Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. Januar 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/7404 19. Wahlperiode 29.01.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Oliver Krischer, Stefan Schmidt, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/6982 – Stromsteuer auf Klärgasverstromung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In Kläranlagen wird durch Faulung des Klärschlamms Gas erzeugt, das vor Ort über Blockheizkraftwerke in Strom und Wärme umgewandelt wird. Das schont die Umwelt und den Geldbeutel der Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler, weil sich Kläranlagen auf diese Weise CO2-neutral und kostengünstig weitgehend selbst mit Energie versorgen können. Für die Energiewende stellt diese Klärgasverstromung einen wirksamen und effektiven Beitrag dar. Der so erzeugte Strom ist jederzeit verfügbar und anders als Windkraft- oder PV-Anlagen nicht vom Wetter abhängig. Bislang war der aus Klärgasen erzeugte und selbst verbrauchte Ökostrom von der Stromsteuer befreit. Aktuell gehen Generalzolldirektion (GZD) und Hauptzollämter (HZA) für große Generatoren (Nennleistung über 2 MW) jedoch dazu über, diese Stromsteuerfreiheit aufzuheben, obwohl sich die Gesetzeslage nicht geändert hat. Als Begründung für diese geänderte Auffassung wird von der GZD und von den HZA ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Februar 2016-VII R 7/15 angeführt. Dieses Urteil betrifft einen Fall von Verlusten im Stromnetz (sog. Netzverluste) z. B. für Leitungs- und Umspannverluste (vgl. www.jurion.de/urteile/bfh/2016-02-24/vii-r-7_15/). Eine Kläranlage kann jedoch weder technisch noch wirtschaftlich mit einem Umspannungswerk verglichen werden, so dass der Sachverhalt aus Sicht der Fragesteller auf Abwasserbetriebe nicht übertragbar ist. Außerdem geht der BFH im Urteil vom 24. Februar 2016 an keiner Stelle auf die Stromsteuerfreiheit ein. Im Ergebnis wird durch die neue Sichtweise der Generalzolldirektion und der Hauptzollämter bei unveränderter Gesetzeslage regional nachhaltiges Handeln (Klärgasverstromung) zu Lasten der kommunalen Anteilseignerinnen und Anteilseigner und der Bürgerinnen und Bürger mit einer Steuer belegt, die ausschließlich dem Bund zu Gute kommt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/7404 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass aufgrund eines Schreibens der Generalzolldirektion verschiedene Hauptzollämter vom bisherigen stromsteuerfreien Umgang der Klärgasverstromung in der Abwasserwirtschaft für kommunale Betreiber seit Frühjahr 2018 abgewichen sind? 2. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem BFH-Urteil vom 24. Februar 2016-VII R 7/15 bei? Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Generalzolldirektion, nach der dieses BFH-Urteil faktisch zu einer Rechtsänderung hinsichtlich der Stromsteuerbefreiung führt (bitte begründen)? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Die Inanspruchnahme von Stromsteuerbefreiungen ist von den rechtlichen Voraussetzungen , dem Einzelsachverhalt und der jeweiligen Beurteilung durch die zuständige Behörde abhängig. Die Generalzolldirektion und die Hauptzollämter sind bei ihrer Beurteilung an Gesetze sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) gebunden und setzen diese um. Das BFH- Urteil vom 24. Februar 2016, VII R 7/15, trifft grundsätzliche Feststellungen zum Begriff des Versorgungsnetzes im Sinne des Stromsteuergesetzes (StromStG), die über die reine Beurteilung z.B. von Netzverlusten hinausgehen. Diese Feststellungen haben auch Auswirkungen auf die Stromsteuerbefreiung nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG für Strom aus erneuerbaren Energieträgern, wenn dieser aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen wird („Grünstromnetz “). Liegt unter Berücksichtigung der Feststellungen des BFH kein „Grünstromnetz“ vor, kommt die Steuerbefreiung nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG nicht mehr in Betracht (vgl. dazu auch Antwort auf die Schriftliche Frage auf Bundestagsdrucksache 19/5282). 3. Teilt die Bundesregierung die bisherige Intention des Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999, die u. a. im § 9 Absatz 1 des Stromsteuergesetzes (StromStG) darauf setzte, den Eigenverbrauch von Strom aus erneuerbaren Energiequellen von der Steuer zu befreien ? Die im Wesentlichen 1999 und 2000 eingeführten Stromsteuerbefreiungen des § 9 Absatz 1 StromStG haben die Intention, die Markteinführung und die Entwicklung bestimmter umweltverträglicher Formen der Stromerzeugung zu unterstützen . Sämtliche Stromsteuerbefreiungen müssen zudem im Einklang mit dem höherrangigen europäischen Recht stehen und insbesondere den Vorgaben der EU- Energiesteuerrichtlinie vom 27. Oktober 2003 gerecht werden (Richtlinie 2013/96/EG). Die Europäische Kommission wertet die vorgenannten Steuerbefreiungen als staatliche Beihilfen im Sinne der Artikel 107 Absatz 1 AEUV und mahnt eine zügige Rechtsänderung an. Deshalb werden die Stromsteuerbefreiungen nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 und Nummer 3 StromStG derzeit mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Stromsteuerbefreiungen sowie zur Änderung energiesteuerrechtlicher Vorschriften (vgl. Bundesratsdrucksache 5/19) neu gefasst. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/7404 4. Wie ist aus Sicht der Bundesregierung die geänderte Rechtsauslegung des § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG durch die Generalzolldirektion zur Besteuerung der Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen wie z. B. Klärgas mit den europäischen Klimaschutzzielen (Etappenziel bis 2030: Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 Prozent) vereinbar, die explizit im Energiesektor (u. a. große Eigenstromerzeugung der Kläranlagenbetreiber) das größte Reduktionspotential erwarten lässt? 5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Klärgasverstromung auch wegen ihrer ständigen Verfügbarkeit als eine sehr wichtige Komponente der Klimaschutzziele und -pläne deutscher Kommunen einzuordnen ist, und warum nimmt sie vor diesem Hintergrund in Kauf, dass die Investitionen kommunaler Kläranlagenbetreiber erheblich belastet werden ? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Steuerbefreiungen stellen Ausnahmen vom Grundsatz der Besteuerung dar. Steuerbefreiungen entfalten keinerlei Bestandsschutz. Klärgas nutzende Stromerzeugungsanlagen sind typischerweise ganzjährig mit hoher Auslastung in Betrieb. Insbesondere der in großen Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als 2 MW (2 MW sind ausreichend für die Versorgung von ca. 3 500 Haushalten) zum Eigenverbrauch erzeugte Strom ist unabhängig von der Stromsteuer kostengünstiger als regulär aus dem Stromnetz zugekaufter Strom. So erreichen selbst kleine Klärgasanlagen mit einer elektrischen Nennleistung von nur 0,2 MW Stromgestehungskosten von typisiert 6,96 Cent/kWh, während die Strombezugskosten aus dem Netz bei ca. 13 Cent/kWh liegen würden (vgl. Fraunhofer IEE, Wissenschaftlicher Bericht „Vorbereitung und Begleitung bei der Erstellung eines Erfahrungsberichts gemäß § 97 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ Teilvorhaben II a: Biomasse, insbesondere Seiten 18, 85, 134). Da die Stromgestehungskosten in Anlagen mit mindestens 2 MW elektrischer Nennleistung typischerweise nochmals geringer sind als in der vorgenannten Betrachtung , geht die Bundesregierung davon aus, dass die bei einzelnen Abwasserbetrieben bis zum geplanten Inkrafttreten des neu gefassten § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG zum 1. Juli 2019 erfolgende Besteuerung von selbst verbrauchten Strommengen, die Stromerzeugungsanlagen weder unwirtschaftlich werden lässt, noch dass die Erreichung der Klimaschutzziele hiervon negativ beeinflusst wird. 6. Wie bewertet die Bundesregierung die Einordnung fast aller Abwasserentsorgungsunternehmen mit einer Nennleistung der Klärgasverstromung von mehr als 2 Megawatt als Versorger nach § 2 Absatz 1 StromStG, ohne dass sich hieraus jedoch zwingend der Verkauf von Strom außerhalb ihres Netzes ergibt (z. B. bilanzielle Hin- und Rücklieferung innerhalb des Eigennetzes), und teilt sie die Einschätzung, dass hieraus keine Stromsteuerbelastung folgt? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/7404 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 7. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es beihilferechtlich (Artikel 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) von Relevanz ist, dass Kläranlagenbetreiber, die ihren Strombedarf bisher unter der Maßgabe des § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG selbst produziert und auch selbst verbraucht haben, seit April 2017 – ohne dass sich die Bedingungen vor Ort oder die Gesetzgebung geändert haben – zur Stromsteuer herangezogen werden? Die Generalzolldirektion und die Hauptzollämter haben bei der Auslegung der Stromsteuerbefreiungen die Rechtsprechung des BFH zu beachten (siehe Antwort zu den Fragen 1 und 2). Die Steuerbefreiungen nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 und 3 StromStG sind insgesamt Gegenstand eines beihilferechtlichen Verfahrens. Die Europäische Kommission wertet Steuerbefreiungen für Strom, der entweder aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz („Grünstromnetz “) entnommen wird (§ 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG) oder in Kleinanlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei Megawatt erzeugt wird (§ 9 Absatz 1 Nummer 3 StromStG), als staatliche Beihilfen im Sinne der Artikel 107 Absatz 1 AEUV und mahnt eine zügige Rechtsänderung an. Ohne Anpassung der gesetzlichen Regelungen an das geltende EU-Beihilferecht könnten die vorgenannten Stromsteuerbefreiungen nicht mehr gewährt werden. Der am 19. Dezember 2018 vom Kabinett beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Stromsteuerbefreiungen sowie zur Änderung energiesteuerrechtlicher Vorschriften sieht deshalb eine grundlegende Neuregelung des § 9 StromStG vor (Bundesratsdrucksache 5/19). Vorrangiges Ziel des Gesetzentwurfes ist es, diese Steuerbefreiungen im Einklang mit dem EU-Beihilferecht neu auszugestalten. Neben einer beihilfekonformen Ausgestaltung, dient die mit dem Entwurf vorgenommene Neufassung der Stromsteuerbefreiung nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG dazu, künftig einen klar definierten Anwendungsbereich der Steuerbefreiung zu gewährleisten. So soll künftig Strom nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 StromStG, der in Stromerzeugungsanlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei Megawatt aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt und zum reinen Eigen- bzw. Selbstverbrauch des Betreibers der Stromerzeugungsanlage am Ort der Erzeugung verwendet wird, von der Stromsteuer befreit werden. 8. Sieht die Bundesregierung ein Problem darin, dass lokale Abwasserbetriebe erhebliche Investitionen in die Klärgasverstromung getätigt haben und wenige Jahre nach Abschluss der Investitionen die Klärgasverstromung mit einer Stromsteuer belegt werden soll, die ausschließlich dem Bund zu Gute kommt? Auf die Antwort zu den Fragen 4 und 5 wird verwiesen. 9. Wie will die Bundesregierung auf die entstandene Benachteiligung der Abwasserbetriebe reagieren, und durch welche Maßnahmen mit welcher Zielrichtung soll bei der anstehenden Neuregelung von Stromsteuerbefreiungen Abhilfe geschaffen werden? Eine Benachteiligung von Abwasserbetrieben ist unter Einbeziehung der Antworten zu den Fragen 4, 5 und 8 nicht ersichtlich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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