Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 14. Februar 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/818 19. Wahlperiode 19.02.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Uwe Kamann, Stephan Brandner, Jochen Haug, weitere Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/627 – Situation in Libyen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das nordafrikanische Libyen droht nach der Entmachtung des langjährigen Diktators Muammar al-Gaddafi zu einem „failed state“ zu werden (www.dw.com/ en/is-libya-a-failed-state/a-38976280). Nach dessen auch durch westliche Staaten geforderten Sturz (www.sueddeutsche.de/politik/libyen-folgen-eines-fehlers- 1.2954477) und seinem gewaltsamen Tod im Oktober 2011 brachen in Libyen ein Bürgerkrieg und das politische Chaos aus (www.n-tv.de/politik/Libyentaumelt -in-die-Anarchie-article13340261.html). Im Dezember 2015 wurde unter UN-Vermittlung (UN: Vereinte Nationen) ein Abkommen geschlossen, das eine Einheitsregierung im Land etablierte. Bisher kam es aber nicht zu einer Konsolidierung der politischen Führung des Landes: Seit dem Jahr 2014 existieren zwei rivalisierende Regierungen. Die von der Europäischen Union (EU) anerkannte Regierung der nationalen Einheit wird vom in Tobruk ansässigen Nationalkongress nicht anerkannt (www.zeit.de/2017/41/ libyen-regierungen-staat-martin-kobler). Ende Juli 2017 kamen Premierminister Fayez al-Sarraj und General Khalifa Haftar in Paris zusammen und unterzeichneten unter der Vermittlung Frankreichs ein unverbindliches Abkommen, das einen Waffenstillstand vorsieht, den Weg für Wahlen freimachen soll und eine daraus hervorgehende Einheitsregierung beinhaltet. Allerdings ist unklar, welchen Geltungsbereich der Waffenstillstand umfasst, da er Anti-Terror-Maßnahmen ausklammert (www.theatlantic. com/news/archive/2017/07/libyan-rivals-agree-to-a-ceasefire-and-elections/534897/). Libyen, das zuvor in Absprache mit den Ländern der EU die illegale Migration aus Afrika kontrollieren half (www.nzz.ch/international/afrika/nordafrikald .8173), wurde im Verlaufe der bewaffneten Auseinandersetzungen zu einem Haupt-Transitland für Flüchtlinge aus Afrika. Durch den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Libyen übernahmen Schlepper und Terroristen die Oberhand und versuchen seitdem tausende Menschen in lebensgefährlichen Überfahrten auf dem Mittelmeer nach Europa zu bringen. Bei diesen Flucht-Aktionen ertranken bisher tausende Männer, Frauen und Kinder im Mittelmeer. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/818 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die Europäische Union versucht mit der Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia, die Tätigkeit von Schleusern zu bekämpfen, die von Libyen aus operieren . Dennoch steigt die Zahl der Menschen, die mit Schleppern das Mittelmeer überqueren, stetig an. Es bleibt trotz gegenteiliger Behauptungen nach Auffassung der Fragesteller zu befürchten, dass die bisher durchgeführten maritimen Rettungsaktionen von europäischen Marine-Verbänden im Mittelmeer als Pull Faktor wirken könnten, um noch mehr Menschen zu der lebensgefährlichen und für viele finanziell ruinösen Überfahrt zu animieren (www.welt.de/politik/ausland/article170386616/ Leben-zu-retten-ist-kein-pull-factor-Es-ist-eine-Pflicht.html). Ergänzend dazu hat Italien eine eigenständige Unterstützungsmission, die nicht nur in libyschen Territorialgewässern, sondern auch bereits an Land operieren und die anscheinend mit einigen Warlords die Migrationsströme kontrollieren soll (https://kurier.at/politik/ausland/zeichen-einer-wende-warum-migranten zahlen-erstmals-sinken/278.542.446). Internationale Migrationsforscher schätzen, dass es in Libyen neben rund 400 000 Binnenflüchtlingen (http://auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/ Laender/Laenderinfos/Libyen/Innenpolitik_node.html) mittlerweile mehrere hundertausende Flüchtlinge gibt, die auf eine Überfahrt nach Europa warten (www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/eu-afrika-libyen-migranten-rueck fuehrung-100.html). 1. Hat die Bundesregierung im Vorfeld der von März bis Oktober 2011 durchgeführten internationalen Militärintervention gegen Muammar al-Gaddafi Überlegungen angestellt, inwiefern dies die Migrations-/Flüchtlingsströme in die EU verändern könnte? Deutschland hat sich an der internationalen Militärintervention nicht beteiligt. Zielsetzung der internationalen Koalition von NATO-Alliierten und Partnern auf Grundlage der Resolution 1973(2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen war es, Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gegenden in Libyen vor Angriffen oder Drohungen von Angriffen zu schützen und ein Waffenembargo und eine Flugverbotszone durchzusetzen. Auch vor 2011 kam es zu Flucht- und Migrationsbewegungen aus Libyen in die EU. 2. Ist der Bundesregierung bekannt, ob solche Analysen durch die EU und ihre Institutionen erstellt worden sind? Wurden solche Analysen durch eigene und/oder befreundete Nachrichtendienste erstellt, und wenn ja, wurden sie berücksichtigt? Der Bundesregierung sind keine derartigen Analysen bekannt. 3. War der Zusammenhang zwischen der Militärintervention und der veränderten Migration nach Europa jemals Thema auf einem Europäischen Gipfel, und wenn ja, auf welchem oder welchen und mit ggf. welchem Ergebnis? Der Europäische Rat hat sich seit 2011 immer wieder mit der aktuellen Lage in Libyen und den daraus folgenden Auswirkungen auf Flucht- und Migrationsbewegungen beschäftigt. Der Europäische Rat befasste sich auf einer außerordentlichen Sitzung am 11. März 2011 mit der Situation in Libyen und in der südlichen Nachbarschaft und nahm eine Erklärung an, in der er sich mit der dortigen humanitären Notlage und den daraus resultierenden Migrationsbewegungen auseinandersetzt . Der Rat erhielt den Auftrag, ein umfassendes Konzept für die Migration Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/818 auszuarbeiten, das mit dem Gesamtansatz der EU in Einklang steht, und in Zusammenarbeit mit der Kommission im Vorfeld des Europäischen Rates im Juni 2011 einen Plan für den Ausbau der Kapazitäten zur Steuerung der Migrationsund Flüchtlingsbewegungen zu unterbreiten. Auch auf den nachfolgenden Sitzungen , insbesondere am 24./25. März 2011, am 23./24. Juni 2011 sowie im Oktober 2011 hat sich der Europäische Rat mit der Lage in Libyen beziehungsweise der daraus folgenden Migrationssituation auseinandergesetzt. Seitdem hat sich der Europäische Rat regelmäßig mit dem Thema Migration befasst, so unter anderem auf seinen Sitzungen am 24./25. Oktober 2013 oder am 19./20. März 2015, bei denen er auch erneut auf die Situation in Libyen eingegangen ist. Auch auf dem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs am 3. Februar 2017 in Malta war die Lage in Libyen und das weitere Vorgehen im Bereich der externen Dimensionen der Migration Gegenstand der Aussprache. Die Ergebnisse sind in die Erklärung von Malta vom 3. Februar 2017 eingeflossen. Zuletzt hat der Europäische Rat am 19. Oktober 2017 Schlussfolgerungen zu Migration und der Lage in Libyen angenommen: www.consilium.europa.eu/register/de/content/out?&typ= ENTRY&i=ADV&DOC_ID=ST-14-2017-INIT. 4. Gab es andere, z. B. bilaterale Zusammenkünfte, auf denen dieser Themenkomplex besprochen wurde, und wenn ja, welche, und ggf. mit welchem Ergebnis ? Die aktuelle Lage in Libyen und die daraus folgenden Auswirkungen auf Fluchtund Migrationsbewegungen waren auch regelmäßig Gegenstand in bilateralen Zusammenkünften mit einer Vielzahl von Partnern. Dabei wurden unter anderem Wege zur Überwindung der Krise in Libyen und zur Bildung einer handlungsfähigen , gesamtstaatlichen Regierung thematisiert, die auch zur Eindämmung irregulärer Migration und zur Verbesserung der Lage von Flüchtlingen und Migranten in Libyen beitragen können. 5. Welche vorbeugenden Maßnahmen haben Deutschland und/oder die EU unternommen , um nach Ende der Militärintervention dafür zu sorgen, dass keine Migranten durch Libyen in die EU einreisen können? Auf die in der Antwort zu Frage 3 dargestellten EU-Entscheidungen wird verwiesen . 6. Inwiefern hat der zweite Bürgerkrieg ab Mai 2014 die Situation für Migrationsströme durch Libyen verändert? Die internen Auseinandersetzungen in Libyen haben die Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen vertieft und zahlreiche Regierungsinstitutionen geschwächt und gespalten. Dies begünstigte weit verbreitete Rechtslosigkeit, von der unter anderem Schleuser profitieren. Die Bundesregierung unterstützt die Arbeit der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL), die dazu beiträgt, die Fragmentierung des Landes zu überwinden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/818 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 7. Ist der Bundesregierung eine Zusammenarbeit von Italien mit sog. Warlords in Libyen für ein besseres Migrationsmanagement bekannt (www.bento.de/ politik/libyen-die-eu-stoppt-fluechtlinge-nun-mithilfe-von-warlords-derbrigade -48-1642138/)? Wie bewertet die Bundesregierung diese Zusammenarbeit? Der Bundesregierung ist bekannt, dass Italien, wie andere Partner und Akteure, einschließlich der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, mit maßgeblichen Akteuren zur Befriedung des innerlibyschen Konflikts im Gespräch ist. Die Bundesregierung unterstützt diese Bemühungen im Interesse einer Stabilisierung der Situation in Libyen und der Bildung einer handlungsfähigen, gesamtstaatlichen Regierung, die auch zu einer nachhaltigen Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenschmuggel über das Mittelmeer und zur Vermeidung der damit verbundenen Todesopfer erforderlich ist. 8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die durch die geostrategische Lage Libyens begünstigten Migrationsströme auch anders als durch eine Kooperation mit sog. Warlords bewältigt werden können? Wenn ja, was hat die Bundesregierung diesbezüglich unternommen? Zentraler Ansprechpartner der Bundesregierung ist die libysche Einheitsregierung . In flucht- und migrationspolitischen Fragen arbeitet die Bundesregierung in Libyen zudem mit einer Vielzahl von Akteuren zusammen, vorrangig mit Institutionen und Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie mit Institutionen der Vereinten Nationen wie dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). 9. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung Pläne, in Libyen Auffang- und Transitlager für Flüchtlinge einzurichten, in denen deren Anträge auf Asyl in EU-Staaten vorab bearbeitet und entschieden werden könnten (www. zeit.de/politik/ausland/2017-02/libyen-fluechtlinge-grenzschutz-kontrolleeu -gipfel)? Inwieweit sieht die Bundesregierung hier die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Regierungskräften vor Ort? Nach Kenntnis der Bundesregierung beabsichtigt UNHCR eine offene, sogenannte „Transit and Departure Facility“ für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Tripolis aufzubauen. UNHCR steht hierzu im engen Kontakt mit den libyschen Behörden. Die Bundesregierung unterstützt diese Bemühungen des UN- HCR. In dieser „Transit and Departure Facility“ sollen besonders schutzbedürftige Flüchtlinge zwischenzeitlich untergebracht, Flüchtlingsstatusbestimmungen entsprechend internationaler Standards durchgeführt sowie dauerhafte Lösungen gefunden werden. Diese können abhängig von den Umständen des Einzelfalles in einer lokalen Integration, freiwilligen Repatriierung oder im Resettlement der betroffenen Flüchtlinge bestehen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/818 10. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Operationen der italienischen Armee und der italienischen Dienste in Libyen, die auf eine Zusammenarbeit mit bewaffneten Gruppen und Regierungskräften vor Ort zielen, um die Migrationsströme nach Europa wirkungsvoll einzudämmen (www. noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/935823/fluechtlingskrise-italienskooperation -mit-libyen-funktioniert)? Die italienischen Streitkräfte betreiben seit 2016 in Misrata ein Feldlazarett, in dem auch Verletzte aus Kämpfen gegen Anhänger des sogenannten „Islamischen Staates“ behandelt werden und das einen substantiellen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der Zivilbevölkerung leistet. Weiterhin wird auf Anfrage der international anerkannten Regierung technische Hilfe geleistet. Italienische Streitkräfte führen nach Kenntnis der Bundesregierung keine gemeinsamen Operationen mit libyschen bewaffneten Kräften durch. Italien setzt sich bilateral und im Rahmen der EU für eine Stärkung der libyschen Grenzsicherung und der libyschen Küstenwache ein. Federführend hierfür ist das italienische Innenministerium, das Projekte des EU-Treuhandfonds für Afrika in diesem Bereich koordiniert. 11. Ist Libyen Teil des Marshallplans für Afrika, welcher in der Verantwortung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung liegt? Wenn ja, wie hoch ist der finanzielle Anteil für Libyen? Wie hoch ist der finanzielle Gesamtbeitrag Deutschlands für den oben genannten Marshallplan für Afrika? Libyen ist nicht Teil der bisherigen bilateralen Initiativen des Marshallplans für Afrika. Im Rahmen des Marshallplans wurden für die drei Reformpartnerländer Elfenbeinküste, Ghana und Tunesien im Jahr 2017 insgesamt 365 Mio. Euro zugesagt . Mit durchschnittlich 1,7 Mrd. Euro jährlichen Neuzusagen allein über die staatliche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit ist Afrika Schwerpunktkontinent der deutschen Entwicklungspolitik. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333