenversicherung herangezogenen Abgrenzungskriterien im Hinblick auf die Arbeit in agilen Projektverfahren wie „Scrum“, die aktuell ein global anerkannter Standard etwa von innovativen Softwareentwicklungsverfahren sind? Erkenntnisse über Auswirkungen der Tätigkeit im Rahmen agiler Projektverfahren wie „SCRUM“ auf die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung liegen der Bundesregierung nicht vor. 22. Wie bewertet die Bundesregierung das rechtliche Risiko, dass IT-Freelancer und ähnliche Know-how-Träger, die in den in Frage 21 genannten agilen Verfahren Projekte durchführen, unter Zugrundelegung der bisherigen Abgrenzungskriterien von der Deutschen Rentenversicherung zunehmend als scheinselbstständig eingestuft werden? Wie bereits in der Antwort zu Frage 15 ausgeführt, sind das Tätigkeitsspektrum und die Umstände der Leistungserbringung von IT-Freelancern so heterogen, dass verallgemeinernde Aussagen im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht zielführend erscheinen. Daher vermag die Bundesregierung auch nicht ein „rechtliches Risiko“ einzuschätzen, dass eine entsprechende Tätigkeit durch die Deutsche Rentenversicherung als abhängige Beschäftigung eingestuft wird. Es liegen der Bundesregierung auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Tätigkeiten von IT-Freelancern durch die Deutsche Rentenversicherung zunehmend als abhängige Beschäftigungen eingestuft werden. 23. Unterscheidet die Deutsche Rentenversicherung nach Kenntnis der Bundesregierung diesbezüglich zwischen projektbezogenen und kleinteiligen Weisungen des Auftraggebers an den Auftragnehmer, da „Weisungsgebundenheit “ laut Deutscher Rentenversicherung generell ein Zeichen für Scheinselbstständigkeit ist? Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach der gesetzlichen Vorgabe in § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Diese gesetzliche Vorgabe hat die Deutsche Rentenversicherung Bund zu beachten. Ebenso zu beachten hat die Deutsche Rentenversicherung Bund die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Danach erfordert die Zuordnung des konkreten Lebenssachverhalts zum rechtlichen Typus der (abhängigen) Beschäftigung als „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung eine Gewichtung und Abwägung aller als Indizien für und gegen eine Beschäftigung bzw. selbständige Tätigkeit sprechenden Merkmale der Tätigkeit im Einzelfall. Bei Vorliegen gegenläufiger, d. h. für die Bejahung und die Verneinung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals sprechender tatsächlicher Umstände oder Indizien ist insoweit eine wertende Zuordnung aller Umstände im Sinne einer Gesamtabwägung vorzunehmen. Diese Abwägung darf allerdings nicht (rein) schematisch oder schablonenhaft erfolgen, etwa in der Weise, dass beliebige Indizien jeweils zahlenmäßig einander gegenübergestellt werden, sondern es ist in Rechnung zu stellen, dass manchen Umständen wertungsmäßig größeres Gewicht zukommen kann als anderen, als weniger bedeutsam einzuschätzenden Indizien. Eine rechtmäßige Gesamtabwägung setzt deshalb voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Indizien festgestellt, in ihrer Tragweite gewichtet und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 24. Sind der Bundesregierung Gründe bekannt, weshalb sich die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung bei gleichbleibender gesetzlicher Lage signifikant verändert haben, wie in der Einleitung beschrieben und in den Zahlen der Bundesregierung aus der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 18/11982, S. 3, Tabelle 1 ersichtlich ist? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung“ auf Bundestagsdrucksache 18/11982, Seite 4 f. wird verwiesen. 25. Wie viele Prüfer waren 2016 für die Deutsche Rentenversicherung im Einsatz ? Im Jahr 2016 waren in den Prüfdiensten der Rentenversicherungsträger rund 3 200 Prüferinnen und Prüfer im Einsatz. 26. Wie viele Verfahren hat ein Prüfer durchschnittlich pro Jahr seit 2007 bearbeitet (bitte jeweils nach Jahren angeben)? Die Prüfdienste der Rentenversicherungsträger sind gesetzlich verpflichtet, bei jedem Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland spätestens alle vier Jahre eine Betriebsprüfung durchzuführen (§ 28p Absatz 1 SGB IV). Dadurch wird vermieden , dass etwaige Forderungen an Sozialversicherungsbeiträgen verjähren können. Beitragsansprüche verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres , in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Absatz 1 Satz 1 SGB IV). Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Absatz 1 Satz 2 SGB IV). Im Rahmen dieser Betriebsprüfungen entscheiden die Rentenversicherungsträger u. a. auch über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung. Dabei wird auch geklärt, ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit bei dem Arbeitgeber ausgeübt wird und ob Sachverhalte richtig beurteilt wurden. Die flächendeckende Prüfung der Rentenversicherungsträger umfasst damit alle Arbeitgeber. Wie viele Verfahren zur versicherungsrechtlichen Beurteilung ein Prüfer durchschnittlich pro Jahr bearbeitet, wird dabei statistisch nicht erfasst. 27. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Quote, die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung erfüllen müssen? Eine Quote, die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung im Hinblick auf versicherungsrechtliche Beurteilungen erfüllen müssen, existiert nicht. 28. Wie viele dieser Prüfer arbeiteten 2016 für die Clearing-Stelle? Keiner. Die Clearingstelle und der Prüfdienst sind organisatorisch und damit auch personell getrennte Bereiche innerhalb der DRV Bund. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/6936 29. Wurden zwischen 2016 und 2018 neue Prüfer der Deutschen Rentenversicherung geschult? Wenn ja, a) wie viele, In den Jahren 2016 bis 2018 wurden trägerübergreifend 342 neue Prüfer geschult. Die Schulungen verteilten sich wie folgt auf die jeweiligen Jahre: 2016: 142 Prüferinnen und Prüfer 2017: 118 Prüferinnen und Prüfer 2018: 82 Prüferinnen und Prüfer. b) zu welchem Zweck, und Die Schulungen umfassen standardmäßig alle Prüfgebiete (Grundschulung für Betriebsprüfer, außer Künstlersozialabgabe und gesetzliche Unfallversicherung). c) wie viele dieser Prüfer sollen in der Clearing-Stelle eingesetzt werden? Die Prüferinnen und Prüfer sind nicht für die Clearingstelle tätig. 30. Falls signifikant mehr Prüfer geschult wurden, was war der Grund dafür? Es wurden nicht mehr Prüferinnen und Prüfer als üblich geschult. 31. Wurden die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung im Hinblick auf die veränderten Anforderungen in agilen Arbeitsverfahren wie etwa Scrum fortgebildet ? Die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung wurden nicht in agilen Arbeitsverfahren wie etwa SCRUM fortgebildet. 32. Aus welchen Gründen ist die Clearing-Stelle innerhalb der Deutschen Rentenversicherung angesiedelt? Das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV wurde mit dem Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 eingeführt. Von Beginn an war die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heute Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) zuständig für dieses Verfahren. In der amtlichen Begründung (Bundestagsdrucksache 14/1855, Seite 7) wird hierzu ausgeführt: „Die alleinige Zuständigkeit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gilt nur für das Anfrageverfahren . Sie wird vorgesehen, weil die betroffenen Beschäftigten ganz überwiegend zu den Versicherten der Bundesversicherungsanstalt gehören und weil diese für die Pflichtversicherung der Selbständigen nach § 2 Satz 1 Nummer 9 SGB VI allein zuständig ist (…). Ferner werden divergierende Statusentscheidungen vermieden.“ Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/6936 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 33. Sieht die Bundesregierung ein Risiko von Interessenskonflikten dadurch, dass die Clearing-Stelle Entscheider und – im Fall der Feststellung der Versicherungspflicht – Nutznießer in einem ist? 34. Was unternehmen die Bundesregierung und die Deutsche Rentenversicherung , um einen Interessenskonflikt bei der Clearing-Stelle zu vermeiden? Die Fragen 33 und 34 werden gemeinsam beantwortet. Das Risiko eines Interessenkonflikts durch die alleinige Zuständigkeit der DRV Bund für das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV wird nicht gesehen. Dieses Verfahren wurde eingeführt, um eine einfache Möglichkeit zu bieten, eine für mehrere Zweige der Sozialversicherung (gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflegeund Arbeitslosenversicherung) verbindliche Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Erwerbstätigkeit zu erhalten. Vor Einführung dieses Verfahrens konnten die einzelnen Sozialversicherungsträger abweichende Feststellungen treffen. Dass eine solche Statusentscheidung von einem Sozialversicherungsträger zu treffen ist, liegt angesichts der Sachnähe und dort vorhandenen Sachkunde nahe. Die praktizierte Rechtsaufsicht durch das Bundesversicherungsamt und die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung von Einzelfallentscheidungen bieten die Gewähr für eine rechtmäßige und nicht interessengeleitete Aufgabenwahrnehmung. 35. Wie und durch welche Maßnahmen wird nach Kenntnis der Bundesregierung sichergestellt, dass die Prüfer die durchaus heterogenen Antworten der Antragsteller auf die offen gestellten Fragen der Deutschen Rentenversicherung nach einem einheitlichen System beurteilen und bewerten? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 15a der Kleinen Anfrage „Das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung“ auf Bundestagsdrucksache 18/11982, Seite 12 f. wird verwiesen. 36. Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Selbstständigen im Ruhestand von 2007 bis 2017 gewesen, die Grundsicherung nach Hartz IV beziehen? Welche Faktenlage liegt diesbezüglich für IT-Freelancer vor (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Personen im Ruhestand, die eine Rente wegen Alters oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art beziehen sowie Personen, die die Altersgrenze nach § 7a SGB II erreicht haben, erfüllen nicht die Voraussetzungen für einen Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. 37. Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Selbstständigen in sogenannten prekären wirtschaftlichen Verhältnissen von 2007 bis 2017 gewesen? Welche Faktenlage liegt diesbezüglich für IT-Freelancer vor (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Gleichwohl zeichnet sich die Solo-Selbständigkeit in Deutschland, wie bereits in der Vorbemerkung der Bundesregierung erwähnt, durch eine starke Streuung von Berufen, ein im Mittel geringeres Einkommen und eine höhere Spreizung der Einkommen und Vermögenswerte gegenüber Selbständigen mit Beschäftigten einerseits und gegenüber abhängig Beschäftigten andererseits aus. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333