Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 18. Januar 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/7215 19. Wahlperiode 21.01.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding, Grigorios Aggelidis, Nicole Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/6850 – Heranziehung von Pflegekindern als Leistungsberechtigte durch einen Kostenbeitrag V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r § 94 Absatz 6 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) legt fest, dass Pflegekinder einen finanziellen Beitrag dafür erbringen müssen, dass sie eine vollstationäre Betreuung durch eine Pflegefamilie oder eine Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen. Demnach werden Jugendliche als Leistungsempfänger behandelt und müssen 75 Prozent ihres Nettoeinkommens, welches sie im Rahmen ihrer Ausbildung oder eines Nebenjobs verdienen, an das Jugendamt zahlen : „Bei vollstationären Leistungen haben junge Menschen und Leistungsberechtigte nach § 19 nach Abzug der in § 93 Absatz 2 genannten Beträge 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Es kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund stehen“. Gerechtfertigt ist die Kostenheranziehung laut Gesetzgeber dadurch, dass gemäß § 39 Absatz 1 Satz 1 SGB VIII das Jugendamt als zuständiger Jugendhilfeträger für dessen Lebensunterhalt und Krankenhilfe aufkommt. Gemäß § 39 Absatz 1 Satz 2 SGB VIII umfasst dieser Unterhalt die Kosten für den Sachaufwand sowie die Pflege und Erziehung des jungen Menschen (Unterkunft, Ernährung , Kleidung, Hygieneartikel, Fahrtkosten und Arbeitskleidung). Bei vollstationärer Betreuung eines Kindes oder Jugendlichen durch Pflegeeltern wird dieser Lebensunterhalt als Pflegegeld vom Jugendamt an die Pflegeeltern gezahlt (§ 39 SGB VIII). § 94 Absatz 6 SGB VIII ist zum 1. Januar 2014 geändert worden. Eine Freistellung der Heranziehung des Verdienstes ist seitdem immer dann möglich, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die dem Zweck der Jugendhilfe dient. Diese Tätigkeiten sind jene, bei denen es um die Förderung gesellschaftlich anerkannter Tugenden, wie beispielsweise Zuverlässigkeit oder Pünktlichkeit, geht. Es geht also um Tätigkeiten, die mit dem Zweck der erzieherischen Hilfe vereinbar Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/7215 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode sind. Ein Beispiel dafür ist das Austragen von Zeitungen. Diese Nebentätigkeit kann als solche anerkannt werden, woraufhin von der Heranziehung der Kosten abgesehen werden kann. Bei einer Beschäftigung im Rahmen anderer Nebenjobs oder einer Ausbildung kann es sein, dass einem Pflegekind dennoch nur 25 Prozent des Verdienstes bleiben. Nach Ansicht der Fragesteller darf das Elternhaus oder die Lebenssituation eines jungen Menschen nicht bestimmen, welche Chancen ein Mensch im Leben hat. Kinder und Jugendliche dürfen nicht dafür in Verantwortung gezogen werden , dass ihre leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, für sie sorgen zu können. Bereits für junge Menschen müssen die Rahmen so gesteckt sein, dass sich die eigene Selbstständigkeit in jedem Fall lohnt. Leistung und Engagement dürfen nicht bestraft werden. Während Kinder und Jugendliche 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einsetzen müssen, beziehen die Pflegeeltern zwar weiterhin das Pflegegeld, mit dem für den Lebensbedarf des Kindes oder Jugendlichen gesorgt wird, der Anreiz zur Selbstständigkeit bleibt bei einem Verbleib von nur 25 Prozent des Nettogehalts allerdings aus. Darüber hinaus müssen die Jugendlichen spätestens nach ihrer Ausbildung eigenen Wohnraum beziehen. Das ist nicht nur ein Schritt, der im Leben eines jungen Menschen sehr bedeutsam ist, dieser Schritt hält auch finanzielle Herausforderungen bereit. 1. Wie viele Kinder und Jugendliche wachsen nach Kenntnis der Bundesregierung pro Jahr in vollstationärer Betreuung durch eine Pflegefamilie oder Pflegeeinrichtung auf, und wie viele Kinder und Jugendliche davon sind pro Jahr von der Heranziehung ihres Einkommens als Kostenbeitrag betroffen (bitte für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 sowie unter Angabe des Alters aufschlüsseln)? Für die Beantwortung der Frage nach der Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung gemäß § 33 SGB VIII „Vollzeitpflege“ nach dem Alter der jungen Menschen wird auf die Ergebnisse der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) zurückgegriffen (vgl. Tabelle 1). Angaben über die Zahl der Fälle, die von den Regelungen zur Kostenheranziehung betroffen sind, liegen der Bundesregierung nicht vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/7215 Tabelle 1: Junge Menschen in der Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII (einschl. Hilfen für junge Volljährige) nach Altersjahren (Deutschland; 2013-2017; Angaben absolut, Summe aus am Jahresende andauernden und innerhalb eines Jahres beendeten Hilfen) Alter von ... bis unter ... Jahren 2013 2014 2015 2016 2017 Insgesamt 81.543 84.176 86.216 89.731 91.420 0 – 1 1.761 1.837 1.763 1.848 1.915 1 – 2 2.837 2.788 2.803 2.811 2.842 2 – 3 3.513 3.535 3.460 3.552 3.581 3 – 4 3.993 4.016 3.929 4.002 4.055 4 – 5 4.313 4.396 4.354 4.252 4.345 5 – 6 4.849 4.597 4.574 4.489 4.496 6 – 7 4.676 5.079 4.740 4.699 4.676 7 – 8 4.675 4.875 5.211 4.796 4.819 8 – 9 4.447 4.803 4.913 5.189 4.894 9 – 10 4.349 4.636 4.964 4.872 5.291 10 – 11 4.352 4.470 4.585 4.977 5.050 11 – 12 4.386 4.417 4.421 4.693 5.049 12 – 13 4.488 4.540 4.594 4.606 4.802 13 – 14 4.532 4.614 4.585 4.742 4.757 14 – 15 4.519 4.684 4.827 4.815 4.814 15 – 16 4.442 4.629 4.959 5.292 4.935 16 – 17 4.379 4.635 4.923 5.734 5.347 17 – 18 4.143 4.324 4.762 5.812 5.744 18 – 19 3.707 4.025 4.196 4.970 5.831 19 – 20 1.559 1.596 1.777 1.808 2.204 20 – 21 923 891 984 980 1.071 21 – 27 700 789 892 792 902 davon 0 – 18 74.654 76.875 78.367 81.181 81.412 18 – 27 6.889 7.301 7.849 8.550 10.008 Quelle: Quelle: Statistisches Bundesamt – Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe; versch. Jahrgänge); Zusammenstellung und Berechnung Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJStat) Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/7215 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2. Bei wie vielen Kindern und Jugendlichen, die von der Heranziehung ihres Einkommens nach § 94 Absatz 6 SGB VIII als Kostenbeitrag betroffen sind, wurde die berufliche Tätigkeit als eine Tätigkeit anerkannt, die dem Zweck der Jugendhilfe dient, weshalb sie keinen oder einen geringeren Kostenbeitrag zu leisten hatten (bitte für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 angeben sowie nach Alter aufschlüsseln)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 3. Wie wird nach Auffassung der Bundesregierung sichergestellt, dass ein Pflegekind beim Auszug, der spätestens nach Beendigung der Ausbildung erfolgen muss, die Zahlung für eine Mietkaution aufbringen kann? 4. Wie wird nach Auffassung der Bundesregierung sichergestellt, dass sich ein Pflegekind beim Auszug, der spätestens nach Beendigung der Ausbildung erfolgen muss, die Finanzierung von Möbeln für den eigenen Wohnraum leisten kann? Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – enthält Vorschriften u. a. über die Übernahme von Mietkautionen (§ 22 Absatz 6 Satz 1 Halbsatz 1) sowie von Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten (§ 24 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1). Diese finden grundsätzlich auch auf ehemalige Pflegekinder Anwendung. 5. Ist es einem Pflegekind nach Auffassung der Bundesregierung mit den finanziellen Mitteln des Pflegegeldes, das die Pflegefamilie des Kindes für den Sachaufwand sowie die Pflege und Erziehung des jungen Menschen (Unterkunft , Ernährung, Kleidung, Hygieneartikel, Fahrtkosten und Arbeitskleidung ) vom Jugendamt erhält, möglich, einen Führerschein, der vor allem in ländlichen Regionen für die Berufstätigkeit notwendig ist und durchschnittlich 1 500 Euro kostet, zu finanzieren? Gemäß § 39 Absatz 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) können einmalige Beihilfen oder Zuschüsse bei wichtigen persönlichen Anlässen des Kindes oder des Jugendlichen gewährt werden. Hierzu kann abhängig vom Einzelfall auch der Erwerb einer Fahrerlaubnis zählen, zum Beispiel wenn eine Fahrerlaubnis Berufsvoraussetzung ist oder Schule oder Ausbildungsstelle nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. 6. Warum erfolgt die in § 94 Absatz 6 SGB VIII geregelte Heranziehung von Pflegekindern als Leistungsberechtigte durch einen Kostenbeitrag nur für berufliche Tätigkeiten im Rahmen einer Ausbildung oder einer Nebentätigkeit, nicht aber für einen Ferienjob, wenn das Einkommen in Summe doch aber identisch ist? § 94 Absatz 6 Satz 1 SGB VIII regelt, dass junge Menschen bei vollstationären Leistungen bis zu 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen haben. Ein Einkommen, das aus einem Ferienjob stammt ist davon grundsätzlich nicht ausgenommen. Allerdings lässt § 94 Absatz 6 Satz 2 SGB VIII. Ausnahmen von der Kostenheranziehung junger Menschen zu, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient, z. B. wenn das Einkommen aus einer ehrenamtlichen oder vergleichbaren Erwerbstätigkeit kommt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/7215 Tätigkeiten dienen dann dem Zweck der Leistung, wenn sie zur Förderung der Entwicklung des jungen Menschen beitragen, also der junge Mensch dabei Eigenverantwortung übernimmt, soziale Kompetenzen erwirbt oder die Tätigkeit zu seiner Verselbständigung beiträgt. In diesen Fällen hat das Jugendamt die Möglichkeit , einen geringeren oder gar keinen Kostenbeitrag des jungen Menschen zu erheben. 7. Welche konkreten beruflichen Tätigkeiten werden nach § 94 Absatz 6 SGB VIII als Tätigkeiten anerkannt, die dem Zweck der Jugendhilfe dienen und entsprechend eine Freistellung der Heranziehung des Verdienstes oder eine geringere Heranziehung des Verdienstes bewirken, und anhand welcher konkreten Kriterien wird diese Einstufung vorgenommen? 8. Welche konkreten beruflichen Tätigkeiten werden nach § 94 Absatz 6 SGB VIII als Tätigkeiten eingestuft, die dem Zweck der Jugendhilfe nicht dienen und entsprechend keine Freistellung der Heranziehung des Verdienstes bewirken , und anhand welcher konkreten Kriterien wird diese Einstufung vorgenommen ? Die Fragen 7 und 8 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Tätigkeit dem Zweck der individuellen Leistung der Kinder- und Jugendhilfe dient. Hinweise daraus können sich jeweils aus dem individuellen Hilfeplan ergeben. Eine konkrete Benennung von Tätigkeiten, die dem Zweck dienen, und solchen, die dem Zweck nicht dienen, ist daher nicht möglich. Darüber hinaus handelt es sich um eine Ermessenentscheidung des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe darüber, ob er von der Erhebung des Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht. 9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass einem 17- jährigen Jugendlichen mit einem Ausbildungsgehalt von 200 Euro netto, der mit 150 Euro als Kostenbeitrag für die in Anspruch genommene vollstationäre Betreuung in seiner Pflegefamilie herangezogen wird, dadurch signalisiert wird, dass sich eigene Leistung und Engagement für ihn nicht oder in nur sehr geringen Umfang lohnen? 10. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein junger Mensch, der 75 Prozent des Einkommens als Kostenbeitrag für die in Anspruch genommene vollstationäre Betreuung durch eine Pflegefamilie einsetzen muss, auf die er angewiesen ist, weil seine leiblichen Eltern die Fürsorge nicht leisten können , im Sinne der Chancengerechtigkeit angemessen unterstützt wird? 11. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, den in § 94 Absatz 6 SGB VIII geregelten Umfang der Heranziehung von Pflegekindern als Leistungsberechtigte durch einen Kostenbeitrag für die in Anspruch genommene vollstationäre Betreuung von 75 Prozent ihres Nettoeinkommens zu reduzieren? Die Fragen 9 bis 11 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Zum Verständnis der Kostenbeitragspflicht junger Menschen ist darauf hinzuweisen , dass die Kostenheranziehung grundsätzlich Ausdruck des der öffentlichen Fürsorge zugrunde liegenden Prinzips der Nachrangigkeit der öffentlichen Fürsorge gegenüber der Selbsthilfe und der Leistung anderer ist. Jungen Menschen wird im Rahmen einer stationären Hilfe zur Erziehung vom Träger der öffentli- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/7215 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode chen Jugendhilfe der gesamte Unterhalt gewährt; sie erhalten also neben der Erziehungsleistung v. a. auch Unterkunft, Verpflegung und ein angemessenes Taschengeld (vgl. § 39 SGB VIII). Im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode haben CDU/CSU und SPD vereinbart, das Kinder- und Jugendhilferecht auf der Basis des KJSG weiterzuentwickeln . Gegenstand des breit angelegten Dialogprozesses zur Modernisierung des SGB VIII, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Umsetzung des Koalitionsvertrags vor einer Gesetzesinitiative durchführt, wird auch ein angemessener Umfang der Kostenbeteiligung junger Menschen in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Heimerziehung sein. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob die Ausnahmeregelungen zur Kostenheranziehung im geltenden Recht dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe hinreichend Rechnung tragen . Es ist auch Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe, junge Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und sie zu einem eigenständigen, selbstverantwortlichen Leben zu erziehen und zu motivieren. Mit der Aufnahme einer Ausbildung oder einer anderen Tätigkeiten, wie z. B. Zeitungsaustragen oder eines Ferienjobs, lernen junge Menschen, Eigenverantwortung für sich und die eigene Zukunft zu übernehmen. Die Kostenheranziehung soll der Motivation junger Menschen, eine solche Tätigkeit zu beginnen, nicht entgegenstehen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333