Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 26. Februar 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/8070 19. Wahlperiode 28.02.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Olaf in der Beek, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/7684 – Umweltauswirkungen versenkter Munition in der Ostsee V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Auf dem Meeresboden der Ostsee liegen nach Angaben des bundeseigenen Johann Heinrich von Thünen-Instituts ca. 300 000 t konventionelle Munition und geschätzte 42 000 bis 65 000 t chemische Kampfstoffmunition. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese hauptsächlich im Auftrag der Alliierten zur Sicherstellung vor den Deutschen entsorgt, ohne dabei mögliche Auswirkungen auf die maritime Umwelt zu berücksichtigen (www.thuenen.de/de/fi/projekte/ daimon-wie-gehen-wir-mit-versenkter-munition-um/; www.deutschlandfunk. de/nord-und-ostsee-tickende-zeitbomben-auf-dem-meeresgrund.697.de.html? dram:article_id=386332). Das Thünen-Institut untersucht im Rahmen des DAIMON-Projektes die Auswirkungen von Sprengstoffen wie Trinitrotoluol (TNT) und seiner Abbauprodukte auf die maritime Umwelt im Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide in der Kieler Bucht anhand der standorttreuen Indikator-Fischart Kliesche (Limandalimanda). Ziel ist es, die gewonnenen Erkenntnisse für eine bessere Evaluierung der Umweltrisiken zu nutzen und daraus geeignete Handlungsmaßnahmen im Risikomanagement aufzuzeigen (Thünen – Wissenschaft erleben, 2018/2). Aus Sicht der Fischereiökologie erweisen sich insbesondere die zahlreichen Substanzen als problematisch, die sich bereits im Sediment und Wasser großflächig verbreitet haben, da erste Ergebnisse der Studie aufzeigen, dass Fische in der Lage sind, Sprengstoffe wie TNT zu potentiell toxischen Stoffen abzubauen . Hinzu kommt, dass durch Umwelteinflüsse und die fortschreitende Zeit die Sprengkörper zunehmend korrodieren und damit ein erhöhtes Expositionsrisiko einhergeht (Thünen – Wissenschaft erleben, 2018/2). V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die abschließende Bewertung der Forschungsergebnisse der wird erst nach Vorliegen des formalen Abschlussberichts zum fraglichen Projekt möglich sein. Die nachfolgenden Aussagen basieren auf den bisher bekannten Informationen und Ergebnissen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8070 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 1. Welche konkreten toxischen Stoffe, die als Abbauprodukt aus TNT hervorgehen , sind im Indikator-Fisch Kliesche (Limanda limanda) nach Kenntnis der Bundesregierung entsprechend der bereits vorliegenden Ergebnisse der Untersuchungen des Johann Heinrich von Thünen-Instituts nachweisbar? Laborexperimente haben gezeigt, dass in TNT-exponierten Fischen ein schneller Abbau des Sprengstoffs TNT stattfindet. Demnach findet man in exponierten Fischen vor allem eine ganze Reihe von TNT-Abbauprodukten und nicht das TNT selbst. In Untersuchungen des Thünen-Instituts für Fischereiökologie im Geschäftsbereich des BMEL im Rahmen des Interreg-Projekts DAIMON (Decision Aid for Marine Munitions) wurde die Galle der Kliesche auf sprengstoffbezogene Schadstoffe hin analysiert. Da die Galle in der Leber, die verantwortlich für die Biotransformation von Schadstoffen ist, produziert wird bevor sie in die Gallenblase abgegeben wird, ist dort der Nachweis von Abbauprodukten von TNT naheliegend . In den Gallen der Klieschen aus dem Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide (Kieler Bucht) wurden konkret 2-Amino-4,6-Dinitrotoluol (2-ADNT), 4-Amino-2,6-Dinitrotoluol (4-ADNT) sowie 2,2,6,6-Tetranitro-4,4-Azoxytoluol (TNAzoxyT) nachgewiesen. Dabei entfiel der größte Anteil dieser nitroaromatischen Verbindungen auf 4-ADNT. Trinitrotoluol (TNT) als einer der Bestandteile der versenkten Munition wurde hingegen nicht in den Gallen nachgewiesen. In Klieschen aus Vergleichsgebieten in der Kieler Bucht wurden TNT- Abbauprodukte nur selten nachgewiesen, so dass nach heutigem Kenntnisstand davon auszugehen ist, dass die genannten Abbauprodukte als spezifische Marker für die Exposition der Fische gegenüber Sprengstoff aus versenkter konventioneller Munition betrachtet werden können. In Laborversuchen zur Metabolisierung von TNT in Klieschen-Lebern konnte neben den o. g. Verbindungen auch Dinitrobenzoe-Säure (DNBA) als weiteres Abbauprodukt von TNT und Hydroxyaminodinitrotoluol (HADNT) als Zwischenabbauprodukt nachgewiesen werden. Dass diese Abbauprodukte nicht in den Klieschen-Gallen aus der Kolberger Heide gemessen wurden, kann zum einen daran liegen, dass die Laborversuche nur einen Teil der möglichen Abbauwege von TNT abbilden. Zum anderen stehen die Messungen weiterer Fischorgane der Klieschen aus der Kolberger Heide noch aus. Der Nachweis dieser Abbauprodukte in Fischmuskelfleisch oder Fischlebern ist denkbar. Ebenso ist es denkbar, dass DNBA oder HADNT in anderen Fischarten oder an anderen Orten als Resultat von Munitionsbelastungen nachgewiesen werden können. Die Toxizität der in Klieschen nachgewiesenen TNT-Abbauprodukte 2-ADNT und 4-ADNT ist bekannt; über die Toxizität der anderen o. g. Verbindungen liegen bislang noch keine Daten vor. 2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der Untersuchungen der Thünen-Studie, wonach 25 Prozent der Klieschen aus dem Versenkungsgebiet Lebertumore aufweisen, wohingegen die Tumorrate bei Klieschen aus unbelasteten Vergleichsgebieten bei 5 Prozent liegt, zur Karzinogenität der aus TNT hervorgehenden Metaboliten? Das Thünen-Institut für Fischereiökologie untersuchte in den Jahren 2015 bis 2018 im Rahmen des internationalen Interreg-Projekts DAIMON (Decision Aid for Marine Munitions) den Gesundheitszustand der Plattfischart Kliesche (Limanda limanda) in der Kieler Bucht. Dabei wurden mittels Stellnetzfischerei Proben am Rand des Munitionsversenkungsgebietes Kolberger Heide (in dem Gebiet ist Fischerei untersagt) sowie mittels Schleppnetzfängen in unbelasteten Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/8070 Vergleichsgebieten genommen. Die Untersuchung der Fische erfolgte unter Anwendung international standardisierter Verfahren, die vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES)1 entwickelt wurden [4] und waren Bestandteil des Überwachungsprogrammes des Thünen-Instituts für Fischereiökologie zu Schadstoffbelastung und Gesundheitszustand von Meeresfischen in Nord- und Ostsee. Die Studien zeigten, dass 25 Prozent der am Rand des Munitionsversenkungsgebiets gefangenen und untersuchten Klieschen makroskopische (mit dem bloßen Auge erkennbare) Leberknoten mit einem Durchmesser größer als 2 mm aufwiesen . Diese Knoten wurden gemäß der o. g. Standardverfahren quantitativ erfasst und anschließend anhand histologischer und mikroskopischer Untersuchungen hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes klassifiziert. Dabei ergab sich, dass es sich bei dem größten Teil der Leberknoten um Tumore handelte. Anhand der histologischen Befunde wurde berechnet, dass 17 Prozent der untersuchten Fische des Munitionsversenkungsgebiets Lebertumore aufwiesen. Diese Befallsrate ist verglichen mit den Befunden aus den unbelasteten Kontrollgebieten in der Kieler Bucht, aber auch aus anderen Untersuchungsgebieten in der Nordsee, als sehr hoch einzuschätzen. In Kontrollgebieten in der Kieler Bucht lag die Befallsrate von Lebertumoren mit Werten unterhalb von 5 Prozent signifikant niedriger. Anhand der Ergebnisse der Studie, auch unter Einbeziehung der Resultate der chemischen Analytik von TNT und seiner Abbauprodukte in der Kliesche sowie zur Toxizität der Substanzen für Fische (vgl. Antwort zu Frage 1) liegt der Verdacht nahe, dass die erhöhte Tumorrate der Klieschen aus dem Versenkungsgebiet Kolberger Heide ursächlich mit ihrer Belastung durch das aus der versenkten Munition nachweislich freigesetzte TNT und seiner Abbauprodukte zusammenhängt . Damit ist davon auszugehen, dass diese Substanzen eine kanzerogene Wirkung entfalten. 3. Wie bewertet die Bundesregierung die Expositions-Risiko-Beziehung, die die toxischen Stoffe auf die Fischgesundheit haben? Akut toxische Effekte von TNT auf Fische zeigen sich, sobald die Konzentration im Wasser eine Größenordnung von Milligramm pro Liter erreicht. Der LC50 (letale Dosis, bei der 50 Prozent der Testfische innerhalb von 48 Std. sterben) für TNT bei Fischen wurde in verschiedenen Studien ermittelt: 1,7 mg/L (Nördlicher Edelsteinkärpfling: Cyprinodon variegatus) [5], 2,4 mg/L (Amerikanische Dickkopfelritze : Pimephales promelas), 5,5 mg/L (Zebrabärbling: Danio rerio Embryonen ) (eigene Untersuchungen Thünen-Institut für Fischereiökologie). Laborexperimente mit Fischen haben gezeigt, dass die primären Abbauprodukte von TNT, wie ADNTs, eine geringere Toxizität im Vergleich zu TNT aufweisen, jedoch nach wie vor akut toxisch für Fische sind. Untersuchungen des Thünen-Instituts für Fischereiökologie zur Genotoxizität von TNT und seinen primären Abbauprodukten bei Fischen lieferten den Nachweis , dass diese Stoffe die Erbsubstanz der Fische schädigen können. Die Schädigung der DNA tritt auch schon bei Konzentrationen auf, die eine Zehnerpotenz unterhalb der für Fische akut toxischen Konzentration liegen. So führte eine Konzentration von 0,1 mg/L TNT im Wasser zu einer Schädigung der DNA im Vergleich zur Kontrolle. Da die Versuche mit relativ kurzen Expositionszeiten durchgeführt wurden (48 Stunden), ist der chronische/langfristige Effekt in Meeresgebieten mit Munitionsbelastung schwer abzuschätzen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8070 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die in den Klieschen aus der Kolberger Heide gemessenen Konzentrationen toxischer TNT-Abbauprodukte lagen unterhalb der ermittelten Wirkschwellen. Allerdings können gentoxische Schadstoffe auch in Konzentrationen unterhalb der ermittelten akuten Wirkschwellen chronische Wirkungen entwickeln. Die Ergebnisse zur Genotoxizität von TNT und seiner Abbauprodukte, zusammen mit den Befunden zu einer erhöhten Tumorrate bei Klieschen im Versenkungsgebiet , sind Hinweise auf toxische Wirkungen der aus der versenkten Munition freigesetzten Verbindungen und Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Fische. 4. Wie bewertet die Bundesregierung die Expositions-Risiko-Beziehung, die die toxischen Stoffe auf die Gesundheit der Fischkonsumenten haben? Der Bundesregierung liegen – außer den Erkenntnissen des Thünen-Instituts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) – keine weiteren Informationen zur Belastung der Umwelt und von Speisefischen durch Munitionsreste in der Ostsee vor. Die Forschungsaktivitäten des Instituts dazu dauern noch an. 5. Wie verhindert die Bundesregierung, dass es aufgrund der o. g. Expositions- Risiko-Beziehung zu einem Konsum von belastetem Fisch durch Menschen kommt? Der Bundesregierung liegen – außer den Erkenntnissen des Thünen-Instituts im Geschäftsbereich des BMEL – keine weiteren Informationen zur Belastung der Umwelt und von Speisefischen durch Munitionsreste in der Ostsee vor. Die Forschungsaktivitäten des Instituts dazu dauern noch an. 6. Welche weiteren Maßnahmen sind aus Sicht der Bundesregierung angesichts der o. g. Ergebnisse der Untersuchungen des Thünen-Instituts zum Schutz der Konsumenten notwendig? Der Bundesregierung liegen – außer den Erkenntnissen des Thünen-Instituts im Geschäftsbereich des BMEL – keine weiteren Informationen zur Belastung der Umwelt und von Speisefischen durch Munitionsreste in der Ostsee vor. Die Forschungsaktivitäten des Instituts dazu dauern noch an. 7. Gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregierung weitere munitionsbelastete Gebiete im Hoheitsgewässer Deutschlands? Wenn ja, welche? Neben 8 Munitionsversenkungsgebieten in der Ostsee existieren sieben weitere in der Nordsee. Zu den weiteren 50 munitionsbelasteten Flächen und 21 Verdachtsflächen in der Ostsee kommen weitere 21 Flächen im deutschen Teil der Nordsee hinzu. Eine Übersicht der Gebiete ist unter www.schleswig-holstein.de/ DE/UXO/Themen/Fachinhalte/textekarten_Karten.html einsehbar. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/8070 8. Welche Risiken ergeben sich nach Kenntnis der Bundesregierung für Konsumenten durch den Konsum von Fischen aus munitionsbelasteten Gebieten insgesamt, und wie plant die Bundesregierung, diese zu minimieren? Der Bundesregierung liegen – außer den Erkenntnissen des Thünen-Instituts im Geschäftsbereich des BMEL – keine weiteren Informationen zur Belastung der Umwelt und von Speisefischen durch Munitionsreste in der Ostsee vor. Die Forschungsaktivitäten des Instituts dazu dauern noch an. 9. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung im Umgang mit der versenkten Munition, um die Auswirkungen auf die Meeresumwelt zu minimieren? 10. Plant die Bundesregierung, die versenkte Munition zu bergen oder an ihrem Standort zu belassen (bitte mit Begründung antworten)? Die Fragen 9 und 10 werden wegen ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet . In Zusammenarbeit mit den betroffenen Bundesländern erfolgt eine kontinuierliche Bewertung neuer Erkenntnisse im Rahmen des Bund/Länder-Ausschuss Nord- und Ostsee (BLANO) Expertenkreises „Munition im Meer“. Derzeit ist weiterhin nicht erkennbar, dass eine großräumige Gefährdung der marinen Umwelt über den lokalen Bereich der munitionsbelasteten Flächen hinaus vorhanden oder zukünftig zu erwarten ist. Eine Gefährdung besteht jedoch punktuell für Personengruppen , die im marinen Bereich der Nord- und Ostsee mit Grundberührung tätig sind. Die neuen, noch zu prüfenden und verifizierenden, Forschungsergebnisse ändern zum gegenwärtigen Zeitpunkt diese Einschätzung nicht grundsätzlich . Bergungen von Munitionsfunden erfolgen außerhalb der ausgewiesenen Versenkungsgebiete auf Basis einer Gefährdungsbeurteilung kontinuierlich. Innerhalb der Versenkungsgebiete ist bislang keine großflächige Beräumung geplant. Bergungen und in-situ Sprengungen bergen zudem auch die Gefahr einer stoßweisen Freisetzung der enthaltenen Kampfmittel. 11. Setzt sich die Bundesregierung für weitere Forschungsprojekte zur Eruierung der Auswirkungen versenkter Munition auf die maritime Umwelt in der Ostsee ein? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht? Das angeführte Forschungsprojekt DAIMON ist eines aus einer Reihe thematisch zusammengehöriger Projekte, die zum Teil entweder noch nicht abschließend bewertet oder nicht abgeschlossen sind. Daneben laufen derzeit noch die Projekte UDEMM (Umweltmonitoring für die Delaboration von Munition im Meer) sowie RoBEMM (Entwicklung und Erprobung eines robotischen Unterwasser-Bergungs - und Entsorgungsverfahrens). Die Ergebnisse aller drei Projekte sind nach Beendigung der Projektlaufzeit zunächst auszuwerten. Über mögliche Maßnahmen oder ergänzenden Forschungsbedarf wird auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse zum gegeben Zeitpunkt entschieden werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333