Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 23. Januar 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/7373 19. Wahlperiode 25.01.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Margarete Bause, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/6656 – Übergriffe auf Aktivistinnen und Aktivisten der ukrainischen Zivilgesellschaft V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In den kommenden Wochen jährt sich die demokratische Revolution in der Ukraine, der Euromaidan, zum fünften Mal. Bis heute ist die ukrainische Zivilgesellschaft treibende Kraft hinter den Reformbemühungen zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine. Dank ihres Engagements konnten in den zurückliegenden Jahren bereits einige Fortschritte in zahlreichen Bereichen erzielt werden (www.zeit.de/politik/ausland/2016-12/ukraine-reformkorruption -eu-russland/komplettansicht). Die reformorientierte Zivilgesellschaft agiert in einem schwierigen Umfeld. Die Beharrungskräfte des alten, von Oligarchie und Korruption geprägten Systems sind weiterhin groß. Korrupte Eliten und kremlorientierte Kräfte sehen ihre Stellung durch den gesellschaftlichen Reformdruck bedroht. Die seit Jahren andauernde , verdeckte Kriegsführung Russlands in der Ostukraine hat das Gewaltniveau in der Gesellschaft insgesamt erhöht (www.sueddeutsche.de/politik/ menschenrechte-in-der-ukraine-so-werden-ermittlungen-bewusst-sabotiert-1.42 19130). In den letzten Monaten häufen sich in einem beunruhigenden Maße Übergriffe auf reformorientierte Kräfte aus Zivilgesellschaft und Politik. Viele der Opfer hatten vor den Übergriffen auf sie konkrete (Korruptions-)Vorwürfe gegen Angehörige der lokalen Elite erhoben. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Tod der Antikorruptionsaktivistin Kateryna Handsjuk, die am 4. November 2018 infolge eines drei Monate zurückliegenden Attentats mit Schwefelsäure im Krankenhaus verstarb (https://p.dw.com/p/37q4f). Daneben gibt es weitere Fälle, in denen Aktivistinnen und Aktivisten eines gewaltsamen Todes starben. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft werfen den Strafverfolgungsbehörden vor, nur halbherzig oder gar nicht tätig zu werden. Über 50 ukrainische Nichtregierungsorganisationen haben einen Appell an die Regierung gerichtet und die Behörden aufgefordert, die Vorfälle vollständig aufzuklären (https://rpr.org.ua/ en/news/rpr-calls-on-the-government-authorities-to-protect-civil-society-fromthe -growing-physical-pressure/). Drucksache 19/7373 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Wie bewertet die Bundesregierung die Rolle der ukrainischen Zivilgesellschaft bei der Durchführung von Reformen seit dem Euromaidan? 2. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Lage der ukrainischen Zivilgesellschaft in den letzten Jahren entwickelt? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Die ukrainische Zivilgesellschaft ist lebendig, vielseitig und im politischen Prozess engagiert. Ihre Bedeutung ist seit dem „Euro-Maidan“ weiter gewachsen, und sie übt erheblichen Einfluss auf die ukrainische Politik aus. Es gibt zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, Aktivistinnen und Aktivisten, die sich professionell oder ehrenamtlich auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene engagieren. In ihrer Gesamtheit nehmen sie auf den verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Sektoren einen wichtigen Platz im demokratischen Meinungsbildungsprozess in der Ukraine ein, insbesondere im Hinblick auf die Reformagenda. In letzter Zeit häufen sich Berichte über nur unzureichend verfolgte und nicht aufgeklärte gewalttätige Übergriffe auf zivilgesellschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang ihre Sorge gegenüber der ukrainischen Regierung zum Ausdruck gebracht und adäquaten Schutz von zivilgesellschaftlichen Aktivistinnen und Aktivisten sowie eine konsequente Strafverfolgung, die auch Hinterleute einschließt, eingefordert. Gleichzeitig gibt es seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und seit dem Ausbruch eines bewaffneten Konflikts in der Ost-Ukraine auf der annektierten Krim und den von Separatisten kontrollierten Gebieten des Donbass eine drastische Verschlechterung der Menschenrechtslage und des Betätigungsumfelds für die Zivilgesellschaft. So berichtet die Beobachtungsmission Ukraine (Human Rights Monitoring Mission, HRMMU) des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR) im 24. Bericht zur Menschenrechtssituation in der Ukraine (Berichtszeitraum 16. August bis 15. November 2018) über zahlreiche Verletzungen von Menschenrechten in diesen Gebieten. 3. Wie viele Übergriffe hat es nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2017 auf zivilgesellschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten gegeben, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus? Die HRMMU dokumentiert in ihren regelmäßigen Berichten auch Angriffe auf Vertreter der Zivilgesellschaft (siehe www.ohchr.org/EN/Countries/ENACARegion/ Pages/UAReports.aspx). Nach diesen Berichten hat es 2018 landesweit mindestens 145 Vorfälle gegeben, die Personen in der Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigten. Dies schließt körperliche Angriffe bis hin zu solchen mit Todesfolge ein. Die HRMMU stellt fest, dass die Anzahl der Vorfälle steigt. Die Bundesregierung hat ihre Sorge in diversen Gesprächen gegenüber der ukrainischen Regierung zum Ausdruck gebracht und setzt sich für einen adäquaten Schutz der zivilgesellschaftlichen Akteure ein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/7373 4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Äußerungen des ukrainischen Generalstaatsanwalts Lutsenko, der angedeutet hat, die Opfer seien selbst für die Angriffe verantwortlich (http://euromaidanpress. com/2018/09/28/ukrainian-activists-demand-to-investigate-wave-of-attacksprosecutor -general-suggests-its-their-own-fault/)? Aus Sicht der Bundesregierung bedarf es, trotz bereits erfolgter wichtiger Schritte wie der Schaffung der Antikorruptions-Ermittlungsbehörde NABU, dringend weiterer Schritte bei der Reform der Strafverfolgungsbehörden, um eine effektive Strafverfolgung sicherzustellen. Dabei ist entscheidend, dass nicht nur die unmittelbaren Täter, sondern auch deren Hinterleute erfasst und verfolgt werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 17 verwiesen. 5. Wie bewertet die Bundesregierung die Fortschritte der Ukraine bei der Reform der Strafverfolgungsbehörden? Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. 6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Umstände des Todes der Antikorruptionsaktivistin Kateryna Handsjuk sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner (Quelle Fragen 6 bis 16: https://onedrive.live.com/?authkey=%21AO1jq6vxDdv_B0g& cid=14A5FF6DD36DAE91&id=14A5FF6DD36DAE91%2171973&parId= 14A5FF6DD36DAE91%2171909&o=OneUp)? Bezüglich der Fragen 6 bis 16 gilt, dass der Bundesregierung diese Fälle aus den Medien bekannt sind, deren Berichte den Fragestellungen zugrunde liegen. Die Bundesregierung hat die Vorfälle darüber hinaus mit Vertreterinnen und Vertretern einschlägiger Nichtregierungsorganisationen und in Einzelfällen in direkten Gesprächen mit Betroffenen thematisiert. Die Thematik war auch Gegenstand eines Gesprächs der Bundeskanzlerin mit zivilgesellschaftlichen Aktivisten in Kiew am 1. November 2018. Im Falle Kateryna Handsjuk ermittelte die Polizei zunächst wegen Rowdytums, unter öffentlichem Druck später wegen versuchten Mordes bzw. wegen Mordes. Im ukrainischen Parlament wurde ein Untersuchungsausschuss für diesen Fall eingerichtet. Ergebnisse werden vor Februar 2019 erwartet. 7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Umstände des Todes von Irina Nozdrovskaya, deren Schwester 2015 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, in den ein Angehöriger eines Richters am Lokalgericht verwickelt war, sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Der Angeklagte befindet sich nach Kenntnis der Bundesregierung in Untersuchungshaft . Das Gerichtsverfahren dauert an. 8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Umstände des Todes des Umweltaktivisten Nikolay Yarema sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner (https://jam-news. net/5-civil-activists-have-died-in-ukraine-since-the-beginning-of-2018/)? Der Bundesregierung liegen keine Informationen zum Stand des Verfahrens vor. Drucksache 19/7373 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Umstände des Todes des Antikorruptionsaktivisten Nikolay Bychko sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Pressemeldungen zufolge wurde das Verfahren eingestellt, da die Polizei von Selbstmord ausgeht. 10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf den Antikorruptionsaktivisten Vitaliy Ustymenko sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Laut Pressemeldungen wurden zwei Tatverdächtige festgenommen. Zum Stand des Verfahrens liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. 11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf Borys Zolotchenko und weitere LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner ? Der Bundesregierung liegen keine Informationen über eingeleitete Ermittlungen vor. 12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf Vitaliy Shabunin sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Pressemeldungen zufolge wurden die von der Polizei festgenommenen Angreifer kurze Zeit später freigelassen. Ein Ermittlungsverfahren wurde trotz Strafanzeige nicht eingeleitet. Die Nichtregierungsorganisation AntAC, der Vitaliy Shabunin vorsitzt, hat ein Strafverfahren wegen Amtspflichtverletzung durch die Polizei beantragt. Am 21. November 2018 gab das zuständige Gericht dem Antrag statt. 13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf den Aktivisten Mykhaylo Kuzakon und den Journalisten Hrihoriy Kozma sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner ? Nach Pressemeldungen gehen polizeiliche Ermittlungen von einem Mordanschlag aus. Ein entsprechendes Strafverfahren wurde eingeleitet. Drei Tatverdächtige wurden am 23. August 2018 festgenommen. Hinsichtlich möglicher Hintermänner wird weiter ermittelt. 14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf den Umweltaktivisten Ihor Gryshachov sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Zum Stand des Verfahrens liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. 15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf den Antikorruptionsaktivisten Serhii Chagarov sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Laut Pressemeldungen hat die Polizei den Vorfall als Rowdytum eingestuft. Der Betroffene hat vor Gericht den Antrag auf Einstufung als Mordversuch gestellt. Zum aktuellen Stand des Verfahrens liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/7373 16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Angriff auf den Lokalpolitiker Oleh Mykhaylyk in Odessa sowie über Fortschritte bei der Ermittlung und Verurteilung der Täter und Hintermänner? Es wurden nach Kenntnis der Bundesregierung drei Tatverdächtige festgenommen . Oleh Mykhaylyk äußerte Zweifel, dass es sich bei ihnen um die Täter handelt . Das Verfahren dauert an. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 17 verwiesen. 17. In welchem Rahmen setzt sich die Bundesregierung konkret vor Ort dafür ein, die genannten Taten vollständig aufzuklären und die Verantwortlichen einschließlich der Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen, und wie ist die Deutsche Botschaft Kiew personell und organisatorisch darauf eingerichtet, Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern Beratung und Schutz anzubieten? Die Bundesregierung steht über die Botschaft Kiew in regelmäßigem Kontakt und Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern. Sie spricht in ihren Kontakten mit der ukrainischen Regierung die Notwendigkeit von Fortschritten bei der Reform der Strafverfolgung in der Ukraine an. Zu konkreten Vorfällen nimmt die Botschaft Kiew auch öffentlich Stellung. Dabei stimmt sie sich mit Partnern im Rahmen der Europäischen Union und der G7-Staaten ab. Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Oleh Mykhaylyk unterstützt die Bundesregierung finanziell und organisatorisch eine Operation und forensische Untersuchung in Deutschland. An der Botschaft Kiew sind derzeit drei Mitarbeiter mit Fragen der Menschenrechte einschließlich der Förderung von Projekten ukrainischer Nichtregierungsorganisationen im Menschenrechtsbereich befasst. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333